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III

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Als Anton Reiser einmal auf der Straße vom Direktor des Lyzeums überraschend angeredet wurde, ob er nicht »Reiserus« heiße, war dies für den begabten, von den Eltern missachteten und in materieller und moralischer Bedrückung lebenden Knaben wie eine zweite Geburt. Der latinisierte Name, ausgesprochen von einer Person höchster Autorität, war wie das Versprechen einer von Misere freien Existenz, die sich ihm als künftigem Bewohner einer übers Latein integrierten universalen Bildungswelt bieten würde. In Karl Philipp Moritz’ Roman (1785) fungiert das Kulturelle als ein ›Gelobtes Land‹ für jene, die in der höfischen Gesellschaft als Dritter Stand für subalterne Funktionen vorgesehen sind. Es wird zum Medium der Ausarbeitung einer neuen Welt- und Lebensauffassung, die den bürgerlichen Gruppen das Bewusstsein ihrer spezifischen Differenz verleiht. Während jedoch in Deutschland die Kompetenz im Kulturellen, die Leistungen in Philosophie und Musik, »mit dem Mangel der gesellschaftlichen Entwicklung […] auf das genaueste zusammenhängt« (Plessner 1959/1988, 14)8, wird sie in Frankreich zur Triebkraft der politischen Emanzipation des Dritten Standes. Wenn ­Marie-Antoinette am Vorabend der Revolution gar die »comédie poissarde« zu schätzen beginnt (Larthomas 1989, 33), so ist das weder eine nur individuelle Geschmacksverirrung, noch gar der Hinweis auf die Dekadenz eines ganzen Standes. Die Fischverkäuferinnen, die der Gattung den Namen geben, sind zwar nicht die dominierende stilbildende Kraft, aber ›die Stadt‹ hat die Blickrichtung auf den Hof aufgegeben und verfügt über eigene kulturelle Muster, die auf andere Gruppen ausstrahlen. Das Kräftegleichgewicht zwischen ›la cour et la ville‹, auf das die Monarchie ihre Stabilität gründete, hat sich im Laufe des Jahrhunderts zugunsten der Stadt verschoben. Das Theater ist eines der Felder, auf denen dieser Prozess kultureller Hegemoniebildung gestaltet wird.

Die spanische Entwicklung wiederum lehrt, dass populare kulturelle Formen, etwa der »majismo«, zwar stilbildende Kraft gewinnen, indem sie von der aristokratisch-aufgeklärten Schicht nachgeahmt werden, doch bleibt diese zugleich dem französischen Vorbild verpflichtet. Der »petimetre«, der nur am ästhetischen Ausdruck des plebejischen majo interessiert ist, wird den »petit-maître« nicht los. Umgekehrt geht der vor allem wegen seiner »carga erótica« (Martín Gaite 1987, 302) geschätzte »majismo« mit Bildungs- und Frauenverachtung einher. Er lässt sich in jene ›nationale‹ Kraft einschmelzen, die Napoleon vertreibt. Aber abgespalten von der Aufklärung, die den mit dem Besatzer gemeinsame Sache machenden ›afrancesados‹ überlassen bleibt, handelt das Volk ­reaktionär. »Auf der einen Seite standen die Afrancesados […], und auf der anderen stand die Nation.« (Marx, MEW 10, 444)9 In Spanien kann die klassische Entmischung von Komischem und Tragischem nicht Fuß fassen. Das neoklassische Theater, das mit dem Dynastiewechsel zu den Bourbonen den französischen kulturellen Einfluss repräsentiert, vermag das Publikum, das an rasche Ortswechsel und phantastische Handlungsumschwünge gewöhnt ist, nicht zu überzeugen. Aber den ­ästhetischen Formen kommt nicht per se ein fortschrittliches oder reaktionäres Wesen zu. Wie die Tragödien Voltaires empfänglich sind für die Sache der Aufklärung, so auch die ›reißerischen‹ Stücke eines Comella, die dem klassischen Geschmack ein Greuel sind. Die neuen »zivilen Helden«, die die alten Subjekttypen des Conquistador und Mönch ebenso in Frage stellen wie den plebejischen Typ des Majo, werden auf beiden Seiten des ästhetischen Gegensatzes zwischen Regelpoetik und ›regelloser‹ popular-nationaler Tradition hervorgebracht: Ihr sozialer Ort ist die »clase media«, deren Konturen sich im patriotischen Pulverdampf des nationalen Befreiungskrieges gegen die französische Besatzung alsbald wieder verlieren.

Zivile Helden

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