Читать книгу Entführung in eine bessere Zukunft - Peter Giesecke - Страница 16
ОглавлениеSie erstarrten, Ben und Sue kamen aus dem Haus gerannt.
„Das waren doch Schüsse!“
Keiner antwortete.
Jörg präzisierte den Vorfall. „Die Schüsse kamen aus der Richtung des zweiten Camps.“
„Was könnte da passiert sein?“
Sie fielen wieder in Schweigen. Schließlich wagte Ben eine Erklärung. „Vielleicht haben sie sich geweigert zu tun, was die Entführer verlangt haben.“
Kes entgegnete: „Das halte ich für unwahrscheinlich.“
„Warum?“
„Versetz dich mal in die Lage der Terroristen. Du hast ein Ziel, dazu brauchst du die Hilfe von Fachleuten, doch die weigern sich. Was machst du?“
„Du hast recht, ich würde den meiner Meinung nach Unwichtigsten zuerst erschießen. Wenn das immer noch nicht reicht, den nächsten und so weiter.“
Kes pflichtete bei. „Wahrscheinlich würde ein Toter schon genügen. Hier erfolgten die Schüsse aber kurz aufeinander, das lässt eigentlich nur einen Schluss zu, sie versuchten, zu entkommen.“
„Aber warum am Tage, jeder vernünftige Mensch würde den Ausbruch doch nachts unternehmen?“
Sie fanden keine Antwort. Keiner war in der Lage, mit der Arbeit fortzufahren. Jeder machte sich seine eigenen Gedanken, die grausame Realität ihrer Situation hatte sie wieder eingeholt. Sie legten sich schlafen und versuchten, zu vergessen.
Die bedrückte Stimmung setzte sich am Morgen fort. Sie frühstückten stumm und versuchten, sich wieder auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Jörg hatte die mathematische Netzbildung über die Struktur der Bombenhülle fertiggestellt, der nächste Schritt war die Eingabe der Materialparameter und der Belastungsannahmen. Sue blickte über seine Schulter.
„Wahrscheinlich werden wir nie erfahren, was passiert ist.“
„Wahrscheinlich, und vielleicht ist es auch gut so.“
Sie nickte. „Wie kommst du voran, kann ich dir helfen?“
„Das wäre toll, öffne doch mal die Liste mit den Materialien.“ Er gab ihr die Namen und sie diktierte ihm die zugehörigen Parameter.
„Das reicht erst mal, jetzt wird es schwieriger. Ich muss den Druckverlauf während der TNT-Explosion über der Zeit eingeben und den erwarteten Druckanstieg nach Einsetzen der Kettenreaktion. Den Anfangsdruck habe ich aus thermodynamischen Berechnungen abgeschätzt, das Programm muss zeigen, ob die Hülle das aushält.“
„Und wenn nicht?“
„Dann vergrößere ich die Wandstärke und starte das Programm neu. Das wiederhole ich so lange, bis es reicht, das Ergebnis ist dann die leichtmöglichste Ausführung der Außenstruktur. Der schwierigere Teil ist die Abschätzung des Druckverlaufs nach der Kettenreaktion.“
„Und den kennst du nicht.“
„Stimmt genau, ich werde einfach irgendwas annehmen, dieser Teil kann im Gegensatz zur Anfangsexplosion sowieso nicht nachgeprüft werden, mir ist egal, was dabei rauskommt.“
Jörg startete das Programm. „Das wird jetzt einige Stunden dauern. Was machen wir in der Zwischenzeit?“
Sue dachte nach. „Wir beginnen mit dem Schreiben der Nachrichten für die Flaschenpost. Zunächst müssen wir erst mal den Text festlegen. Er sollte so kurz wie möglich sein, aber alle notwendigen Informationen enthalten.“
Sie riefen die anderen zu sich.
„Wie viel Flaschen sollten wir vorbereiten?“
„So viel wie möglich, jede Verdopplung der Zahl verdoppelt die Wahrscheinlichkeit Erfolg zu haben.“
Pierre fragte: „Siehst du wirklich eine reale Chance, dass eine von den Flaschen rausgefischt wird? Im Meer treiben Milliarden von Plastikflaschen, das heißt, die Wahrscheinlichkeit liegt etwa bei eins zu einigen Milliarden.“
Das war zwar mathematisch nicht ganz korrekt, aber Jörg pflichtete ihm trotzdem bei. „Du hast Recht, wir müssten die Wahrscheinlichkeit irgendwie erhöhen. Irgendwelche Vorschläge?“
Alle waren erleichtert, etwas von dem Ereignis des Vortages Abstand zu gewinnen, und überlegten.
Ben hatte den entscheidenden Vorschlag. „Die Flaschen schwimmen normalerweise alle waagerecht im Wasser, so sind sie kaum erkennbar. Wir müssen unsere aufrichten, das könnten wir mit einer Sandfüllung am Flaschenboden erreichen.“
Pierre ergänzte: „Und wir sollten den Sand irgendwie verkleben, damit er sich nicht verteilt.“
„Das ist ein toller Vorschlag, können wir sonst noch etwas verbessern?“ Jörg gab scheinbar nie auf, um noch irgendwas besser zu machen.
Pierre ergänzte: „Klar, wir binden eine bunte Banderole um den Flaschenhals, dann wird jede Flasche zum Hingucker.“ Jörg stimmte begeistert zu.
Ben war jetzt voller Tatendrang. „Wann fangen wir an?“
Jörg war ungeduldig. „Wenn ihr einverstanden seid, sofort. Wir haben eine Unmenge Flaschen und haufenweise Sand.“
Pierre fragte: „Und wie verkleben wir sie?“
Am einfachsten mit Mehl, haben wir noch genug.“
„Und was ist mit der Nachricht?“
„Da müssen wir noch auf die Schreibblöcke warten, die ich bei Machmud bestellt habe.“
Ben sagte bewundernd: „Ah, deshalb wolltest du einen für jeden von uns, du denkst auch immer an alles.“
„Das bringt mein Job so mit sich, wir können aber schon mal den Text besprechen. Die ersten Zeilen müssen die Wichtigkeit der Nachricht klarmachen, wir beschreiben unsere Situation und die Größe der Insel.“
Kes ergänzte: „Wir sollten unbedingt eine Belohnung ausschreiben, sonst wird die Nachricht vielleicht nicht ernst genommen.“
Sue war begeistert „Guter Anreiz, werden wir machen, ich weiß auch schon, wie.“
Jörg übernahm wieder. „Dann schreiben wir eine Liste unserer Namen und den Namen der Familienangehörigen, die unter Polizeischutz gestellt werden müssen. Und zum Schluss die Bitte, die Nachricht mit Angabe des Fundortes und der Zeitangabe einer größeren Polizeistation abzugeben. Das wäre, glaube ich, alles, es darf auch nicht zu viel werden, schließlich müssen wir jeden Brief einzeln schreiben.“
Pierre machte den Versuch, sie aufzuheitern: „Wir sollten für das nächste Mal bei Machmud einen Kopierer bestellen.“
Der Versuch misslang, keiner konnte so richtig lachen. Die Schüsse waren noch in ihren Ohren, sie waren sicher, dass es Tote gegeben hatte.
„Ok, fangen wir an! Ich schlage vor, dass Sue und ich den Text verfassen und die Restlichen die Flaschen vorbereiten. Wir müssen uns auch ein gutes Versteck überlegen, es wäre fatal, wenn sie durch einen blöden Zufall dahinterkommen sollten.“
Sie waren froh, etwas zu tun zu haben, was sie ablenkte.