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3.


Als der Graf von St. Germain durch die Flügeltür eintrat, verharrte er nicht für einen Moment auf der Schwelle, sondern schritt rasch bis zu dem Schreibtisch. Mit keinem Blick streifte er die Porzellanfiguren auf ihren Stelen, ließ sich weder von den übervollen Buchregalen noch von den kostbaren Teppichen beeindrucken. Vielmehr hatte er diese Dinge alle gleichzeitig wahrgenommen und für sich gespeichert. Als er dem wichtigsten Mann am herzoglichen Hof gegenüberstand, genügte ein Blick in das Gesicht des Kammerherrn, um sich ein Urteil zu bilden. St. Germain war sofort bewusst geworden, dass er diesen Vertrauten des Herzogs kaum mit einer oberflächlichen Demonstration beeindrucken würde. Hier musste mehr und gründlichere Arbeit geleistet werden als bei seiner letzten Tätigkeit in St. Petersburg. Der Graf schmunzelte bei dem Gedanken, sich in dieser eher doch bescheidenen Metropole mit den Gelehrten des Herzogtums zu messen, die sich durch das Collegium Carolinum und das Juleum in Helmstedt einen großen Ruf erworben hatten.

Kammerherr Graf Florian von Osten-Waldeck lächelte seinem Besucher herzlich entgegen und wies ihn mit einer eleganten Handbewegung auf den großen Sessel vor seinem Schreibtisch.

St. Germain verbeugte sich förmlich und nahm dann Platz. Äußerlich machte er einen völlig entspannten Eindruck. Seine eher gleichgültige Miene ließ nichts davon erahnen, was sich hinter der hohen Stirn abspielte. Dank seiner Eigenschaft, auch Dokumente lesen zu können, die für ihn auf dem Kopf standen, hatte er beim Niedersetzen erkannt, dass der Kammerherr ein eng beschriebenes Papier vor sich liegen hatte, das seinen Namen als Überschrift trug.

Der Besucher saß kerzengerade auf dem Sessel, die Hände leicht auf die Lehnen gelegt. Kammerherr Graf Florian von Osten-Waldeck gab einem Diener einen Wink, und gleich darauf stand jeweils eine Tasse mit frisch angerührter Schokolade vor den beiden Männern. Graf St. Germain wartete ab, bis der Kammerherr seine Tasse hob, dann tat er es ihm nach und nahm einen kleinen Schluck. Die kalte Flüssigkeit hatte ein kräftiges Aroma, und offenbar hatte man den Geschmack der Schokolade noch auf angenehme Weise mit Gewürzen verstärkt.

„Aus Wien, eigens für den Braunschweiger Hof hergestellt“, bemerkte der Kammerherr und setzte seine geleerte Tasse wieder auf den Schreibtisch zurück.

„Superb, ganz ohne Frage“, antwortete Graf St. Germain und fuhr sich zur Bestätigung noch einmal mit der Zungenspitze über die Lippen. „Ich stelle fest, verehrter Graf, dass die Braunschweiger sich bestens über ihre Besucher informieren.“

Für einen winzigen Moment wirkte der Kammerherr verblüfft und warf unwillkürlich einen Blick auf das vor ihm liegende Dossier. Gleich darauf sah er seinen Besucher erneut lächelnd an.

„Ihr meint, ich hätte Euren Geschmack getroffen? Verehrter Graf – weit gefehlt. Hoheit selbst schätzt ebenso wie seine Gemahlin die Schokolade mit einem Hauch Muskatnuss gewürzt. Ein Vergnügen, das ich Ihnen höchst selbst bei entsprechenden Gelegenheiten im Schloss Richmond servieren darf.“

Graf St. Germain nickte und zeigte dabei ebenfalls ein leichtes Lächeln in seinem sonst verschlossenen Gesicht. Anders als viele Höflinge hatte der Graf auf Bleiweiß, Schönheitspflaster und ähnliche Modedinge vollkommen verzichtet. Seine Perücke war englisch frisiert, der Schnitt seines Justaucorps’ deutete ebenfalls auf einen englischen Schneider. Seine langen, eleganten Finger waren fast die einer Frau – oder eines Künstlers, wie der Kammerherr für sich feststellte, als sein Besucher erneut die Schokoladentasse hob und sie nun angelegentlich von allen Seiten betrachtete.

„Schade, sehr schade“, bemerkte er schließlich, als er sie auf dem Schreibtisch abstellte.

Der Kammerherr sah ihn nur mit einer hochgezogenen Braue an, und St. Germain verstärkte sein Lächeln.

„Ich meine die Arbeit, die sich der Porzellanmaler gemacht hat. Eine derart künstlerische Ausführung verdient wohl ein besseres Porzellan.“

Jetzt war es an dem Kammerherrn, sich mit einem Lächeln entspannt zurückzulehnen.

„Ihr kommt ohne Umschweife zum Thema, nehme ich an.“

„Nun, ich gehe einmal davon aus, dass ich dem Kammerherrn des Braunschweiger Herzogs nicht unnötig die Zeit stehlen darf. Dem höchsten Beamten bei Hofe und zudem Chef einer eigenen Polizeigruppe glaube ich zudem nichts mehr über meine Person erzählen zu müssen, was er noch nicht weiß.“

Diesmal reagierte der Kammerherr in keiner Weise. Er hielt dem forschenden Blick seines Gegenübers stand und wartete ab.

„Meine bisherigen Arbeiten sind durchaus vielversprechend, und ich bin sicher, dass ich sehr zur Verbesserung der Fürstenbergischen Erzeugnisse beitragen kann.“

„Wir werden sehen. Ihr könnt ab morgen ein Labor am Collegium Carolinum nutzen, ich habe bereits alles mit Professor Anselm von Kleistenberg arrangiert. Er kann Euch sogleich hinüberbringen.“

„Ihr überrascht mich, verehrter Graf von Osten-Waldeck, aber ich sehe, dass Ihr wirklich keine Zeit unnötig verstreichen lasst. Dann ist also alles, wie von mir in meinem Ankündigungsschreiben gewünscht, bereitgestellt?“

Statt einer Antwort nickte der Kammerherr nur leicht.

„Und die weiteren Bedingungen? Die Vergütung meiner Aufwendungen, meine absolute uneingeschränkte Nutzung der Möglichkeiten am Collegium und ...“

„Selbstverständlich alles nach Wunsch, Graf St. Germain. Oder ist Euch in Deutschland lieber der andere Titel – Graf Weldone – bequemer?“

Der Kammerherr hatte sein Wissen um den ebenfalls benutzten Namen des geheimnisvollen Besuchers vollkommen gelassen erwähnt, und sein Gegenüber schmunzelte erneut.

„Ich verbeuge mich vor Eurem Wissen. Nein, auch wenn ich für gewöhnlich in Deutschland meinen zweiten, rechtmäßig ererbten Titel verwende, so möchte ich doch bei Hof als St. Germain eingeführt werden.“

„Nun, das ist ein durchaus verständlicher Wunsch – schließlich verbinden die Damen damit ja auch einiges mehr als mit dem Namen Weldone. Habt Ihr noch Vorräte von Eurem Aqua benedetta oder müssen wir den Empfang auf einen späteren Termin setzen, damit Ihr genügend Zeit für die ausreichende Herstellung einer vernünftigen Menge habt? Seid gewiss, unsere Damen werden Euch allein schon deshalb lieben!“

„Ich würde es nicht wagen, ohne das Lebenselixier bei Hofe zu erscheinen, verehrter Kammerherr.“

„Nun, dann ist ja alles in bester Ordnung. Professor Kleistenberg wartet bereits auf Euch im Antichambrierzimmer.“

Damit betätigte der Kammerherr einen verdeckten Klingelzug, und gleich darauf öffnete sich erneut die Tür zu besagtem Raum. Die Audienz war beendet, Graf St. Germain erhob sich eilig, verbeugte sich kurz und gerade noch angemessen und hatte gleich darauf den Saal verlassen. Der Kammerherr sah ihm lächelnd nach. Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, war jedoch seine heitere Miene einem sehr besorgten Ausdruck gewichen. Erneut warf er einen Blick auf das Dossier und betätigte abermals den Klingelzug.

„Schafft mir Leutnant Oberbeck her, so schnell wie möglich. Ich brauche ihn hier, egal, womit er gerade beschäftigt ist,“, rief er dem Diener zu, der umgehend wortlos das Zimmer verließ, durch die Gänge des Schlosses eilte und ein wenig atemlos die Wachstube der Braunschweiger Jäger gleich am Portikus des Schlosses erreichte.

Er riss ohne Umstände die Tür auf und entdeckte nur zwei Jäger in der grün-roten Montur der Braunschweiger.

„Leutnant Oberbeck?“, rief er ohne weitere Umstände den Männern zu. Er hatte keinerlei Ambitionen, mit den gefürchteten Jägern, die in Braunschweig nach ihrem Einsatz in Nordamerika Polizeiaufgaben übernommen hatten, in näheren Kontakt zu treten. Außerdem kannte man ihn als einen der Leibdiener des Kammerherrn, dem selbst die rauen Jäger einen gewissen Respekt entgegenbrachten. – „Unterwegs in einer Ermittlung!“, antwortete einer der beiden Männer. „Es hat heute Nacht einen Mord gegeben.“

„Der Kammerherr erwartet ihn dringend und ohne jeden Aufschub“, lautete die kurze Antwort.

Einer der Jäger stand auf, stülpte sich den Dreispitz über und folgte dem Diener zu Tür.

„Na, der wird sich freuen. Mitten in der Beweisaufnahme der neuesten Bluttat, und der Herr Kammerherr belieben zu pfeifen. Wir werden sehen, was der Herr Premierleutnant davon hält.“

Der Diener hatte sich wortlos abgewandt und eilte in die Schlossräume zurück, während der Jäger zu den Ställen ging, sein bereits gesatteltes Pferd herausführte und gleich darauf in scharfem Galopp den Bohlweg hinab zum Hagenmarkt unterwegs war. Kopfschüttelnd sahen ihm ein paar Bürger nach, als er auf geradezu halsbrecherische Weise an ihnen vorüberschoss und das Pferd Schmutz und kleine Steine vom Pflaster aufwirbelte.

Der Sturm, der noch in der Nacht heftig gewütet und manches Dach in Mitleidenschaft gezogen hatte, hinterließ auch zahlreiche abgerissene Äste und noch mehr Herbstlaub auf den Straßen. Für einen raschen Ritt auf dem nassen Laub war der Pflasterbelag nicht gerade geeignet, aber dem Jäger schien das nichts auszumachen – und schon gar nicht die verängstigten Menschen, die ihm hastig auswichen.

Neun ungewöhnliche Krimis Juni 2019

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