Читать книгу Entführung in eine bessere Zukunft - Peter Giesecke - Страница 15

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Beim nächsten Besuch brachte Machmud das Gespräch wieder auf die Hohlkugellösung. „Sie werden diese Lösung zunächst noch weiterverfolgen, bevor wir sie eventuell endgültig aufgeben. Wie dick müsste der Mantel der Bombe werden?“

Jörg blätterte in den Tabellen, die sie vom Laptop runtergeladen hatten. „Das können wir nicht sagen, ohne einigermaßen verlässliche Rechnungen ist keine Aussage möglich.“

„Dann fordere ich Sie auf, diese Berechnungen durchzuführen.“

Jörg dachte nach. „Für diese Art Berechnungen reichen Taschenrechner nicht mehr aus. Wir benötigen einen Computer mit installierten Rechenprogrammen.“

„Welche Programme?“

„Als Erstes natürlich Excel, aber das reicht nicht. Wir müssen Optimierungsrechnungen vornehmen, dazu brauchen wir ein Programm, das für bestimmte Parameter die Maße der Bauteile variiert. Die Struktur des Mantels ist mit den grundlegenden Gesetzen der Mechanik nicht berechenbar, wir brauchen ein mächtiges Finite Elemente Programm.“

Machmud nickte, offenbar war er mit dieser Art von Programmen vertraut.

„Weiterhin benötigen wir eine möglichst umfassende Liste der Materialparameter, Elastizitätsmodul, Streckgrenze und so weiter, Sie wissen schon. Hierbei könnten Materialien aus dem Flugzeugbau interessant sein, dort wird alles auf maximale Festigkeit bei geringstem Gewicht optimiert.“

Machmud nickte wieder. „Ich werde alles möglichst schnell beschaffen, in der Zwischenzeit werden Sie sich mit den Spaltmaterialien beschäftigen, die üblicherweise für diesen Zweck eingesetzt werden. Außerdem wünschen wir auch Informationen über den Aufwand, wenn wir die Bombe mit Deuterium befüllen wollen, die notwendigen Informationen für beide Fragen sollten Sie in Ihren Unterlagen finden. Falls Sie mehr brauchen, sagen Sie es.“

Er ging, ohne sich zu verabschieden.

Pierre war neugierig. „Was will er mit dem Deuterium?

Jörg vermutete, die Antwort zu haben. „Deuterium braucht man zur Herstellung einer Wasserstoffbombe. Aber wenn sie das wirklich beabsichtigen, können wir ihnen den Zahn ziehen. Die Herstellung ist unverhältnismäßig schwieriger.“

Pierre bohrte weiter: „Gibt es so was wie ein Finite Elemente Programm wirklich oder wolltest du Zeit gewinnen?“

„Nein, das wäre bei diesem Typ auch gar nicht möglich, er ist ein Fachmann. FE-Programme kommen zur Anwendung, wenn konventionelle Rechenmethoden nicht mehr ausreichen. Mit ihnen kann man beliebig geformte Bauteile berechnen, man legt mathematisch ein dichtmaschiges Netz über die Struktur und rechnet sich schrittweise von Segment zu Segment. Diese Programme sind vor allem für die Dimensionierung von Flugzeugstrukturen unentbehrlich.“

„Sind sie schwer zu besorgen?“

„Überhaupt nicht, man erwirbt eine Lizenz und kann sie dann runterladen.“

Sie studierten die Unterlagen bezüglich der Spaltmaterialien. Es gab Tabellen mit Reihen von unterschiedlichen Anreicherungsgraden. Je größer der Anreicherungsgrad, desto geringer war das Gewicht der kritischen Masse.

Jörg bemerkte; „Wenn sie Wert auf ein geringes Gewicht legen, werden sie sich für einen hohen Anreicherungsgrad entscheiden, der ist allerdings sehr teuer.“

Ben ergänzte: „Ich glaube nicht, dass die das abhält, die haben Geld genug, es ist wohl mehr eine Frage der Verfügbarkeit. Wo könnten sie es herbekommen?“

Jörg dachte kurz nach. „Wenn sie sich für Uran entscheiden, dann wohl am einfachsten über Pakistan. Dort wurde in den neunziger Jahren mit deutsch-chinesischer Hilfe eine Anreicherungsanlage errichtet, die pro Jahr Spaltmaterial für etwa fünf Bomben herstellt.“

„Und für Plutonium?“

„Da käme wohl vor allem Russland in Frage, dort lagern nach der Atomabrüstung jede Menge in irgendwelchen Depots. Und es gibt immer Menschen, die für viel Geld sogar ihre Großmutter verkaufen würden.“

Machmud kam diesmal erst nach vier Tagen wieder. Er wirkte wie ein seriöser Geschäftsmann, der sich für eine verspätete Lieferung entschuldigte. „Die Beschaffung des Computers und der Programme hat etwas länger gedauert. Wie weit sind Sie inzwischen gekommen?“

„Wir haben alles so zusammengefasst, dass eine Bewertung der Vor- und Nachteile möglich ist.“

„Gut, könnten Sie es kurz zusammenfassen?“

Kes übernahm die Rolle des Sprechers. Seine Stimme war sachlich, er sprach emotionslos wie ein Nachrichtensprecher. „Die einfachste Lösung ist die, die auch bei der Atombombe angewandt wurde, die über Hiroshima abgeworfen wurde. Bei dieser Bombe namens Little Boy wurde der eine Teil der Spaltmasse, in diesem Fall hoch angereichertes Uran, mittels einer TNT-Sprengmasse in einen passend geformten Hohlraum der andern Masse geschossen. Dieses als ‚gun design‘ bezeichnete Prinzip ist die einfachste Methode, sie erfordert keine Synchronisation verschiedener Sprengsätze. Die Wirkung lässt sich wesentlich verstärken, wenn mehrere Spaltmassen gleichzeitig aufeinander geschossen werden, üblicherweise werden vier verwendet. Je nach Design benötigt man zwischen fünfundzwanzig Kilogramm Uran für eine Sprengkraft von zwanzig Kilotonnen TNT. Die gleiche Wirkung lässt sich bereits mit drei bis sechs kg Plutonium erreichen, allerdings sind der konstruktive Aufbau und die Synchronbedingung für die Zündung viel schwieriger, außerdem erfordert diese Ausführung eine Ummantelung aus natürlichem Uran als Neutronenreflektor. Die Konstruktion einer Wasserstoffbombe ist um ein Vielfaches komplizierter, der Bau dieser Version liegt weit außerhalb unserer Möglichkeiten.“

Machmud nickte: „Dieses Ergebnis haben wir erwartet. Bleibt noch die Entscheidung zwischen der Hohlkugellösung und der konventionellen Methode. Wie lange werden Sie für die Berechnungen benötigen?“

Jörg übernahm. „Das ist vorwiegend meine Aufgabe. Ich habe die FE-Methode im Studium kennengelernt und bin mit dem Grundprinzip vertraut. Das ist jetzt allerdings schon über zehn Jahre her und die Programme wurden sicherlich weiterentwickelt. Mir fehlt jede Erfahrung und ich benötige erst einmal eine gewisse Einarbeitung.“

„Daran haben wir gedacht, der PC enthält ein ausführliches Lernprogramm.“

„Nehmen wir an, ich benötige eine Woche, um die nötige Routine zu gewinnen, dann erfordert die Generierung des Netzes sicher noch einige Tage. Dann müssen die Parameter eingegeben werden, das sollte schnell gehen, sagen wir einen Tag. Die Laufzeit des Programms hängt davon ab wie engmaschig das Netz ist und wie schnell der Prozessor ist, zu meiner Zeit wurden hierfür Tage bis Wochen benötigt, das wird heute wohl schneller gehen. Nach Ablauf des ersten Durchlaufs müssen die Parameter geändert werden, um im nächsten Durchlauf Tendenzen festzustellen, die das Ergebnis optimieren.“

„Und wenn die anderen mitarbeiten?

„Das wird nicht viel ändern, man kann die Dauer einer Schwangerschaft auch nicht verkürzen, indem man fünf Frauen gleichzeitig schwängert.“

Jörg bereute seinen Witz, noch während er sprach. Machmud zuckte zusammen und war kurz davor aufzuspringen. Dann entspannte er sich und ging wieder zur Tagesordnung über. Er zog einen kleinen Hefter aus der Tasche und überreichte ihn Jörg. „Hier ist die Liste der Parameter für die in Frage kommenden Materialien. Wenn Sie mehr brauchen, sagen Sie es.“

Jörg überflog die Blätter und nickte. „Ich denke, das ist genau das, was wir im Moment brauchen.“

Machmud schien zufrieden. „Für die anderen habe ich folgende Aufgabe. Wir benötigen eine Liste aller Maschinen und Materialien, die wir für die Fertigung benötigen. Zunächst genügen allgemeine Angaben. Wenn wir später ins Detail gehen, werden wir Ihnen Kataloge und Angebote vorlegen, aus denen Sie eine Auswahl treffen können.

Jörg hatte noch eine Bitte. „Bekommen wir dafür Schreibmaterial zur Verfügung gestellt, sagen wir fünf Entwurfsblöcke und natürlich Kulis und Bleistifte? Wir können dann zunächst unabhängig voneinander Aufstellungen anfertigen und diese anschließend vergleichen.“

„Das klingt vernünftig, Sie werden das Material gemeinsam mit der nächsten Essenversorgung erhalten.“

Die nächsten Tage waren alle intensiv beschäftigt, es war seltsam, sie arbeiteten, als wenn es sich um ihr eigenes Projekt handeln würde. Jörg inspizierte den PC.

„E-Mails können wir nicht versenden, aber das war wohl auch nicht zu erwarten.“

„Du hoffst wohl immer noch auf deinen deus ex machina?“, fragte Pierre.

Jörg ließ sich nicht irritieren. „Ich hoffe nicht nur, sondern habe ihn gefunden, allerdings ist er noch ziemlich klein.“ Er hatte das Gehäuse geöffnet und zeigte auf ein Teil im Chassis. Die anderen kamen neugierig näher.

„Ah, das erste Bauteil für meinen Sender, dieses Mikro ist genau, was ich brauche.“ Sue war begeistert. „Können wir den Rest hier auch noch finden?“

„Das könnte sein, aber dann funktioniert das Ding nicht mehr, vielleicht später.“

Kes wandte ein: „Das wäre gefährlich. Wenn Machmud etwas merkt, fliegt das Ganze auf.“

Jörg nickte. „Ich glaube auch, wir sollten damit warten, bis wir unsere Werkstatt bekommen, dann haben wir Material im Überfluss.“

Sue und Ben waren mit kochen dran, die anderen setzten sich nach draußen in den Schatten. Kes unterbrach das Schweigen. .„Wir werden die verdammte Bombe also auch wirklich herstellen müssen?“

Jörg nickte. „Davon gehe ich fest aus, die Frage ist nur, wieweit wir dabei überwacht werden. Das könnte die Herstellung des Senders verhindern.“

„Das glaube ich nicht, schlimmstenfalls löten wir das Ding nachts im Bett zusammen. Warum hast du gleich fünf Blöcke Papier bestellt?“

In diesem Moment hörten sie einen einzelnen Schuss. Etwa drei Sekunden später erfolgten vier kurz aufeinanderfolgende Gewehrsalven.

Nauroth erschien wie aus dem Nichts in Schäfers Container. Sie waren inzwischen gute Freunde geworden, sie hatten gemeinsame Interessen und die gleiche Mentalität. Nauroth war trotz der Hitze elegant gekleidet wie immer, Schäfer dagegen nur in Shorts, der Oberkörper war frei.

„Warum machst du die Klimaanlage nicht an?“, fragte Nauroth.

„Das Ding hat wohl einen Lagerschaden, jedenfalls rumpelt es wie eine Dreschmaschine.“ Nauroth zog seine Anzugjacke aus und lockerte seinen Schlips. „Wie geht es deiner Frau?“, fragte Schäfer weiter.

„Bestens wie meistens, sie genießt die verdammte Hitze und geht shoppen.“

„Das kenn ich, aber sie geht zumindest allein. Ich muss meine Frau immer begleiten, und wenn sie mal nur eben für drei Minuten in eine Boutique geht, heißt das für mich, eine halbe Stunde dumm rumstehen.“

Nauroth lachte. „Zeit ist eben relativ, das sagte schon Einstein: eine Minute auf einer heißen Herdplatte dauert unendlich, der Kuss eines schönen Mädchens erscheint wie eine Millisekunde.“

„Typisch für Einstein, er war ja bekanntlich alles andere als ein Kostverächter. Gibt es was Neues von Breithaupt?“

„Nein, aber es gibt Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen den Entführten.“

„Woher hast du das?“

„Meine Frau ist doch mit der Sekretärin von Habibi befreundet. Dadurch erhalte ich manchmal recht nützliche Informationen, du weißt ja, der informelle Weg ist immer der effektivste. Es gab doch diese Recherche über ähnliche Fälle. Sie hat meiner Frau die Ergebnisliste gezeigt. Es gab etwa zwanzig, dreißig Fälle, aber acht Personen waren gekennzeichnet. Sie hatten eine Gemeinsamkeit, alle waren Ingenieure oder Wissenschaftler. Der Rest waren meistenteils Touristen oder Pensionäre, beispielsweise ein Pärchen aus Südkorea, die ein Boot gemietet hatten, um eine Inseltour zu unternehmen. Boot und Pärchen sind spurlos verschwunden.“

„Acht Ingenieure und Wissenschaftler, was könnte das bedeuten?“

„Ich habe lange mit meiner Frau diskutiert. Wir glauben, dass dahinter irgendeine kriminelle Vereinigung steckt.“

„Terroristen?“

„Wie kommst du da drauf?“

„Ich hatte gestern ein Telefonat mit meinem Vorturner Sommer. Er wollte sich über den Stand des Angebotes für den Malaiischen Windkanal informieren. Dabei hat er mir erzählt, dass der Vorstand am Tag zuvor Besuch aus dem BKA erhalten hat.“

„Und was wollten die?“

„Mehr weiß er auch nicht, selbst die Vorstandssekretärinnen haben nichts mitbekommen. Er hatte den Besucher auf dem Flur erkannt, weil dieser als Terrorismusexperte öfter im Fernsehen auftritt wird.“

„Das heißt, unsere beiden Männer werden mit weiteren Ingenieuren irgendwo festgehalten.“

„Das scheint sicher. Am wahrscheinlichsten ist, dass sie irgendwas entwickeln müssen, mit dem sich Terroranschläge ausführen lassen.“

„Eine spezielle Waffe oder Vorrichtungen zur biologischen Kriegsführung?“

„Möglich, Osama bin Laden hat in den neunziger Jahren schon mal probiert, eine schmutzige Bombe zu bauen.“

„Was ist eine schmutzige Bombe?“

„Eine Atombombe, bei der neben der zerstörerischen Wirkung auch noch viele radioaktive Stoffe freigesetzt werden.“

„Das hat aber offenbar zum Glück nicht funktioniert.“

„Nein, er hatte damals einen Deal mit einem sudanesischen General, das Uran zu besorgen. Er hat bezahlt, aber nichts bekommen. Er wurde schlicht betrogen.“

„Netter Zug von dem General.“

„Finde ich auch, er ist ein gutes Beispiel für den Teufel aus Goethes Faust.“

„Wie meinst du das?“

„Der Teufel antwortete auf Fausts Frage, wer er sei: Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und doch das Gute schafft.“

Nauroth musste lachen. „Klingt für mich wie ein Leitspruch des Kapitalismus.“

„Na ja, dieser bin Laden ist ja jetzt glücklicherweise tot und kann uns nicht mehr gefährlich werden.“

„Tot ja, aber gefährlich ist er vielleicht immer noch. Ich habe von einem Interview gehört, das er vor einigen Tagen im Fernsehen gegeben haben soll. Wahrscheinlich eine alte Aufzeichnung.“

Entführung in eine bessere Zukunft

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