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4.

Ein Traumspiel (5)


Meine Erinnerung zeigt mir Jathao Vanoth, den einzigen Thesan, auf den wir je getroffen sind. Seine helle Haut, die rote einteilige Stoffkombination mit den blauen Linien darin, die seinen hochgewachsenen Körper eng umschließt, sogar die Zehen jeweils einzeln. Der Blick seiner großen, unwirklich hellblauen Augen.

Vor allem dieser Blick.

Ich habe ihn tief wie ein See genannt, doch Amalia hat mir mit den Worten weit wie das Meer widersprochen.

Die Bilder des Nicht-Traumes ziehen mich zu der ersten persönlichen Begegnung im Solaren Haus, und ich habe Angst davor, mich darauf einzulassen, denn ich weiß, dass die Erinnerung mich unerbittlich nach Luna führen wird ...

... zum Pluto ...

... und zur Frage, ob es das Schicksal gibt, das einen Untergang herbeizwingt und vorherbestimmt.

Wer warst du, Jathao Vanoth?

Wer ...

*

»Wer bist du?«, fragte Gisso Appelles.

»Das wisst ihr.« Der Fremde legte die Hände auf den Tisch, die langen, schlanken Finger wie zwei Fächer ausgebreitet. Der Stoff über dem Handrücken zeichnete bei der Bewegung die Sehnen ab. »Ich habe mich euch vorgestellt. Jathao Vanoth.«

»Wir kennen deinen Namen«, sagte Adams. »Das erklärt uns nicht, wer du bist.«

»Ist das von so entscheidender Bedeutung?«

»Für uns schon.«

»Mein Volk sind die Thesanit, ich bin ein Thesan. Und ich gehöre zu den wenigen Lasha, denen die Fähigkeit gegeben ist, teilweise die Zukunft zu schauen. Genügt das nicht? Meine Botschaft ist wichtiger als ich.«

Sie saßen zu viert im Hauptbüro der Residentin im Solaren Haus, dem Regierungssitz in Terrania, rund um einen leicht geschwungenen Schreibtisch.

Gisso Appelles und Jathao Vanoth hatten Adams und Tessa Parr bereits erwartet, die nach der Nachricht der Residentin sofort vom Tekener-Tower aufgebrochen waren, auf Adams' Bitte hin gemeinsam mit dem Demonstranten Warun Mueller.

Je nachdem, wie das Treffen laufen würde, konnte die Gegenwart eines glühenden Vanothen möglicherweise helfen – oder die Lage zusätzlich verkomplizieren, weshalb Mueller im Empfangsraum des Solaren Hauses wartete. Seinen Abschiedsworten nach hatte er damit gerechnet, in einer Zelle zu landen, und fand es deshalb nicht sonderlich schlimm, in einem bequemen Sessel bei persönlichem Catering abzuwarten, wie sich die Dinge entwickelten.

»Deine Botschaft halte ich tatsächlich für wichtig«, sagte Adams, »aber traditionell interessiert der Überbringer einer Nachricht fast genauso, zumindest wenn es sich um eine schillernde Gestalt wie dich handelt.«

»Ich bin zu bescheiden, um mich so zu beschreiben.«

»Du hast schon mit deiner ersten Rede das Interesse von Hunderttausenden geweckt.«

Vanoth stand auf. Die Architektur des Büros simulierte eine leichte Dachschräge samt angeblicher Fenster, durch die perfekt natürlich wirkendes Licht fiel. Der Thesan stieß sich fast den Kopf. Er stützte die Hände auf die Tischplatte und beugte sich vor. »Sagte ich es nicht? Es ist die Botschaft, die zählt.«

»Ich schätze ein intelligentes und süffisantes Gespräch«, stellte Tessa Parr klar. »Aber alles hat seine Zeit, und wir sind hier nicht zum Kaffeeklatsch versammelt. Also: Woher kommst du, Jathao Vanoth?«

»Meine Heimatwelt liegt in einer anderen Galaxis. Der Weg hat mein Fluggerät bis an die Grenzen geführt. Ich hoffe, es hat sich gelohnt.«

»Du stammst aus diesem Teil des Doppeluniversums, das du Dyoversum nennst?«

»Wieso glaubst du das?«

»Du bist zu uns gereist.«

»Vor der Versetzung.«

»Du warst auf Terra, ehe ...«

»Selbstverständlich. Nach dem CEE habe ich versucht, mein Fluggerät vor den weiteren Schäden durch die erhöhte Hyperimpedanz zu retten. Doch das hat nur zur endgültigen Zerstörung geführt.«

»Du hast die Zukunft gesehen«, fuhr die Chefin des TLD fort. »Du wusstest also, was kommen wird? Wieso hast du niemanden vor dem Change-Everything-Event gewarnt?«

»Ich habe nicht vorausgesehen, dass Terra und Luna versetzt würden«, sagte der Thesan, und Adams fragte sich, ob er log. »Manchmal offenbart sich mir ein Teil der Zukunft, wenn ich in den temporalen Kanal blicken kann. Doch das ist nicht dauerhaft, ich vermag durch den Kanal nicht ständig zu lesen wie in einem Buch.

Als wir alle hier angekommen sind, konnte ich einmal die Voraussetzungen für eine Schau schaffen. Ein einziges Mal! Mehr als das, was ihr bereits wisst, weiß ich nicht von dem, was kommen wird: Perry Rhodan wird diesen Teil des Dyoversums erreichen, und er wird an der Stelle auftauchen, die ich euch genannt habe. Aber wartet nicht, verschwendet nicht eure Zeit. Die Versetzung war keine Katastrophe, sondern ein Neuanfang.«

»Predige, wenn dir die Massen zuhören!«, forderte Tessa Parr abschätzig.

»In den meisten Religionen spricht die Predigt den Glauben an.« Vanoth setzte sich wieder, und der Stoff seines Einteilers raschelte über die Sitzlehne. »Mir geht es hingegen um Fakten. Also vergleich mich nicht mit einem Sektenführer.«

»Fakten – wie dein Modell des Dyoversums?«, fragte Adams.

Der Fremde bildete mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand einen Kreis. »Ein gutes Beispiel, ja«, sagte er.

»Erzähl mehr darüber.«

»Ich will ehrlich sein. Ich bin ins Solare Haus gekommen, weil ich eure Hilfe brauche.«

»Um deine Botschaft zu verkünden?«

Nun spreizte der Thesan die beiden Finger, eben noch zum Kreis geschlossen, weit voneinander ab. »Um das Dyoversum zu erforschen. Etwas, das euch ebenso wichtig sein dürfte wir mir. Ich weiß nur wenig, leider.«

»Wie sollen wir dir dabei helfen?« Was Adams zwischen diesen Worten der Residentin hörte, war die umgekehrte Frage: Wie kannst du uns dabei helfen?

»Ich brauche Kontakte«, sagte Jathao Vanoth. »Zu Wissenschaftlern und ...« Er hob die Stimme, brach mitten im Satz ab. Ein genau bemessener, dramatischer Effekt.

»Und zu wem?«, fragte Tessa Parr kühl, die nicht so klang, als ließe sie sich von seiner Rhetorik einschmeicheln.

»Zu NATHAN.«

Adams schüttelte den Kopf. »Du bist so gut informiert, da solltest du wissen, dass sich jeder mit einem Antrag an das Mondgehirn wenden kann.«

»Aber niemandem wird NATHAN so viel Aufmerksamkeit widmen wie der Residentin und ihrem Advisor. Euch.«

»Da irrst du dich«, sagte Tessa Parr. »Eine Anfrage der Chefin des TLD wird er mit derselben Dringlichkeit beantworten.«

»Aha«, machte der Thesan und ergänzte, als wäre ihm diese Idee gerade erst gekommen: »Also dir?«

Adams versuchte, in seinen glatten Gesichtszügen zu lesen. Wusste der Thesan wirklich nicht, wer da mit ihnen am Tisch saß? Tessa hatte bei der Vorstellung nur ihren Namen genannt, nicht aber ihre Funktion. Es passte allerdings nicht zu Vanoths sonstigem Auftreten, eine derart wichtige Person nicht zu kennen. Spielte er seinen Gastgebern also nur etwas vor?

Trotz all seiner Erfahrung im Umgang mit außerirdischen Völkern blieb Adams die Mimik des Fremden ein Rätsel – kein Wunder, fehlte ihm doch jeder Vergleich mit anderen Thesanit. Immerhin hatte er vorhin die wahrscheinlich unwillkürlichen Gesten ihres Gastes mit Daumen und Zeigefinger beobachtet – möglicherweise für Ja und Nein.

»Deine Vermutung stimmt«, sagte Tessa Parr.

»Umso besser.« Vanoth lachte – und das war eindeutig zu erkennen. Es ähnelte einem terranischen Lachen, nur dass eine Art Grollen mitschwang, als rollte er tief in der Kehle ein R. »Dann sitzen hier genau die drei richtigen Personen beieinander. Werdet ihr mir helfen?«

»Du sagst, du willst das Dyoversum erforschen«, sagte der Advisor. »Doch ich warne dich: Wenn wir dir beistehen, werden wir die Erkenntnisse nutzen, um einen Weg nach Hause zu finden.«

»Mag sein«, sagte Jathao Vanoth gelassen. »Ich rechne eher damit, dass euch das, was wir erfahren, die Augen öffnet.«

Adams stand auf. Der Demonstrant Warun Mueller musste noch länger auf eine Begegnung mit seinem Idol warten, denn die Reise zum Mond würden sie ohne ihn antreten. »Gehen wir. NATHAN schuldet mir sowieso einen Gefallen.«

*

Zu der ersten Bronzehütte hatte sich eine zweite gesellt – sie stand zur Hälfte darauf, ragte aber weit darüber, und es sprach der Schwerkraft Hohn, dass sie nicht kippte.

Nicht mehr nur ein Ylant begrüßte die Neuankömmlinge im von Scheinwerferlicht erhellten Teilbereich des Mare Ingenii, sondern vier dieser Geschöpfe. Alle zeigten dasselbe Gesicht – jene leicht verfremdete Mischung der Gesichtszüge von Adams und Amalia.

Einer der Ylanten führte den Advisor und seinen Begleiter Jathao Vanoth durch die Schleuse ins Innere der alten Hütte. Dort ging er zu dem Metallgestell, das als einziger Einrichtungsgegenstand mitten im Raum thronte. Stangen verliefen darin kreuz und quer, und Drähte ragten in alle Richtungen.

»Bist du der Ylant, mit dem ich gestern gesprochen habe?«, fragte Adams. Kaum zu glauben, dass es erst einen Tag zurücklag. Nur vierundzwanzig Stunden, in denen Tod und Panik bei der Residenz-Demonstration, wie die Presse es bezeichnete, und das überraschende Auftauchen des Thesans vieles verändert hatte.

»Erkennst du mich nicht?«, wollte die Maschine wissen. Klang sie tatsächlich enttäuscht?

»Die anderen gleichen dir vollkommen.«

»Rein äußerlich«, sagte der Ylant. »Aber ich verstehe dein Problem, Homer G. Adams. Du kannst nicht in unser Inneres sehen, wie wir es vermögen.« Eine kurze Pause, dann: »Und das ist dir nicht einmal bei deinesgleichen möglich. Diese Beschränkung muss furchtbar sein. Mein Beileid.«

Er überlegte, wie er antworten sollte. »Ich habe mich daran gewöhnt.«

»Die wenigsten biologischen Lebewesen sind dazu in der Lage«, sagte Jathao Vanoth. »Nur solche mit außergewöhnlichen Fähigkeiten. Wie du.«

»Danke.« Der Ylant deutete auf das Metallgestell. »Ich experimentiere«, erklärte er, ohne gefragt worden zu sein. »Wäre mir euer Erscheinen früher bekannt gewesen, hätte ich euch nicht damit belästigt, sondern Tisch und Stühle gestellt, um ein wenig Bequemlichkeit zu bieten.«

»Es belästigt mich nicht«, versicherte Adams. »Vergiss nicht, dass NATHAN mich zum Paten für das künftige Ylatorium und seine Bewohner erwählt hat.«

»Ich vergesse nie etwas. Darum muss ich dich auch korrigieren. Du bist nicht der einzige Pate. Wo ist Amalia Serran?«

»Sie wird mich beim nächsten Besuch wieder begleiten. Jedenfalls interessieren mich alle Entwicklungen. Wozu dient das Gestell?«

Der Ylant packte mit dem linken Arm eine der Stangen und zog sich daran in die Höhe. Bald stützte er den ganzen Körper nur auf das Handgelenk, drehte sich zur Seite und legte sich schließlich inmitten des Metallgeflechts ab wie in einem Ruhesessel. Dann stieß er einen der Drähte an, was eine Kettenreaktion hervorrief – sie schwangen, zitterten, und es entstand ein leises, disharmonisches Summen.

»Ich musiziere«, antwortete der Ylant. »Das Instrument habe ich selbst entwickelt. Vater hat nur einen grundlegenden Impuls gegeben.« Er packte zwei Drähte und verknotete sie. Der Laut veränderte sich, indem sich ein tiefes Schleifgeräusch dazugesellte. »Aber ihr seid nicht gekommen, um mir zuzuhören.« Er kletterte aus dem Gestell und schwebte zu Boden. »Ich bin nun direkt mit NATHAN verbunden.«

Vanoth trat vor, sodass er dem Ylanten genau in die holografischen Augen sehen konnte.

Dessen Mimik passte sich der des Thesan an, indem die Gesichtsfarbe verblasste, als wäre sie mit einem Mal schlecht durchblutet. »Vor dem CEE war ich voll funktionstüchtig, aber ich habe deine Ankunft auf Terra dennoch nicht mitbekommen, Jathao Vanoth.« Kein Zweifel, dass nun NATHAN selbst sich zu Wort meldete. »Darum zweifle ich an deiner Behauptung, du hättest schon vor der Versetzung die Erde erreicht.«

»Mein Nashadaan konnte sich der Entdeckung mit einiger Mühe entziehen«, sagte der Thesan.

»Dein ... was?«, fragte Adams.

»Mein Fluggerät.«

»Wie ist es dir gelungen, unbemerkt von mir zu landen?«, wollte NATHAN wissen.

»Die Technologie ist hochstehend. Aber sie gehört der Vergangenheit an. Mein Nashadaan ist zerstört.«

»Beweise mir, dass du schon früher hier gewesen bist.«

Vanoth dachte nach. »Kannst du auf deine alten Speicherinhalte zurückgreifen?«

NATHAN bestätigte.

»Ich hatte die Neujahrsansprache des Advisors im Dao-Lin-H'ay-Theater besucht, wenige Tage vor der Versetzung. Ich saß in Block R, Reihe 3, Platz 11.«

»Verblüffend, dass du dir so ein unwichtiges Detail gemerkt hast«, merkte Adams an.

»Mein Gedächtnis ist hervorragend. Ich war leicht maskiert, Kontaktlinsen, andere Kleidung.« Vanoth zögerte, ehe er ergänzte: »Hässliche, unbequeme Kleidung. Solltest du auf eine Bildaufzeichnung zugreifen können, wirst du mich dennoch erkennen.«

Die Gesichtszüge des Ylanten verschwanden, und für eine Sekunde blickten sie nur auf die abgeflachte Bronzefläche des Kopfes. Dann kehrten die Augen zurück, die Nase, der Mund.

»Tatsächlich«, sagte NATHAN. »Es hat Mühe gekostet, die Aufnahme zu rekonstruieren, da dein Platz nur aus einem ungünstigen Winkel aufgezeichnet wurde, aber du sprichst die Wahrheit.«

»Nachdem dies geklärt ist«, sagte Vanoth, »können wir uns hoffentlich meinem Anliegen widmen. Ich weiß um die Natur dieses kosmischen Gefildes, in dem sich Terra und Luna nun befinden – die andere Hälfte des Dyoversums, der Zwilling, der mit unserem Herkunftsuniversum beim selben Urknall entstanden ist. Die Zerozone verbindet beide Teile miteinander; der eine gemeinsame Punkt, die Nabelschnur, die von Anfang an existiert.«

»Woher kennst du dieses Modell?«, fragte NATHAN.

»Meinem Volk ist es schon lange bekannt. Wir haben jedoch nie einen Weg in den Zwilling gefunden. Wir standen mit einer Superintelligenz in Verbindung, der VECU. Von ihr hörten wir von dieser Theorie, aber es war nie mehr als das. Eine Theorie.

Nun, auf dieser Seite des Dyoversums, ergeben sich völlig neue Möglichkeiten, die allerdings Rechenkraft benötigen. Ein Potenzial, das nur der größte Rechner der Menschheit bieten kann.«

Homer G. Adams fühlte in diesen Worten einen Aufbruchsgeist und frischen Enthusiasmus, der auf ihn übersprang. »Mir schwebt ein Institut zur Erforschung des Dyoversums vor«, sagte er. »Und als Pate des Ylatoriums glaube ich, diese Einrichtung wäre in deiner Siedlung gut aufgehoben, NATHAN. Beide Projekte sind experimentell, vorausschauend, zukunftsweisend.«

»Ich müsste die Pläne meines Ylatoriums ändern.«

»Bist du dazu bereit?«

»Wenn du es mir empfiehlst, Pate.«

Adams nickte. »Das tue ich.«

»So sei es.«

Adams mochte es, mit einem Rechner Pläne zu schmieden. Die Entscheidungsfindung ging wesentlich schneller als in den üblichen menschlichen Gremien.

*

In den folgenden Tagen kehrte Homer G. Adams einige Male nach Luna zum Mare Ingenii zurück und verfolgte den Ausbau des Ylatoriums.

Eine Woche nach dem ersten Treffen stellte NATHAN dem Thesan einen eigenen Gleiter zur Verfügung. Er war in einer lunaren Werft gebaut worden, als Prototyp einer am Ende weitaus größeren neuen Raumschiffsklasse, die auf den Entwürfen der Ylanten basierte. Der Advisor taufte das Fluggefährt aufgrund der Form Dominostein. Als ständiger Pilot fungierte – wie sollte es anders sein – ein Ylant.

Das Mondgehirn bot Adams einen ebensolchen Gleiter an, doch er lehnte ab. Ihm standen Regierungsschiffe zur Verfügung, und er sah keinen Grund, nicht darauf zurückzugreifen.

Von Tag zu Tag wuchs die Zahl der Bronzehütten in erstaunlichem Maß, und bald tummelten sich ganze Heere von Ylanten zwischen Mondgestein und Bronzewänden.

Am 18. August 1628 NGZ landete Adams gemeinsam mit Amalia erneut inmitten der Baustelle, die diesen Bereich des Mondes überzog und ihn verwandelte. Die Scheinwerfer ihrer ersten Besuche waren inzwischen verschwunden, für eine notdürftige Helligkeit, die an die Dämmerung eines lauen Sommertags erinnerte, sorgten die Bronzehütten, deren Außenwände leicht aus sich selbst heraus leuchteten.

Der Rohbau eines arkonidischen Khasurns in der typischen Trichterform stellte die einzige bautechnische Abwechslung dar – darin sollte das geplante Institut untergebracht werden. Eine weite, bronzefarbene Metallebene stand als Landefeld zur Verfügung; aktuell parkte dort Jathao Vanoths Dominostein.

Als Adams und Amalia ausstiegen, trafen sie den Thesan, der im Raumanzug dem Schauspiel zusah, das zwei Ylanten boten. Ob sie wussten, dass es einen Zuschauer gab? Jedenfalls scherten sie sich nicht darum und häuften im Schatten des Rohbaus Bronzestäbe in mehreren Stapeln aufeinander, die ein Lastenroboter herbeischleppte – ein gewöhnliches arkonidisches Modell, wohl eigentlich beim Bau des Trichters eingesetzt.

»Was tun sie?«, fragte Amalia.

Vanoth wandte sich um. »Es ist mir ein Rätsel. Aber die Stapel sind nicht willkürlich angeordnet.«

»Sondern?«

»211 Stäbe, dann 223, 227, 229 und ...«

»233«, vermutete Adams.

»Völlig richtig«, sagte Vanoth. »Den nächsten Stapel füllen sie gerade.«

Adams nickte. »Ich mag Zahlen. Sie beruhigen mich, weil sie etwas Vertrautes, Berechenbares bieten.«

»Anders als Menschen«, ergänzte Amalia.

Der Thesan schien sie erst bei diesen Worten zu bemerken. »Endlich lerne ich dich kennen. Leider wird uns nicht viel Zeit bleiben, denn ...«

Ein Ylant schwebte auf einer Plattform auf sie zu.

»... ich werde abgeholt«, beendete Vanoth seinen Satz. »Es war mir dennoch eine Freude.«

Er stieg zu dem Ylanten, und sie entfernten sich gemeinsam.

»Er zieht sich oft zu Gesprächen mit NATHAN zurück«, kommentierte Adams.

»Was dir Sorgen macht.«

»Wie kommst du darauf?«

»Ich kenne dich, Gershwin. Nicht so gut, wie ich es gerne würde, aber uns bleibt ja noch Zeit.«

»Ich frage mich, ob er einen unguten Einfluss ausübt.«

»Du glaubst, NATHAN ließe sich beeinflussen?«

»Wir wissen nach wie vor nicht, wieso das Mondgehirn zwölf Jahre lang inaktiv geblieben ist, und ob es seitdem Schwachstellen gibt.« Er sah eine Zeit lang dem Treiben der Ylanten zu. »Aber ich vertraue NATHAN.«

»Dann sollten wir vielleicht seine Bitte erfüllen«, schlug Amalia vor.

Sie waren gekommen, um die Fortschritte beim Bau des Trichters zu begutachten. Das Mondgehirn hatte angekündigt, dass es eine Entscheidung zu fällen galt, bei der es sich den Rat der beiden Paten wünschte.

Vor der Energiekuppel, die über dem Rohbau lag, erwartete sie ein Ylant. »Folgt mir! Vater wird ein Schleusenfeld schalten.«

Sie durchquerten die Kuppel und öffneten die Helme. Es herrschte angenehme Wärme, aber die Luft roch abgestanden.

Arkonidische Baumaschinen arbeiteten an der Fassade und verspiegelten weite Teile. Ein Gartenroboter verteilte Muttererde in dem ringförmig um den Trichter angelegten kleinen Park.

Sie überquerten den Ring auf einem gepflasterten Weg, über den ein fingerlanger Regenwurm kroch.

Der Trichterbau ragte dreihundert Meter hoch auf. Ein Konsortium verschiedener Firmen aus Neu-Atlantis hatte den Bau übernommen. Die Familie da Gonozal trug die Gesamtverantwortung, namentlich Eolan da Gonozal, ein auf Terra geborener Arkonide, der als Professor für Kosmische Theoriegeschichte an der Universität von Terrania unterrichtete.

Er hatte sich als Erster begeistert zu der Idee der Erforschung des Dyoversums geäußert. Auf seine Initiative hin entstand in Absprache mit NATHAN der Trichter als Heimat für das geplante Institut.

Der Ylant, der Adams und Amalia begleitete, bückte sich, hob den Regenwurm auf und schnippte das Tier zurück in die Erde.

Der Weg führte über eine Brücke, die den zweiten Ring überspannte – einen gemauerten Graben, der vor der Eröffnung des Kelches mit Wasser gefüllt werden sollte.

Bald erreichten sie den einzigen derzeit fertiggestellten Eingang, dem nur noch die Glastür fehlte, die ihn zukünftig verschließen würde.

Im Gebäude wartete ein zweiter Ylant. Er blieb gesichtslos. »Ich führe euch weiter.«

Der erste Gliederpuppen-Roboter verabschiedete sich, wandte sich um und verließ den Rohbau. Ahmten NATHANS Kinder mit diesem Schichtwechsel menschliches Verhalten nach? Oder warum teilten sie sich die Aufgabe? Adams sagte sich zwar, dass es sinnlos war, die Motive ergründen zu wollen, aber die Neugier trieb ihn immer wieder zu solchen Fragen.

»Ich habe mich entschieden«, sagte der Ylant, »immer dann kein Gesicht zu projizieren, wenn ich mich des Körpers eines meiner Kinder bediene.«

»Momentan spricht demzufolge NATHAN?«, fragte Amalia.

»So ist es.«

»Warum hast du uns zu dir gebeten?«

»Dieser Trichter wird das IED beherbergen.«

Adams konnte die Abkürzung auflösen, die er nie zuvor gehört hatte. »Das Institut zur Erforschung des Dyoversums.«

»Er bietet allerdings mehr als genug Raum. Ich möchte ihn nutzen, um etwas anderes zu ermöglichen. Im Positronischen Konkordat ist verankert, dass es im Ylatorium eine ständige Ligapräsenz in Form einer kleinen militärischen Einheit geben wird. Eine Kompanie von Raumjägerpiloten. Ich wollte sie im Hauptgebäude unterbringen, dessen Bau bald beginnt. Hiermit beantrage ich eine Veränderung dieser Klausel. Die Soldaten sollen im Kelch untergebracht werden.«

»Wieso?«

»Ich muss in diesem Fall mein Zentralgebäude nicht mit Atmosphäre fluten. Meine Ylanten benötigen das nicht.«

»Aber sie brauchen ein Gebäude?«, fragte Amalia.

»Es dient als Steuerzentrum, in dem eine Erweiterung meiner Hardware untergebracht und von ihnen gewartet wird. Außerdem habe ich mit Jathao Vanoth gesprochen.«

»Ja?« Adams ärgerte sich selbst über das sofort aufflammende Misstrauen. Oder war es mehr als das? Eifersucht? Er schob den Gedanken von sich.

»Vanoth ist der Meinung, das Zentralgebäude wäre wegen seiner geplanten Form nicht geeignet, als dauerhafte Wohnstätte zu dienen.«

»Ob ein Fremdwesen das beurteilen kann?«

»Wie siehst du es?«, fragte NATHAN. Der Ylant streckte beide Arme aus und projizierte aus den Handinnenflächen ein Holo.

Es zeigte ein klobiges Ding, als hätte sich ein Fels aus der Erde gebohrt und wäre nur unzureichend zu etwas geformt worden, das einem Turm ähnelte. Rundum loderte am Boden weißes Licht, das sich in orangerote Flammen verwandelte, je höher es stieg.

Je länger Adams das Bild betrachtete, desto mehr erinnerte es ihn an einen Kometen, der flammend abgestürzt war, ohne dass das Feuer danach erloschen wäre.

»Definitiv nicht geeignet«, kommentierte Amalia. »Wenn du die Piloten also in den Kelch einquartierst, NATHAN – biete auch Platz für deren Familien.«

»Das ist nicht üblich«, widersprach das Mondgehirn.

»Bestens«, meinte Amalia. »Schließlich ist es eine experimentelle Siedlung.«

*

Für einen Augenblick stocken die Bilder, als wären die Erinnerungen müde, mein Bewusstsein zu überfluten.

Sie gönnen mir etwas Ruhe.

Eine Pause.

Doch schon ziehen sie wieder auf, leiten mich zu jenem Tag, der den nächsten Schritt der Kette bildet, die schließlich zum Pluto führen wird. Und zu zwei Gräbern, wie sie unterschiedlicher nicht sein können.

Aber zuerst: die Eröffnung des Trichterbaus.

Der Chor.

Die Feier.

Die Musik.

*

Der Cheborparner am Saxofon, der altterranischen Jazz mit dem Linggo seines eigenen Volkes kombinierte, war der heimliche Star der Eröffnungsfeier. Es gab berühmtere Musiker vor Ort, und erst recht öffentlichkeitswirksamere Politiker, die mit ihrem Auftreten beweisen wollten, dass sie die Wissenschaft förderten, aber niemand scharte mehr Bewunderer um sich als ebenjener Saxofonspieler.

Pünktlich zur Eröffnung war der Trichterbau zu 99,58 Prozent fertiggestellt worden. Die letzten Mängel könnte kein Besucher wahrnehmen, wenn NATHAN nicht die 0,42 Prozent in einer Liste dokumentiert hätte, die kaum jemanden in der gut gelaunten Menge interessierte.

Eolan da Gonozal, der größte akademische Förderer des Instituts, hielt im Anschluss eine Rede, die die Bedeutung der Erforschung des Dyoversums im historisch-kosmologischen Zusammenhang pries. Seine Worte mochten klug sein, aber sie rissen weit weniger mit als die musikalische Darbietung zuvor.

Homer G. Adams lauschte fasziniert den Darstellungen des Wissenschaftlers. Da Gonozal brachte Arresum und Parresum, das Zwiebelschalenmodell der kosmischen Entwicklung und die ewige Kette der Kosmonukleotide ins Spiel – mit dem Hinweis, dass all das tausend Fragen und mehr aufwerfe.

»Fragen, die es im Institut zu beantworten gilt«, schloss da Gonozal, »und dazu werden die fähigsten Kollegen nahezu sämtlicher Disziplinen zusammenarbeiten müssen. Es betrifft Natur- und Geisteswissenschaften, Philosophie ebenso wie Astronomie und eine Vielzahl weiterer Fächer! Also ... tun wir uns zusammen! Entreißen wir diesem Gefilde seine Geheimnisse!«

Der anschließende Applaus klang weitaus begeisterter, als es die Aufmerksamkeit der Zuhörer zuvor hätte vermuten lassen.

Adams vermisste Amalia an seiner Seite. Freiwillig wäre sie dieser Eröffnungsfeier nicht ferngeblieben. Ein Fieberschub infolge einer Grippe fesselte sie jedoch ans Bett, und sie weigerte sich, mit Medikamenten die Symptome zu unterdrücken.

Eine kleine Episode, die Adams erneut vor Augen führte, dass er eben doch anders war, wie sie es vor wenigen Stunden ausgedrückt hatte. Dein Zellaktivator verhindert, dass du krank wirst, aber hör zu, Gershwin: Das Leben ist nicht immer planbar. Noch ein Grund, dass ich mir niemals so ein Gerät einpflanzen lassen würde, und wenn ES höchstpersönlich vor mir antanzt.

Stattdessen saß Gisso Appelles an seiner Seite in der Lounge, die über dem normalen Publikum in perfektem Blickwinkel zur Bühne schwebte.

Die Residentin sah häufig auf ihren Armbandkommunikator. »Nichts«, sagte sie wieder einmal.

»So wird es auch bleiben.«

»Die Vanothen demonstrieren weltweit, und du weißt ebenso gut wie ich, dass es eskalieren könnte! Die Eröffnung des Instituts sehen nicht alle als ...«

»Das ist mir klar«, unterbrach er. »Aber es ist seit dem Desaster im Residenzpark kein Extremist mehr aufgetreten. Die Lage hat sich beruhigt. Und nicht zuletzt wirkt an diesem Gebilde der Urvater der Vanothen in höchsteigener Person mit.«

Und für den Notfall verteilten sich im Kelch und seinen Gartenanlagen drei Hundertschaften Sicherheitskräfte, die meisten im Zivil. Einem Attentäter blieb der Meinung des Einsatzleiters nach keine Chance.

Nur dass es eben doch immer eine Möglichkeit gab, das lehrte die Erfahrung, und deshalb fühlte sich Adams keineswegs so ruhig, wie er vorgab. Denn es stimmte – obwohl die Gründung des Instituts unmittelbar auf Jathao Vanoth zurückging, machte der radikale Flügel der Vanothen Stimmung dagegen. Allerdings bislang mit friedlichen Mitteln.

Nach da Gonozals Rede traten drei Ylanten auf, die mit Leuchtstäben in die Luft schrieben. Ein unspektakuläres Event, zumal die Buchstaben sofort verblassten und man nur mit viel Mühe die Worte lesen konnte. Adams jedenfalls brachte nicht genügend Konzentration auf, der Darbietung zu folgen.

Die Residentin erhielt die Botschaft, noch ehe die Ylanten die Bühne wieder verließen: Der radikale Flügel der Vanothen schlug tatsächlich zu, aber nicht bei der Eröffnungsfeier, sondern an einem Ort, den die Sicherheitskräfte außer Acht gelassen hatten. Genau dort, wo damals der Selbstmordattentäter die erste Bombe gezündet hatte.

Der Residenzsee im Herzen von Terrania stand in Flammen.

Perry Rhodan-Paket 62: Mythos (Teil2)

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