Читать книгу Ein Land, in dem der Colt regiert: Western Großband 3 Romane 12/2021 - Pete Hackett - Страница 14

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Jeden Tag wurden Probebohrungen auf dem Eis, das den Auswanderern als Brücke über den Mississippi dienen sollte, durchgeführt. Und dann kam der Tag, an dem die Meldung durch das Camp der Mormonen ging: „Das Eis ist dick genug. Dem Aufbruch steht nichts mehr im Weg.“

Man einigte sich, dass Ned mit einem Vorauskommando die Strecke festlegen sowie Versorgungsfarmen, Stützpunkte und Fähren für die nachfolgenden Auswanderer einrichten sollte. Es handelte sich um dreißig Wagen mit insgesamt hundertachtundvierzig Menschen, alles Familien, zu denen keine Kinder – abgesehen von den erwachsenen Abkömmlingen – gehörten. Auch Brigham Young und mehrere seiner Ehefrauen befanden sich bei dem Vorauskommando. Die Kinder verblieben in der Obhut Verwandter.

Der Morgen kam, an dem die dreißig Wagen aufbrachen. Ned ritt auf den zugefrorenen Fluss. In der Nacht hatte es leicht geschneit und das Eis lag unter einer dünnen Schneedecke. Peitschen knallten, raue Rufe erschallten, Pferde wieherten, Ochsen brüllten, die Achsen der Fuhrwerke quietschten in den Naben.

Wie in ein kurzes, stummes Gebet versunken blickte Brigham Young sekundenlang gen Himmel, dann schwang er die Peitsche. Die Ochsen stampften auf das Eis. Das Fuhrwerk neigte sich nach vorn, als die vorderen Räder die niedrige Uferböschung hinunterrollten, und ein Ruck ging durch den Schoner. Ein zweiter Ruck folgte, als auch die hinteren Räder das abschüssige Stück hinunterrumpelten. Das Gefährt ächzte in seinem Aufbau. Schließlich rollten auch die hinteren Räder auf den zugefrorenen Fluss, und Young ließ die Peitsche über den Rücken der vier Zugtiere knallen.

Fuhrwerk um Fuhrwerk folgte. Die Zurückbleibenden winkten den Davonziehenden hinterher und riefen Glückwünsche. Sie sollten in einigen Tagen Abstand folgen.

Der Übergang über den Fluss geschah reibungslos. Auf der anderen Seite nahm sie leicht gewelltes Land auf, das den Tieren, die vor die schweren Fuhrwerke gespannt waren, keine Probleme bereitete. Ein Vorteil war auch, dass der Boden beinhart gefroren war, sodass die Räder nicht einsinken konnten.

Bald waren alle dreißig Prärieschoner auf der anderen Seite versammelt.

Es ging weiter. In kerzengerader Linie nach Westen. Sie schafften an diesem Tag fast zwanzig Meilen. Der Himmel war mit Wolken verhangen, die Sonne war nicht zu sehen. Aber Ned Brown wusste die Richtung auch ohne ihre Hilfe zu bestimmen. Als sich der Tag seinem Ende zuneigte und die Düsternis sich ausbreitete, fuhren sie die Schoner zu einer Wagenburg zusammen. Die Zugtiere wurden ausgeschirrt und in einen Seilcorral getrieben, getränkt und gefüttert. Wasser hatten die Auswanderer in Fässern dabei, Futter für die Tiere in großen Futterkisten. Dafür hatten sie viel von ihrem Hausrat zurücklassen müssen. Nur das Allernotwendigste durfte mitgenommen werden.

Feuer wurden angezündet, eiserne Dreibeine mit großen Wasserkesseln aufgestellt. Nach der Abendmahlzeit rief Brigham Young zur Abendandacht. Alle versammelten sich außerhalb der Wagenburg. Ned gesellte sich nicht hinzu. Er saß auf einer Wagendeichsel und hatte den nachdenklichen Blick nach Westen gerichtet, dachte an seine Zukunft und fragte sich, ob Sarah in ihr eine Rolle spielen würde, ohne dass er der Sekte beitreten musste. Als seine Gedanken bei ihr verweilten, drehte er den Kopf, seine Augen suchten sie zwischen den zur Andacht Versammelten. Er konnte sie nirgends entdecken. Doch nach der Messe sah er sie auf sich zusteuern. „Wo werden Sie schlafen?“, erkundigte sie sich.

„Bei einem der Feuer“, erwiderte er. „Ich besitze ein Zelt und einen Schlafsack. Ich bin das gewöhnt.“

„Stellen Sie Ihr Zelt an unserem Feuer auf“, sagte Sarah. „Ich werde in der Nacht dafür sorgen, dass das Feuer nicht erlischt.“

„Gern“, erwiderte Ned. „Die Einladung, an Ihrem Feuer zu nächtigen, nehme ich dankbar an. Für das Feuer aber werde ich selber sorgen. Sie brauchen Ihren Schlaf, Ma‘am.“

„Nennen Sie mich nicht Ma‘am, Ned. Sagen Sie Sarah zu mir. Ich denke, wir sind uns vertraut genug, um Formalitäten weglassen zu können.“

„In Ordnung, Sarah. Danke für das Angebot, an eurem Feuer schlafen zu dürfen.“

Sie lächelte ihn an und schritt davon.

O verdammt!, durchfuhr es ihn. Sie ruft Gefühle in dir wach, wie du sie nie vorher empfunden hast. Sie muss dir gehören. Doch wäre sie gegebenenfalls bereit, der Sekte den Rücken zu kehren?

Er wollte nicht so recht daran glauben, holte sein Pferd, das ebenfalls versorgt worden war, und führte es zum Fuhrwerk Elias Naismith‘, wo er es anband. Dann legte er Holz in das Feuer, stellte sein Zelt auf und breitete unter der schützenden Plane seinen Schlafsack aus. Er hatte den ganzen Tag im Sattel verbracht, und es dauerte nicht lange, dann schlief er tief und fest.

Bald erloschen die Feuer. Zwei Männer mit Gewehren patrouillierten um die Wagenburg. In den Hügeln heulten Wölfe und Coyoten einen schauerlichen Choral. In die Wagenburg aber war Ruhe eingekehrt. In aller Frühe sollte es weitergehen.

Das Peitschen eines Schusses und Geschrei sorgten dafür, dass Ned aus dem Tiefschlaf gerissen wurde. Da er über die scharfen Instinkte eines Raubtiers verfügte, war er augenblicklich hellwach. Erneut dröhnten Schüsse. Brüllend antworteten die Echos, um schließlich mit geisterhaftem Geflüster zu versickern. Pferdehufe stampften, Gewieher erhob sich, das Stimmendurcheinander nahm an Vehemenz zu.

Ned nahm den Revolvergürtel mit dem Holster und das Gewehr und kroch aus seinem Zelt, legte den Revolvergurt um und prüfte den Sitz des Revolvers. Dann ging er in die Richtung, aus der chaotische Lärm heranschwappte.

Es waren vier Reiter. Sie hielten Revolver in den Fäusten, die sie auf den Pulk der Auswanderer gerichtet hielten. Deutlich konnte Ned den Stahl der Waffen schimmern sehen, denn durch den Schnee, der das ganze Land bedeckte, wurde die Dunkelheit stark gelichtet. Die grollende Stimme eines Mannes war zu hören. Er rief: „Zum letzten Mal! Liefert mir Ned Brown aus. Ich will nur ihn. Ihr könnt von mir aus in das Land ziehen, wo der Pfeffer wächst. Ich warte genau zehn Sekunden. Wenn ihr mir dann nicht zusichert, dass ihr ihn mir übergebt, stirbt einer von euch.“

„Ich bin hier!“, rief Ned und bahnte sich einen Weg durch die Gruppe der Mormonen, die die Schüsse, die Hufschläge, das Gewieher und das Geschrei ebenfalls veranlasst hatten, aus ihren Fuhrwerken zu klettern und nachzusehen, was los war.

Er hielt das Gewehr an der Hüfte, der Lauf war waagrecht noch vorne gerichtet. „Geht zur Seite!“, gebot er den Auswanderern. „Sucht euch Deckung.“

Sie liefen schnell auseinander, und schließlich stand Ned alleine den vier Reitern gegenüber. Er konnte die Gesichter nicht erkennen, doch niemand musste ihm sagen, dass es Broderick Carlisle und drei seiner Anhänger waren, die dem Wagenzug gefolgt waren. Irgendwie musste Carlisle erfahren haben, dass er, Ned, zu dem Treck gestoßen war und als Scout fungierte.

Er war nicht gekommen, um zu verhandeln. Er wollte sich für seine Niederlage im Dezember rächen und Ned eine blutige Rechnung präsentieren. Es war ein ausgesprochen niedriger Beweggrund, der ihn auf die Fährte Neds gehetzt hatte.

„Was wollt ihr von mir?“, fragte Ned.

„Ich habe geschworen, dir das Tor zur Hölle aufzustoßen“, antwortete Carlisle. „Heute ist es soweit.“

„Gut, Carlisle. Worauf wartest du? Fang an.“

Mit dem letzten Wort stieß sich Ned ab, flog durch die Luft und hörte die Revolver der Kerle donnern. Mündungsblitze stießen aus den Läufen. Allerdings hatten die Kerle Ned unterschätzt und sich nicht schnell genug auf das sich jäh verändernde Ziel eingestellt. Ihre Geschosse zogen tiefe Furchen in den gefrorenen Boden und jaulten als Querschläger in die Nacht hinein.

Ned aber feuerte am Boden liegend. Er nahm sich nicht die Mühe, genau zu zielen, sondern jagte seine Schüsse einfach in den Pulk der Reiter und Pferde hinein. Im Knall sah er eines der Tiere niedergehen. Die anderen stiegen erschreckt oder keilten mit den Hufen aus. Trompetendes Gewieher erhob sich. Die Reiter wurden aus den Sätteln gerissen, zwei weitere Pferde gingen nieder, und im Handumdrehen bildete sich ein Knäuel ineinander verkeilter Pferde und Menschenleiber. Zwei der Tiere kamen wieder hoch und flohen in wilder Panik in die Nacht hinein.

Als die Trommel des Gewehres leer war, kam Ned halb hoch, zog den Colt, richtete ihn auf das Durcheinander und spannte den Hahn.

Aber von den vier Kerlen ging keine Gefahr mehr aus. Zwei lagen still am Boden, die beiden anderen wanden sich, stöhnten, röchelten und wimmerten.

Der Lärm war verebbt. Ned erhob sich und ging zu seinen Gegnern hin, ließ jedoch die gebotene Vorsicht nicht außer Acht. „Ihr könnt aus euren Deckungen kommen“, rief er schließlich, als er sich einen Überblick verschafft hatte. „Es ist vorbei.“

Schemenhafte Gestalten lösten sich aus den Schatten der Fuhrwerke oder krochen zwischen den Rädern hervor. Die vier Kerle am Boden wurden umringt. Einige der Männer machten sich daran, sie zu untersuchen. Eine Stimme erklang: „Zwei sind tot, unter ihnen Carlisle. Die anderen beiden sind verwundet. Zwei Pferde haben auch ihr Leben lassen müssen.“

Brigham Youngs Stimme erklang: „Carlisle hat seine gerechte Strafe erhalten. Jesus Christus hat uns Ned Brown geschickt und ihn zu seinem rächenden Arm berufen. Wir verbinden die Verwundeten und lassen sie zurück. Wenn sie es nicht bis Carthage schaffen, ist das die Strafe für ihren Frevel. Gott ist allmächtig! Diese vier Sünder haben seinen Zorn herausgefordert.“

Ned zog sich wieder in sein Zelt zurück. Um die Verwundeten kümmerten sich die Mormonen. Es dauerte eine Weile, bis er den Aufruhr in seinem Innern unter Kontrolle hatte. An tiefen Schlaf war in dieser Nacht nicht mehr zu denken.


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