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10.


Die Glocke von St. Katharinen hatte einmal ausgehoben und einen kräftigen, dumpf über den Hagenmarkt klingenden Ton erzeugt. Überall herrschte tiefe Stille, nur die Stimme des jungen Nachtwächters aus dem Hagen war aus weiter Entfernung zu vernehmen.

Hört, Ihr Herrn, und lasst Euch sagen

unsere Glock' hat eins geschlagen!

Eins ist allein der ewige Gott,

der uns trägt aus aller Not!

Menschen wachen kann nichts nützen

Gott muss wachen, Gott muss schützen

Herr, durch deine Güt´ und Macht

schenk uns eine gute Nacht!

Eine dunkle Gestalt löste sich aus dem tiefen Schatten der kleinen Gasse und überquerte den Hagenmarkt. Als sie die Pforte zu dem Hof erreichte, blieb sie einen Augenblick lauschend stehen, dann öffnete sie die Tür und war gleich darauf im Inneren verschwunden. Der dünne Schein einer Blendlaterne richtete sich auf die Holztür, die zum Hof führte. Die Gestalt zog einen langen, dünnen Gegenstand hervor und machte sich an der Tür zu schaffen. Der hölzerne Riegel, der von innen die Tür verschloss, verursachte nur wenig Mühe. Er konnte angehoben werden, und als die Tür leicht nach innen schwang, verharrte die vermummte Gestalt erneut. Gleich darauf war sie im Haus verschwunden und drückte leise die Tür zu.

Zur Orientierung genügte dem Mann ein kurzer Moment, in dem er den dünnen Strahl der Blendlaterne in den Flur richtete. Er fand sofort die Tür und war mit wenigen Schritten direkt davor. Zu seinem großen Erstaunen ließ sich diesmal die Tür jedoch nicht öffnen. Als er die Klinke behutsam niederdrückte, fand er sie verschlossen. Der Mann griff in seine Tasche und zog einen Haken hervor. Danach richtete er die Laterne auf das Türschloss und probierte den Dietrich aus.

Er bewegte den Dietrich in verschiedene Richtungen und vernahm gleich darauf ein leichtes, knackendes Geräusch. Erneut hielt der Mann inne und lauschte in das stille Haus hinein. Dann öffnete er die Tür nur so weit, dass er sich hineindrücken konnte und schloss sie wieder. Der Schein der Blendlaterne huschte an den Kisten und Fässern entlang, bis er fand, wonach er suchte. Als er den Deckel einer größeren Truhe anhob, gab es ein Geräusch, das ihn in der Stille der Nacht förmlich zusammenzucken ließ. Eine volle Minute wagte er nicht, sich zu rühren, und atmete nur verhalten aus.

Als alles still blieb, öffnete er den Deckel weiter und leuchtete in das Innere. Da – erneut ein leises, kaum vernehmbares Geräusch! Die dunkel gewandete Gestalt löschte den Schein der Blendlaterne vollkommen und verharrte erneut. Kein Zweifel, ein leises, schabendes Geräusch konnte seinem geschulten Ohr nicht entgehen. Aber noch bevor er sich darüber im Klaren war, was es zu bedeuten hatte, wurde er von zwei kräftigen Fäusten am Hals gegriffen. Sein Gegner versuchte, ihm die Luft abzudrücken, und der Mann wehrte sich mit aller Kraft, die ihm zur Verfügung stand. Während seine Hände versuchten, unter die Fäuste zu gelangen und die tödliche Bedrohung von seinem Hals abzuwenden, machte er eine halbe Drehung. Sein Bein stieß gegen ein anderes, und im nächsten Augenblick hatte er seinen Gegner ausgehebelt. Er spürte, wie sich der Griff um seinen Hals erst lockerte, dann war der Druck vollständig verschwunden. Mit dumpfem Keuchen krachte ein Körper auf die Dielenbretter, und der Mann sprang auf seinen Gegner, drückte ihn mit seinem ganzen Gewicht hinunter und hielt ihn fest. Mit einer Hand tastete er nach seiner Blendlaterne, die ihm entfallen, aber nicht erloschen war. Als er den Schieber beiseiteschob und den schmalen Lichtschein auf die Gestalt vor sich richtete, erkannte er seinen Angreifer.

„Ihr? Aber wieso seid Ihr nicht ...“

Weiter konnte der Mann nicht sprechen. Ein Schlag traf seinen Kopf, und noch im Fallen nach vorn spürte er, wie ihn jemand an der Kleidung zurückriss. Verzweifelt fuhren seine Arme herum und griffen ins Leere. Dann spürte er eine kalte Klinge am Hals, und ein Schauder lief ihm den Rücken hinunter, der ihn seine Bemühungen verdoppeln ließ.

Es war vergeblich. Wie eine eiserne Klammer hielten ihn starke Hände fest, und im nächsten Augenblick schoss ihm glühend heiß ein Schmerz durch den Hals, der sein Leben auslöschte. Mit dem Blutschwall, der seinen Atem erstickte, sank er röchelnd auf seinen ersten Gegner zurück. Für einen winzigen Moment herrschte völlige Ruhe in dem Lagerraum. Dann bewegte sich ein Körper, und eine Stimme flüsterte:

„Das war in letzter Minute. Wen haben wir hier erwischt? Ich glaube nicht an einen zufälligen Einbrecher. Durchsuch ihn gründlich, Justus, bevor er aus dem Haus kommt. Du weißt, der Okerarm fließt nur wenige Meter von unserem Haus entfernt. Du musst ihn sofort dort hineinwerfen, hörst du? Leuchte mir hier herüber, damit ich die Kerzen entzünden kann, und dann müssen wir sofort alle Spuren beseitigen, bevor wir unangenehmen Besuch erhalten oder die Alte etwas bemerkt. Mein Gott, befreie mich endlich von diesem Kerl, dieses warme Blut ist einfach widerlich – konntest du ihn nicht später noch aufschlitzen?“

Statt einer Antwort kam wieder nur ein dumpfes, tierähnliches Grunzen. Einen Augenblick später flammte ein Licht auf, und die kleine Kammer enthüllte ihr schreckliches Geheimnis. Zwei Männer waren blutverschmiert, ihr Opfer lag ausgestreckt auf den Dielenbrettern. Eine riesige Blutlache breitete sich stetig aus.

Nur wenig später schleppte eine Gestalt einen Handkarren heran und holte einen Körper aus dem Haus, warf ihn achtlos auf den Karren und schob ihn die kurze Entfernung bis zum Okerarm. Nur einen scheuen Blick warf die Erscheinung über die Schulter, dann kippte sie ihre Last in die leise vorbeirauschende Oker.

Noch einmal sah sich der Mörder um, dann lief er zurück und verschwand im Innenhof eines größeren Anwesens.

Neun ungewöhnliche Krimis Juni 2019

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