Читать книгу Roman-Paket Western Exklusiv Edition 11 Romane - Sammelband 7021 - Pete Hackett - Страница 31
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ОглавлениеSie hatte den Hut verloren. Das im Nacken verknotete Haar war aufgegangen. Der Regen klebte es an ihren Kopf. Aus ihrem Gesicht war alle Farbe gewichen. Dieses Gesicht, mit den meergrünen Augen und dem sinnlichen, zugleich herben Mund, faszinierte Clay noch ebenso wie damals, als er sie kennengelernt hatte. Er ließ die Hand sinken, trat einen Schritt auf sie zu und blieb sofort stehen, als er das Erschrecken in ihrem Blick sah. Einen Moment schien es, als wollte sie sich herumwerfen und vor ihm fliehen. Er spürte einen kurzen, heftigen Stich. Dann hatte sie sich gefangen. Ihre Miene wurde ausdruckslos.
»Es kann kein Zufall sein, dass du hier bist, Clay«, sagte sie leise. Der Klang ihrer Stimme ließ sein Herz hämmern. Alles, was um ihn vorging, war wie ausgelöscht. Er sah nicht, wie Clinton sich vom Bock schwang und Bancroft und Scobey aus der Kutsche kletterten.
»Ich habe dich und Rhett gesucht.«
Ein bitteres Lächeln huschte um ihren Mund.
»Nichts ist mehr ungeschehen zu machen, Clay. Es wäre besser gewesen, wir wären uns nie mehr begegnet.«
»Ich weiß, dass du mit Rhett damals aus Illinois fortgezogen bist, weil du mich für tot gehalten hast.«
»Was ändert das?« Ihre Stimme klang müde. »Nein, Clay, ich hab’ nicht vor, mich vor dir zu rechtfertigen. Sicher, Rhett ist damals mit der Nachricht aus dem Krieg zurückgekehrt, dass du tot bist. Aber seitdem ist zu viel geschehen, als dass wir beide wieder da anfangen könnten, wo der Krieg damals einen Trennstrich zog.«
Er hatte Clinton vergessen. Die Kugel, die ihn damals mitten im Kampfgetümmel niedergestreckt hatte, war nicht mehr wichtig. Alles, was zählte, war diese Frau. Er liebte sie noch genauso verzehrend wie damals. Es war verrückt gewesen, sich in dieses Kaff in New Mexico zurückzuziehen und sie vergessen zu wollen. Er hatte es nicht geschafft und würde es nie schaffen.
»Was zur Hölle, wollen Sie von Joana?« Slaughter stand plötzlich neben der Frau. Sein unrasiertes, von der Anstrengung und Gefahr gezeichnetes Gesicht drückte Misstrauen und Feindseligkeit aus.
»Schon gut, Dave«, sagte Joana. »Er ist ein alter Bekannter von mir, der ...«
»Hören Sie, Mister, lassen Sie Joana in Ruhe, wenn Sie keinen Ärger mit mir kriegen wollen!« Besitzergreifend legte der Stationer einen Arm um sie.
Clay entging nicht, wie Joanas Schultern sich unmerklich verkrampften. Seine Kehle wurde trocken.
»Bist du seine Frau?«
»Was geht Sie das an?«, schnappte Slaughter eifersüchtig. Seine Rechte senkte sich auf den Revolver. »Spielen Sie sich bloß nicht auf, Mister! Hier bin ich der Boss!«
»Gratuliere!«, erwiderte Clay trocken.
»Clay!« rief die Frau, als er sich abwenden wollte. »Es spielt keine Rolle, ob ich mit Dave verheiratet bin oder nicht. Es kommt nur darauf an, dass Dave für mich da war und eine Menge Geduld mit mir hatte, als ich das Leben in den Saloons und Spielhöllen nicht mehr ertrug. Ich stehe tief in seiner Schuld, Clay. Und niemand, auch du nicht, wird mich davon abhalten, diese Schuld zu begleichen.«
Ein schmerzliches Ziehen war in Clays Brust. Aber seine Miene blieb hart, seine Stimme war ruhig. »Schon gut, Joana.«
Clinton stand noch bei der Kutsche. Er brannte sich eine Zigarette an.
»Und ich dachte, ich würde dir einen Gefallen tun, Joana, wenn ich ihn herbringe«, meinte er mit einem herausfordernden Blick auf Slaughter. »Dass ich hier nicht willkommen bin, weiß ich ja.« Er lachte leise.
Joanas Augen blitzten zornig. Bevor sie etwas erwidern konnte, war Rutland heran. Er musterte die Ankömmlinge scharf. Sein Blick blieb zuerst an Clays tiefgeschnalltem Colt, dann an seinem kantigen Gesicht hängen.
»Von irgendwoher kenne ich Sie ...«
»Kein Wunder, sein Bild war gegen Kriegsende auch in allen Zeitungen«, strahlte Scobey. Obwohl sie gerade mitten durch die Hölle gebraust waren, war er schon wieder ganz in seinem Element. Er fuchtelte mit Schreibstift und Notizblock.
»Und ich werde dafür sorgen, dass seinen Namen auch so schnell niemand mehr vergisst. Darf ich vorstellen, Gentlemen? Captain Clay Lorman, der ,Sieger vom Moberty Creek‘!«
Rutlands Lippen wurden strichdünn.
»Yankeegeschwätz! Wenn unsere Leute damals nicht vor Hunger und Entbehrungen geschwächt gewesen wären, hätten sie’s euch verdammten Blauröcken schon gezeigt!«
Scobey pfiff durch die Zähne.
»Vorsichtig, Lorman! Das ist einer von den Rebellen, denen Sie damals das Fürchten beigebracht haben.«
»Hören Sie endlich auf damit!« Wütend fuhr Clay herum. »Begreifen Sie endlich, dass der Krieg Gott sei Dank seit mehr als einem Jahr vorbei ist und ...«
»Nicht lange genug, um zu vergessen, was ihr Yankees uns angetan habt«, unterbrach Rutland ihn schneidend. »Der Sieger vom Moberty Creek! Wenn ich so was nur höre, dreht sich mir schon der Magen um. Die Art, wie ihr Yankees gesiegt habt, kenn’ ich, auch wenn ich am Moberty Creek nicht mit dabei war. Ausgeruhte, gutgenährte Soldaten, dazu eine Fülle von Kriegsmaterial! Und dann den Helden spielen! Pfui Teufel noch mal!«
Verbissen wandte er sich zum Gehen. Clay folgte ihm rasch und hielt ihn fest.
»Hören Sie, Mister, damals am Moberty Creek habe ich eine Menge meiner besten Leute verloren! Männer, die genau wie ich nur ihre lausige Pflicht erfüllt haben. Ich werde nicht zulassen, dass ihre Namen im Nachhinein in den Dreck gezerrt werden. Diese verdammte Heldengeschichte ist nicht meine Erfindung. Genauso wie es nicht meine Idee war, dass dieser Ehrgeizling von Zeitungsschreiber sich an meine Person geheftet hat. Das nur zur Klarstellung!«
Rutland starrte ihm hasserfüllt in die Augen.
»Wenn Sie mich nochmals anfassen, Yankee, werd’ ich Ihnen mit einer gut gezielten Kugel antworten!«
Clay ließ ihn los. Er dachte an Sam Talbot und dessen letzte Worte, schwieg jedoch. Der Krieg hatte diesen fanatischen Mann verbittert. Er selber hatte ja erfahren, dass es Wunden gab, die nie ganz verheilten.
»He, seid mal still!«, rief Mclntosh. »Weiß der Henker, welche Teufelei diese Bastarde jetzt wieder aushecken.«
Der Wind war abgeflaut. Es regnete gleichmäßig. Der kehlige Gesang, der aus der Dunkelheit kam, wirkte wie durch eine dicke Mauer gedämpft. Eine Trommel begann dumpf zu dröhnen.
»Steht nicht herum!«, rief Rutland. »Und Sie, Lorman, nun zeigen Sie mal, was für ein großartiger Kämpfer Sie sind!«
»Ich schätze, diese Nacht werden wir Ruhe vor ihnen haben«, erwiderte Clay mit unbewegter Miene.
Mclntosh kratzte sich am bärtigen Kinn.
»Ich kenne dieses Gerücht, dass sie nachts nicht angreifen. Angeblich, weil die Seelen ihrer Gefallenen sonst nicht den Weg in die Ewigen Jagdgründe finden. Darauf würd' ich mich lieber nicht verlassen.«
»Tu ich auch nicht. Aber wir haben vorhin ihren Anführer erwischt. Nun singen sie die Totenklage und trauern um ihn. Sie werden nicht angreifen, bevor sie einen neuen Chief gewählt haben. Das dauert seine Zeit. Wahrscheinlich holen sie auch erst Verstärkung. Sie sind überzeugt, dass ihnen unsere Skalps so oder so sicher sind.«
»Sie etwa nicht?«
Clays Antwort war ein Achselzucken. Dann wandte er sich der Stationshütte zu. Clinton schnippte die vom Regen aufgeweichte Zigarette weg.
»Na denn! Trocknen wir unsere Skalps, solange wir sie noch haben!«
Slaughter entkorkte gerade wieder eine Whiskyflasche. Da sprang der glatzköpfige Bankbesitzer auf und begann wie ein eingesperrter Wolf in der Hütte auf und ab zu laufen. Er hatte keinen Bissen von der Mahlzeit angerührt, die Joana ihnen vorgesetzt hatte.
Mclntosh grinste verächtlich und schaufelte unbeirrt weiter Bohnen mit gebratenem Speck in sich hinein. Scobey schrieb eifrig in sein ledergebundenes Notizbuch. Rutland war draußen an den Palisaden geblieben. Er brachte es nicht über sich, seinem einstigen Kriegsgegner recht zu geben. Keiner vermisste ihn. Joana hantierte am Spülbecken. Ihr Gesicht war vom Herdfeuer gerötet.
Sie erschien Clay schöner und begehrenswerter denn je. Es kostete ihn Mühe, den Blick von ihr zu wenden. Clinton grinste ihn durch eine Wolke von Tabaksqualm an. Aber der Hass und die Drohung in seinem Blick waren deutlicher als viele Worte.
Bancroft blieb plötzlich stehen. Seine knochige Gestalt war leicht vorgeneigt. Der Schein der Petroleumlampe fiel auf sein zerfurchtes Gesicht. Ein gehetzter Ausdruck war in seinen Augen.
»Wie lange wollt ihr denn noch hier herumsitzen und darauf warten, dass sie wiederkommen? Womöglich noch mit Verstärkung, wie Lorman vermutet!«
»Gehen Sie doch raus, wenn Sie’s nicht erwarten können!«, mampfte Mclntosh grinsend. Er zwinkerte den anderen zu.
»Wir sind hereingekommen, also muss es doch auch eine Möglichkeit geben, von hier wieder zu verschwinden«, keuchte der Mann aus Omaha. »Clinton, sagen Sie doch was! Es ist Ihr Job. Wir haben einen Vertrag miteinander. Es sind immerhin zwölfhundert Dollar, die für Sie auf dem Spiel stehen!«
»Und mein Leben.«
Mclntosh legte den Löffel weg, steckte den Zeigefinger ins rechte Ohr und schlenkerte mit der Hand. »Ich hör’ wohl nicht mehr gut? Hat die Vogelscheuche eben wirklich zwölfhundert gesagt? Zwölfhundert Dollar, wenn du dieses Knochengestell nach Cheyenne kutschierst, Clinton?«
»Wenn!« Clinton drückte seine Zigarette im leeren Teller aus.
Mclntosh starrte den schwarz gekleideten Bankier plötzlich wie ein Wundertier an. »Teufel noch mal! Und ich habe gedacht, ihr hättet euch ’nen eigenen Totengräber aus Julesburg mitgebracht!« Plötzlich lachte er schallend. »Mann, Clinton, für zwölfhundert Piepen könnten mich hier keine hundert Rothäute festnageln. Für so viel Geld würde ich diesen komischen Vogel sogar auf meinem Rücken nach Cheyenne schleppen.«
Stephen Bancroft erinnerte jetzt tatsächlich an eine überdimensionale, flügellahme Krähe. Ruckend schob er den Kopf vor und musterte den Büffeljäger stechend.
»Es muss ja nicht Clinton sein, der dies Geld kassiert«, krächzte er.
Mclntosh stand auf. Er musste aufpassen, dass er nicht mit dem Kopf an die verräucherte Decke stieß. »Zwölfhundert Bucks für ’nen Abstecher nach Cheyenne!« Er schnalzte mit der Zunge. »Clinton, weißt du eigentlich, wie lange unsereins für so ’nen Batzen Geld schuften muss, eh?«
Bancroft schaltete blitzschnell.
»Fünfzehnhundert, wenn Sie mich mit der Kutsche hinbringen!«
»Mit der Kutsche?« Mclntosh runzelte die Stirn.
»Er kann nicht reiten«, grinste Clinton spöttisch.
Mclntosh brummte missmutig. Hinter seiner Stirn arbeitete es. Bancroft ließ nicht locker.
»Meine Existenz hängt davon ab, dass ich rechtzeitig dort bin!«
Der Hüne starrte ihn an.
»Zweitausend!«, verlangte er.
Bancroft fuhr zusammen, schwitzte und wurde blass. Zweitausend Dollar waren in dieser Zeit kurz nach dem Sezessionskrieg eine Unmenge Geld. In der Hütte war es jetzt totenstill. Slaughter vergaß sogar, dass er eigentlich hatte trinken wollen.
»Einverstanden!«, nickte Bancroft schließlich.
»Ich bin Ihr Mann!«, rief der Hüne dröhnend. Plötzlich glomm Misstrauen in seinen Augen auf. »Vorausgesetzt, dass Sie die Moneten wirklich haben!«
Bancroft schaute prompt auf den schwarzen Handkoffer, den er neben seinem Stuhl abgestellt hatte. Er zögerte. Da stapfte Mclntosh schon um den Tisch herum.
»He, warten Sie! Nehmen Sie die Finger da weg!«, rief Bancroft erschrocken. »Clinton, um Himmels willen, stoppen Sie ihn!«
Der Spieler und Revolvermann dachte nicht daran. Interessiert sah er zu, wie Mclntosh den Koffer auf den Tisch wuchtete. Der Koffer war mit einem Schloss versperrt. Mclntosh fackelte nicht lange. Er zog den Colt. Als Clay sich drohend erhob, knallte es schon.
Scobey fiel der Schreibstift aus der Hand. Dann vergaß auch Clay, einzugreifen. Mclntosh hatte den Koffer aufgeklappt. Seine Augen quollen hervor. Auch die anderen starrten gebannt auf die Geldscheinbündel, mit denen der ganze Koffer vollgepfropft war.
»Mann, das ist ja ... das sind ...« Slaughter blieb die Luft weg. Er trank gierig.
Langsam drehte der Büffeljäger seinen massigen Schädel Bancroft zu. Dessen Gesicht war fleckig, von Schweiß überströmt. Seine Rechte war unter der schlecht sitzenden Anzugjacke verschwunden.
»Lassen Sie Ihre Miniaturkanone lieber stecken! Sie angeblicher Bankier!«, warnte Clinton kalt. »Hat hier jemand schon ’nen Bankbesitzer erlebt, der mit 'nem Koffer voll Moneten über die Prärie reist? Ich nicht. Ein Sternträger würde Ihnen jetzt sicher ’ne Menge komischer Fragen stellen, Mann. Da fällt mir ein, dass mein alter Freund Clay in New Mexico eine Zeitlang Town Marshai war. Scobey hat's mir erzählt. Vielleicht interessiert ihn die Sache.« Er grinste verkniffen, blickte dabei aber nur Bancroft an. Zögernd ließ der den unter der Jacke verborgenen Derringer los.
»Es sind fünfzehntausend Dollar«, sagte er stockend. »Genug Geld für uns alle, wenn ihr ...«
»Hören Sie auf!«, rief Joana heftig. »Wofür halten Sie uns denn?«
»Für vernünftige Leute, die zugreifen, statt wegschauen, wenn sich ihnen eine so einmalige Chance bietet«, lächelte Clinton halb spöttisch, halb ebenfalls von der Faszination von so viel Geld erfasst. Als er aufstehen wollte, richtete Mclntosh rasch den Colt auf ihn.
»Du hast deine Chance gehabt, Clinton, als Bancroft dich angeheuert hat. Jetzt bin ich dran. Bancroft, wollen Sie immer noch nach Cheyenne?«
Ein Hoffnungsfunke erschien in den Augen des Hageren.
»Natürlich! Ich habe Freunde dort, die mir mit dem Geld weiterhelfen werden, bis ich ...«
»Bis Sie vor Ihren Verfolgern aus Omaha in Sicherheit sind, was? Haben Sie ’ne Bank ausgeraubt oder waren Sie Kassierer da, bevor Sie mit dem Zaster auf und davon gingen? Na, mich geht’s ja nichts an. Machen Sie den Koffer zu! Slaughter, du gehst mit raus und spannst die Pferde vor! Wollen doch sehen, wie weit wir heute Nacht noch mit der Kutsche kommen, was, Bancroft? Slaughter, hast du Dreck in den Ohren! Stell die verdammt Flasche weg! Wenn du nicht parierst, Freundchen ... Denk an die Frau, die hier drinnen bleibt! Bancroft, passen Sie auf, damit der Bursche keine Dummheiten macht! Na wird’s bald!«
»Glauben Sie wirklich, wir kommen durch?«, fragte Bancroft unsicher. Mclntosh grinste verwegen.
»Mit fünfzehntausend Dollar unterm Hintern bestimmt!«
Clinton lächelte kalt.
»Fragen Sie ihn lieber, Bancroft, ob er sich jetzt noch mit zweitausend zufrieden gibt!«
»Halts Maul!«, schnappte Mclntosh. »Slaughter, Bancroft, zur Hölle, worauf wartet ihr noch?«
Sie starrten zur Tür. Dort stand Rutland mit dem Enfieldkarabiner in den Fäusten. Der Schuss des Büffeljägers auf das Kofferschloss hatte ihn alarmiert. Vorsichtig drehte Mclntosh den Kopf.
»Machen Sie keinen Quatsch, Major! Wenn Sie wollen, können Sie mitkommen. Ein Mann mehr ...«
»Ich warte fünf Sekunden. Wenn Ihr Schießeisen dann nicht wieder in der Halfter steckt, knallt es!« Rutlands Haltung und sein Ton ließen keinen Zweifel daran aufkommen, wie ernst er es meinte.
Fluchend steckte Mclntosh seinen Sechsschüsser weg. Rutland schloss die Tür.
»Es gibt kein Entkommen von hier«, erklärte er hart. »Der Regen hat aufgehört. Da draußen brennen die Wachfeuer der Cheyennes. Niemand kommt an ihnen vorbei.«
»Entweder schaffen wir es in dieser Nacht oder gar nicht«, sagte Clay ruhig. Alle Köpfe ruckten zu ihm herum.
»Dann eben gar nicht!«, erwiderte Rutland klirrend.
»Hast du einen Plan, Clay?«, rief Joana hoffnungsvoll.
»Ich glaube ja.« Clay wandte sich an Slaughter. »Sind genug Pferde für zwei Kutschengespanne da?«
Slaughter starrte ihn feindselig an, nickte aber schließlich.
»Und Schießpulver?«
»Ein ganzes Fass voll.«
»Dann könnte es klappen.«
Rutland sagte bissig: »Wenn Sie Ihrem Zeitungsschreiber zu einer neuen haarsträubenden Story über den ,Sieger vom Moberty Creek‘ verhelfen wollen, meinetwegen. Aber nicht auf Kosten unserer Sicherheit! Da verrechnen Sie sich, Lorman!«
»Und wenn Sie hier nicht im hohen Bogen rausfliegen wollen, dann halten Sie lieber die Klappe!«, ergriff Clinton überraschend für Clay Partei. »Sie können ja hierbleiben und warten, bis Hilfe kommt. Ich fürchte nur, Sie werden nicht alt dabei. Der Mann, den Sie nach Julesburg geschickt haben, ist jedenfalls tot. Also, lass hören, Clay, was du vorhast!«
In dieser Minute hätte niemand vermutet, dass sie Todfeinde waren. Der Wille, am Leben zu bleiben, schweißte sie erneut zusammen. Kühl und leidenschaftslos erklärte Clay seinen Plan. Er bezweifelte nicht, dass ein Ausbruch zur offenen Prärie unmöglich war. Auch die Trauerzeremonien für ihren toten Anführer würden die Cheyennes in diesem Fall nicht daran hindern, von allen Seiten über sie herzufallen.
Es war lange Zeit trocken gewesen. Der Wasserstand war nach dem Regen zwar so hoch, dass er einen Angriff der Cheyennes von dort gestoppt hätte, aber mit etwas Glück mussten sie mit der Kutsche durchkommen. Voraussetzung war, dass sie, von den Indianern unbemerkt, eine Lücke in die Palisadenwand brachen.
»Es wird auch danach nicht ohne Lärm und Peitschengeknall abgehen«, warf Clinton ein. »Sie werden uns hören.«
»Deshalb die zweite Kutsche. Wir spannen die weniger guten Pferde vor, stellen Slaughters Schießpulverfass mit einer brennenden Lunte hinein und jagen sie nach Süden auf die Prärie. Sie werden denken, wir brechen durch. Dann wird die Hölle los sein. Inzwischen müssen wir auf die andere Seite des Flusses.«
»Toll!«, rief Scobey begeistert. »Ich wusste ja, dass es sich lohnt, Ihnen nachzureiten, Lorman! Das wird die Geschichte des Jahres!«
»Der Teufel wird sich kranklachen, wenn Sie sie ihm demnächst erzählen«, knurrte Rutland. »Glauben Sie im Ernst, die Cheyennes fallen darauf herein?«
»Wir haben keine Wahl«, sagte Clay beherrscht. »In dieser Ecke von Nebraska wimmelt es nun mal von Kriegsbanden der Cheyennes. Die Burschen da draußen müssen bestimmt nicht lange auf Verstärkung warten. Wenn wir dann noch hier sind, können wir nur mehr beten.«
»Ich bin dafür, abzuhauen!«, krächzte Bancroft.
»Wer hat Sie denn gefragt?«, fuhr Rutland ihn an. Herausfordernd schaute er sich um. »Begreift ihr denn nicht, um was es Lorman in Wirklichkeit geht? Dieser Tintenkleckser hat es sich in den Kopf gesetzt, ihn berühmt zu machen. Aber das gelingt ihm nur, wenn Lorman ihm Taten liefert. Lorman ist entschlossen dazu. Dabei vertraut er auf dasselbe Glück, das ihm damals am Moberty Creek zum Sieg verholfen hat. Mit Vernunft hat das nichts zu tun. Im Gegenteil! Es wäre Wahnsinn, wenn wir ...«
»Irgendwann reißt auch mir die Geduld, Rutland«, warnte Clay ihn.
»Stimmen wir doch ab!«, schlug Clinton schnell vor. »Bancrofts Stimme hast du schon, Clay. Meine bekommst du auch.«
»Rutland hat trotzdem recht, dass es Wahnsinn ist«, murrte Slaughter. »Verdammt will ich sein, wenn ich die Station im Stich lasse! Das gilt auch für Joana.«
»Du irrst, Dave«, widersprach die junge Frau ruhig. »Ich werde mit Clay und Rhett über den Lodgepole Creek gehen.«
Slaughter fuhr so heftig herum, dass er die Whiskyflasche vom Tisch wischte.
»Das wirst du nicht!«
»Ich bin dir aus freiem Willen hierher gefolgt, Dave. Aus freiem Willen werde ich auch wieder gehen, wenn ich es für nötig finde.«
»Schätze, ich mache auch mit«, grinste Mclntosh schief. »Lieber ersaufe ich im Lodgepole Creek als dass ich mich von den Cheyennes an den Marterpfahl binden lasse.«
»Damit sind Sie überstimmt, Rutland«, stellte Clinton gelassen fest. »Auch Ihr Gewehr ändert nichts daran. Clay ist der Boss, bis wir über den Fluss sind. Wann soll’s losgehen, Clay?«
»Am besten gleich. Wir werden mit den Vorbereitungen alle Hände voll zu tun haben.«
Mitternacht war schon vorbei, als das Tor im Palisadenwall knarrend aufschwang. Die Wachfeuer der Cheyennes schimmerten als rote Punkte durch die Dunkelheit. Die Nacht lag wie ein schwarzer Schleier auf dem stillen Land.
»Los!«, schrie Clay und zog den Pferden vor der zweiten Kutsche die Peitsche über. Im Innern des Fahrzeugs sprühte der Funken an der Zündschnur.
Wiehernd stoben die Gäule los. Die Zügel waren um die Seitenlehne des Bocks gewickelt. Außerdem hatte Clay die Idee gehabt, eine in alte Kleidungsstücke gehüllte Strohpuppe auf dem Fahrersitz festzubinden. In der Dunkelheit konnte man sie für einen Mann halten, der das Gespann lenkte. Während die Stagecoach auf die Ebene raste, trieb Clinton das Gespann der Julesburger Postkutsche durch die Bresche in der hinteren Palisadenwand.
Slaughter saß als Beifahrer neben ihm. In der Kutsche waren Joana, Scobey, Bancroft und Rutland. Mclntosh ritt auf seinem starkknochigen Wallach voraus. Clay sprang auf seinen Braunen und schloss sich ihnen an.
Bereits beim ersten Peitschenknall war es auf der Prärie lebendig geworden. Kehlige Rufe schwirrten durcheinander. Aufs Geratewohl abgefeuerte Schüsse peitschten dem weiterbrausenden leeren Fahrzeug entgegen. Clay hängte die zusammengerollte Peitsche übers Sattelhorn und zog die Winchester 66 aus dem Scabbard. Jetzt war es nur mehr eine Frage von Minuten, bis die Liberty Station hinter ihnen in Flammen aufgehen würde. Alles hing davon ab, dass sie bis dahin möglichst viel Abstand zwischen sich und die Indianer brachten. Die Kutsche war schon bis zum Wagenschlag im Wasser, als Clay seinen Braunen in den Fluss lenkte. Die Dunkelheit hatte den voraus reitenden Büffeljäger verschluckt.
Sofort spürte Clay die Strömung. Clinton knallte heftig mit der Peitsche und schrie auf die Pferde ein. Sein Vater hatte vor dem Krieg eine Postlinie betrieben. Von daher verstand Clinton etwas von dem Job. Wenn er jetzt den Schwung nicht nutzte, kam er drüben nicht mehr heraus.
Gurgelnd drang das Wasser in die Kutsche ein. Es reichte den Tieren bis zu den Bäuchen. Clay drehte sich halb. Die Konturen der Palisaden und Dächer begannen hinter ihm zu verschwimmen. Auf der Prärie tobte schrilles Geschrei. Hufe trommelten. Dann, als die Stagecoach mitten im Lodgepole Creek war, gab es einen Donnerknall, der im weiten Umkreis die Erde zittern ließ. Der Himmel südlich der Station war jäh in gleißendes Licht getaucht.
»Fahr zu, Rhett, fahr zu!«, schrie Clay.
Das Krachen hallte nach. Die Schüsse und Schreie waren wie abgeschnitten. Schnaubend stemmten sich die Pferde ins Geschirr.
»Verdammt, wo bleibt ihr denn?«, schrie Mclntosh, der schon am Nordufer war. Buschgruppen ballten sich dort zusammen. Dahinter dehnte sich das Grasland so bretteben wie im Süden.
Der Explosionsblitz war erloschen. Da klaffte plötzlich die Wolkendecke auf. Fahle Helligkeit sickerte durch. Reiter jagten über die Ebene auf das offene Palisadentor zu. Mit wütendem Geheul drangen sie in die verlassene Station ein.
Die Gespannpferde der Concord mühten sich am anderen Ufer empor. Aber die Kutsche saß plötzlich fest. Ihre Hinterräder waren tief im Schlamm eingesunken.
»Hölle und Verdammnis, raus mit euch, raus!«, schrie Clinton verzweifelt. Die Sekunden rasten dahin. Mit jeder wurde ihr Vorsprung geringer.
Scobey, Bancroft, Slaughter und Joana sprangen aus dem Fahrzeug in das hier immer noch hüfthohe Wasser. Slaughter kletterte hastig vom Bock. Gemeinsam stemmten sie sich gegen die Räder und das Heck, während Clinton nochmals mit Peitschengeknall und Schreien die Pferde anfeuerte. Clay kam heran, sprang ab und half ihnen. Die Kutsche bewegte sich ein wenig. Mühsam drehten sich die schlammverklebten Räder. Die Sielen spannten sich zum Zerreißen. Aber da war schon wieder Schluss.
»Mclntosh, zum Teufel, komm her, hilf mit!«, rief Clinton.
Ein Bündel bleiches Mondlicht fiel auf sie. Der Fluss glitzerte und schimmerte. Von Süden, wo die Palisaden wie eine schwere Mauer über dem Ufer standen, kam ein wütender Schrei. Dann blitzte es. Fontänen spritzten hoch.
Joana schrie erschrocken auf. Clay schnellte herum. Mit einem Satz war er bei seinem Pferd und hielt wieder die Winchester in den Fäusten.
»Weiter!«, schrie er. »Versucht es nochmal!«
Drüben kamen sie schon. Ein dichtgedrängter Reiterpulk jagte durch die Lücke im Palisadenzaun in den Fluss. Clay stieß das Gewehr über den Sattel und feuerte. Die beiden vordersten Krieger stürzten von den Pferden. Ein heftiges Durcheinander entstand, das die Nachdrängenden für Sekunden behinderte. Sie schwärmten aus. Pfeile und Kugeln fauchten über den Fluss. Wieder holte Clays Schuss einen federgeschmückten, vom Mond gespenstisch angeleuchteten Krieger aus dem Sattel.
Inzwischen tauchte Mclntosh neben dem steckengebliebenen Fahrzeug auf. Vom Sattel aus griff er in die Kutsche und erwischte Bancrofts Geldkoffer. Slaughter sah es. Mit einem Wutschrei ließ er die Speichen des linken Hinterrads los, zog den Revolver und drückte ab. Doch die nass gewordene Waffe versagte. Mclntosh richtete sich im Sattel auf. Er hielt die Zügel zwischen den Zähnen, den Koffer in der Linken, in der Rechten den Colt. Joanas Aufschrei versank im Krachen des Schusses. Die Kugel stieß den Stationer gegen die Kutsche.
Mit Hackenschlägen lenkte der Büffeljäger seinen Wallach herum. Joana wollte sich an ihm festklammem, doch das Pferd stieß sie um. Da sprang Clinton vom Kutschbock auf den vorbeistampfenden Reiter. Er riss Mclntosh vom Pferd. Beide stürzten ins Wasser. Reiterlos stürmte das Tier in die Nacht davon.
Nach Luft schnappend kam Mclntosh hoch. Er hatte zwar den Sechsschüsser verloren, presste jedoch den geldgefüllten Holzkoffer gierig an sich. Nur weg hier! Das Geld retten!, war alles, was ihn jetzt erfüllte. Doch ebenso besessen war Clinton davon, ihn nicht mit der Beute entkommen zu lassen. Keuchend watete er ihm nach. Mclntosh war schon auf festem Boden, als er ihn kommen hörte, herumfuhr und zum Messer am Gürtel griff. Nicht schnell genug. Clinton knallte ihm den Coltlauf an die Schläfe. Das war auch für einen Bullen wie Mclntosh zu viel. Er stürzte wie ein vom Blitz getroffener Baum.
Das alles dauerte kaum eine halbe Minute. Währenddessen hatte Clay seine Winchester nachgeladen und schickte wieder ein Stakkato von Schüssen über den Fluss. Joana war zu Slaughter gelaufen. Verzweifelt versuchte sie, ihn festzuhalten, als die Beine ihn nicht mehr trugen. Scobey half ihr.
Von den Schüssen und dem Geschrei der Indianer erschreckt, zogen die Pferde nochmals heftig an. Die Kutsche ruckte wieder. Dann kamen langsam die Räder frei. Clinton hatte Mclntosh den Koffer entrissen. Damit war der Rausch verflogen. Er duckte sich unter den Pfeilen und Kugeln, die über den Lodgepole schwirrten. Geistesgegenwärtig griff er wieder nach den schleifenden Zügeln.
»Geschafft!«, schrie er. »Einsteigen, Leute, nichts wie weg hier!« Er zögerte kurz, dann warf er Bancroft den Koffer zu. »Passen Sie nächstes Mal besser darauf auf!« Hastig kletterte er wieder zum Fahrersitz hinauf.
Joana und Scobey zerrten den inzwischen besinnungslosen Stationer in die Kutsche. Von der anderen Seite schwang Bancroft sich herein. Der Zeitungsmann streckte seinen Kopf aus dem Fenster.
»Lorman, Rutland! Wo seid ihr denn?«
Clays Winchester war verstummt. Er war um den Braunen herum und ein Stück zurück in den Fluss gewatet. Das Wasser reichte ihm fast bis zur Brust, als er Rutland erwischte, den die Strömung abzutreiben drohte. Ein Pfeil steckte in der Schulter des Südstaatlers. Geschosse klatschten neben ihm und Clay ins Wasser. Ein halbes Dutzend Cheyennes spornten schreiend und schießend ihre Mustangs im Fluss auf sie zu.
»Hauen Sie ab, Lorman!«, keuchte Rutland mit schmerzverzerrtem Gesicht. »Niemandem ist geholfen, wenn sie uns beide erwischen.«
Clay antwortete nicht. Er musste aufpassen, dass sein Gewehr nicht ins Wasser geriet. Nachdem er einen Arm unter Rutlands Achseln geschoben hatte, hob er es an und jagte blindlings zwei, drei Schüsse über den Fluss.
Sein Brauner war vorausgelaufen. Immer mehr Reiter tauchten drüben bei den Palisaden auf. Ein Pfeilschaft prallte gegen die Winchester. Clays Kugel fällte ein Cheyennepferd. Dann traf er einen Krieger, der fast schon in der Flussmitte war und mit der Lanze zum Wurf ausholte. Rückwärts gehend schleppte Clay den Exmajor mit. Schräg hinter ihm sprang Pat Scobey aus der Kutsche. »Lorman, hierher! Schnell!«
Er hielt eins von den Gewehren, die sie aus der Station mitgenommen hatten. Mündungsfeuer stießen aus dem Lauf, als Scobey entschlossen in den Fluss watete. Er schob sich bis auf gleiche Höhe mit Clay. Trotz der Anstrengung und Gefahr musste Clay grinsen.
»Ich dachte, Sie können nicht mit ’ner Knarre umgehen!«
»Das dachte ich auch!«, krächzte Scobey, kalkweiß im Gesicht. Eine Cheyennekugel hatte seine rechte Wange aufgeschlitzt. Blut lief ihm in den Hemdkragen. Er bemerkte es nicht.
Das wütende Feuer aus den Repetiergewehren trieb die Indianer ans zurückliegende Ufer. Der Riss in der Wolkendecke schloss sich. Das Mondlicht war wie abgeschnitten. Was blieb, war fahle Finsternis. Clay schleppte Rutland zur Postkutsche.
»Mein Pferd, Scobey! Passen Sie auf, dass es nicht wegläuft!« Seine Stimme klang zerrissen vor Anstrengung.
»Warum tun Sie das für mich?«, keuchte Rutland, als Clay ihm in das Fahrzeug half. »Ich hab’ Sie nicht darum gebeten!«
»So dämlich können auch nur Sie daherreden!« Schwankend drehte Clay sich um. »Zum Teufel, was ist mit Mclntosh? Wollt ihr ihn da liegenlassen?«
»Wenn schon!«, rief Clinton ungeduldig. »Er wollte mit Bancrofts Geld türmen. Wenn wir ... Verdammt, ich komm’ ja schon! Du brauchst gar nicht erst mit dem Schießeisen nachzuhelfen, du verrückter Kerl! Aufs Dach mit ihm! Da binden wir ihn fest. Das wird ihm hoffentlich ’ne Lehre sein.«
Die schrillen Skalpschreie der Cheyennes spornten sie zur Eile an. Ein Kriegertrupp jagte flussabwärts, um dort außer Reichweite ihrer Gewehre auf die Nordseite zu kommen. Als die Mustanghufe aus dem Wasser stampften, saß Clay wieder im Sattel und Clinton schwang die Peitsche. Die Pferde streckten sich. Wie ein Geisterfahrzeug, das sich in der Dunkelheit aufzulösen schien, brauste die Stagecoach durch die Nacht davon.