Читать книгу Perry Rhodan-Paket 62: Mythos (Teil2) - Perry Rhodan - Страница 48

Оглавление

6.

Ein Traumspiel (8)


Die Erinnerung hat mich an den beiden Gräbern dieser Frühzeit im Dyoversum vorbeigetragen, und obwohl ich weiß, dass unausweichlich ein drittes auf mich wartet, fällt die Bedrückung von mir ab.

Zunächst ziehen die Ereignisse der Phase VASCO DA GAMA an mir vorüber, als die Menschheit aufbrach, dieses neue Universum zu entdecken.

Als wir mit ENTDECKER-Schiffen loszogen, um Erkenntnisse zu gewinnen.

Um ins Unbekannte vorzustoßen.

Um zu finden, was immer dort wartet.

Die Menschheit ist in weiteres Mal ganz neu ins All vorgestoßen, auf Schiffen, die in einer Etappe mühsam gerade einmal fünfundzwanzig Lichtjahre zurücklegen – eine unendliche Strecke und doch eine Winzigkeit im Vergleich zu dem, was vorher möglich war.

Es hatte zuvor nur einen Vorstoß ins Wegasystem gegeben, mit katastrophalen Folgen durch den Konflikt mit den Topsidern, deren Territorium wir unbemerkt verletzt hatten.

Die ersten zehn Systeme, die die neuen Schiffe der VASCO-Klasse erreichten, sind noch heute heller erleuchtet auf der Außenwand des Solaren Hauses: Proxima Centauri, Epsilon Eridani, Opra, Luytens Stern, Prokyon, Teegarden, Kapteyns Stern, Gliese, Van Maanen und Keid.

All ihre Planeten und Monde waren leer und beherbergten kein intelligentes Leben; nur auf drei Welten fanden wir zumindest eine einfache Flora.

Danach – die rote Sonne Beteigeuze. Das bislang ehrgeizigste Projekt der Phase VASCO DA GAMA. Eine Reise, die doppelt so weit weg führte wie alle bisherigen Flüge. Und zu einem erneuten Zusammentreffen mit den Topsidern, die dort ihre eigenen Pläne verfolgen.

Die Bilder meines Traumes, der kein Traum ist, halten an und zeigen mir das VASCO-Schiff ROALD AMUNDSEN.

Das Echsengesicht der Topsiderin Peran-Gord.

Und das Trümmerfeld, wenige Lichtsekunden von der AMUNDSEN entfernt.

*

»Die Hyperfunkverbindung über die Relaiskette ist konstant«, informierte sie ein Techniker, als Homer G. Adams und Resident Tomasso Coen das Solare Haus betraten. »Die AMUNDSEN hat bei jeder Etappe der Hinreise ein Relais ausgesetzt, um ...«

»Schon klar«, unterbrach Coen. »Steht die Verbindung in mein Hauptbüro?«

»Ja«, antwortete der Techniker verschnupft, um weitaus leiser hinzuzufügen: »Und es ist ja nicht so, dass es ein kleines Wunderwerk ist, sie über mehr als sechshundert Lichtjahre aufrechtzuerhalten.«

Adams blieb stehen, während Coen bereits um die Ecke eilte. »Ich kenne noch andere Zeiten«, sagte er zu dem Mann, »aber ich weiß zu schätzen, was du und deine Kollegen unter den aktuellen Umständen leisten.«

»Danke.«

Die beiden folgten dem Residenten in dessen Büro.

Coen stand an seinem Schreibtisch, drei Holos vor sich nebeneinander aufgereiht.

Die größeren zeigten Gesichter – das dritte ein Trümmerfeld, das im All trieb. Es handelte sich um die Überreste eines 80-Meter-Beiboots der ROALD AMUNDSEN, was jedoch nicht zu erkennen gewesen wäre, hätte Adams es nicht gewusst.

Über die Frau, die ihm aus dem linken Holo entgegensah, hatte er sich während des kurzen Fluges zum Solaren Haus informiert. Kommandantin Vehara Togan leitete die Expedition zum Beteigeuzesystem, der neben ihrem eigenen Schiff, der AMUNDSEN, noch drei weitere VASCO-Raumer angehörten. Sie wirkte auf den ersten Blick sofort sympathisch, hatte Lachfältchen um Mund und Augen, und das Rot der Haare harmonierte gut mit den grünen Iriden. Ihre Akte beschrieb sie als überlegene Taktikerin, ihr IQ war höher als bei 95 Prozent der übrigen Raumfahrtsabsolventen ihres Jahrgangs.

Rechts daneben zeigte das Holo das Echsengesicht einer Topsiderin mit roten Augen und der typisch vorgewölbten Schnauze unter der Schuppenhaut. Den vorliegenden Informationen nach war Peran-Gord die oberste militärische Anführerin des topsidischen Sternengeleges.

»Noch sind wir nicht zugeschaltet«, sagte Tomasso Coen zu Adams. »Bist du bereit? Ich glaube, wir haben Peran-Gord lange genug warten lassen.«

Der Advisor nickte.

»Klink uns ein!«, bat Coen den Techniker.

Der trat zurück, tippte auf sein Armbandgerät und bestätigte.

»Ich bin Tomasso Coen, Resident der Liga Freier Galaktiker in diesem Teil des Dyoversums, der nicht ursprünglich unsere Heimat gewesen ist. Ich danke für deine Geduld, Peran-Gord. Es war mir nicht möglich, schneller an diesem Gespräch teilzunehmen.«

»Es sei dir verziehen, Terraner«, sagte die Topsiderin. Ihre Stimme klang kühl und distanziert. »Ich spreche für das Sternengelege der Topsider, der – wie dir wohl bekannt sein dürfte – beherrschenden Militärmacht dieser Galaxis.«

Oder des kleinen Teils, den wir kennen und den ihr bereisen könnt, dachte Adams, verkniff sich die Worte jedoch. Sie wären eine unnötige Konfrontation und damit exakt das Gegenteil dessen, was er momentan beabsichtigte.

»Die Gelegemutter persönlich«, fuhr Peran-Gord fort, »hat mir die Vollmacht erteilt, für sie zu sprechen.«

»Danke, dass ihr Verhandlungen ...«, setzte Tomasso Coen an.

»Keine Verhandlungen, Terraner. Ihr seid nicht in der Lage zu verhandeln. Aber ihr könnt euch anhören, was ich zu sagen habe.«

Der Resident wechselte einen Blick mit Adams, der ihm mit einer unauffälligen Handbewegung bedeutete, ruhig zu bleiben.

»Ich bin Homer G. Adams«, sagte er. »Der Advisor. Eine beratende Stimme.«

»Ich weiß, wer du bist«, stellte die Topsiderin klar. »Wir wissen mehr, als ihr vermuten mögt.«

Interessant, dachte Adams. Woher wohl?

Seit dem eher kurzen Zwischenspiel bei der damals gerade entstehenden Marshauptstadt Skiaparelli hatte es keinen Kontakt mehr mit den Echsenwesen gegeben. Zumindest keinen offiziellen.

Über welche Möglichkeiten die hiesigen Topsider verfügten, blieb daher völlig unklar. Vielleicht gaben die nächsten Minuten und Stunden mehr Aufschluss darüber.

»Ich schlage vor«, sagte Adams, »dass Kommandantin Togan uns eine Zusammenfassung der Ereignisse gibt. Danach steht es Peran-Gord frei, ihre Sicht der Dinge darzulegen. Sind alle mit diesem Vorgehen einverstanden?«

Da niemand widersprach, begann Vehara Togan mit dem Bericht.

»Die ROALD AMUNDSEN und ihre Begleitschiffe haben einen letzten Orientierungsstopp eingelegt, wenige Lichtmonaten vor dem System der Sonne Beteigeuze, die die Topsider Gurvok nennen.« Sie sprach langsam und überdeutlich, mit einer Wortwahl, die nahelegte, dass sie ihre Worte genau vorbereitet hatte. »Unsere Mission besteht in der Erkundung und Erforschung des Systems. Der letzte Zwischenstopp lag fünfundzwanzig Lichtjahre entfernt. Wir wussten vor der Ankunft nichts über das System – es gab keine Funksignale oder sonstigen Lebenszeichen. Wir wollten das System besuchen und herausfinden, ob es eine einheimische Lebensform gibt.«

Im Heimatuniversum hatte das Beteigeuzesystem jedenfalls ein intelligentes Volk hervorgebracht, die Aquas, robbenähnliche Fischartige.

»Wir haben festgestellt, dass auf dem vierten Planeten Leben existiert. Nach all unseren bisherigen Enttäuschungen während der Erkundungsmissionen empfanden wir große Freude. Es gibt dort ein reichhaltiges pflanzliches und tierisches Ökosystem, auf einem Planeten mit reichhaltigem Wasservorkommen.

Eine nähere Untersuchung war uns bislang nicht möglich, da die Topsider ohne Vorwarnung angegriffen und ein Beiboot der AMUNDSEN zerstört haben. Die Besatzung ist vollständig zu Tode gekommen.«

»Es gab eine Vorwarnung«, widersprach Peran-Gord.

»Sechsundachtzig Besatzungsmitglieder sind gestorben«, fuhr Kommandantin Togan ungerührt fort. »Erst danach hat das Schiff der Topsider Funkkontakt mit uns aufgenommen. Es kam zu keinen weiteren Kampfhandlungen, und wir haben uns geeinigt, mit Resident Coen Hyperfunkkontakt aufzunehmen. Meiner Bitte, dass die Gelegemutter ebenfalls an dem Gespräch teilnimmt, wurde nicht entsprochen.«

»Es ist nicht nötig«, sagte die Topsiderin. »Ich spreche in Vollmacht für das Sternengelege, mein Wort hat dasselbe Gewicht wie das ihre. Hättest du eine ähnliche Kompetenz, Kommandantin Togan, wäre es uns möglich gewesen, die Problematik im direkten Austausch zu klären.«

»Möchtest du noch etwas hinzufügen, Kommandantin Togan?«, fragte Adams.

Sie verneinte.

»Dann steht es dir frei, nun ungestört deine Sicht der Dinge darzulegen, Peran-Gord.«

»Im Unterschied zu der Lüge, die die Kommandantin verbreitet, gab es eine Vorwarnung. Auf dem vierten Planeten, der einheimisches Leben trägt, ankert eine Patronatssonde, die unsere territorialen Ansprüche deklariert. Das ist eine ausreichende Mahnung und Klarstellung.«

Obwohl es viele Jahre zurücklag, fühlte sich Homer G. Adams sofort auf höchst unangenehme Weise an die erste Begegnung mit den Topsidern dieser Seite des Dyoversums erinnert. Genau das brachte er ins Spiel.

»Es gab, wie du zweifellos weißt, verehrte Peran-Gord, bereits einen ähnlichen Zwischenfall. Wir haben damals das Wegasystem besucht und die von dir eben erwähnte Patronatssonde, die dein Volk dort ebenfalls stationiert hat, nicht bemerkt. Ihr seid später in unser Sonnensystem gekommen, auf unseren Nachbarplaneten, auf dem gerade eine erste Stadt entstand. Dort habt ihr uns angegriffen und ...«

»Wir haben eine Warnung ausgesprochen«, sagte sie. »Hätten wir tatsächlich angegriffen, wäre euer Skiaparelli zerstört worden und nicht nur die schützende Energiekuppel. Eine einzige Salve fehlte damals, vielleicht eine Minute.«

»Das wissen wir«, versicherte Resident Coen. »Und wir sind dankbar, dass ihr euch stattdessen zurückgezogen hattet.«

»Das war offenbar ein Fehler«, sagte die Topsiderin. »Ich will nicht verhehlen, dass ich mich dafür ausgesprochen hatte, es nicht bei einer so blutleeren Warnung zu belassen. Vielleicht hättet ihr durch Todesopfer mehr gelernt.«

Alles in Adams krampfte sich zusammen. Zu den Opfern hätte damals Amalia gehört. Er ließ sich seine Erschütterung nicht anmerken. »Es liegt uns fern, eure territorialen Ansprüche zu verletzen.«

»Dennoch habt ihr es erneut getan.«

»Wir wussten nichts von dieser Sonde!«, rief Kommandantin Togan. »Sie sendet kein Signal aus, das stark genug ist, es bereits außerhalb des Systems zu empfangen! Wie könnt ihr ...«

»Unsere Sonden bewähren sich seit Jahrhunderten!« Peran-Gord sprach so scharf, dass ihre Zunge zum Teil aus der Schnauze fuhr und es zischelnd klang. »Aber ihr dahergelaufenes Volk aus einem fremden Universum wollt uns erklären, dass wir sie ändern müssen, ja? Ist es so? Ihr seid Eindringlinge und Invasoren in unser Universum und wollt trotzdem die Regeln festlegen? Nennt mir einen Grund, warum ich nicht hier und heute damit anfangen sollte, euch auszulöschen, um die alte Ordnung wiederherzustellen!«

Adams versuchte, sich in die Lage der Topsiderin zu versetzen. Er kam nicht umhin, in ihren Worten eine gewisse Logik zu entdecken, wenngleich er aufgrund seiner menschlichen Ethik zu einer anderen Schlussfolgerung kam als sie. Die Terraner waren keine Invasoren – sondern gegen ihren Willen versetzt worden. Sie hatten sich seit ihrer Ankunft friedlich verhalten und suchten weder Konflikt noch Krieg.

»Wir bedauern das Missverständnis«, sagte der Resident. »Wir werden uns aus dem Beteigeuzesystem selbstverständlich zurückziehen, denn wir wollen die territorialen Ansprüche des Sternengeleges nicht verletzen. Wir wären sehr dankbar, wenn wir darüber hinaus in Verhandlungen treten können.«

»Noch einmal, Terraner – ihr seid nicht in der Position, mit uns etwas zu verhandeln.«

»Dann lass mich eine bessere Formulierung wählen«, schlug Adams nach dem Motto Gib dem Kind einen anderen Namen, vielleicht passt es dann vor. »Wir halten diplomatische Gespräche zwischen unseren Völkern für sehr erstrebenswert. Du bist zu uns nach Terra eingeladen – selbstverständlich auch die Gelegemutter oder eine weitere Abgesandte eurer Wahl.« Im Sternengelege belegten Frauen sämtliche wichtigen Posten. »Wenn ihr uns ein Verzeichnis mit den Planeten sendet, auf die ihr territoriale Ansprüche erhebt, werden wir das in Zukunft berücksichtigen. Wir sind außerdem überzeugt, dass wir uns gegenseitig Hilfe bieten können.«

»So?«, fragte die Topsiderin. Es klang höhnisch.

»Du hast gesagt«, fuhr Adams fort, »dass wir erstaunt wären, wie viel ihr wisst. Dann ist dir vielleicht auch bekannt, dass es auf Terra Topsider gibt. Allerdings Topsider aus unserem Teil des Dyoversums. Unsere Völker leben dort miteinander – nicht gegeneinander. Als wir versetzt wurden, befanden sich etliche Topsider unter uns. Die meisten haben sich in eine kleine Kolonie in eine unserer Städte zurückgezogen.«

Die Topsiderin öffnete die Schnauze, dann ruckte ihr Kopf vor, näher auf die Aufnahmekamera des Übertragungsholos. »Ich wäre sehr gespannt, diese Topsider kennenzulernen, in eurer Stadt.« Sie gab ein melodiöses, zischelndes Geräusch von sich. »Neu-Atlantis, nicht wahr?«

Sie weiß tatsächlich mehr, als uns lieb sein kann. Adams hatte genügend Konflikte erlebt und Erfahrungen gesammelt, um sich zu fragen, ob es Agenten des Sternengeleges auf Terra gab. Die Echsen unterschieden sich äußerlich sehr von Menschen ... aber er wusste um extremere Maskeraden unter Zuhilfenahme chirurgischer Methoden.

»Du folgst also unserer Einladung?«, fragte der Resident.

»Ich stelle zwei Bedingungen.«

»Wir hören.«

»Erstens: Eure Schiffe verlassen augenblicklich das System der Sonne, die ihr Beteigeuze nennt. Über spätere Besuche könnt ihr einen Antrag ...«

»Das ist nicht möglich«, fiel Kommandantin Togan ihr ins Wort. »Eines unserer Beiboote befindet sich samt der Mannschaft noch auf dem vierten Planeten.«

»Wieso weiß ich davon nichts?«, herrschte die Topsiderin sie an.

»Es kam zwischen uns bislang nicht zur Sprache. Aber ich werde meine Leute augenblicklich zurückrufen. Wir benötigen danach etwa drei Stunden, um mit LOOKOUT-Sonden den Linearraum zu sondieren, damit wir eine sichere Route für die erste Etappe zurück in unser Heimatsystem berechnen können.«

»Beginnt sofort. Drei Stunden. Ab jetzt.«

»Einverstanden«, sagte die Kommandantin.

»Wie lautet deine zweite Bedingung?«, fragte Tomasso Coen.

»Ich werde eine Delegation von acht Begleiterinnen und vier Dienern mit nach Terra nehmen. Sollte einem von uns etwas geschehen, wird mein Schiff eure Welt angreifen.«

»Einverstanden«, sagte der Resident. »Dein Schiff wartet außerhalb des Systems, wir senden dir ein Beiboot, das dich abholt.«

»Ich akzeptiere das.«

»Wann wirst du unsere Heimat erreichen?«

»Sagen wir, in fünfzig Tagen eurer Zeit.«

Fünfzig Tage. Das konnte unmöglich die maximale Geschwindigkeit für diese Strecke sein, die der aktuellen terranischen Technologie fast dreißig Einzeletappen abnötigte. Die Topsider verfügten zweifellos über bessere Möglichkeiten, da sie ihre Raumfahrt von Anfang an unter den hiesigen Bedingungen entwickelt hatten. Peran-Gord ließ also bewusst die Fluggeschwindigkeit ihres Schiffes im Dunkeln.

»Wir freuen uns auf deinen Besuch und den deiner Delegation«, sagte der Resident.

»Wir werden sehen«, sagte die Topsiderin und unterbrach ohne weiteres Wort die Verbindung.

*

»Warum, glaubst du, lässt sich Peran-Gord so viel Zeit?«, fragte Vehara Togan.

Die Kommandantin empfing Homer G. Adams direkt nach der Landung auf dem Raumhafen von Terrania City in der Zentrale ihres Schiffes, der ROALD AMUNDSEN. Sie hatte darum gebeten, das erste Treffen dort stattfinden zu lassen, nicht im Solaren Haus. Resident Coen ließ sich entschuldigen, er steckte in unaufschiebbaren Staatsgeschäften und wusste sich von seinem Advisor gut vertreten.

Seit der Landung leerte sich die Zentrale nach und nach. Außer Adams und Togan hielten sich nur noch drei Personen dort auf. Die Kommandantin saß locker auf der Armlehne ihres Sessels.

»Erstens lässt sie uns damit über ihre Möglichkeiten völlig im Dunkeln«, sagte Adams.

»Und zweitens?«

»Wenn ich das nur wüsste. Jedenfalls habe ich bei der gesamten Aktion ein ungutes Gefühl. Sie hat angekündigt, dass ihr Schiff angreifen wird, falls es zu einem Zwischenfall kommt.«

Die Kommandantin nickte. »Befürchtet noch jemand, dass Peran-Gord einen solchen Zwischenfall provozieren könnte? Oder ihn zur Not selbst inszeniert, um einen Grund für einen Angriff vorzuschieben?«

»Möglich, aber nicht wahrscheinlich«, gab Adams zu.

»Weil?«

»Wozu sollte sie eine solche Scharade aufführen? Was hindert sie, ohne Begründung anzugreifen, wenn sie das will?«

»Vielleicht muss sie es vor der Gelegemutter rechtfertigen?«

»Ein guter Gedanke«, sagte Adams. »Wir wissen einfach zu wenig über die hiesigen Topsider, um auch nur halbwegs sinnvolle Vermutungen anzustellen. Jedenfalls wird der TLD die Delegation beobachten. Um sie einerseits zu bewachen – und andererseits zu beschützen.«

»Hast du mit ...« Vehara Togan zögerte. »... mit unseren Topsidern gesprochen, ob sie vielleicht eine Vermittlerrolle übernehmen können?«

»Genau das habe ich vor – zusammen mit dir. Unser Besuch in Neu-Atlantis ist bereits angemeldet.«

»Ich bin einverstanden. Aber zuvor möchte ich dir etwas zeigen. Ich habe dich nicht ohne Grund in mein Schiff gebeten. Es ist ... heikel. Deshalb konnte ich nichts über Funk mitteilen. Die Topsider hätten es womöglich abgehört, aber sie dürfen es nicht erfahren.«

»Du machst mich neugierig.«

»Begleite mich.«

»Wohin?«

»In einen unserer kleinen Trainingsräume.«

»Was ...«

»Er ist gesperrt, weil ich dort zwei Besucher aufgenommen habe. Komm einfach mit.« Die Kommandantin verließ die Zentrale.

Adams folgte ihr. Es ging in einem Antigravschacht etliche Decks höher und mit einer Schwebeplattform weiter, die rasch durch die Korridore jagte, nahe an die Außenhülle der AMUNDSEN heran.

Die Trainingshalle durchmaß etwa zehn auf zwanzig Meter. Darin lag eine Laufbahn, auf der abschnittsweise verschieden starke Gravitation herrschte, wie Kommandantin Togan erklärte – eine spezielle Fitnessmethode, wie sie in Raumschiffen gerne angewandt wurde. Da Abschnitte unter Wasser gesetzt werden konnten, bot sie die idealen Lebensbedingungen für ihre Gäste, die sie beim vierten Planeten des Beteigeuzesystems aufgenommen hatte.

Adams sah sie wenige Augenblicke später mit eigenen Augen und erfuhr von der Kommandantin, dass sie sich selbst als Yura bezeichneten.

Die beiden Wesen staksten auf langen Tentakeln durch die Wasserläufe auf ihn zu. Es waren Kopffüßler, die ihn spontan an eine überdimensionale Mischung aus Tintenfisch und Krake erinnerten, in ihrer Gesamtheit jedoch etwas völlig Eigenständiges bildeten.

Drei ihrer Extremitäten nutzten sie ähnlich wie menschliche Beine, die übrigen reckten sie zur Seite oder in die Höhe, vollführten damit schwingende Bewegungen wie einen ätherischen Tanz. Ihre Körperfarbe changierte von verwaschenem Weißgrau zu einem rötlichen Schillern. Bahnen aus glänzendem Stoff zogen sich über die Leiber. Auf einer hing ein Translator. Zwei große, schwarze Augen saßen in der Mitte des Zentralleibs, darunter ein kaum wahrnehmbarer, schmaler Mund.

»Ich hoffe, ihr fühlt euch wohl«, sagte Vehara Togan. »Wenn ihr Wünsche habt, teilt sie mir bitte mit.«

»Es ist alles in Ordnung«, sagte einer der Yura, und bei den Worten öffnete sich der Mund erstaunlich weit. Die originale, blubbernd klingende Sprache übertrug der Translator ohne Zeitverzögerung ins Interkosmo. Adams fand keine Möglichkeit, die beiden Wesen zu unterscheiden. Sogar die Stoffbahnen schienen auf identische Weise um den Körper zu laufen. »Allerdings geht unsere mitgebrachte Nahrung bald aus. Wir hoffen, dass ihr eure Worte wahr machen werdet und für Nachschub sorgen könnt.«

»Die Analysen der Vegetation auf eurer Heimat zeigen eindeutig, dass es sehr ähnliche Lebensformen auf Terra gibt«, sagte die Kommandantin, wandte sich an Adams und erklärte: »Blaualgen.«

Das also war der wahre Grund, warum das Beiboot so spät zur ROALD AMUNDSEN zurückgekehrt war – auf dem Planeten gab es eine intelligente Lebensform! Zum ersten Mal war eine der VASCO-Expeditionen auf ein außerirdisches Volk gestoßen, vom unglücklichen Zusammentreffen mit den Topsidern abgesehen.

Nun erfuhr Adams, was sich im Beteigeuzesystem abgespielt hatte.

Das Forscherteam hatte bereits vor der Landung entdeckt, dass es dort ein Intelligenzvolk gab – auf einer Entwicklungsstufe, die zwar erste Maschinen kannte, aber noch weit davon entfernt war, die Raumfahrt für sich zu entdecken. Bis vor etwa achtzig Jahren – zwei ihrer Generationen – wussten die Yura nichts von anderem intelligenten Leben ... bis die Topsider das Beteigeuzesystem erreicht und für sich beansprucht hatten.

»Sie versklaven die Yura und beuten die Rohstoffe des Planeten aus«, endete Kommandantin Togan. »Und damit stehen wir vor einem gewaltigen Problem, Advisor.«

Das sah Homer G. Adams genauso.

Denn dabei würden die Terraner nicht tatenlos zusehen. Sie konnten sich nicht sang- und klanglos aus dem Beteigeuzesystem zurückziehen.

Und das wiederum bedeutete, dass sie sich die Topsider womöglich endgültig zu Feinden machten.

*

Die Traumbilder verharren.

Mein Nicht-Schlaf in der Suspension kommt mir zeitlos vor – wie könnte es Zeit für mich geben, während ich keinen Körper besitze? Ich bin nicht mehr Teil des normalen Raum-Zeit-Gefüges, in dem die Minuten, Stunden, Tage und Jahre unablässig verrinnen. Trotzdem frage ich mich, ob es bald vorbei ist.

Ob ich endlich aufwache.

Wie immer werde ich mich nicht bewusst daran erinnern, dass die ganze Vergangenheit an mir vorübergezogen ist; die Historie der Menschheit seit der Versetzung ins Dyoversums. Mein Unterbewusstsein sorgt dafür, dass ich nichts vergesse, weder das Schöne noch das Schreckliche.

Die Yura waren das erste Fremdvolk, dem wir begegneten und für das es im Heimatuniversum keine Entsprechung gibt.

Warum hat die kosmische Evolution hier wie dort die Topsider hervorgebracht, mit wenigen Unterschieden zu dem Volk, das wir aus dem anderen Zwilling des Dyoversums kennen?

Und wieso nicht die Aquas, wie sie bei uns im Beteigeuzesystem leben ... sondern die Yura?

Hatte es im Solsystem auch Terraner gegeben – die nun in den Zwilling versetzt worden sind?

Weshalb entsprechen Sonnensysteme, Planeten und Monde in beiden Hälften so sehr einander, nicht jedoch das Leben, das hier insgesamt so viel seltener ist?

An einen Zufall glaubt niemand. Es wäre hanebüchen. Gibt es einen Austausch, einen natürlichen Mechanismus oder gar einen bewussten Plan, der die Evolution von Materie in den Zwillingsuniversen ähnlich ablaufen lässt, aber versagt, wenn es um Leben, vor allem um Bewusstsein geht? Hat es hier keine Schwärme oder Sporenschiffe gegeben? Liegt dieses Universum nicht im Zugriffsbereich der Hohen Mächte?

Eine Legion von Fragen türmt sich auf, und die Antworten, die die Wissenschaftler im Institut zur Erforschung des Dyoversums gefunden haben oder zumindest erahnen, bilden erst den Anfang.

So vieles ist noch offen und unklar.

Für einen Moment scheint es, als wollten die Erinnerungen mich in eine andere Richtung führen, mir die weitere Entwicklung des Instituts vor Augen halten. Das Experiment, das zur Zerstörung des Pluto geführt hat, die Pläne zum Wiederaufbau, das kosmische Wunderwerk des Gestänges und den Umzug des Instituts ...

... aber dann schwirren die Erinnerungen zurück zu den Yura, der Delegation der Topsider und den Konflikten mit den Echsenwesen, die sich wie befürchtet radikal verschärften.

Alles spitzte sich damals in Terras neuer Technikschmiede zu – in Neu-Atlantis.

*

»Wasser«, sagte der Yura. Einen Eigennamen trug er nicht; wie sie sich gegenseitig unterschieden und worauf ihre Individualität beruhte, hatte er zwar zu erklären versucht, aber es war Adams bislang unverständlich geblieben. »Ich liebe Wasser. Dies ist der schönste Ort eures Planeten.« Der Kopffüßler ließ drei seiner Extremitäten von den heranrauschenden Wellen überspülen.

Von dem kleinen, felsigen Strand im Südosten von Neu-Atlantis ging der Blick übers Meer, hin zu der Brücke, die sich scheinbar in den fernen Fluten verlor. Glasbauten aus grün schillerndem Material ragten als schlanke Türme empor.

Die Wetterkatastrophen nach NATHANS Ausfall hatten kurz nach der Versetzung weite Teile dieser filigranen Bauten zwischen den ursprünglichen Azoreninseln zerstört. Die Bürgermeister von Neu-Atlantis setzten seitdem alles daran, sie wieder zu errichten, ja, die alten Bauwerke in ihrer Kunstfertigkeit noch zu übertreffen. Und bislang gelang ihnen das bestens.

Parallel entstand in Neu-Atlantis ein Technologie- und Wissenszentrum unter der Leitung des Roboters Rico. Dieser war vor wenigen Jahren überraschend wieder aufgetaucht, nachdem man zuvor lange nichts von ihm gehört hatte – auch nicht vor der Versetzung der Erde.

Homer G. Adams stand bei dem Fremdwesen am Strand, begleitet von Amalia Serran. Ihre Beine wurden ebenfalls vom Wasser überspült; jede Welle zog Sand unter ihren Füßen weg.

»Wir sind froh, dass dies ein angenehmer Ort für dich ist«, sagte Adams. »Aus diesem Grund soll das Treffen auch hier stattfinden, denn wir wissen, dass es schwer für dich ist.«

Der Yura setzte eine weitere seiner Extremitäten ab, dann die fünfte. Er beugte den Leib nach vorne, Adams entgegen. »Ich habe Angst«, sagte er.

»Das ist nicht nötig«, versicherte Amalia. »Die Topsider, die auf unserem Planeten leben, unterscheiden sich von jenen, die deine Heimat besetzen.«

»Es sind Topsider«, sagte der Yura, in einem Tonfall, der zugleich ausdrückte: Sie sind böse.

Und wie sollte man einem Wesen, das nahezu nichts von den großen kosmischen Zusammenhängen und dem Aufbau des Multiversums wusste, geschweige denn vom Dyoversum je gehörte hatte, erklären, dass es sich um andere Topsider handelte?

Zumal Adams selbst so wenige Hintergründe kannte und sich fragte, wie die Evolution getrennt voneinander zwei nahezu identische Völker hervorgebracht haben konnte. Steuerte tatsächlich die Verbindung der Zerozone die Entwicklung über Jahrmilliarden derart genau? Warum dann aber nicht bei anderen Sonnensystemen und deren Bewohnern?

»Es ist wichtig, dass du mit den Topsidern sprichst«, sagte Adams. »Auch damit sie verstehen. Wir wissen nicht, wie sie reagieren und ob sie uns als Vermittler dienen können, wenn die Delegation der hiesigen Topsider eintrifft.«

Was der Ankündigung nach eigentlich erst in mehr als einer Woche hätte geschehen sollen – doch Peran-Gord hatte sich vor wenigen Stunden überraschend gemeldet und ihre Ankunft bereits für den kommenden Tag angekündigt.

Wenn ihr es gestattet, hatte sie süffisant ergänzt.

Wir gestatten, hatte Resident Coen geantwortet, bitten dich aber um einen weiteren Tag Geduld. Wir möchten alles für euch vorbereiten.

So hatte Peran-Gord den Zeitplan gewaltig durcheinandergewirbelt, zweifellos genau kalkuliert und von vornherein so beabsichtigt. Falls es eine Provokation sein sollte, scheiterte sie damit allerdings, denn der Resident und die übrigen Beteiligten blieben ruhig, wenngleich an zahllosen Stellen, vorrangig im TLD, Hektik ausbrach.

Auch das Treffen mit den Topsidern aus Neu-Atlantis hatte Adams darum vorgezogen. Die Yura hatten sich davor gescheut und um mehr Zeit gebeten; letztendlich hatte nur einer der beiden sich zu einem offenen Gespräch bereit erklärt.

Der zweite wartete ganz in der Nähe in einem Gleiter und hielt sich bereit. Dort war es für ihn zwar ungemütlich und hässlich, weil es keine freien Wasserflächen gab, aber die Yura konnten mehrere Tage ohne Kontakt mit Wasser überleben, wenn sie ihre Kleidungsstreifen gut befeuchteten.

Amalia verabschiedete sich. Sie wollte ebenfalls in den Gleiter gehen, während Adams mit dem ersten Kopffüßler am Strand das Gespräch mit den Topsidern führte.

Nahezu alle Topsider auf Terra lebten in einer Kolonie in den unterseeischen Bereichen von Neu-Atlantis. Die Stadt bot inzwischen den meisten kleineren Völkergruppen, die mit Erde und Mond versetzt worden waren, eine Heimat in eigenen Siedlungen oder echten Stadtteilen. So gab es eine Unterseekuppel für Cheborparner, ein eher winziges mobiles Siganesenboot und etliche andere Einrichtungen.

Die Topsider reisten mit einem U-Boot an, das in etwa hundert Metern Entfernung auf dem offenen Meer an die Oberfläche kam. Es entfaltete seitliche Tragflächen, hob sich über Wasser und setzte die Fahrt als Schiff fort. Doch damit nicht genug – als es nahe am Strand aufsetzte, formten sich die Tragflächen zu befremdlich spinnenartigen Laufbeinen um, und das Gefährt stakste an Land.

Im Rumpf öffnete sich eine Klappe. Vier Topsider stiegen aus. Die echsenartigen Wesen gingen aufrecht. Der Stützschwanz zog eine Schleifspur durch den Sand. Die braun-schwarzen Schuppen glänzten in der Sonne.

Der Yura setzte nun all seine Extremitäten ab, zog sie dicht zusammen und streckte sich, wodurch er eine Höhe von nahezu drei Metern erreichte. »Sie werden mich bestrafen, dafür, dass ich ...«

»Es sind nicht die Topsider, die du kennst«, versicherte Adams erneut. »Dir droht keinerlei Gefahr!«

»Willkommen, Fremder«, sagte der erste Neuankömmling. »Und auch du, Advisor. Ehe wir das Gespräch beginnen, muss ich dir eine Mitteilung machen. Sämtliche Topsider in Neu-Atlantis haben abgestimmt, und das Ergebnis ist eindeutig. Wir werden nichts tun, das gegen unsere Brüder in diesem Teil des Dyoversums gerichtet ist und ihnen Schaden zufügt.«

»Aber ...«, setzte der Advisor an.

»Nichts«, wiederholte das Echsenwesen.

Da begriff Homer G. Adams, dass sich alles noch komplizierter und problematischer entwickelte als ohnehin befürchtet.

Perry Rhodan-Paket 62: Mythos (Teil2)

Подняться наверх