Читать книгу Ein Land, in dem der Colt regiert: Western Großband 3 Romane 12/2021 - Pete Hackett - Страница 11
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Der Stallbursche half Ned am Morgen, das Pferd zu satteln und zu zäumen. Ned schnallte seinen Packen, der aus Deckenrolle, dem zusammengerollten Zelt und dem Schlafsack bestand, hinter dem Sattel fest und rammte das Gewehr in den Scabbard. Die Kugel, die er am vergangenen Tag verschossen hatte, hatte er ersetzt.
Auf dem Piston saß wieder ein Zündhütchen.
Wieder alles bereit, dachte er.
Die Welt war nicht so friedlich, wie es die Lehre der Heiligen der Letzten Tage behauptete. Und die Geschehnisse in dieser Stadt bestätigten Ned Browns Ansicht dazu nur.
Man musste sich zu wehren wissen.
Nur dann konnte man in Frieden leben.
Der Beitrag, den fromme Gebete dazu beitrugen, schätzte Ned Brown als relativ gering ein.
Der Stallmann sagte: „Falls du irgendwann im nächsten Jahr wieder nach Westen ziehst und nach Nauvoo kommst, wirst du mich hier nicht mehr antreffen, Fremder. Einer der Prärieschoner dort im Hof gehört mir. Ich bin einer von denen, die sich entschlossen haben, mit Brigham ins gelobte Land zu ziehen.“
„Dann bleibt es mir nur, dir und all den anderen viel Glück auf eurem Trail zu wünschen“, sagte Ned und griff nach dem Kopfgeschirr des Pferdes, um es aus dem Stall zu führen. Doch da waren im Hof plötzlich Stimmen zu hören. Ned zog das Gewehr aus dem Sattelschuh und hielt es mit beiden Händen schräg vor der Brust. Er rechnete mit unliebsamem Besuch und dachte in diesem Zusammenhang an Broderick Carlisle.
Die Gestalten zweier Männer verdunkelten das Stalltor. Eine sonore Stimme erklang: „Wir kommen noch rechtzeitig. Dem Himmel sei Dank.“
„Du kannst das Gewehr wegstecken“, brummte der Stallmann, der sich wieder entspannte. „Das sind Elias und Brigham. Und wie es aussieht, wollen sie zu dir.“
Die beiden kamen in den Stall. „Der Herr sei mit Ihnen, Mister Brown“, grüßte der Mann, der Brigham Young sein musste, denn Elias Naismith war Ned bekannt. „Auch mit dir, Dave.“ Er meinte den Stallmann. „Elias hat mir von Ihnen erzählt, Mister Brown.”
„So?”
„Von Ihrer Heldentat spricht die ganze Stadt. Sie müssen ein sehr mutiger Mann sein.“
„Es geht“, versetzte Ned ahnungsvoll. Die beiden waren nicht von ungefähr in den Mietstall gekommen. Er taxierte Brigham Young und sah einen Mann, ungefähr Mitte vierzig, groß und breitschultrig, mit nackenlangen, gewellten Haaren. Von Young ging etwas aus, das andere in seinen Bann zog. Das spürte Ned mit den geschärften Sinnen des Mountainmans.
„Wir suchen einen Kundschafter“, brachte Young den Grund seiner Vorsprache sogleich auf den Punkt.
„Davon habe ich schon gehört.”
„Elias hat Ihnen ein Angebot unterbreitet.”
„Ich musste es leider ablehnen.”
„Ich wiederhole es, Mister Brown.”
„Hören Sie...”
„Wir zahlen Ihnen für jede Meile, die Sie uns nach Westen führen, zwei Dollar.“
„Das wäre sehr viel Geld“, erwiderte Ned. „Ich muss dieses Angebot allerdings ausschlagen. Wäre es mir nicht so wichtig, zu Hause wieder einmal nach dem Rechten zu sehen, hätte ich den beschwerlichen Weg über hunderte von Meilen nicht angetreten.“ Er hob wie bedauernd die Hände und ließ sie wieder sinken. „Sie müssen sich einen anderen Scout suchen.“
„Wir sind Mormonen, die Heiligen der letzten Tage. Wir sind verpönt und gezwungen, diese Stadt, die wir aufgebaut haben, aufzugeben, um weiterer Verfolgung zu entgehen. Darum werden wir im Umkreis von hundert oder noch mehr Meilen keinen finden, der uns nach Westen führt. Er würde sich dem Hass unserer Verfolger aussetzen und bekäme hier keinen Fuß mehr auf die Erde.“
„Sie wissen das und unterbreiten mir dennoch Ihr Angebot“, versetzte Ned leicht verärgert. „Das zeigt mir, welchen Wert Sie meiner Person zumessen.“
„Sie haben das falsch verstanden, Mister Brown“, entgegnete Brigham Young. „Sie sind nicht aus der Gegend. Wo immer Sie auch leben – nie wird ein Mensch danach fragen, ob Sie irgendwann einmal einen Wagentreck der Mormonen nach Westen geführt haben. Sie können aber auch einer von uns werden. Führen Sie meine Leute zusammen mit mir ins gelobte Land und bleiben Sie bei uns. Wir haben es bisher überall zu Reichtum und Wohlstand gebracht. Warum sollten Sie daran nicht teilhaben?“
„Das Leben, das ich führe, gefällt mir“, entgegnete Ned. „Wenn ich weiß, dass zu Hause alles seine Ordnung hat, kehre ich in den Westen zurück. Ich will wieder Fallen stellen, jagen, mit den Indianern Handel treiben und von der Zivilisation, in der es nur Neid, Missgunst und Hass zu geben scheint, so wenig wie möglich wissen.“
„Ist das Ihr letztes Wort?“, fragte Elias Naismith.
Ned nickte. „Ja. Jedes weitere Wort Ihrerseits wäre zwecklos.“
„Schade“, knurrte Brigham Young. „Na schön, des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Zwingen können wir Sie nicht. Wir wollen Sie auch nicht länger aufhalten.“
Ned führte die Stute aus der wohligen Wärme des Stalls. Die Kälte biss regelrecht in sein Gesicht. Er stempelte den linken Fuß in den Steigbügel, griff mit beiden Händen nach dem Sattelhorn und zog sich mit einem Ruck auf den Pferderücken.
Er verließ Nauvoo und war wieder auf dem Trail.
So sehr er sich auch bemühte, nicht an Sarah zu denken, ihr Bild erschien immer wieder vor seinem inneren Auge. Nie würde er den wehmütigen Blick vergessen, mit dem sie ihn bedachte, als er sich tags zuvor von ihr verabschiedet hatte. Zwischen ihnen war etwas gewesen, eine Verbundenheit, die deutlich zu spüren war.
Vergiss sie!, hämmerte eine Stimme in ihm. Sie gehört dieser Sekte an und es ist ihr nicht gestattet, sich in einen andersgläubigen Mann zu verlieben. Eines Tages wird sie die dritte oder vierte Frau eines reichen Mormonen, und sie wird mit ihrem Leben zufrieden sein. Du bist ein Waldläufer, ein Mountainman. Soll sie mit dir in einem Dougut hausen und wie ein Indianer von dem leben, was die Natur zu bieten hat? Nein, das würde sie nicht wollen, selbst wenn sie es könnte.
*
Eigentlich schade, dass ich ihn nicht wiedersehen werde, dachte Sarah. Sie sah Ned Brown aus der Stadt reiten und blickte ihm nach. Er gehört nicht zu uns, ging es ihr durch den Kopf. Darum könnte er nie ein Mann für dich sein.
Sie atmete tief durch.
Sarah schluckte. Sie fühlte einen Kloß im Hals.
Und sie fühlte, wie ihr der Puls bis zum Hals schlug, so als wäre sie gerannt. Aber sie war nicht gerannt. Sie war einfach nur aufgewühlt - so wie nie zuvor in ihrem Leben.
Auch wenn es nicht sein darf: Dieser Fremde Kerl mit seiner Fellmütze gefällt dir!, ging es ihr durch den Kopf.
Die Art und Weise, wie er sich für sie eingesetzt hatte, imponierte ihr.
Es gefiel ihr.
Er hat mich beschützt, dachte sie.
Ihr Blick war auf den einsamen Reiter gerichtet, der nun die Stadt verließ.
Irgendwie hoffte sie, dass er sich vielleicht noch einmal umdrehte.
Aber das tat er nicht.
Ned Brown blickte nicht zurück.
Nicht zu ihr.
Ich werde von dir träumen, dachte sie. Und ich werde vielleicht noch oft an dich denken. An dich und die Art, wie du mich beschützt hast!
Sarah rechnete in diesem Augenblick nicht damit, ihn je nochmal wiederzusehen.
Doch da sollte sie sich irren.