Читать книгу Entführung in eine bessere Zukunft - Peter Giesecke - Страница 10

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Jörg wachte auf, als es schon lange hell war. Er und Sue hielten sich noch genau so umschlungen wie in dem Moment, als sie eingeschlafen waren.

Er fühlte ihren Oberschenkel zwischen seinen Beinen. Die Berührung ging nicht spurlos an ihm vorbei, er verstärkte den Druck. Ihm tat noch alles weh, aber das war im Moment vergessen, er genoss das Gefühl ihrer intimen Nähe. Sue erwachte und blickte ihn an.

„Entschuldige!“

Sie sah ihn einen Moment verständnislos an, dann lächelte sie und erwiderte den Druck. „Bitte bleib noch einen Moment so, ich fühle mich so unbeschwert, wie lange nicht mehr, ich könnte ewig so mit dir liegen bleiben.“

Zehn Minuten später beschlossen sie aufzustehen. Die anderen saßen draußen und schauten sie stumm an. Dann bemerkten sie seinen Zustand. Ben fuhr von seinem Stuhl hoch und ging auf ihn zu.

„Was um Gottes willen ist mit dir passiert, du siehst aus, als wenn du einen schlimmen Autounfall erlebt hättest.“

Jörg setzte sich, Sue blieb neben ihm stehen, bereit ihn zu stützen, falls er umkippen würde. „Gebt mir einige Minuten mich zu sammeln, ich habe große Lust auf einen Kaffee.“

Mit einem Becher Kaffee in der Hand fing er an zu erzählen, erst stockend und dann immer schneller. Er berichtete von seiner Ankunft an der Küste und wie ihn der Taifun überrascht hatte. Als er beschrieb, wie er in das reißende Gewässer abgestürzt war, schluchze Sue laut auf. „Ich hatte Glück und konnte mich etwas weiter unten ans rechte Ufer retten. Und was jetzt kommt, werdet ihr nicht glauben.“

Nachdem er mit seiner Schilderung fertig war, sah er in zweifelnde Gesichter. Ben fragte zweifelnd: „Bist du sicher, das nicht nur geträumt zu haben, du bist vielleicht vor Erschöpfung eingeschlafen, und nach deinem Erlebnis wäre ein Alptraum doch das natürlichste von der Welt.“

Jörg dachte kurz nach, dann sagte er mit Bestimmtheit: „Nein, auf keinen Fall, dazu ist die Erinnerung zu deutlich. Ich erinnere mich an jedes einzelne Detail, als wenn es gerade passiert wäre, wäre es ein Traum gewesen, wäre die Erinnerung schon nach einigen Minuten verflogen.“

„Aber was hat das zu bedeuten?“, fragte Kes .

„Das kann ich auch nicht sagen, im ersten Moment hatte ich geglaubt, auf das Versteck unserer Bewacher gestoßen zu sein, aber das können wir nach dem weiteren Ablauf der Ereignisse mit Sicherheit ausschließen.“

Pierre griff in die Diskussion ein: „Also gibt es noch eine zweite Gruppe, denen es genauso geht wie uns.“

Jörg stimmte ihm zu. „Davon gehe ich auch aus. Es wäre ungemein wichtig, mit ihnen in Kontakt zu treten.“

Ben stand auf. „Darüber reden wir später, jetzt werde ich mich erst mal um deine Verletzungen kümmern, Sue wird mir bestimmt gern assistieren.“

Es gab einen Medizinschrank, der erstaunlich gut ausgestattet war: Mullbinden, Pflaster, Salben, Durchfallmittel und sogar Tabletten zur Malariaprophylaxe. Jörg schaute Ben fragend an.

„Die haben wir nie genommen, die Nebenwirkungen sind unverhältnismäßig stark, besser man achtet darauf, erst gar nicht gestochen zu werden.“

Ben erwies sich als ein sachkundiger Sanitäter. „Das Schlimmste sind deine Kopfverletzung und dein geprelltes Knie. Deine Kopfwunde ist inzwischen verschorft und wir machen am besten gar nichts. Ich binde dir eine Mullbinde um, damit du dich nicht aufkratzt. Zieh dich aus.“

Er blickte auf Sue, aber sie zuckte nur mit der Schulter und nickte aufmunternd. „Du hast einige Abschürfungen, aber die sind nicht ernsthaft und werden schnell ausheilen. Sue wird auf die betroffenen Stellen eine kühlende Heilsalbe auftragen. Die Kniescheibe deines Knies ist unverletzt, es ist offenbar nur eine schmerzhafte Prellung. Ich habe ein Kühlspray gefunden, das du ab und zu verwenden solltest, ansonsten würde ich das Bein einfach ruhigstellen und hochlegen.“

Jörg ließ die Behandlung über sich ergehen und legte sich draußen in den Schatten. Sue setzte sich neben ihn und die anderen besprachen die neue Situation.

Jörg analysierte. „Wir können mit Sicherheit davon ausgehen, dass es ihnen ähnlich wie uns geht. Aber wir wissen nicht, ob sie mit ihnen dasselbe vorhaben wie mit uns. Warum halten sie uns getrennt? Wer sind sie? Und wie viele?“

Fragen über Fragen. Sie kamen überein, dass man ihnen unbedingt einen Besuch abstatten müsste. Pierre bot sich an: „Ich bin der Jüngste und wahrscheinlich auch der Kräftigste und Schnellste.“

Kes wandte ein: „Aber du kennst den Weg nicht!“

„Jörg kann ihn mir beschreiben.“

„Wie denn, es gibt keine markanten Punkte und es ist halb dunkel.“

„Ich würde zuerst versuchen, den Bergkamm zu erreichen!“

„Selbst wenn du ihn findest, es gibt keine Zweige, die dir den Weg zur Lichtung zeigen.“

„Jörg hat sie auch gefunden!“

„Aber das war reiner Zufall.“

Die Diskussion stoppte. Alle blickten auf Jörg. Sue griff ein: „Das geht auf keinen Fall, sein Knie braucht Ruhe, das hast du selbst gesagt, Ben.“

Ben nickte. „Wir müssen abwarten.“

Am nächsten Tag fühlte Jörg sich entscheidend besser. Er hatte den halben Nachmittag und die ganze Nacht durchgeschlafen, diesmal wieder in seinem Bett. Sue und er wollten die anderen nicht provozieren. Zum Frühstück verkündete er: „Ich bin bereit, wenn mich Pierre begleitet und stützt, schaffe ich es zumindest bis in die Nähe. Sobald die Lichtung erreicht ist, zeige ich ihm den Baum, an dem man den Draht überquert, ich werde dann zurückbleiben und mich ausruhen, bis er wiederkommt.“

Sie stimmten zögernd zu. Jörg ging wieder ins Haus, um eine verbesserte Karte anzufertigen. Er hatte gerade den Bachlauf eingezeichnet, als er draußen fremde Stimmen hörte.

„Wo ist euer fünfter Mann?“

Jörg humpelte ins Freie. Was er sah, verschlug ihm die Sprache. Vor ihm stand Osama bin Laden. Er schaute zu seinen Kameraden: „Aber der ist doch tot!“

Der Fremde wurde von zwei Wächtern begleitet, die im Hintergrund mit entsicherten Maschinenpistolen auf sie zielten, zwischen ihnen stand eine weitere Person mit einem Aktenkoffer. Der Mann, der wie bin Laden aussah, ignorierte seine Bemerkung.

„Was ist mit Ihnen passiert, haben Sie mit jemand gekämpft?“ Seine Stimme war ruhig, aber bestimmt, er verfügte offenbar über eine gute Selbstbeherrschung.

Jörg versuchte eine Erklärung. „Ich bin gelaufen und unglücklich gefallen.“

„Ziehen Sie Ihr Hemd aus!“ Er betrachtete die Abschürfungen und rief den Wachen einen Befehl zu, die unverzüglich nähertraten und die Gewehre auf seinen Kopf richteten.

„Ihr Ungläubigen seid alle erbärmliche Lügner, aber Sie sind auch ein schlechter Lügner. Sie haben nur eine einzige Chance, dies zu überleben. Sie sagen mir jetzt die volle Wahrheit, ein Zweifel von mir und Sie sind tot.“

Sue schrie auf, die anderen blickten zu Boden. Jörg hatte keine Chance. Er berichtete von seinem Ausflug in allen Einzelheiten, wie er entlang der Bergkette gegangen war, wie er die Küste erreicht und ihn der Taifun überrascht hatte, wie er auf dem Rückweg auf den reißenden Bach gestoßen und bei dem Versuch, ihn zu überqueren, hineingefallen war und wie er sich schließlich ans Ufer gerettet hatte.

„Wie sind sie zurückgekommen?“

„Ich hatte mir ein Bein aufgeschlagen und mir deshalb eine Krücke gefertigt. Dann bin ich, so schnell ich konnte, zurückgehumpelt.“

„Was ist auf dem Rückweg passiert?“

„Nichts Besonderes, ich bin häufig gestolpert, aber ich wollte so schnell wie möglich ins Camp, ich hatte Angst, ein neuer Taifunausläufer könnte kommen und ich die Orientierung verlieren.“

„Wie weit war die Stelle, wo Sie ans Ufer gingen, vom Bergkamm entfernt?“

„Das weiß ich nicht, aber ich konnte ihn schwach in der Ferne erkennen. Ich habe deshalb einen Winkel von fünfundvierzig Grad eingeschlagen, um abzukürzen. Am Ende des Kamms angekommen, kannte ich den Weg wieder und ging auf gerader Strecke zurück.“

Bin Laden sah ihn durchdringend an. „War das Ihr einziger Ausflug?“

„Nein, ich war insgesamt fünfmal unterwegs, immer nachts.“

„Was wollten Sie mit Ihren Ausflügen erreichen?“

„Ich wollte mir einen Überblick über die örtlichen Verhältnisse verschaffen, meine Hoffnung war, dass wir vielleicht auf dem Festland oder einer Halbinsel sind. Dann hätten wir vielleicht einen Weg gefunden, um zu fliehen.“

„Was war das Ergebnis Ihrer Nachforschungen?“

„Es handelt sich um eine Insel, ich habe eine provisorische Karte angefertigt.“

Bin Laden schien mit einmal wie elektrisiert. „Zeigen Sie mir die Karte.“

Sue und die anderen erstarrten, sie ahnten, was das bedeutete. Jörg holte die Karte und übergab sie dem Mann. Der zeigte die Karte den Wächtern, sie warfen einen kurzen Blick darauf und nickten. Alle warteten auf die Exekution, Sue sank ohnmächtig zu Boden. Jörg war seltsam ruhig. Hatte er mit dem Leben abgeschlossen?

Bin Laden bestätigte. „Die Karte hat ziemlich exakte Entfernungsangaben, wie haben Sie die herausgefunden und wie haben Sie sich in der Dunkelheit überhaupt orientieren können?“

Jörg beschrieb ihm sein Verfahren in allen Einzelheiten, die Situation war unwirklich, es klang beinah wie ein Gespräch unter Bekannten.

„Wo haben Sie das gelernt?“

„So etwas lernt man nicht, man hat ein Problem, sucht nach vorhandenen Hilfsmitteln, und improvisiert.“

Bin Laden erschien mit einem Mal hochzufrieden. „Diese Fähigkeit werden Sie in den nächsten Monaten gut brauchen können, ich werde Ihnen jetzt mitteilen, warum Sie hier sind.“

Alle waren jetzt auf Höchste gespannt. Der Mann winkte einen Wächter zu sich und öffnete den Koffer. „Ich habe hier Unterlagen, die wir aus dem Internet heruntergeladen haben. Es handelt sich um allgemeine Informationen über die Funktionsweise eines atomaren Sprengkörpers. Die Beschreibungen sind teilweise sehr detailliert, aber es gibt nirgends eine exakte Konstruktionszeichnung und natürlich auch keine Detailzeichnungen. Sie sind ein Team, das über alle Fähigkeiten verfügt, die erforderlichen Konstruktionspläne anzufertigen.“

„Sie erwarten wirklich von uns, dass wir Ihnen eine Atombombe bauen?“, fragte Ben.

„Nicht nur eine, wir benötigen fünf.“

„Das werden wir nie tun, lieber lassen wir uns erschießen“, sagte Ben bestimmt.

Die anderen nickten. Bin Laden war nicht im Geringsten beeindruckt. Er stellte sich vor Ben und sah ihm durchdringend in die Augen. „Sie leben mit Ihrer Frau Louisa in Greenville, Lincolnroad 21. Ihr habt eine Tochter Maggie und einen Sohn Jonas. Eure Tochter hat einen kleinen Sohn, den sie jeden Morgen mit dem Wagen um neun zum Kindergarten bringt. Auf dem Weg dorthin ist eine Ampel, an der sie halten muss. Dort hält dann auch ein Motorradfahrer, er ist ein ausgezeichneter Schütze.“ Ben erbleichte und brach zusammen.

Bin Laden wandte sich an Sue. „Ihr Vater lebt in Singapur in der Orchadroad 57. Das Haus und auch seine Firma sind gut bewacht, aber Ihr Vater geht jeden Morgen um sieben Uhr zu dem chinesischen Tempel am Hafen, um für Sie zu beten. Wir haben unter dem Schrein eine kleine Sprengladung deponiert, die Fernzündung stammt aus Ihrer Fertigung.“ Sue schrie auf.

Jörg unterbrach ihn: „Hören Sie auf, wir haben verstanden.“

„Sie werden also die Bomben bauen?“ Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. Jörg schaute in die Runde und hob die Hand, alle folgten seinem Beispiel. „Ja.“

Nauroth und Schäfer waren auf dem Weg nach Kuala Lumpur. Nauroth hatte vorgeschlagen, die Bahn zu nehmen, das dauerte zwar länger als fliegen, aber er fand Schäfer sehr sympathisch und wollte ihn näher kennenlernen. Für einen Außendienstmitarbeiter waren gute Kontakte in die Stammfirma extrem wichtig, besonders wenn es sich um einen so kompetenten Mitarbeiter handelte. Schäfer genoss die Fahrt, der Wagen erinnerte ihn an den Orient-Express. Der Auftrag von Mannesmann war so gut wie in der Tasche. Es war kein großer Betrag, aber sie bekamen im Anschluss sicherlich auch wesentlich größere Aufträge, da war es gut, sie bei Laune zu halten.

Nauroth fragte: „Kannst du schon einen Preis nennen?“

„Gib mir eine Stunde, ich muss erst eine Fehlerrechnung machen, um die erforderliche Genauigkeit für die Kraftsensoren festlegen zu können. Das Übrige ist reine Addition, überleg dir schon mal die Gewinnspanne.“

Den Rest der Fahrt plauderten sie entspannt und betrachteten die vorbeiziehende Landschaft.

„Wie ist die Lage im guten alten Europa?“, fragte Nauroth.

„Angespannt, die EU ist kurz vor dem Auseinanderfliegen.“

„Die Flüchtlingskrise nehme ich an, in unserer Region wird darüber allerdings nur am Rande berichtet.“

„Sie ist weit weg von euch, aber so schien es uns vor einigen Jahren auch. Habt ihr nicht eine ähnliche Situation mit Miramar?“

„Ja, aber in viel kleinerem Maßstab. Ich hätte nie gedacht, dass fromme buddhistische Mönche zu solchen Gräueltaten gegenüber der muslimischen Bevölkerung fähig sind.“

„Dann müsste doch gerade Malaysia diese Flüchtlinge aufnehmen.“

„Es ist wie bei euch, jedes Land schiebt dem anderen die Probleme zu. Deutschland ist hier zurzeit die einzige rühmliche Ausnahme, aber ich finde, ihr übertreibt.“

„Das findet die Mehrzahl unserer Bevölkerung inzwischen auch. Wir stehen immer noch hinter der Entscheidung Merkels, die Grenzen in einer absoluten Notsituation zu öffnen. Aber die folgenden Signale waren katastrophal, die Kanzlerin hat den Eindruck erweckt, dass wir geradezu auf die Flüchtlinge warten. Merkel vermittelte das Bild, alle sind willkommen und für alle gibt es Arbeit und Wohlstand, so ist es jedenfalls auch in den Flüchtlingslagern angekommen. Die Folge war, dass viele Familien ein junges männliches Mitglied losschickte, dazu wurde alles verkauft, was irgendwie von Wert ist. Das Geld war für die Schlepper bestimmt, die die Zukunft in Deutschland in rosigen Farben schilderten. Die Flüchtlinge glauben ihnen, weil sie es glauben wollen.“

„Was hätte Merkel anders machen können?“, hakte Nauroth nach.

„Sie hätte klar machen müssen, dass die Öffnung der Grenze nur für eine begrenzte Zeit wirksam ist. Jetzt betrachten die anderen EU-Länder das Flüchtlingsproblem als ein rein deutsches Problem, einige offen, und die Deutschland näher stehenden Länder wie beispielsweise Frankreich versteckt. Das Fatale ist, das Merkel formal im Unrecht ist, sie hat das Schengen-Abkommen verletzt, ohne die anderen zu konsultieren. Jetzt versucht sie zu retten, was zu retten ist, dabei hofft sie sogar auf die Zusammenarbeit mit Erdogan.“ Schäfer schüttelte den Kopf.

„Mir kommt eure europäische Politik ziemlich verlogen vor. Sie ist heuchlerisch. Die Nato schickt Kriegsschiffe in die Ägäis, um Schlepperboote aufzubringen. Sie geben vor, die Schlepper zu bekämpfen, dabei ist ihr eigentliches Ziel, die Flüchtlinge in die Türkei zurückzubringen. Was wäre denn deiner Meinung nach die beste Lösung für das Flüchtlingsproblem?“

„Als Erstes müssten die bestehenden Flüchtlingslager viel mehr unterstützt werden, nicht nur durch mehr Geld, sondern auch durch die Schaffung von Strukturen für Schulbildung und Arbeitsbeschaffung. Die Länder versprechen das Blaue vom Himmel, aber die Zahlungen bleiben aus. Dabei würden sie unterm Strich eine Menge sparen, ein Flüchtling in Deutschland kostet das zigfache eines Flüchtlings im Lager. Für rational denkende Ingenieure wie wir ist das nicht zu verstehen. Ebenso wenig wie die Motive des IS und Konsorten.“

„Glaubst du, es gibt einen Zusammenhang dieser Organisationen mit unseren Entführungsfällen?“

„Ich halte es zumindest für möglich. Habibi hat eine Recherche veranlasst, Fälle unerklärten Verschwindens von Personen in den umgebenden Ländern. Stelle ich mir allerdings schwierig vor, es gibt so viele Aussteiger, die ohne Abmeldung verschwinden.“

Nauroth stimmte zu. „Die Zahl reduziert sich allerdings, wenn man den Personenkreis auf Ingenieure und Wissenschaftler beschränkt. Kommen wir zurück zu unserem Geschäft. Was ist dein Programm, wenn wir beim Kunden sind?“

Schäfer dachte kurz nach. „Zunächst sollten wir unsere Firma kurz vorstellen. Es gibt dafür eine allgemeine Powerpoint Präsentation, die einen Überblick über die verschiedenen Produktbereiche gibt. Meine Abteilung der Sonderprüfanlagen ist nur ein begrenzter Teil des Spektrums. Es gibt unter anderem eine Abteilung für die Entwicklung von intelligenten Sensoren, die für unsere Abteilung oft wertvolle Hilfestellung leistet. Ich weise immer gern darauf hin, dass diese verschiedenen Abteilungen Synergieeffekte liefern, die zum Vorteil unserer Kunden eingesetzt werden. Außerdem habe ich die Präsentation um Bilder von unserem Projekt in Serpong ergänzt, das stärkste Argument auf unserer Seite.“

Nauroth stimmte zu. „Das stimmt, der technische Stab hat bereits Kontakt zu der Bedienmannschaft in Serpong aufgenommen, ich bin sicher, Herr Bam hat nur Gutes über uns berichtet.“

Schäfer lachte. „Hast du da etwas nachgeholfen?“

„Nicht direkt, wir haben ihn und seine Frau einige Male zum Essen eingeladen. Sie lieben unsere Küche, die Frauen haben sich angefreundet.“

„Okay, besprechen wir das weitere Vorgehen. Ich möchte zunächst die Spezifikation präzisieren, die Anfrage ist in vielen Punkten ziemlich vage.“

„Aha, euer berühmtes Pflichtenheft!“

„Genau, wir wurden von Breithaupt darauf eingeschworen, vor jeder Lösungsfindung zunächst alle Forderungen genau und eindeutig festzuschreiben. Alles, was hierbei vergessen wird, geht später auf Kosten des Gewinns, der Kunde würde stets behaupten, das hätten wir wissen müssen. Kennst du die Geschichte von der guten Fee, die einem Ingenieur einen Wunsch freistellte?“

„Nein, erzähl.“

„Der Ingenieur war verheiratet, Mitte vierzig und am Beginn seiner Midlifecrisis. Er wünschte sich eine Frau, die fünfzehn Jahre jünger wäre als die jetzige.“

„Ist doch ein klar präzisierter Wunsch.“

„So scheint es, der Wunsch wurde unmittelbar erfüllt.“

„Und?“

„Jetzt ist er sechzig.“

Nauroth musste laut lachen. „Pech für ihn. Und für seine Frau.“

„Wie du weißt, bin ich Wirtschaftsingenieur, trotzdem habe auch ich manchmal Probleme mit der Mentalität von euch Ingenieuren. Ich fühle mich in meiner Position mehr als Manager, ich kümmere mich gleichzeitig um mehrere Projekte, um die Verfahrensabläufe, und die technischen Details überlasse ich euch.“

„Typisch für deine Spezies.“

„Auch dazu habe ich eine kleine Geschichte parat: Ein Mann fährt einen Heißluftballon und bemerkt, dass er trotz seiner hohen Position die Orientierung verloren hat. Er reduziert seine Höhe und bemerkt am Boden eine Person. Er lässt den Ballon noch weiter absinken und ruft: ‚Entschuldigung, ich brauche Ihre Hilfe. Ich habe meinem Freund versprochen, ihn in einer halben Stunde zu treffen, aber ich weiß nicht, wo ich mich jetzt befinde.‘ Der Mann am Boden blickte kurz auf sein Handy und antwortete: ‚Sie befinden sich in einem Heißluftballon, etwa zwanzig Meter über dem Boden.‘ Nach einem weiteren Blick auf sein Handy ergänzte er: ‚Ihre Position liegt auf exakt vierzig Grad nördlicher Breite und fünfundneunzig Grad westlicher Länge.‘ ‚Sie müssen Ingenieur sein‘, sagte daraufhin der Ballonfahrer. ‚Bin ich‘, antwortete der Mann am Boden, ‚wie kommen Sie darauf?‘ ‚Sehen Sie“, erwiderte der Ballonfahrer, ‚alles, was Sie mir gesagt haben, klingt hochpräzise und ist sicher korrekt, aber ich kann damit überhaupt nichts anfangen und weiß immer noch nicht, wo ich bin.‘ Der Mann am Boden entgegnete: ‚Sie müssen Manager sein.‘ ‚Bin ich, wie kommen Sie darauf?‘ ‚Sehen Sie‘, antwortete der Ingenieur, ‚Sie wissen nicht, wo Sie sind und wo Sie hinfliegen. Sie haben ein Versprechen gegeben, von dem Sie keine Ahnung haben, wie Sie es einhalten können, und erwarten jetzt von mir, dass ich Ihr Problem löse. Tatsache ist, Sie befinden sich noch genau in der gleichen Position, in der Sie waren, als wir uns getroffen haben, aber jetzt ist alles irgendwie meine Schuld.“

Nauroth lachte zustimmend. „Ich glaube, du hast unser Problem treffend beschrieben, ich werde dich gegebenenfalls daran erinnern.“

Schäfer bekam ein Signal, seine Mailbox zu checken. „Was für ein Ereignis, der oberste Häuptling persönlich.“ Die Mitteilung von Dr. Jakobi überraschte ihn, er antwortete mit „Okay“.

„Was will er?“

„Wenn die Sache in Malaysia erledigt ist, soll ich in Serpong bleiben. Habibi will für seinen Kanal noch eine mechanische Vorrichtung, mit der der Start- und Landevorgang mit einem Flugzeugmodell in der Strömung untersucht werden soll. Eine Konstruktionsaufgabe, wie ich sie liebe, ich soll auch noch die Fertigung und Inbetriebnahme überwachen.“

„Warum lässt er dich das nicht zu Hause machen, wäre doch billiger für euch?“

„Er sagt, er braucht einen Mann vor Ort, der bezüglich des Verschwindens unserer Männer die Augen aufhält, als Erstes soll ich Kontakt mit einem Siemensmitarbeiter aufnehmen.“

„Ich freue mich für dich, du kannst gern bei uns wohnen, wir haben ein sehr schönes Gästezimmer.“

„Das würde ich gerne machen, aber ich habe die strenge Anweisung, im Gästehaus des Geländes zu wohnen.“

„Schade, ich hätte gern mehr über die spezielle Mentalität von Chefkonstrukteuren erfahren. Was machen wir nach dem Besuch beim Kunden?“

„Wir brauchen einen Subunternehmer für den Stahlbau, wir sollten mal das Branchenverzeichnis für die Umgebung checken.“

Entführung in eine bessere Zukunft

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