Читать книгу Perry Rhodan-Paket 62: Mythos (Teil2) - Perry Rhodan - Страница 32
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Ein Traumspiel (6)
Der Nicht-Traum zeigt mir jenes Flammenmeer mitten in Terrania, das den Vanothen als Signal diente, ihre Demonstrationen auszuweiten und radikalere Mittel anzuwenden. Die Bilder beweisen mir die zahllosen kleinen gewalttätigen Ausschreitungen dieser Tage, die kaum noch in den Griff zu bekommen waren.
Warum bleiben unsere Erinnerungen so oft an der Gewalt hängen, am Schrecklichen, und sammeln sich nicht in den Momenten der Ruhe und der Schönheit?
Mir bleibt keine Zeit, über derlei Fragen nachzudenken, weil es ohnehin keine Zeit gibt, sondern alles hin und her treibt.
Die Erinnerungen fokussieren sich erneut am Residenzsee und an dem einen schrecklichen Detail, das die gesamte Welt empörte: der brennende Schwan, der aus dem Flammenmeer flog und mit weit ausgebreiteten Schwingen eine Spur aus verglühenden Funken hinter sich herzog.
*
Während des Fluges nach Terra projizierte die Bordpositronik den beiden Gästen im Regierungsgleiter ein Holo, das sie über die Ereignisse auf dem Laufenden halten sollte.
Gerade als der Pilot ankündigte, zur Landung anzusetzen, wandte sich Gisso Appelles ab. Auch Homer G. Adams schlug der Anblick auf den Magen, doch er zwang sich hinzusehen.
Diese Aufnahme würde um die Welt gehen, daran hegte er keinen Zweifel, und er musste sie kennen, um die Reaktionen richtig einschätzen zu können. Sie konnten die radikalen Vanothen zum Scheitern bringen oder ihnen sogar weiteren Zulauf verschaffen, falls es diesen Leuten gelang, die Tatsachen zu verdrehen.
Das Holo zeigte einen Teil des Residenzparks. Die rechte Hälfte wurde vom See eingenommen, auf dessen Oberfläche viele Meter hohe Flammen loderten.
Sie wussten inzwischen, welche Chemikalie der Attentäter genutzt hatte und dass die einfachste Möglichkeit, das Feuer zu löschen, darin bestand, es ausbrennen zu lassen. Ein Fanal, das insgesamt eine Stunde lang leuchten würde.
In der zweiten Minute jedoch war es zu jenem Augenblick gekommen, den die Medien seitdem nahezu ununterbrochen wiederholten: der brennende Schwan, der torkelnd aus dem Chaos flog und jämmerliche Laute von sich gab.
Menschenopfer forderte der Brand nicht, denn der Attentäter hatte vor der Zündung eine Warnung übermittelt, die eine rechtzeitige Evakuierung ermöglicht hatte. Den ökologischen Schaden konnte noch niemand abschätzen. Der Schwan war selbstverständlich nicht das einzige sterbende Tier – aber jenes, das alle sahen.
Sicherheitskräfte sperrten den Residenzpark und sein Umfeld ab, Heerscharen von Robotern waren zur Sicherung unterwegs. Die Eröffnungsfeierlichkeiten des Instituts zur Erforschung des Dyoversums hatten ein jähes Ende gefunden. Der positive Funke verschwand in der Feuersbrunst des Residenzsees. Öffentlichkeitswirksamer hätte der Anschlag nicht geplant werden können.
Dank der Sondergenehmigung der Residentin konnte der Gleiter in der Nähe des Residenzsees landen.
Adams stieg aus, und Hitze schlug ihm entgegen. Wenn man direkt davorstand, schienen die Flammen höherzuschlagen, als es in der Aufzeichnung gewirkt hatte. Die Feuerzungen fauchten, und Funken trieben als makabres Feuerwerk in der Luft.
»Wie lange noch?«, fragte Gisso.
Homer G. Adams musste nicht auf die Uhr sehen, das hatte er direkt vor dem Ausstieg getan. »Acht Minuten, wenn die Einschätzung der Spezialisten stimmt.«
»Ich habe genug gesehen«, sagte die Residentin.
»Wir sollten bleiben, bis die Flammen erlöschen.«
»Warum?«, fragte sie. »Zollen wir dem Attentäter damit nicht Respekt?«
Er verneinte. »Wir schaffen uns auf diese Weise eine Erinnerung, die uns klarmacht, wieso wir ihn jagen werden. Und weshalb wir für ein Ende dieses Irrsinns sorgen müssen.«
»Was hast du vor?«
»Ich trete gemeinsam mit Jathao Vanoth an die Öffentlichkeit.«
»Glaubst du, dass er mitspielt?«
»Ich lasse ihm keine andere Wahl.«
*
In den nächsten Stunden beseitigten Ordnungskräfte alle Spuren und reinigten das Wasser im Residenzsee.
Das südliche Ufer säumte eine Reihe verbrannter Bäume. Sie hätten von Gartenrobotern entsorgt und ersetzt werden können, aber Homer G. Adams bat darum, sie eine Zeit lang stehen zu lassen, um als Kulisse für seine Botschaft zu dienen, die er gemeinsam mit Jathao Vanoth aufzeichnen wollte.
Den Thesan musste er nicht lange überzeugen, er stimmte sofort zu, mehr noch, er betonte, dass er denselben Vorschlag hatte machen wollen.
Der Park sollte in drei Stunden, insgesamt etwas weniger als einen Tag nach dem Anschlag, wieder geöffnet werden. Diese Zeit nutzten die beiden Männer, um ungestört die Rede aufnehmen zu können.
Der Chef der Presseabteilung des Solaren Hauses persönlich leitete die Aufnahme, ein betagter Terraner namens Tenk Mar. Adams hatte nie zuvor mit ihm zusammengearbeitet, aber es bestand kein Zweifel, dass er zu den besten seines Fachs gehörte.
Tenk gab einige Anweisungen, positionierte die beiden Redner mal hierhin, mal dorthin, betonte, wie wunderbar erschreckend die Kulisse der verbrannten Bäume vor dem nun wieder idyllisch glitzernden See wirkte ... und startete endlich die Aufnahme.
»Mein Name ist Homer G. Adams«, sagte der Advisor, obwohl das kaum nötig war, weil nahezu jeder sein Gesicht kannte, »und neben mir steht Jathao Vanoth. Er hat zuerst die Botschaft gebracht, dass unsere Heimat in den anderen Teil des Dyoversums versetzt worden ist und dass wir uns darauf konzentrieren sollten, hier heimisch zu werden. Dass wir keine Ressourcen verschwenden dürften, einen Rückweg zu suchen. Seine Botschaft hat zahllose Zuhörer gefunden, und viele sind davon begeistert.«
»Dass sich eine ganze Bewegung nach mir benennt, hätte ich nicht erwartet«, ergänzte der Thesan. »Es schmeichelt mir, aber das, was ich zu sagen habe, ist wichtiger, als ich es bin. Zu meinen Worten stehe ich – die Versetzung war keine Katastrophe, sondern eine Chance. Auch wenn nicht jeder diese Auffassung teilt.«
»Ich sehe beides darin«, sagte der Advisor. »Denn es hat der Menschheit niemals geholfen, sich einen Weg zu verbauen. Weder in die eine noch in die andere Richtung.«
Bis hierher lief alles wie abgesprochen, Adams hoffte, dass Vanoth weiterhin so kooperativ blieb. Natürlich wurde die Aufzeichnung nicht live gesendet, sodass eine böse Überraschung ohnehin ausbleiben musste.
»Auf meinen Anstoß und auch mit der Unterstützung des Advisors konnte gestern das Institut zur Erforschung des Dyoversums im Ylatorium auf Luna eröffnet werden«, sagte Vanoth. »Gleichzeitig hat jemand, der meinen Namen für seine Zwecke missbraucht, ein Attentat im Residenzpark durchgeführt. Einen Anschlag nicht auf eine Person – sondern auf uns alle. Wer immer es getan hat, er mag sich als Vanothen bezeichnen, aber er handelt nicht in meinem Sinn. Im Gegenteil. Ich distanziere mich von dieser Tat und von jedem Gewaltakt, der möglicherweise folgen wird.«
Jathao Vanoth ging ein paar Schritte zurück, stellte sich neben den verkohlten Überrest eines Baumstamms. »Man muss Widerstand leisten – so hat es ein Vorgänger genannt, als er hier am See eine Bombe gezündet hat, die ihn selbst und zwei weitere Menschen getötet hat. Vielleicht muss man das, jedoch nicht auf diese Art. Nicht mit Gewalt. Nicht, indem man den Residenzpark in ein flammendes Fanal verwandelt und Chaos anrichtet. Wenn ihr in meinem Namen handeln wollt, tretet für meine Werte ein, schaut nach vorne – aber nicht mit Mitteln der Gewalt.«
Tenk Mar beendete die Aufnahme. »Perfekt. Eine Wiederholung sparen wir uns, besser kann es nicht werden. Robot!«
Eine Servomaschine schwebte herbei. »Was wünschst du?«
»Kaffee«, knurrte Tenk.
*
Die Ansprache zog eine Menge Zuspruch nach sich, und das Holo wurde häufiger aufgerufen als alle anderen. Aber es führte auch dazu, dass sich ein kleiner Teil der Vanothen abspaltete und sich als Irreversibilisten bezeichnete – eine Gruppe, die durch ständige Provokationen auf sich aufmerksam machte.
Als Sprecher dieses radikalen Flügels trat Warun Mueller auf, der in Interviews verkündete, dass ihm Jathao Vanoths Fehlverhalten schlussendlich die Augen geöffnet hatte. Auf die Frage, worin denn dieses Fehlverhalten bestehen sollte, antworte Mueller, das liege wohl auf der Hand: Vanoth würde mit den Terranern kooperieren, die das Dyoversum nur deshalb erforschten, um einen Weg zurückzufinden. Das Institut auf Luna sei ein falscher Weg.
Adams und Vanoth nahmen sich die Zeit, Mueller in seinem Büro zu besuchen, in dem er Unterstützer für die Irreversibilisten rekrutierte. Der Mann, der Adams einst vernünftig vorgekommen war, hatte sich zu einem glühenden Fanatiker entwickelt, der dem Thesan nur Verachtung entgegenbrachte.
Als der TLD auf einen Verdacht des Advisors hin nachwies, dass Mueller hinter dem Brandanschlag auf den Residenzsee steckte, löste sich seine Gruppe offiziell auf, doch die Idee der Irreversibilisten verschwand damit nicht. Das Schlagwort machte Karriere als abfällige Bezeichnung für alle Vanothen, was die allgemeinen Fronten wiederum verhärtete.
Das Institut blühte derweil auf und fand in Forscherkreisen großen Zuspruch. Viele hochkarätige Wissenschaftler ließen sich anwerben, und der Kelchbau im Ylatorium füllte sich mit der geballten Kompetenz terranischer Forschung.
Einige Monate später verkündete Jathao Vanoth im Kreis der wichtigsten Forscher seine Idee, wie man mit der anderen Hälfte des Dyoversums Kontakt aufnehmen könnte. Er brachte den Zwergplaneten Pluto ins Spiel und das Ungleichgewicht, das dieser in den beiden Solsystem-Zwillingen bewirkte.
*
Es ist so weit.
Ich kann mich den Assoziationen nicht länger verweigern, die die Bilder der Erinnerung auslösen. Lieber würde ich in den Jahren der Forschung verharren, in den frühen Erkenntnissen, in der Aufbruchsphase, die uns zu anderen Sonnensystemen führte ...
... doch die Erinnerung an Jathao Vanoth geleitet mich unerbittlich zum Pluto. Zu dem Experiment, das die Katastrophe auslöste.
Vanoths grundlegende Idee bildete nur den ersten Schritt auf dem Weg dorthin, und es dauerte volle zwei Jahrhunderte über seinen Tod hinaus, bis seine Vision umgesetzt werden konnte.
Aber was sind zwei Jahrhunderte in meinen Traumbildern, wenn dort keine Zeit existiert?
Ich sehe es vor mir, das Jahr 1850 Neuer Galaktischer Zeitrechnung, das dem Jahr 236 nach der Zerozone entspricht. Damals stand in der Schwebe, welche Zeitrechnung sich durchsetzen würde.
Wie immer man es bezeichnen mag, es war das Jahr, das auf Pluto eine entscheidende Weiche stellte.
*
In seiner dritten Amtszeit konnte Resident Oratio Andolfi seine allgemeine Erschöpfung nicht verleugnen – man musste ihn nicht so gut kennen wie Homer G. Adams, um die körperlichen Anzeichen richtig zu deuten.
Der Resident ging etwas gebückter, und seine öffentlichen Ansprachen waren nicht mehr so stark von Wortwitz und Optimismus geprägt wie in den Jahren zuvor. Dennoch blieb er ein Mann voller Tatkraft, was ihm weitreichenden Respekt einbrachte.
Der Resident und sein Advisor – im Unterschied zu Andolfi hatte Adams längst aufgehört zu zählen, wie oft er wiedergewählt worden war – gingen auf das Solare Haus zu.
Die Außenseite des Gebäudes zierte nicht wie früher die holografische Wiedergabe der gesamten Milchstraße, sondern nur noch das kosmische Umfeld der dreihundert Lichtjahre um Sol, das auch im hiesigen Teil des Dyoversums erforscht wurde. Die wenigen besiedelten Sonnensysteme leuchteten besonders stark.
Ein Akustikdämpfungsfeld umgab die beiden Männer. »Ich werde das Experiment auf Pluto persönlich eröffnen«, sagte Andolfi.
»Vielleicht solltest du eher im IED auf Luna bleiben«, widersprach Adams. »Dort sitzen ...«
»Du bist vernarrt in das Ylatorium«, fiel Andolfi ihm ins Wort. »Wahrscheinlich hast du zu lange versucht, die Ylanten zu verstehen.«
»Das hat damit nichts zu tun.«
»Ach? Dennoch hältst du dich auffällig oft dort auf.«
»NATHAN hat mir im Kelch eine luxuriöse Wohnung zur Verfügung gestellt, und in unserem Alter tut etwas Bequemlichkeit gut.«
»Wenn man Argumente finden will«, sagte der Resident, »findet man sie auch. Erst recht ein Mensch mit so viel Erfahrung wie du.«
»Ich fühle mich dort wohl.« Es gab eine Menge Erinnerungen. Und mehr als das.
»Dann verfolge das Experiment mit den Wissenschaftlern vom Institut aus – ich gehe nach Pluto und bin direkt vor Ort, falls die Verbindung gelingt.«
»Glaubst du es?«, fragte Adams.
»Das tut nichts zur Sache. Man muss mich dort sehen.«
»Aber privat, unter uns – glaubst du, dass du morgen in den heimatlichen Teil des Dyoversums blicken wirst?«
»Willst du eine ehrliche Antwort?«
Adams nickte.
»Ich weiß es nicht. Es gibt zu viele plausible Argumente in beide Richtungen.«
»NATHAN hält es für gefährlich.«
»Ein Restrisiko von etwas über einem Prozent. Das Institut hat die Freigabe erteilt. Forschung – echte, innovative Forschung – bleibt nie ohne Risiko.«
»Wer sagt das? Der Resident oder der Wissenschaftler in dir?«
»Meine akademische Karriere liegt so lange zurück, dass ich mich kaum daran erinnere.«
»Die eine oder andere Lebensweisheit hast du offensichtlich trotzdem verinnerlicht.«
»Erinnerungen prägen und machen uns zu dem, was wir sind«, sagte Oratio Andolfi. »Ich war lange genug Resident, Homer. Dies ist mein letzter großer Auftritt. Ich stelle mich nicht wieder zur Wahl.«
Adams hatte mit dieser Entscheidung gerechnet, aber Andolfi hatte es nie zuvor offen ausgesprochen. »Du hast dir deine Ruhe redlich verdient.«
»Ich habe nicht vor, auf meiner Terrasse zu sitzen, in den Sonnenuntergang zu schauen und mich zu langweilen. Ich habe vier Kinder, zwölf Enkel, fünfundzwanzig Urenkel, zumindest falls mein Überblick stimmt. Mehla ist schwanger, das wird die vierte Generation nach mir. Wenn nächstes Jahr die Neuwahlen anstehen, feiere ich meinen Hundertzwanzigsten. Zu früh, um nichts mehr zu tun.«
Im Solaren Haus zog sich der Resident in sein Büro zurück.
Adams erledigte einige Termine und stieg am späten Abend in den Gleiter, der ihn zum Mond brachte.
Er landete auf dem Dach des Kelches und betrat den Antigravschacht, der direkt in seine Wohnung führte.
Der Luxus, den er im Gespräch mit Andolfi erwähnt hatte, beschränkte sich auf wenige Annehmlichkeiten. Adams bevorzugte einen einfachen Lebensstil. Er sah aus dem Fenster, in die blühenden Gartenanlagen und dahinter, jenseits der Energiekuppel, auf das Meer aus Bronzehütten.
Der Anblick war friedlich.
Der Advisor legte sich schlafen und erwachte nur einmal in der Nacht. Der Durst hatte ihn aufgeschreckt. Er trank ein Glas Wasser und schlief sofort wieder ein.
*
Nach der Morgenroutine am folgenden Tag ging Homer G. Adams in den großen Hörsaal des Instituts, in dem normalerweise die studentischen Exkursionsgruppen von Terra der kompakten Einführungsvorlesung zum Dyoversum lauschten.
An diesem Tag jedoch blieb der Saal für die Öffentlichkeit gesperrt. Sämtliche Wissenschaftler versammelten sich darin, um die Direktübertragung von Pluto zu verfolgen, dazu einige Gäste wie Homer G. Adams.
Sogar ein Ylant saß dort, offenbar schon sehr lange, denn er hatte einen Platz in der ersten Reihe ergattert. Neben dem ungewöhnlichen Zuhörer blieb ein Sitz frei. Adams ging dorthin, setzte sich. »Du willst dir die Übertragung ansehen?«
»Ich führe selbst ein Experiment durch«, sagte der Ylant. »Selbstverständlich erhalten alle meine Geschwister dank der Verbindung mit Vater in Echtzeit Einblick in die Ereignisse. Ich jedoch möchte es so erleben wie ein Mensch. Ich habe mich von jedem Informationsfluss abgekoppelt.« Der Ylant hob die Hand, deutete nach vorne, wo das Holo ablaufen würde. »Außer diesem.«
»Interessant«, sagte Adams, und das fand er tatsächlich. Die Ylanten überraschten ihn immer wieder, auch nach mehr als zweihundert Jahren.
»Weil ich den Zugriff auf die allgemeinen Speicherdaten gelöscht habe, bin ich mir außerdem nicht sicher, ob ich die Grundlagen des Experiments richtig deute. Es basiert darauf, dass dieses Solsystem ein Zwilling des anderen Solsystems ist, in Vaters alter Heimat – ist das korrekt?«
»Durchaus.«
»Die vorherrschende Theorie geht davon aus, dass die beiden Zwillingsuniversen im gemeinsamen Urknall entstanden sind und sich seitdem weiterentwickeln. Zu erwarten wäre, dass zwei völlig verschiedene Universen entstehen. Aber der optische Befund widerspricht dieser Annahme. Das Solsystem ist gleich, auch sonst ähnelt sich die kosmologische Entwicklung hinsichtlich der reinen Sonnen- und Planetenzahl sehr. Das Vorkommen intelligenten Lebens muss davon allerdings ausgenommen werden, denn es gibt nur wenige Völker und nur die Topsider entsprechen weitgehend dem Leben, wie es aus dem anderen Zwilling bekannt ist.«
Adams lächelte, während der Ylant im dozierenden Tonfall die Informationen herunterrasselte. »Mir scheint, du bist sogar sehr gut informiert.«
»Warte bitte. Da es ausgeschlossen werden kann, dass eine so identische Entwicklung auf einem Zufall basiert, muss angenommen werden, dass es eine Begründung gibt. Diese liegt der Theorie nach im verbindenden Punkt der Zerozone sowie möglicherweise im multiversalen Wirken des Moralischen Codes des Universums. Materiefluss und -entwicklung gleichen sich im Verlauf der Entwicklung an, dieselben Planetensysteme formen sich aus. Es fallen jedoch markante Unterschiede zwischen den beiden Solsystemen auf, die im Einfluss gründen, den intelligente Lebewesen ausüben. Drei Planeten existieren hier noch, aber nicht mehr im anderen Teil des Zwillings. Zeut, Medusa, Pluto.«
»Du hast dich hervorragend vorbereitet.«
»Und dieser Unterschied könnte bewirken, dass am Ort eines dieser markanten Differenzen ein höherdimensionales Signal die Barrieren passiert. Wenn es stark genug ist und entsprechend zielgerichtet ausgestoßen wird.«
»Testest du dein Wissen oder meine Geduld?«, fragte Adams.
»Ich verstehe nicht.«
Zum Glück begann die Übertragung und erlöste ihn vor möglichen weiteren Vorträgen des Ylanten.
Resident Oratio Andolfi erschien überlebensgroß im Holo. Die offiziellen Medien sendeten bereits seit einer Stunde Hintergrundinformationen, die jedem Zuschauer ermöglichen sollten, die Art des Experiments zu verstehen.
Nun begann die heiße Phase – die aller Wahrscheinlichkeit nach unspektakulär ablaufen würde. Auf Pluto lag die letzte Hinterlassenschaft des Jathao Vanoth, der vor 176 Jahren gestorben war.
Dieses Erbe war ein Bauteil aus seinem Fluggefährt, das er als Nashadaan bezeichnet und das die Versetzung nicht überstanden hatte. Es bestand in seinem Kern aus einem hochwertigen, auf Terra sonst unbekannten Hyperkristall. Er würde sich im Lauf dieses Experiments verbrauchen, weshalb es ein einmaliger Vorstoß bleiben musste – ein historischer Moment.
Den Berechnungen nach würde die Verbindung für insgesamt fast einen Tag offen stehen, aber nur Funksignale konnten sie passieren. Die ursprüngliche Hoffnung, eine Sonde schicken zu können – oder sogar die utopische Idee, ein bemanntes Raumschiff zu nutzen –, hatte sich bereits in der frühen Planungsphase zerschlagen.
Das Bauteil lag auf einer weiten Metallebene in der Nähe von Plutos Nordpol, dem Ausläufer einer dort eigens für das Experiment errichteten Forschungsstation. Ein Eisvulkan ragte hinter der Station auf, in der sich eine Besatzung von insgesamt zwölf Personen befand – der dreizehnte Gast auf dem unwirtlichen Planeten war Resident Andolfi.
Jener trat im Raumanzug auf die Ebene, zu dem Bauteil. Bis vor Kurzem hatte die Station unter einem Energieschirm gelegen, doch für die Dauer des Experiments war dieser abgeschaltet, um Interferenzen zu vermeiden.
Es war ein rein symbolischer Akt, dass ausgerechnet der Resident dort stand und in wenigen Sekunden den Schalter umlegen würde, damit ein Gerät aus Vanoths Nashadaan den Hyperkristall mit Sechs-D-Strahlung beschoss.
Tatsächlich war der Vorgang weitaus komplizierter und von den Wissenschaftlern in tausend Versuchen vorbereitet, bis alle Werte exakt passten. Es auf das Klick einer einzigen Handbewegung zu reduzieren, sprach der Komplexität eigentlich Hohn.
Andolfi hielt eine kurze Ansprache, erklärte, was er tat, und legte den Schalter um.
Im selben Augenblick erlosch das Holo.
*
Einen Atemzug lang glaubte Homer G. Adams an einen Technikausfall, so unwahrscheinlich es auch erschien.
»Ich ... verstehe nicht«, sagte der Ylant.
»Verbinde dich mit NATHAN«, befahl Adams. »Sofort!«
»Vater?«, fragte der Ylant, und das projizierte Gesicht erlosch. Es blieb die unpersönliche, abgeflachte Bronzekugel. »Es gibt keinen Kontakt mehr mit der Forschungsstation«, meldete das Mondgehirn. »Ich wähle einen alternativen Weg.« Ein winziger Moment Schweigen, dann: »Nichts. Ich greife auf eine Sonde auf Pluto zu. – Nichts.«
Was war dort los? Adams brach der Schweiß aus, als er an NATHANS ursprüngliche Prognose dachte – ein Prozent Restrisiko. Welcher Art dieses Risiko sein könnte, hatte jedoch nicht einmal NATHAN extrapolieren können.
»Immer noch keine Verbindung«, sagte der Großrechner. »Jetzt gewinne ich Zugriff auf ein Kommunikationsrelais in der Plutobahn, einhunderttausend Kilometer vom derzeitigen Standpunkt des Kleinplaneten entfernt. Ich richte die Orter aus. Kontakt. Bildaufnahme.«
»Was siehst du?«, rief Adams.
Längst war rundum im Saal Unruhe ausgebrochen. Das Holo blieb nach wie vor tot. Es gab keine Daten, die der Projektor empfangen und ausstrahlen könnte.
»Schlechte Nachrichten, Advisor«, sagte NATHAN.
Der Ylant streckte den rechten Arm aus und präsentierte seine leere Handinnenfläche. Darüber entstand ein Holo, so klein, dass der Bronze-Roboter es mit den Fingern umschließen könnte, aber groß genug, um die schreckliche Wahrheit zu erkennen.
Es zeigte ein im All treibendes Trümmerfeld – zum Teil wie ein chaotisch wirbelnder Asteroidengürtel, darunter auch riesige Gesteinsbrocken, einer so gewaltig wie der halbe Pluto.
Adams verbesserte sich. Nicht wie der halbe Pluto.
Es war der halbe Pluto.
»Sind die Bilder gesichert?«, fragte er, ohne jede Hoffnung. Natürlich waren sie das.
»Eine Liveaufnahme«, sagte NATHAN.
Der Ylant zog die Hand zurück.
Das kleine Holo erlosch.
Was blieb, war die Leere, die Adams in sich fühlte.