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Hamburg, März 2008
ОглавлениеEs war inzwischen Vorfrühling. Der Bau für Sama war weit vorangekommen. Lenz hatte mit ihm vereinbart, dass die Zahlungen stets nach Fertigstellung kleinerer Bauabschnitte erfolgten. Sama hatte das nicht gefallen, Lenz wusste aber, dass dessen Frau die neuen Modalitäten im Hintergrund guthieß. Schließlich sei der Bau schneller fertiggestellt worden als geplant und man könne die Wohnungen zügig an die Eigentümer übergeben und die Schlussrechnung stellen.
Lenz war an einer weiteren Zusammenarbeit nicht interessiert. Er wehrte die Anfrage für ein neues Objekt mit einem überhöhten Preis ab. Sama, der ein geschickter und harter Verhandlungspartner war, hatte in Lenz seinen Meister gefunden.
Lenz hatte sich auf den Baustellen, die er immer noch für Schell Facility betreute, umgehört. Er wurde auf geplante Objekte aufmerksam, die für das eigene Unternehmen den passenden Umfang besaßen. Einige dieser Aufträge konnte er gewinnen. Die allgemeine Lage für die nächsten beiden Jahre war vielversprechend. Wenn alles glatt lief, würde er in drei Monaten den Job bei Schell quittieren und voll in das eigene Geschäft einsteigen.
Vogel war froh, dass sich die Firma so positiv entwickelt hatte. Manchmal hatte er das Gefühl, bei Lenz’ Entscheidungen übergangen zu werden, er hatte aber keinen Hinweis darauf, dass der ihn übervorteilte.
Eines Abends, als beide nach einem Baustellenbesuch noch auf ein Bier in die nächste Gaststätte einkehrten, schilderte Lenz seinen Plan, voll einzusteigen. Die Lage sei so stabil, dass es finanzierbar wäre. Vogel kannte die Zahlen und sagte, dass er sich darauf freue. Es gab eine Seite in ihm, die misstrauisch blieb, die Angst davor hatte, aus dem Unternehmen gedrängt zu werden. Diesen Teil ertränkte er mit einigen Bieren.
Lenz fragte ihn, ob er sich daran erinnere, dass er Sama gegenüber gesagt hatte, dass er Großes vorhabe. Vogel nickte, hatte aber in Wahrheit keine Details im Kopf. Bei genauer Erinnerung wäre er wahrscheinlich davon ausgegangen, dass die jetzige Entwicklung der Firma bereits das Große sei, das Lenz gemeint hatte. Jetzt wurde ihm klar, dass es das nicht war.
„Hast du schon mal was von Immobilien-Leasing gehört?“, wollte Lenz wissen.
Vogel nickte.
„Ich habe mich ein wenig umgehört“, fuhr er fort, „es gibt im Moment eine Ausschreibung des Hamburger Senats für ein Verwaltungsgebäude in Altona. Der Senat möchte, dass ein Gebäude auf ein städtisches Grundstück gesetzt und schlüsselfertig an die Behörde verleast wird. Laufzeit zwanzig Jahre. Danach wird alles zu einem festgelegten Restwert an die Stadtverwaltung verkauft. Das bedeutet, dass wir es mit einem Leasingnehmer zu tun haben, der die Raten pünktlich zahlt und sich an geschlossene Verträge hält.“
„Wie groß wird das?“, fragte Vogel.
„Zweitausend Arbeitsplätze, Besprechungszimmer, Besucherschalter, Sozialräume, Abstell-, Lager- und Technikräume.“
Vogel fiel die Kinnlade herunter. „Wolltest du das als Generalunternehmer hochziehen?“
„Als Generalunternehmer oder in einem Konsortium. Als Leasinggeber vorfinanzieren und für zwanzig Jahre verleasen. Wir müssen bloß die Ausschreibung gewinnen“, meinte Lenz selbstbewusst.
„Hast du eine Vorstellung von den Baukosten? Und vom Finanzbedarf für die gesamte Laufzeit?“
„Einhundert Millionen, schätze ich.“
Vogel atmete tief ein und ließ die Luft mit einem Stoß raus: „Joachim, ich weiß, dass du mich im Innersten für einen Versager hältst ...“
Lenz wollte etwas entgegnen. Vogel stoppte ihn mit einer Handbewegung.
„Sag’ nichts“, fuhr er fort, „ich könnte vielleicht verletzt reagieren. Du hast in großen Unternehmen gearbeitet und bist es gewohnt, mit solchen Beträgen umzugehen. Für mich waren Aufträge von zwei Millionen immer unerreichbar. Ich halte mich für einen passablen Bauunternehmer – ob ich auch als Generalunternehmer arbeiten kann, wollte ich probieren. Ich bin dabei ein hohes persönliches Risiko eingegangen. Wenn du nicht geholfen hättest, wäre das Erbe meiner Eltern wahrscheinlich verloren. Dafür bin ich dir sehr dankbar.“
„Darf ich mal dazwischen gehen, bevor du voreilig Nein sagst?“, unterbrach ihn Lenz. „Ja, ich habe dich in einer Situation kennengelernt, die du nicht mehr beherrscht hast. Du bist ein echter Bauprofi. Wenn du etwas anpackst, wird das durchgezogen, solide bis zum letzten Handgriff. Ich halte dich nicht für einen Versager! Und ja, du bist ein miserabler Geschäftsmann.“
Vogel nickte. Er wusste das. Sein Vater war genauso, ohne die Mutter hätte er das Unternehmen nie hochziehen können. Er hatte keine Ehefrau, die ihn unterstützte. Beide geschiedenen Frauen wollten eigentlich nur als Unternehmergattinnen auftreten. Er hatte sich allein durchgewurstelt. Jetzt also mit Lenz, anstelle einer Partnerin.
„Ich habe mir das genau überlegt, Jonathan. Die Sache ist machbar. Was andere können, schaffen wir auch.“ Er machte eine Pause, senkte die Stimme und gab ihr Nachdruck: „Ich sage dir ohne Umschweife, wenn du nicht mitziehst, mache ich das allein.“
Vogel nickte, er blickte vor sich auf den Tisch. Er hatte damit gerechnet, dass Lenz das sagen würde. Im Kopf ging er seine Optionen durch. Sein Leben lag mittlerweile total in dessen Händen. Sicher, das Unternehmen warf Gewinne ab, sie lebten auf einem hohen Niveau. Er hätte es nie bis hierhin geschafft. Spräche er sich dagegen aus, würde Lenz ihn sitzen lassen oder, schlimmer noch, ihn rausdrängen. Im äußersten Fall könnte er die Firma gegen die Wand fahren. Vogel brauchte Zeit.
„Wahrscheinlich hast du dir über die Beschaffung des Kapitals schon Gedanken gemacht, oder? Ebenso hast du dir auch bereits überlegt, wer mit im Konsortium ist, wenn wir es nicht allein durchziehen?“
Lenz berichtete nun wieder in einem gemäßigten Ton, wie er es sich vorgestellt hatte. Das war eines seiner Kommunikationsinstrumente – drohen und locken – Zuckerbrot und Peitsche. Er sagte, dass er es am liebsten ohne Konsortium realisieren wollte, als Generalunternehmer und Leasinggeber. Das sei natürlich davon abhängig, ob der Senat sie mit den bisherigen Referenzen überhaupt zur Ausschreibung zulasse. Und ob sie das notwendige Kapital beschaffen könnten.
Wenn es auf diese Weise nicht geht, müsse man mit Anderen teilen. Für eine Kooperation habe er an Spezialunternehmen für definierte Aufgabenkreise gedacht, die in ihrem Bereich jeweils als Generalunternehmer auftreten. Schell Facility sei ein mögliches Partnerunternehmen.
„Treten wir als Generalunternehmer auf, gibt es zwei Optionen“, meinte Lenz, „wir können einen Fonds auflegen und Geld am freien Markt einsammeln. Nachteil: Wir müssen Gewinne ausschütten, das schmälert unseren Profit. Vorteil: Das Risiko liegt bei den Geldgebern. Die Alternative ist, dass wir mit einer Bank kooperieren. Am Ende könnten wir auf diese Weise sehr viel mehr verdienen.“
„Glaubst du, dass eine Bank dem kleinen Unternehmen Lenz und Vogel einen Kredit über einhundert Millionen gibt?“, fragte Vogel und sah ihn kritisch an.
„Wenn du einverstanden bist, würde ich es gern probieren.“
„Habe ich eine Wahl?“
Lenz sah ihm in die Augen. „Nein.“
„Brauchst du mich dafür? Ich weiß nicht, ob ich ein verlässliches Auftreten als Hyperkapitalist gegenüber einer Bank besitze.“
„Das kriegen wir schon hin“, meinte Lenz und winkte die Bedienung heran, um zwei Bier zu bestellen.
*
In den nächsten vierzehn Tagen organisierte Lenz alle Unterlagen, die eine Bank glauben machen sollte, dass sie es mit einem bedeutenden Bauunternehmen zu tun hat. Er suchte Unternehmenszahlen zusammen, die er etwas positiver gestaltete. Für einzelne Referenzobjekte wurden von einem Architekturfotografen neue Aufnahmen angefertigt. Fremdleistungen stellte er als Eigenleistungen dar und erstellte eine Präsentation.
Als Vogel die fertige Präsentation sah, erkannte er die eigene Firma nicht wieder. Lenz ließ neues Briefpapier drucken. Und schließlich beauftragte er einen Webdesigner mit der Erstellung eines modernen Internetauftritts. Innerhalb von vier Wochen wurde aus der kleinen Baufirma ein beachtliches mittelständisches Unternehmen. Insider sollten sich fragen, warum sie bisher nichts von ihnen gehört hatten.
„Können wir uns das leisten?“, fragte Vogel ängstlich.
„Das sind Investitionen in die Zukunft.“ Lenz’ Optimismus war grenzenlos.
Lenz ging mit seinem Kompagnon zu einem Herrenausstatter. Dass der kein Managertyp war, ließ sich nicht kaschieren. Er wollte ihn deshalb wie einen erfolgreichen Bauunternehmer aussehen lassen. Sportlich legere Kleidung ohne Krawatte. Vogel war zunächst zögerlich, er mochte keine Verkleidungen. Als er sich jedoch im Spiegel betrachtete, gefiel ihm, was er sah.
Lenz nahm sich vor, es bei genossenschaftlichen Banken zu versuchen, wie es ein solides Bauunternehmen eben tat. Um die Chancen zu vergrößern, hatte er nach kleineren Instituten Ausschau gehalten, die von einer Frau geleitet wurden. Nicht auf jeder Website fand er ein Foto des jeweiligen Vorstands.
„Willst du die etwa auch erpressen?“, fragte Vogel.
„Wenn es nicht nötig wird ...“, Lenz ließ den Satz offen.
„Ich habe eigentlich keine Lust eines Tages im Knast zu enden.“
„So wie ich.“
Er hatte ein Geldinstitut im Stadtgebiet von Hamburg gefunden und zwei weitere in kleinen Orten in unmittelbarer Nachbarschaft. Er entschied, dass er in Buxtehude bei der GKB, der Genossenschaftlichen Kredit Bank beginnen wollte. Vorstand war eine gewisse Dr. Monika Hutinger. Er überlegte sich, wie alt eine Frau sein könnte, die den Vornamen Monika trug – Mitte vierzig vielleicht. Hutinger klingt nach süddeutscher Herkunft.
Er wählte die Nummer und fragte, ob er Frau Dr. Hutinger sprechen könne. Die Dame am Telefon erkundigte sich, worum es ginge. Lenz schilderte in Kurzfassung sein Anliegen.
„Monika Hutinger, guten Tag.“ Ihre Stimme klang offen. Er dachte, dass sie eventuell etwas jünger als Mitte vierzig sein könnte oder sich zumindest jünger anhörte.
„Guten Tag, Frau Dr. Hutinger, mein Name ist Joachim Lenz. Mein Kompagnon Jonathan Vogel und ich sind geschäftsführende Gesellschafter eines Bauunternehmens in Hamburg. Wir haben die Möglichkeit an einer Ausschreibung für ein öffentliches Objekt des Senats teilzunehmen und sondieren unsere Chancen.“
Vogel, der ihm gegenübersaß, fragte sich, ob er solch ein Gespräch ebenso souverän führen würde. Er hatte vom Vater mitbekommen, dass man keine Kredite aufnimmt. Man kauft nur das, was man bar bezahlen kann. Als Jonathan Vogel schon im Unternehmen mitarbeitete, gab es eine geschäftlich schwierige Phase. Der Vater war gezwungen, ein Darlehen aufzunehmen. Unter dem Druck, die eigenen Prinzipien aufgeben zu müssen, fühlte er sich gegenüber der Bank, die jahrelang das kleine Vermögen der Vogels betreut hatte, als Sünder und Bittsteller. Diese Haltung des Vaters auf dem Sessel vor dem Bankbeamten, wie der die Mitarbeiter eines Kreditinstituts immer nannte, hatte sich in Jonathan Vogels Gedächtnis eingebrannt.
Lenz beschrieb in wenigen Sätzen sein Anliegen und vereinbarte einen Termin für den übernächsten Tag. Monika Hutinger fragte, ob es bei diesem Gespräch notwendig sei, dass ein Firmenkundenberater anwesend ist. Lenz verneinte. Er teilte ihr mit, dass er und sein Kompagnon gemeinsam kommen würden, dann lerne sie gleich die wichtigen Personen im Unternehmen kennen. Zum Abschluss nannte er ihr seine Telefonnummer sowie die Internetadresse.
Als nächstes rief er Gabriele Johanssen an, Leiterin der Genossenschaftlichen Verbundbank in Elmshorn. Deren Stimme klang alt, über sechzig, schätzte er. In ihrem Ton lag Intoleranz. Er legte ohne ein Wort auf.
Für das dritte Gespräch ließ er sich mit Dr. Martina Tiedtken bei der Genossenschaftlichen Kreditanstalt Hamburg verbinden. Er führte den Dialog so, wie den mit Monika Hutinger. Den Termin mit ihr machte er für den Montag der folgenden Woche aus.