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2.


Der Besucher hatte erst wenige Minuten im Antichambrierzimmer gewartet und dabei einen eher gleichgültigen Blick auf die Säulen und die Decken geworfen. Was er sah, bestätigte ihn in seinem Vorhaben. Der Braunschweiger Hof hatte nur bescheidene Mittel zur Verfügung. Die Säulen waren zwar durchaus kunstfertig bemalt, konnten aber das geübte Auge des Besuchers nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich eben nur um eine Malerei und nicht um echten Marmor handelte. Auch die sparsame Ausmalung der Zimmerdecken im Schloss, die im Antichambrierzimmer völlig fehlte, zeigte, dass das Herzogtum noch immer seine Geldausgaben gering halten musste.

Zwar förderte Herzog Carl Wilhelm Ferdinand die schönen Künste und vor allem die Wissenschaft am Collegium Carolinum, aber anders als sein stets großzügiger Vater Carl I. achtete er darauf, den Staatshaushalt nicht übermäßig zu strapazieren.

Die nahezu vollkommen leere Staatskasse, die er beim Antritt seiner Regentschaft vorgefunden hatte, füllte sich dank seiner weisen Entscheidung, dem Wunsch des englischen Gesandten nachzukommen. Hatte sein Vater noch starke Bedenken, so drängte ihn der Prinzregent schließlich erfolgreich, in den Subsidienvertrag mit England einzuwilligen, der eine Armee von etwa fünftausendzweihundert Mann zur Unterstützung der englischen Truppen im Aufstand der Kolonisten in Nordamerika aus dem Herzogtum entsandte. Allerdings hatte der alte Herr darauf bestanden, strengste Regeln für die Anwerbung der Soldaten zu erlassen, die bei hohen Strafen das Pressen der Rekruten verhinderte und dazu führte, dass sich überwiegend Ausländer, das heißt, Menschen, die nicht aus dem Herzogtum stammten, zum Dienste im fernen Amerika meldeten.

Dieses Subsidienheer füllte die herzogliche Kasse wieder auf erfreuliche Weise, und Herzog Carl Wilhelm Ferdinand konnte die größten Löcher innerhalb kurzer Zeit schließen.

Auch über diese Verträge wusste der heutige Besucher bestens Bescheid. Er wäre niemals auf die Idee gekommen, einem Herrscher seine Dienste anzubieten, wenn er sich nicht in dessen finanziellen Verhältnissen auskannte. Um seine Unabhängigkeit zu beweisen, kaufte er im Vorfeld seiner Recherchen auch gern einige Schuldscheine auf. Der Mann wirkte auf die anderen Wartenden im Raum ehrfurchtgebietend. Man sprach ohnehin nur im gedämpften Tonfall miteinander, aber niemand wagte es, das Wort an den Fremden direkt zu richten, nachdem er einen eiskalten Blick bei seinem Eintritt in die Runde geworfen hatte. Seine spöttisch verzogene Miene zeigte den bereits seit früher Stunde Versammelten, was dieser edel gekleidete Kavalier von ihnen hielt.

Der Fremde trug ein Justaucorps aus dunkelblauem Samt, dazu Weste und Kniebundhose aus gleichem Material, alles üppig mit Goldblitze bestickt und mit einer gewaltigen, goldglänzenden Knopfreihe besetzt. Seine weißen Seidenstümpfe waren in Knöchelhöhe kunstvoll bestickt, seine Schuhe von erlesener Qualität, die Schuhschnallen schienen wie mit kleinen, funkelnden Diamanten besetzt.

Jetzt blickte er auf, als zwei Kammerdiener die Doppeltür zum Nebensaal öffneten und einer von ihnen mit lauter, wohltönender Stimme ausrief:

„Graf von Saint Germain – der Kammerherr erwartet Euch.“

Der Fremde richtete sich langsam auf und strich dabei an seinen Rockschößen entlang. Mit raschen, federnden Schritten war er an den Wartenden vorbei und verschwand in dem Raum, während die anderen mit langen Hälsen versuchten, einen Blick auf den Kammerherrn zu erhaschen, der am Ende des mit hohen Bücherregalen geschmückten Raumes an einem gewaltigen Schreibtisch saß.

Aber im nächsten Moment schlossen die Diener die Türen bereits wieder, und im Antichambrierzimmer erhoben sich aufgeregte, nur noch Verhalten flüsternde Stimmen über diesen Fremden, der so offensichtlich vor allen anderen bevorzugt wurde.

„Der Graf von St. Germain? Nie gehört!“, stieß ein hagerer Mann mit altmodischer Allongeperücke aus. „Warum wird er so bevorzugt?“

„Sie haben noch nie vom Grafen gehört?“ Neben den Hageren stellte sich nun ein kleines Männchen in einem fast schon schäbig wirkenden Anzug. Einige hatten ihn trotz seines wenig anziehenden Auftrittes ehrfürchtig begrüßt, als er das Antichambrierzimmer betrat. Der hochgelehrte Herr Professor Anselm von Kleistenberg, der seit Jahren am hiesigen Collegium Carolinum lehrte, war vielen längst eine vertraute Gestalt bei Hofe. Der Wissenschaftler legte keinen Wert auf seine Kleidung, bewohnte nur eine einfache Mietwohnung am Bohlweg und hatte eine alte, krumme Magd, die ihm den Haushalt führte.

„Nein, Herr Professor, sollte ich?“, erkundigte sich der Hagere jetzt mit hochgezogenen Augenbrauen.

Der Professor nickte ihm freundlich zu.

„Ich denke schon. Der Mann ist schließlich seit vielen Jahren ein unerschöpflicher Lieferant für die tollsten Geschichten, die über ihn erzählt werden. Auch die Damen am Braunschweiger Hof haben schon von ihm geschwärmt.“

Der Hagere warf einen zweifelnden Blick auf die geschlossene Tür, kurz darauf zuckte er die Schultern.

„Nun, scheint mir ein Schönling zu sein, der seine Wirkung auf gewisse Kreise sicher haben wird, aber dass Sie von dem Menschen wissen, verwundert mich doch.“

„Ach wissen Sie, Herr Sekretarius“, antwortete der Professor achselzuckend, „man hört auch in Gelehrtenkreisen so einiges über den Grafen. Und dass er bei den Damen so beliebt ist, hat er sicher nicht nur seinem blendenden Aussehen zu verdanken. Vielmehr verfügt er zweifellos über ein ungeheures Wissen und hat sich bereits einen Namen gemacht. Insbesondere durch sein Aqua benedetta.“

„Sagten Sie Aqua benedetta? Der Graf von St. Germain hat ein Lebenswasser erfunden? Das ist doch unglaublich, Herr Professor – Sie als hoch geachteter Gelehrter ...“

Der Professor hob leicht die Hand und schnitt dem Hageren das Wort ab.

„Nicht so voreilig, lieber Freund. Die Wissenschaft unserer Zeit entdeckt ständig neue Dinge, die unser bisheriges Wissen über die Geheimnisse der Natur immer wieder infrage stellen. Und der Graf hat tatsächlich irgendein Wunderwässerchen zusammengestellt, dass den Damen – nun, sagen wir, wenn schon nicht ewige Jugend, so doch über lange Zeit eine sehr jugendliche Gesichtshaut verschafft.“

„Und damit handelt der Graf?“

Der Professor lächelte verschmitzt.

„Soweit mir bekannt, verschenkt er es für gewöhnlich an die Damen des Hofes.“

Der Hagere sah ihn verblüfft an, dann starrte er erneut auf die geschlossene Tür zum Kammerherrn, als wäre er in der Lage, sie nur durch die Kraft seines Willens jetzt weit aufzureißen.

Neun ungewöhnliche Krimis Juni 2019

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