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6.


Im Lehrsaal des Collegium Anatomico-Chirurgicum am Rudolfsbollwerk hatte Medicus Heinrich Johann Meibaum gerade seine Arbeiten beendet. Die Studentenschaft applaudierte lange und anhaltend, dann erhob sich einer nach dem anderen und verließ in angeregtem Gespräch oder auch mit sehr nachdenklicher Miene das ehrwürdige Gebäude, das Herzog Carl I. 1750 gegründet hatte. Das Anatomiegebäude wurde 1767 noch um ein Entbindungshaus erweitert. Viele berühmte Mediziner hatten hier schon geforscht und gelehrt, und Medicus Meibaum gehörte zu den beliebtesten Medizinern bei seinen Studenten. Gerade hatte er seinem Assistenten noch einige Anweisungen gegeben, wie er die Instrumente zu reinigen habe und wollte persönlich den Körper auf dem Tisch zudecken, an dem er während der Vorlesung gearbeitet hatte, als er angesprochen wurde.

„Auf ein Wort, verehrter Herr Medicus“, vernahm er eine angenehme Stimme. Verwundert drehte er sich um und stand dem Grafen von St. Germain gegenüber. Der machte eine höfliche Verbeugung vor dem Wissenschaftler, die von diesem knapp erwidert wurde. „Gestattet, dass ich mich kurz vorstelle. Graf von St. Germain, für einige Zeit bei Hofe tätig, und heute überaus interessierter Zuhörer bei Euren Ausführungen.“

Der Mediziner musterte den gut gekleideten Mann, dessen Alter er nur vage einschätzen konnte. Der Graf von St. Germain zeigte keinerlei Falten in seinem ungeschminkten Gesicht, und wäre da nicht ein gewisser Ernst und eine erhabene Würde in seinem Auftreten, so hätte Meibaum ihn für einen seiner Studenten halten können – wenn auch aus höchsten Kreisen, wie die kostbaren Tuche seines Justaucorps schon bewiesen.

„Sehr erfreut, verehrter Graf – ich bin erstaunt, dass Ihr Euch für meine medizinischen Arbeiten interessiert.“

„Nun, das ist nicht weiter verwunderlich. Ich arbeite schon seit vielen Jahren auf allen Gebieten der Wissenschaften und bemühe mich auf meinen Reisen stets, Neues zu erfahren und mich mit den Gelehrten der Welt auszutauschen.“

„Na, da seid Ihr bei mir nicht am rechten Mann – ich bin nur ein einfacher Medicus“, antwortete Meibaum kurz. Er war ein Mensch, der sich aus den bei Hofe üblichen Schmeicheleien überhaupt nichts machte, ganz im Gegensatz zu dem alten Hofmedicus von Wernesrode, der trotz seines geradezu biblischen Alters noch immer jugendlich gekleidet und geschminkt bei Hof auftrat, und dabei sehr empfindlich war für die feinen Nuancen in der Einhaltung der Etikette.

Graf St. Germain lachte lauthals auf und drückte dem Mediziner kräftig die Hand.

„So bescheiden, verehrter Medicus, aber das kommt Euch nicht zu. Ich habe Eure Schriften über die Bestimmung des Todeszeitpunktes gelesen, Eure Abhandlungen über Gifte und ihre Wirkungen, sowie Eure geradezu genial zu nennende Arbeit über die Behandlung der kompliziertesten Brüche. Ich wäre Euch herzlich verbunden, wenn Ihr für mich einmal ein paar Stunden Zeit aufbringen könntet, damit wir uns austauschen. Hier – meine Karte – ich möchte Euch gern in mein bescheidenes Haus einladen, wann immer Euch der Sinn danach ist.“

Medicus Meibaum warf einen raschen Blick auf die Karte, die mit einer zierlichen Handschrift gefüllt war.

„Oh, man hat Euch das Haus von Madame Branconi überlassen – sehr großzügig.“

Meibaum konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

„In der Tat? Schade, dass ich die Dame nicht mehr persönlich kennenlernen durfte – man berichtet ja wahre Wunderdinge über ihre Schönheit. Nun, das Haus stand ja einige Zeit leer, und so war es wohl mehr eine Verlegenheit, dass mich der Herzog dort einquartierte. – Wie dem auch sei, wir müssen uns unbedingt einmal über Eure Arbeit unterhalten. Ich bin mir sicher, ich habe eine interessante Ergänzung für Euch, gerade in Bezug auf die Untersuchung gewisser Todesumstände.“

Meibaum runzelte die Stirn und sah den Grafen zweifelnd an. „Ihr macht mich sehr neugierig, Herr Graf – darf man fragen, auf was Ihr anspielt?“

„Die Blutgerinnung, verehrter Herr Medicus. Sie ist doch eine wichtige Angelegenheit, will man einigermaßen verlässlich den Todeszeitpunkt festlegen, wenn es sich – beispielsweise – um einen Mord handelt.“

„Zweifellos, das Blut mit seinen Ablagerungen nach dem Herzstillstand gibt uns viele Aufschlüsse anhand der Leichenflecken, die sich schon nach kurzer Zeit unter der Haut bilden.“

„Ganz richtig. Wir beide wissen, wovon wir reden. Und wir wissen auch, dass diese Flecken sich über einen Zeitraum verändern, wenn der Leichnam aufgenommen, transportiert und anderweitig bewegt wurde. Das kann Bedeutung haben im Falle eines Verdächtigen – da stimmt Ihr mir zu?“

„Unbedingt!“

„Nun – was haltet Ihr davon, wenn ich Euch beweise, dass die Blutgerinnung keineswegs ein zuverlässiger Zeitpunkt ist? Dass man durch eine gewisse Kenntnis von Mitteln sogar erreichen kann, dass möglicherweise ein Mörder sogar sein falsches Zeugnis über einen Aufenthalt damit belegen könnte?“

„Was meint Ihr? Ihr verwirrt mich, Graf – ein Mörder sollte die Blutgerinnung bei seinem Opfer verhindern? Wie soll das geschehen, und wie stellt Ihr Euch den Sinn einer solchen Veränderung vor, vorausgesetzt, das gelingt tatsächlich?“

Der Graf hatte sich schon bei seinen letzten Worten leicht abgewandt. Er lächelte dem Mediziner zu und eilte zum Ausgang.

„Auf Bälde, verehrter Medicus, auf Bälde in meinem Palais!“

Mit diesen Worten schloss er die Tür zum Hörsaal hinter sich. Der Medicus sah ihm einen Augenblick verblüfft nach, dann zuckte er die Schultern und wandte sich wieder dem Toten zu.

„Blutgerinnung verzögern? Blödsinn! Und wenn – welcher Mörder hätte ein solches Wissen und die geeigneten Mittel dazu?“

Kopfschüttelnd zog er das Tuch über den Körper auf dem Tisch des Hörsaales. Aus einer Porzellankanne goss er sich Wasser in die Handwaschschale und wusch sich gründlich die Hände.

Neun ungewöhnliche Krimis Juni 2019

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