Читать книгу Ein Land, in dem der Colt regiert: Western Großband 3 Romane 12/2021 - Pete Hackett - Страница 15
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Ehe sie am nächsten Morgen weiterzogen, begab sich Ned zu den verwundeten Männern aus Carthage. Man hatte für sie ein Zelt aufgestellt, ihnen Schlafsäcke zur Verfügung gestellt und ein Feuer angezündet. Ihre Verletzungen waren nicht so schwer, dass sie gehindert gewesen wären, nach Carthage zurückzukehren.
Die Toten waren steif gefroren, ebenso die beiden Pferdekadaver. Die beiden Kerle musterten Ned mit Hass im Blick. Einen von ihnen erkannte jetzt bei Tageslicht Ned wieder. Es war der, dem er im Dezember den Gewehrkolben in den Leib gerammt hatte, als er Sarah zur Hilfe geeilt war. Die tödliche Leidenschaft in den Augen der Männer beeindruckte Ned nicht im Geringsten. Kühl erwiderte er ihre Blicke und sagte: „Versucht die beiden Pferde einzufangen, die in der Nacht getürmt sind. Findet ihr sie nicht, müsst ihr zu Fuß nach Hause gehen. Ihr habt es euch selber zuzuschreiben.“
„Ich gebe dir den Rat, nie wieder in die Gegend von Carthage zu kommen, Brown“, knirschte der Bursche, mit dem Ned vor etwa zwei Monaten schon einmal das Vergnügen hatte.
„Sei dankbar, wenn ich eure Gegend nicht noch einmal aufsuche, Mister. Denn wenn wir uns noch einmal begegnen sollten, werde ich dich nicht nur verwunden.“
Ned sprach es mit aller Entschiedenheit, seine Stimme klirrte regelrecht. Nach dem letzten Wort schwang er herum und ging zu seinem Pferd, saß auf und setzte sich an die Spitze des Wagentrecks.
Sie zogen durch den Süden von Iowa, schafften jeden Tag etwa zwanzig Meilen. „Wenn wir dieses Tempo beibehalten, sind wir in spätestens zwei Wochen am Missouri“, sagte Ned am Morgen des vierten Tages zu Brigham Young.
„Wie sieht es jenseits des Missouri aus?“, fragte Young.
„In Nebraska leben die Omaha. Sie sind mit den Sioux verwandt.“
„Sind sie friedlich?“, fragte Young.
„Normalerweise ja. Sie leben in Dörfern und treiben Ackerbau sowie Viehzucht. Einige Gruppen des Stammes ziehen allerdings als Jäger durch Nebraska. Wenn sich ihnen eine Gelegenheit bietet, Beute zu machen, werden sie auch schon mal zu Räubern.“
„Die Rothäute schrecken oftmals auch vor Mord nicht zurück“, gab Young zu bedenken.
„Ich glaube nicht, dass es eine Gruppe von Omaha-Kriegern wagt, diesen Wagenzug anzugreifen. Das Gelände wird uns größere Probleme bereiten als die Indianer. Es wird zum Missouri hin ziemlich hügelig. Natürlich können wir das Hügelland umgehen, aber das würde einen Umweg von einer Woche oder mehr bedeuten.“
„Wir nehmen den kürzesten Weg“, bestimmte Young. „Am Missouri bauen wir eine Fährstation, damit auch die nachfolgenden Glaubensbrüder mit ihren Familien über den Fluss setzen können.“
Ned ließ sich etwas zurückfallen, bis er sich auf einer Höhe mit dem Fuhrwerk der Naismith‘ befand. Elias Naismith lenkte das Gespann, neben ihm auf dem Bock saß Sarah. Ihre Augen blitzten erfreut. Ihr Vater hingegen schoss Ned einen scharfen Blick zu. Elias Naismith war nicht entgangen, dass sich zwischen seiner Tochter und dem Scout etwas anbahnte, das über Sympathie und Freundschaft hinausging. Es gefiel ihm nicht.
Ned wechselte mit Elias und Sarah ein paar unverbindliche Worte, dann trieb er sein Pferd wieder nach vorne, um vor dem Treck zu reiten. Am Spätnachmittag dieses Tages nahm Ned voll Sorge wahr, dass sich im Westen ein unheilvoller Horizont auftürmte. Die Wolken hatten sich zu formlosen, tiefdunklen Bergen zusammengefaltet und wurden von einem ungeheuren Sturm herangetrieben.
Ned wartete, bis ihn Brigham Young mit seinem Fuhrwerk eingeholt hatte. „Haben Sie schon mal nach Westen geschaut?“, rief er dem Sektenführer zu.
„Natürlich“, erwiderte Brigham Young. „Wir können nur hoffen, dass es kein ausgewachsener Blizzard ist, der sich da zusammenbraut.“
Ned nickte. Es war in der Tat nicht auszuschließen, dass sich weit entfernt im Westen lautlos und unheimlich die Hölle eines Blizzards anbahnte. Der Scout sagte: „Es wird sowieso bald düster. Ich denke, wir bleiben hier und fahren die Fuhrwerke zusammen. Sie bieten uns etwas Schutz vor dem Sturm.“
Young war einverstanden. Auch er wusste die Zeichen der Natur zu deuten. Die entsprechenden Befehle wurden gerufen und setzten sich nach hinten fort. Brigham Young hatte das Fuhrwerk angehalten, die anderen Schoner fuhren zu einem großen Kreis auf, in den das Vieh getrieben wurde. Zwischen den Wagen wurden Seile gespannt, damit die Tiere während des Sturms nicht fliehen konnten.
Es dauerte seine Zeit, bis die Zugtiere ausgeschirrt und ebenfalls in der Wagenburg in Sicherheit gebracht worden waren. Sorgenvoll schaute Ned immer wieder nach Westen. Während es dort stockfinster war, hatte sich über der Wagenburg der Himmel hell verfärbt.
Ein verheerender Sturm peitschte die schwarzen Wolkenberge nach Osten, über die Hügel strich ein ferner Pfeifton heran.
Rund um die Wagenburg und zwischen den Fuhrwerken war die Luft völlig unbewegt. Nichts regte sich, die Stille und das Grau der Atmosphäre lastete bleiern über dem Land. Die Luft schien mit Elektrizität geladen zu sein. Zwischen den Hügeln war es düster. Seit Minuten nahm die Kälte ständig zu und biss regelrecht in die Gesichter der Menschen.
Der wolkenverhangene Himmel, das düstere Grau, das alles einhüllte, die Reglosigkeit der Hügel, diese Ruhe vor dem Sturm – das alles wirkte unheimlich und bedrückend auf die Auswanderer.
Das Unwetter näherte sich schnell. Das Pfeifen war lauter und schriller geworden und ging schließlich in ein unheimliches, durchdringendes Heulen über, das weiterhin anschwoll.
Spätestens jetzt wurde allen klar, dass das kein einfacher Schneesturm war sondern ein mörderischer Blizzard, den der Sturmwind unaufhaltsam herantrieb. Schon von Weitem glaubte Ned die Wand aus Schnee und Eiskristallen, die er herantrug, erkennen zu können.
Schließlich war der Blizzard da. Es gab keinen allmählichen Übergang von der Reglosigkeit in das Toben des Unwetters, und es dauerte nicht länger als einige Herzschläge, und alles hatte sich in eine weiße Hölle verwandelt. Wind und Schnee fanden einen Weg zwischen die Fuhrwerke, rüttelten an ihnen und ließen die Planen knatternd schlagen.
Ned war unter das Fuhrwerk Elias Naismith gekrochen. Sein Pferd hatte er an einem der Räder angeleint. Die Kälte stach in seinen Lungen und legte sich auf ihn wie ein Eispanzer, kroch von den Beinen herauf in seinen Körper, und brannte auf seinem Gesicht.
Der Sturmwind heulte wie ein hungriger Wolf zwischen den Prärieschonern und wirbelte den Schnee, der am Boden lag, in die Höhe. Das Knarren der Wagenaufbauten mischte sich in den Lärm, den der Blizzard produzierte. Die Sichtweite betrug keine fünf Schritte mehr.
Stundenlang fegte der Blizzard mit ungebrochener Kraft wie ein wildes Ungeheuer über das Land und trieb eine weiße Wand aus Schnee vor sich her, die alles unter sich begrub. Immer neue Schneemassen jagte er über die Hügel heran. Der Schnee wirbelte so dicht, dass man fast die Hand vor den Augen nicht mehr erkennen konnte. Ächzend und knarrend bogen sich die Bäume im Wüten der Elemente, mehr und mehr entfaltete der Blizzard seine volle, vernichtende Kraft. In immer neuen eisigen Böen peitschte er vernichtende Wogen von Schnee über das Land, und wehe dem, der diesem Wüten schutzlos ausgeliefert war.
Und in das Wüten des Sturms hatte sich die Nacht gesenkt. Erst nach Mitternacht flaute das Unwetter ab. Es schneite noch immer. Große, schwere Flocken fielen wie ein weißer Vorhang vom Himmel. Nach dem Jaulen und Orgeln des Sturms wirkte die Stille unecht, fast gespenstisch. Schneewehen türmten sich an und zwischen den Fuhrwerken auf.
An Schlaf war nicht zu denken gewesen. Ned kroch unter dem Fuhrwerk hervor und schüttelte den Schnee ab, den der Blizzard auf ihn gehäuft hatte. Auf den Rücken und Köpfen der Tiere in der Wagenburg lagen dicke Schneeschichten. Nach und nach kamen auch die Auswanderer unter den Planen ihrer Wagen hervor. Einige der Männer, es handelte sich um die engeren Vertrauten Brigham Youngs, zu denen auch Elias Naismith gehörte, hatten sich beim Schoner des Sektenführers eingefunden. Auch Ned gesellte sich zu ihnen.
„Der viele Schnee wird ein derart schnelles Vorwärtskommen wie in den vergangenen Tagen unmöglich machen“, sagte er. „Wir haben natürlich die Möglichkeit, hier zu bleiben und die Schneeschmelze abzuwarten.“
„Eine Art Winterquartier“, knurrte Young und schaute in die Runde. „Was haltet ihr davon?“
„Wir sollten versuchen, weiterzuziehen“, antwortete einer.
Die anderen nickten.
„Ich denke, die Entscheidung ist einstimmig“, wandte sich Young an Ned. „Wenn wir auch nur noch langsamer trailen können – wichtig ist, dass wir überhaupt vorankommen.“
„Es wird strapaziös“, warnte Ned.
„Das nehmen wir in Kauf“, versetzte Naismith. „Ich würde nachher gerne mit Ihnen ein kurzes Gespräch führen, Mister Brown“, fügte er hinzu. „Es ist eine persönliche Sache. Es gibt etwas klarzustellen.“
„Ich stehe Ihnen zur Verfügung“, erklärte Ned ahnungsvoll.