Читать книгу Ein Land, in dem der Colt regiert: Western Großband 3 Romane 12/2021 - Pete Hackett - Страница 16

Оглавление

9



Ned schaufelte einen Platz für sein Zelt frei. Es war finster und schneite nur noch ganz leicht. Die Nacht war hell, obwohl weder der Mond noch ein Stern am Himmel zu sehen waren. Soweit das Auge reichte, war das Land unter einer dicken Lage Schnee begraben.

Als Elias Naismith kam, hörte Ned zu schaufeln auf, stellte das Blatt der Schaufel auf den Boden, hielt den Stiel mit beiden Händen fest und stützte sich darauf. Die beiden so ungleichen Männer schauten sich durch die Dunkelheit an. Es war ein stummes Duell, in dem der Mann mit den schwächeren Nerven unterliegen musste.

Elias Naismith gab auf und brach das Schweigen, indem er sagte: „Sie sind ein guter Kundschafter, und gegen Ihren Charakter ist ganz sicher auch nichts einzuwenden, Mister Brown.“

„Um mir das zu sagen haben Sie mich doch nicht um dieses Gespräch gebeten, Mister Naismith“, erwiderte Ned. Er verspürte eine leichte Anspannung, denn er ahnte, dass es um ihn und Sarah ging.

Seine Vermutung wurde zur Gewissheit, als Naismith antwortete. „Es gefällt mir nicht, dass Sie meiner Tochter schöne Augen machen.“ Seine Stimme klang wie fernes Grollen. „Sarah kann niemals die Ihre werden. Unser Glaube verbietet es, dass sich eine Frau unserer Glaubensgemeinschaft mit jemandem verbindet, der kein Mormone ist.“

„Ist zwischen einem Mann und einer Frau nicht entscheidend, ob sie sich mögen und sich ein gemeinsames Leben vorstellen können?“, fragte Ned.

„Das gilt nicht für unsere Gemeinschaft. Den Mann, den Sarah heiraten wird, habe ich bereits ausgesucht. Er und ich sind uns einig. Sie wird seine dritte Gattin und sicher sehr glücklich in diesem Verbund.“

„Was sagt Sarah dazu?“, fragte Ned ziemlich bestürzt, geradezu fassungslos. Er wusste ja, dass die Mormonen die Vielehe praktizierten. Dass er jetzt so hautnah mit dieser Sitte konfrontiert wurde, erschütterte den sonst so besonnenen Mann.

Ja, er war in der Tat von dieser Eröffnung betroffen. Denn er hatte sich in Sarah verliebt. Und die Blicke, die sie ihm zuwarf, ließen den Schluss zu, dass er ihr auch nicht egal war. O verdammt!, durchfuhr es ihn siedend heiß, sie ist ein Mensch aus Fleisch und Blut und keine Ware, mit der man handelt. Die Worte Naismith begannen in ihm nachzuhallen. Er und ich sind uns einig ...

Zur Hölle damit!

Er räusperte sich, dann fragte er mit belegter Stimme: „Wer ist der Glückliche?“

„Sein Name ist Jerobeam Jackson. Er ist etwas älter als Sarah, aber er ist immer noch ein Mann in den besten Jahren. Ich warne Sie, Brown: Kommen Sie uns nicht in die Quere. Sie würden es bereuen.“

Neds Frage, was Sarah von seinem Entschluss hielt, sie mit einem Mann, der schon zwei Frauen hatte, zu verehelichen, ignorierte Elias Naismith.

„Kenne ich ihn? Ich meine, gehört er zu dem Zirkel der Männer, die Mister Young bei seinen Entscheidungen beraten?“

„Ja, er gehört dazu. Er ist ein wichtiges Mitglied unserer Gesellschaft; intelligent, arbeitsam, fromm. Sarah wird es gut bei ihm haben.“

„Davon bin ich ganz fest überzeugt“, kam es fast ein wenig ironisch von Ned. Er zuckte mit den Schultern. „In der Gesellschaft, der ich angehöre, entscheiden die Frauen selbst, wen sie heiraten. Bei uns ist auch nur eine Ehegattin zugelassen.“

„Wir bezahlen Sie, daher sollten sie unsere Sitten und Gebräuche, und vor allem unseren Glauben respektieren, Mister Brown.“

„Natürlich. Ich glaube aber nicht, dass mir Ihre Weltanschauung verbietet, zu Sarah höflich, freundlich und zuvorkommend zu sein.“

„Nur in einem gewissen Maße, Mister Brown. Ich hoffe, Sie kennen Ihre Grenzen und denke, dass wir uns verstehen.“

„Sie haben es klar und deutlich zum Ausdruck gebracht“, erwiderte Ned.

„Wir stehen in Ihrer Schuld, Mister Brown“, begann Naismith noch einmal. „Ich bewundere Ihren Mut, Ihre aufrechte Haltung sowie Ihren Kampfgeist. Leider gehören Sie nicht zu uns, sodass unsere Frauen tabu für Sie sind. Halten Sie sich daran, andernfalls kriegen Sie Ärger.“

Er machte kehrt und schritt zu seinem Fuhrwerk. Seine Frau gesellte sich zu ihm, und die beiden redeten aufeinander ein.

Ned begann wieder zu arbeiten. Schließlich stellte er sein Zelt auf, entzündete einen Yard vom Eingang entfernt ein Feuer und holte aus einem der Fuhrwerke genügend Stroh, sodass er sich ein bequemes Lager bereiten konnte. Als Kopfkissen benutzte er seinen Sattel.

In die Wagenburg kehrte Ruhe ein.

Ned wurde vom Schlaf übermannt. Es ging sowieso schon auf den Morgen zu, und eine Mütze voll Schlaf war besser als kein Schlaf. Er war jedoch sofort wieder hellwach, weil er das Gefühl hatte, nicht mehr allein zu sein. Seine Hand zuckte nach dem Gewehr, das neben ihm lag.

„Ned, bist du wach?“, fragte die vertraute Stimme Sarahs.

Der Scout entspannte sich, seine Hand ließ das Gewehr los, er richtete den Oberkörper auf. „Sarah – du?“ Er konnte sie nur schemenhaft wahrnehmen. Aber er hörte sie atmen, und jetzt spürte er sogar ihre Hand auf seiner Schulter. „Dein Vater lässt mich teeren und federn, wenn er erfährt, dass du mitten in der Nacht zu mir ins Zelt gekommen bist“, flüsterte er.

„Weswegen wollte er dich sprechen?“, fragte Sarah, ohne auf seine Wort einzugehen.

„Er hat mir verboten, dir schöne Augen zu machen“, erwiderte Ned. „Denn er hat dich dafür vorgesehen, die dritte Frau eines gewissen Jerobeam Jackson zu werden. Ich soll das akzeptieren, sonst bekomme ich Verdruss.“

Es hörte sich an wie leises Stöhnen, das aus Sarahs Kehle stieg. „Davon weiß ich nichts“, brach es dann über ihre Lippen. „Jerobeam Jackson ist doppelt so alt wie ich, außerdem mag ich ihn nicht. Ich – ich ...“

Sie verstummte. Ihre Hand lag nach wie vor auf seiner Schulter. Ihr Gesicht war nur ein heller Fleck in der Finsternis, die unter der Zeltplane herrschte.

„Warum sprichst du nicht weiter?“, fragte Ned. „Magst du vielleicht einen anderen Mann?“

„Ja, Ned. Es ist ein Mann, den zu lieben mir mein Glaube verbietet. Aber was soll ich tun? Die Stimme meines Herzens ist stärker als die des Verstandes. Der Verstand sagt mir, dass ich diesen Mann nicht lieben darf. Aber da drin ...“

Sie klopfte sich mit der flachen Linken leicht gegen die Brust.

„Wer ist dieser Mann?“, fragte er.

„Du bist dieser Mann“, erwiderte sie schlicht.

„Ich habe es längst bemerkt, dass du mehr für mich empfindest als nur Freundschaft, Sarah“, murmelte Ned, als er ihr Geständnis verarbeitet hatte. „Mir ergeht es nicht anders. Ich habe mich in dich verliebt. Aber es ist eine Liebe, die keine Zukunft hat. Ich werde nie ein Mormone sein, und du bist in die Glaubensgemeinschaft dermaßen integriert, dass du kaum eine Chance hast, gegen den Strom zu schwimmen. Unsere Liebe hat nicht nur keine Zukunft, Sarah, sie würde uns obendrein viel Ärger und Leid bescheren.“

„Ich weiß“, raunte Sarah, „aber ich komme nicht gegen meine Gefühle an. Und jetzt, da ich weiß, dass du mich liebst ...“

Ehe er sich versah, küsste sie ihn, im nächsten Moment jedoch kroch sie behände aus seinem Zelt und er war allein. Er spürte ihren Kuss noch auf den Lippen. Schlaf fand er in dieser Nacht keinen mehr. Sein ganzes Denken drehte sich nur noch um Sarah und den Zwang, den ihr die Sekte auferlegte.

Tagtäglich würde er, bis sie Fort John erreichten, in ihrer Nähe sein. Sie liebten sich, aber zwischen ihnen gab es eine Kluft, die zu überwinden für beide unmöglich sein würde. Nein, diese Liebe hatte keine Zukunft. So hatte er sich ausgedrückt. Er musste Distanz zu Sarah wahren, eine unsichtbare Mauer zwischen ihm und ihr errichten. Ließ er seinen Gefühlen freien Lauf, brachte ihm das nur Verdruss ein.

Er nahm sich vor, dem Rat Elias Naismith zu folgen und die Hände von Sarah zu lassen. Bei Fort John würden sich ihre Wege trennen, und er würde sie irgendwann auch vergessen können.


Ein Land, in dem der Colt regiert: Western Großband 3 Romane 12/2021

Подняться наверх