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(2) Methodenreformen und Digitalisierung: Lehrer – quo vadis?

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Der „Pisa-Schock“ von 2001 hat eine umfangreiche Reformtätigkeit im Bildungsbereich ausgelöst, deren Ende nicht abzusehen ist. Mir kommt es manchmal so vor, als ob damals der „Bildungs-Unbildungs-Geist“ aus der Flasche gelassen wurde. Dadurch kam auch das herkömmliche traditionelle Bild des Lehrers in Bewegung – besonders an den weiterführenden Schulen.

Kritik an den Lehrern

Es wurde vor allem der lehrerzentrierte Unterricht, plakativ bisweilen als „Frontalunterricht“ bezeichnet, heftig kritisiert. Hier glaubten einflussreiche gesellschaftliche Gruppen – Wirtschaftskreise, Bildungsforscher, selbsternannte oder tatsächliche Reformer – eine der Hauptursachen zu finden, warum Deutschland im Pisa-Vergleich 2001 der OECD nur mittelmäßig abgeschnitten hatte.

Was dann folgte, wurde von manchen Lehrern, die viele Jahre eine engagierte und verantwortliche pädagogische Arbeit geleistet hatten, als wahrer „Tsunami in der Bildungspolitik“ erlebt und als Methoden-, Digitalisierungs- und Strukturveränderungs-Wahn empfunden. Vielleicht ist es tatsächlich so, dass dabei das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wurde. Da sich Bildung seit Pisa als Mega-Thema entwickelt hat, vergeht keine Woche mehr, in der nicht neue Vorschläge zur Verbesserung der Schule medial wirksam propagiert werden, die den Anspruch erheben, „die“ Lösung aller Schulprobleme zu beinhalten. Kein Wunder, dass gerade ältere Lehrer, die viel Erfahrung mit dem Unterrichten von Kindern und Jugendlichen in der Pubertät haben, zunehmend verunsichert werden.

Manche Pädagogen fühlen sich und ihre Arbeit auch herabgewürdigt. Sollte denn alles falsch gewesen sein, was sie bisher im Unterricht gemacht haben? Sollte ihr ehrliches Engagement umsonst gewesen sein? Das bisherige Lehrerbild und der Lehrerberuf insgesamt wurden durch diesen öffentlichen „Hype“ in der Bildungsdiskussion in den letzten Jahren immer mehr in die Defensive gedrängt. Gleichzeitig wurden in zunehmendem Maße ungelöste gesellschaftliche Fragen auf die Schulen abgeschoben und dann zu „Schulproblemen“ erklärt.

Den Lehrern an weiterführenden Schulen wie etwa an den Gymnasien wurde vermittelt, wie altmodisch, „hinterwäldrerisch“ und konservativ sie doch seien, weil sie noch immer einem längst vergangenen, altertümlichen Lehrerbild anhingen; daher hätten sie eine gehörige Portion Mitschuld am schlechten Abschneiden in der Pisa-Studie. Von tatsächlichen oder selbsternannten Bildungsexperten wurde den Gymnasialpädagogen vorgeworfen, dass sie methodisch und informationstechnisch nicht mehr auf der Höhe der Zeit seien und dass der Bildungsstandort Deutschland mit solch einer Einstellung zu Schule, Unterricht und Bildung im entfesselten Bildungswettkampf einer globalisierten Welt schnell den Anschluss verlieren würde. Diese Warnung darf natürlich nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Die gleichen Leute sparten dann nicht mit Verbesserungsvorschlägen, mit deren Hilfe schnell und einfach alle Schulprobleme zu bewältigen seien. Hier einige dieser Forderungen, die meist von außen an die Schulen herangetragen wurden:

 vollkommene Auflösung des Frontalunterrichts;

 Verzicht auf möglichst jeden lehrerzentrierten Unterricht;

 dafür nur noch neue Unterrichtsformen: Gruppenarbeit, Partnerarbeit, selbständiger Unterricht der Schüler;

 ein Computer an jedem Schülertisch;

 vollkommen digitalisierter Unterricht nur noch mit Whiteboards und Computern;

 Verzicht auf gedruckte Bücher; dafür nur noch digitalisierte Bücher, die bei Bedarf heruntergeladen werden können;

 Kommunikation Lehrer – Schüler zunehmend über Smartphone oder Mailkontakt;

 Verzicht auf Noten und Hausaufgaben;

 Lehrerraumprinzip: die Schüler haben keine Klassenzimmer mehr, sondern müssen zum Lehrer kommen;

 nur noch Unterricht im Doppelstundentakt usw.

Natürlich hatten diese Vorschläge Konsequenzen für das Lehrerbild: der Lehrer als Bildungs-Manager, als Bildungs-Organisator und Bildungs-Initiatior, als Kompetenzvermittler, als bloßer Dienstleister bei der selbständigen Wissensorganisation der Schüler.

Es dauerte einige Zeit, bis sich die eine Gruppe der Hauptbetroffenen der Bildungsreformen – die Lehrer selbst – zu Wort meldete und sich gegen diese Fundamentalkritik an ihrer Tätigkeit und an den ihnen von außen her zugeschriebenen neuen Rollenbildern zu wehren begann: über ihre Berufsverbände, aber auch über Buchveröffentlichungen. Daher sollen im Folgenden einige solcher Stimmen exemplarisch für viele zur Sprache kommen: der Deutsche Philologenverband; Arne Ulbricht mit seinem Buch „Schule ohne Lehrer?“; und Michael Felten, Gymnasiallehrer für Mathematik und Kunst in Nordrhein-Westfalen. Er möchte mit seinem Buch „Auf die Lehrer kommt es an! Für eine Rückkehr der Pädagogik in die Schule“11 den Finger in die Wunden legen, die Schülern und Lehrern durch übereilte und naive Reformen im Bildungssektor immer mehr geschlagen werden.

Lehrer sind Helden des Schulalltags

Die Lehrer sind seit dem Pisa-Schock einem ständigen bildungspolitischen und vor allem medialen Veränderungsdruck ausgesetzt. Da jeder Bürger selbst einmal Schüler war, glaubt er, in Fragen der Bildung ein Experte zu sein. Meist erinnert man sich als Erwachsener jedoch nur noch an schlechte Lehrer, die es natürlich genauso gibt wie beispielsweise auch schlechte Ärzte oder Juristen. Lehrer zu loben, leistet sich die Gesellschaft viel seltener. Dies geht schon bei der Grundfrage los, wer denn ein guter Lehrer sei und was einen solchen ausmache. Die eigentlich Betroffenen, die Schüler, müssten dies am besten wissen. Die Vorschläge für den „Deutschen Lehrerpreis“, der jedes Jahr einmal vergeben wird, kommen daher teilweise von den Schülern selbst. In den Begründungen für die Preise kann man ihn finden – den guten Lehrer:

„Lehrer müssen zuhören können, sie müssen Vertrauen vermitteln; andererseits wird Verbindlichkeit geschätzt, kein Heute-so-und-morgen-so. Ein Klassenzimmer-Despot scheitert vor den Schülern ebenso wie ein Luftikus. Das Idealbild ist eine kuriose Mischung: der Lehrer auf Augenhöhe, zu dem man trotzdem aufblicken kann.“12 Soweit die ehrliche Vorstellung von Schülern.

Eine der größten Lehrervertretungen in Deutschland, der Deutsche Philologenverband, will aus verständlichen Gründen das Lehrerbild stärken – nach innen im Verband und nach außen in der öffentlichen Wahrnehmung. Einen guten Anlass dazu bot eben dieser „Deutsche Lehrerpreis – Unterricht innovativ 2014“, bei dem 15 Lehrkräfte und sechs innovative Unterrichtsprojekte ausgezeichnet wurden. Daher titelte die verbandseigene Zeitschrift „Profil“ in ihrer ersten Ausgabe 2015 „Deutschlands Pädagogen: Helden des Alltags“.13 Für 2014 wurden Initiativen gewürdigt, in denen fächerübergreifend unterrichtet und die Zusammenarbeit im Team in besonderem Maße gefördert wurde. In der Kategorie „Schüler zeichnen Lehrer aus“ nominierten Schülerinnen und Schüler aus Abschlussjahrgängen an weiterführenden Schulen „... besonders engagierte Lehrer, die interessant unterrichten, eine hohe fachliche Kompetenz besitzen und die Jugendlichen motivieren und unterstützen.“14

Eine der Preisträgerinnen dieser Kategorie war Michaela Bauer von der Dr.-Karl-Grünewald-Realschule Bad Königshofen/Bayern, Lehrerin für Mathematik und Katholische Religionslehre. Sie wurde von ihren Schülern nominiert, „... weil sie sich durch ihre Herzlichkeit, Offenheit und Ehrlichkeit selbst auszeichnet. Sie motiviert und unterstützt die Jugendlichen. Selbst trotz einer 'manchmal strengeren Herangehensweise' verliert Michaela Bauer ihren Respekt vor den Schülern nicht und peppt 'den Unterricht durch den einen oder anderen Spaß auf.'“15 Es fällt auf, dass die Qualitäten, die sich Schüler vom Lehrer wünschen, nur wenig mit den vielfältigen Reformvorschlägen zu tun haben, die auf Schule und Lehrer im Wochentakt von außen her einprasseln. Darum tut es gut zu hören, was sich gerade Schüler unter einem guten Lehrer vorstellen.

Bei dem Festakt in Berlin, bei dem die Preise vergeben wurden, sprach der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbands, Oberstudiendirektor Heinz-Peter Meidinger, auch das Ziel des Deutschen Lehrerpreises an: „... dass Lehrkräfte in Deutschland zur kreativen Nachahmung angeregt werden, denn die ausgezeichneten Projekte seien keine, durch besondere Umstände ermöglichten Leuchturmprojekte, sondern 'Konzepte, die bei entsprechendem Engagement und bei Unterstützung durch die Schulleitung überall umsetzbar sind.'“16

Zu kurz gesprungen im digitalen Klassenzimmer

„Klick-Clique. Smartphone-Nutzer werden immer jünger, die Geräte prägen spätestens von der fünften Klasse an die Kindheit.“17 Mit dieser Überschrift kommentiert die Süddeutsche Zeitung das Ergebnis der sogenannten KIM-Studie 2014 zum Umgang von sechs- bis 13-jährigen Kindern mit Medien, die vom Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest Anfang 2015 veröffentlicht wurde. Das Ergebnis: Smartphones, also jene Handymodelle, die Apps und Internetzugang bieten, finden immer mehr Verbreitung bei Kindern. Laut dieser Studie hat unter den Zwölfjährigen heute fast jeder ein Handy, die Hälfte ein Smartphone.

Die Kommentatorin dieser Studie in der SZ, Juliane von Wedemeyer, sieht diese Entwicklung ambivalent: „Der Sprung zum Smartphone, der oft zeitlich mit dem Wechsel auf eine weiterführende Schule zusammenfällt, ist allerdings Segen und Fluch. Möglich wird dadurch nämlich nicht nur der brave Anruf bei den besorgten Eltern, sondern auch die besagte Whatsapp-Kommunikation und jeder Blödsinn, der im Internet vorhanden ist. Und davon gibt es eine ganze Menge.“18 Frau Wedemeyer empfiehlt im Folgenden den Eltern Gespräche über die Risiken dieser „Allerskönner“ Smartphone in den Hosentaschen ihrer Kinder – über die möglichen Inhalte, die auf ihre Kinder einströmen und über Fragen des Datenschutzes.19

Es ist kein Wunder, dass viele Lehrer an weiterführenden Schulen glauben, nur noch dann bei ihren Schülern bestehen und sie motivieren zu können, wenn sie in ihrem Unterricht auf dieser digitalen Welle mitsurfen und ihren Schülern in deren vertrauten „Lebenswelten“ von Facebook, Twitter, Whatsapp oder Instagram begegnen. Wasser auf diese „Digital-Mühlen“ kommt auch von aktuellen Studien wie einer, die im November 2014 veröffentlicht wurde. Sie bescheinigt Deutschlands Achtklässlern nur Mittelmaß im weltweiten Vergleich, wenn es um die Computer-Nutzung geht.20

Der Lehrer und Autor Arne Ulbricht nimmt in seinem Artikel „Im digitalen Klassenzimmer“ diese Studie jedoch zum Anlass, um die Entwicklung zur Digitalisierung des Unterrichts an vielen Schulen einmal kritisch unter die Lupe zu nehmen: „Das volldigitalisierte Klassenzimmer wäre ein Horror.“21 Seiner Meinung nach sollte man nicht blind auf den weltweiten Digitalisierungs-Zug aufspringen, sondern differenzieren und Chancen und Risiken der Digitalisierungsmöglichkeiten im Unterricht mit Bedacht abwägen. Im Folgenden sollen einige seiner Gesichtspunkte genannt werden, die er in dem Artikel vorbringt und die auch die Rolle des Lehrers betreffen:

 In Hamburg sollen bereits an mehreren Schulen Tafeln, Bücher und Hefte durch Smartphones, Tablets und Laptops ersetzt werden, um angeblich individuelles Lernen zu fördern. Zudem ist man der Ansicht, dass die Erlaubnis für Schüler motivierend wirke, auch privat genutzte Smartphones im Unterricht zu verwenden. Ist dies aber wirklich motivierender, nur weil diese Art zu „unterrichten“ die meisten Schüler anfangs „lustiger“ finden?

 Der Unterricht sollte weitgehend ein smartphonefreier Raum sein, um eine klare Gegenwelt für die Schüler zu bieten, „... deren erste und letzte Aktion eines jeden Tages darin besteht, aufs Handy zu gucken...“

 Abgesehen von bestimmten Lernphasen oder von Projektarbeit, bei denen natürlich das Internet genutzt wird, sollte der Unterricht auch in Zukunft ein „Mannschaftssport“ bleiben, wobei der Lehrer der Trainer und die Klasse die Mannschaft ist. „Die Mannschaft sollte zusammen ein Ziel erreichen. Deshalb sollte in Klassenverbänden nicht ständig individualisiert gelernt werden.“ Dies ist aber der Fall, wenn jeder – wie zu Hause – sogar im Klassenzimmer nur noch am eigenen Smartphone sitzt.

 Ja, es gibt heute bereits weltweit Schulen, die das Lernen vollkommen digitalisiert haben, die im Unterricht konsequent mit iPads arbeiten und in denen der Lehrer nur noch eine Art Lernberater ist. In Holland war sogar geplant, Schüler ab vier(!) Jahren auch im Homeoffice lernen zu lassen. Herr Ulbricht fragt daher zurecht, wann die Existenz des herkömmlichen Lehrers infrage gestellt wird: „Wann wird das Kürzel SOL, das eigentlich für 'selbstorganisiertes Lernen' steht, für 'Schule ohne Lehrer' stehen?“

 Am Beispiel des Mathematiklehrers macht der Autor deutlich: „Dennoch bedeutet der Mathelehrer für das Leben eines Heranwachsenden mehr als die beste Mathe-App. Der Lehrer ist ein Mensch aus Fleisch und Blut und kein iPad aus Aluminium und Glas.“ Im Gegensatz zum Smartphone, das stets emotional ungerührt bleibt, kann der Lehrer Schülern helfen, wenn sie mitten im Unterricht zu heulen beginnen, weil sie etwas nicht verstehen, Liebeskummer haben oder weil die Scheidung der Eltern bevorsteht und damit ihre persönliche Welt zusammenbricht.

 Herr Ulbricht ist nicht gegen eine digitalisierte Schule, denn dann wäre er wirklich ein Lehrer aus einer anderen Zeit. Dies wäre heute schlichtweg unverantwortlich. Aber die Digitalisierung darf nicht die Vereinzelung der Schüler fördern, die im Klassenzimmer bewusst einüben sollten, wie man auch mit Menschen zusammenarbeiten kann, die keine Freunde sind.

 Obwohl eine Projekt- und die damit verbundene Recherchearbeit im Laptopraum heute nicht mehr wegzudenken ist, sollte die Schule jedoch ganz bewusst Alternativen zum dauerhaften Internetkonsum aufzeigen. Aus zwei Gründen: Denn heute verbringen „... viel zu viele Schüler viel zu viel Zeit in sozialen Netzwerken...“ Außerdem wird das Wissen, das sich viele Schüler in wenigen Sekunden ergooglen, binnen weniger Sekunden wieder vergessen.

 Das Fazit des Autors: „Die Schule sollte ein Raum sein, in dem man auch ohne digitale Hilfe lernen kann. Lehrer sollten Schüler motivieren, sie neugierig auf das Neue machen – auch mal in einem emotionalen Notfall für sie da sein. Auch die nächsten Generationen werden Lehrer brauchen, die Menschen und keine Maschinen sind.“22

Herr Ulbricht spricht mir mit diesen Gedanken aus dem Herzen. In seinem Artikel wird bereits deutlich, wie sich die Rolle des Lehrers verändert hat und welche vielseitigen Erwartungen und Ansprüche an ihn heute gestellt werden. Diese hängen jedoch ganz davon ab, von wem sie kommen: von Eltern, Schülern, Bildungsforschern, selbsternannten Bildungsexperten, Soziologen, Bildungspolitikern, Kultusbehörden oder von Wirtschaftsverbänden, um nur einige zu nennen. Ich kann es immer weniger verstehen, warum bei pädagogischen Themen nicht die eigentlichen Fachleute für Bildung, Schule und Unterricht – also die Lehrer selbst – gefragt werden, die es doch am besten wissen müssten, was beim Unterrichten geht, was sinnvoll ist und was nicht, in welchen Situationen sich ihre Schüler heute befinden und wie Lernerfolge am besten erzielt werden können.

Warum hört die Öffentlichkeit viel lieber auf medial „aufgemotzte“ und aufgebauschte fragwürdige Studien und sich selbst inszenierende „Marktschreier“, die vorgeben, als Bildungsexperten „die“ Lösung aller heutigen Jugend- und Schulprobleme in der Tasche zu haben. Ich werde vor allem dann hellhörig und bisweilen auch wütend, wenn solche Stimmen von außerhalb des Schulbereichs kommen und Lehrer pauschal und billig populistisch in eine Ecke drängen nach dem Motto: Die Lehrer seien schuld, wenn Deutschland im Welt-Bildungsverleich nur mittelmäßig abschneidet.

In diese Richtung geht auch Thorsten Dirks, Präsident des IT-Branchenverbandes Bitkom, der die Umsetzung der sogenannten „digitalen Agenda“ von Seiten der Bundesregierung lobt. Als wichtigstes Beispiel kann hier der zügige Ausbau des Breitbandnetzes angeführt werden. Dagegen mache den Firmen der Fachkräftemangel große Sorgen, „… wo nach Aussagen des Bitkom-Chefs zu wenig geschieht. Weil in Deutschland die Länder für die Schul- und Ausbildungspolitik zuständig seien, gebe es große Zuständigkeitsfragen. 'Hier klafft in der Digitalen Agenda an zentraler Stelle eine Lücke', sagt Dirks. Es falle zudem auf, dass die Gesellschaft für die Anforderungen der digitalen Transformation des Landes noch nicht bereit sei ...

Beim Thema Bildung müssten sich die Schulen und Berufsschulen schnell auf die Anforderungen der digitalen Welt einstellen, sagt Dirks. Das müsse sich zum einen an der Ausstattung der Schulen zeigen, aber auch an den Lehrplänen. So sei es beispielsweise aus Sicht seines Verbandes zwingend notwendig, Englisch schon ab der ersten Klasse anzubieten. Zudem müssten die Schüler kompetenter werden, was die Nutzung der neuen Medien angehe.“23

Soweit die klaren Forderungen eines Wirtschaftsverbandes, dessen Firmen sich im weltweiten extremen digitalen Wettkampf befinden. Natürlich muss diese Stimme ernst genommen werden. Hier kann man erahnen, welchem Spannungsfeld die Schulen und vor allem die Lehrer heute ausgesetzt sind, denen es neben der fachlichen Bildung ja vor allem um die Persönlichkeitsentwicklung der Schüler gehen muss. Davon ist beim IT-Branchenverband Bitkom natürlich überhaupt nicht die Rede. Dieser möchte nur genügend Fachkräfte von den Schulen geliefert bekommen. Schule muss aber viel, viel mehr als bloßer Lieferant von zukünftigen Fachkräften in den MINT-Fächern sein.24 Es muss immer und vor allem um Pädagogik gehen.

Daher soll zum Schluss dieser Überlegungen ganz bewusst noch der Gymnasiallehrer und Kollege Michael Felten zu Wort kommen. In seinem Buch „Auf den Lehrer kommt es an! Für eine Rückkehr der Pädagogik in die Schule“ betrachtet er den ganzen momentanen „Bildungs-Hype“, zu dem auch die zunehmende Digitalisierung von Unterricht und Schule gehört, aus der Perspektive eines betroffenen Pädagogen. Wieder sollen in zehn Thesen einige seiner Gedanken vorgestellt werden.25

Der Lehrer ist wichtig

1. These

Die gegenwärtige Bildungsdiskussion wird von Bildungsjournalisten immer wieder durch ein „Strukturlamento“ angereichert: Manche sehen in Gesamtschulen, auch Gemeinschaftsschulen genannt, das anzustrebende Ziel, weil der Gedanke des Einheitlichen etwas Anheimelndes habe. „Dabei haben die PISA-Forscher selbst regelmäßig darauf hingewiesen, dass nicht die Strukturen über schulische Qualität entscheiden, sondern die Güte des Unterrichts.“ (S. 11). Es gibt kein „bestes Schulsystem“, sondern nur guten oder schlechten Unterricht. (vgl. S. 12).

2. These

Es ist Mode geworden, Schulen von Seiten der Kultusbehörden mehr Selbstverantwortung zu geben. Dieses „Selbständigkeitsgetue“ ist jedoch nur eine Mogelpackung, „... um administrative Kosten zu reduzieren, um Verantwortung für Schulexperimente von sich abzuschieben, um dem Unmut über zu große Klassen zu entgehen...“ (S. 12). Außerdem müssen die Lehrer viel Zeit an der Schule in Arbeitskreisen verbringen, um eigenständige Schulprogramme zu formulieren, die danach nicht umgesetzt werden oder aus Kostengründen gar nicht verwirklicht werden können. Dafür fehlt in diesem Fall die Zeit für eine gute Unterrichtsvorbereitung, sowie für Gespräche mit Eltern und Schülern. (vgl. S. 12).

3. These

Zur externen Evaluation: Es spricht etwas dafür, Bildungsprozesse von Zeit zu Zeit zu überprüfen und das Geschehen im Klassenzimmer nicht völlig dem Belieben des einzelnen Lehrers zu überlassen. Dennoch entspricht es einer naiven Gläubigkeit, wenn in Evaluationen eine geradezu sakrosankte Steuerungsform gesehen wird. Vor allem dann, wenn aufgrund eines Evaluationsberichtes nur noch solche Konsequenzen gezogen werden, die bezahlbar und politisch gewollt oder wirtschaftlich erwünscht sind; wenn nur noch genau das unterrichtet und gepaukt wird, was in regelmäßigen vergleichenden Lernstandsmessungen abgefragt wird; wenn banale schulinterne Befragungen als Scheinlegimitation für neue Schulversuche missbraucht werden. (vgl. S. 13).

4. These

In der Schulpolitik ist dringend eine „personale Wende“ nötig: Damit der „normale“ Lehrer seine bisweilen schwierigen Aufgaben erledigen kann – den jungen Leuten fachliche Kompetenzen vermitteln, ihr „Weltbewusstsein“ erweitern, Kinder auch aus bildungsfernen Schichten erreichen –, braucht er vor allem eines: „… nicht ständig neue Entwicklungsvereinbarungen oder endlose Strukturdebatten, sondern Ruhe und Unterstützung in seinem Unterrichtsalltag; im beständigen Ringen um Motivation und Nachhaltigkeit, bei der täglichen Gratwanderung zwischen Über- und Unterforderung seiner vielen individualisierten Schüler.“ (S. 14).

5. These

Es ist zu begrüßen, dass Bildung seit dem Pisa-Schock zu einem „gesellschaftlichen Megathema“ geworden ist. Jedoch hat die ganze Bildungsdebatte eine ungünstige Wendung genommen, so dass sie dringend einer „Belüftung“ bedarf: „Schule und Unterricht werden zunehmend mechanistisch verstanden, als ein Gebiet von Daten und Prozessen, auf dem bei geeigneter Justierung der Variablen alles machbar, ökonomisch optimal kalkulierbar und auch politisch kontrollierbar scheint.“ (S. 15).

6. These

Veränderungen, die etwa in Unternehmensstrukturen Sinn machen können, dürfen auf keinen Fall unkritisch auf die Schulpädagogik übertragen werden. Denn Kinder sind keine Rohstoffe und Bildung zu vermitteln ist etwas anderes, als Waren zu produzieren. Der entscheidende Faktor für eine gelungene Bildungspolitik sind die Lehrer. Das Unterrichten ist eine Angelegenheit zwischen Menschen. Im Klassenzimmer geht es immer um das Beziehungshafte. Die Bildungsdebatte der letzten Jahre führte hingegen zu einer Verunsicherung im Pädagogischen und zu einer Vernachlässigung des Psychologischen. (vgl. S. 15).

7. These

Während viele Berufe es vor allem mit einer objekthaften Materie zu tun haben, hat der Lehrer in den Schülern stets Subjekte vor sich, die sich zudem noch in der Entwicklung befinden. Er muss alles bildende und erzieherische Wollen über die zwischenmenschliche Beziehung zu seinen Schülern transportieren. „Dazu braucht es aber eine andere Professionalität als die neuerdings postulierte des kühlen Lernmanagers – und vor allem personale Zeit und Zuwendung, Kraft und Menschenkenntnis. Die pädagogische Situation, sie bleibt eben etwas ganz Anderes als die zunehmende Schnelllebigkeit unserer Erwachsenenwelt.“ (S. 16). Der Lehrer muss eine Lerngruppe selbstbewusst und zugewandt führen können, er muss Lernprozesse sinnvoll arrangieren und steuern und er muss in der Lage sein, Lernschwierigkeiten bei seinen Schülern aufzulösen. (vgl. S. 16 f.).

8. These

Vor der gegenwärtig propagierten „Selbstlerneuphorie“ der Schüler ist aus Sicht der Praxis zu warnen. Führungsfreude des Lehrers sind im Klassenzimmer ebenso gefragt wie Einfühlsamkeit. Die Schüler sollten gefördert und gefordert werden. Der Beziehungskompetenz des Lehrers kommt dabei eine immerwährende Bedeutung zu. Die Rehabilitierung des Pädagogischen ist somit eine optimistische Gegenoffensive zu den strukturellen und technokratischen Sackgassen der gegenwärtigen Bildungsdebatte. (vgl. S. 17).

9. These

Die Aufgabe des Lehrers ist es, eine Klasse souverän und zugleich motivierend zu leiten. Es ist seine Kunst als „Schulmeister“, die Kompetenzen seiner Schüler nachhaltig zu mehren, ohne sich aber im heutigen Methodenwust zu verlieren. Es kommt also entscheidend auf den Lehrer, seine Persönlichkeit und seinen realen Einfluss auf den Bildungsprozess seiner Schüler an. Vor dem Hintergrund dieser Perspektive wird jeder Hoffnung auf Erlösung durch einen bloßen Schul-Systemwechsel in der Bildungspolitik der Boden entzogen. (vgl. S. 17).

10. These

Die Schule sollte in Zukunft nicht andauernd „neu“, sondern vielmehr „richtig“ gedacht werden. Dies bedeutet, nur vordergründigen Reformaktivismus zu stoppen, die personale Ausstattung der Schulen zu verbessern und die psychologische Qualifizierung der Lehrerausbildung auszuweiten. Dies würde Raum für eine wirkliche Bildungswende geben. Der Berufsalltag des Lehrers wäre dann immer noch anspruchsvoll und herausfordernd, aber weniger auslaugend. (vgl. S. 18).

Zudem ist festzuhalten: „Was erfahrene Lehrer von Bildungsjournalisten und Bildungsprofessoren unterscheidet, ist ihr solides Wissen um das Erfreuliche, Problematische und Mögliche in der Schule, quasi aus erster Hand...“ (S. 18).

Kann eine externe Evaluation überhaupt das Wesentliche erfassen?

Diese Ausführungen von Michael Felten über Schulpolitik und Strukturreformen wie auch über die Rolle des Lehrers sollen in einem einzigen Punkt noch ergänzt werden: bezüglich der von ihm bereits erwähnten „externen Evaluation“. Es mag sinnvoll sein, Schulen von Zeit zu Zeit zu überprüfen, um neue Impulse geben und sie irgendwie vergleichen zu können. Es ist sehr verständlich, dass die meisten Schulleiter hoffen, dabei gut abzuschneiden und im schulinternen Ranking möglichst weit vorne zu landen. Dennoch möchte ich auf eine große Illusion hinweisen, die entsteht, wenn man einen Evaluationsbericht zu wörtlich oder zu ernst nimmt; oder wenn man gar meint, dass damit das eigentliche Wesen des Unterrichts erfasst und ein abschließendes (Wert)Urteil über eine Schule als Ganzes gefällt werden kann.

Man kann die Struktur einer Schule beschreiben, die Art der Leitung und ihre Effektivität feststellen; man kann den Methodeneinsatz im Unterricht bewerten und vielleicht noch die Stimmung bei Schülern, Eltern und Lehrern in einer Statistik erfragen. Das sogenannte Kerngeschäft „Unterrichten“ ereignet sich jedoch immer in den Klassenzimmern selbst – zwischen Lehrern und Schülern. Auch dazu kann manches wahrgenommen werden, wenn die Evaluatoren einige wenige Unterrichtsstunden besuchen und diese an Hand von vorgegebenen Fragebögen bewerten und abhaken.

Das Eigentliche geschieht jedoch aufgrund der Beziehung zwischen dem Lehrer und seinen Schülern – Stichwort „Erziehung durch Beziehung“. Denn nur, wenn das Klima stimmt, nehmen die Kinder und Jugendlichen vom Lehrer auch Wissen auf und an. Wie aber soll diese Beziehung zwischen Lehrer und Schülern „gemessen“ werden? Wenn ein Pädagoge seine Schüler nicht grundsätzlich liebt, sollte er die Finger von diesem anspruchsvollen, herausfordernden und zugleich schönen Beruf lassen. Wie sollen Liebe und Menschlichkeit „festgestellt“ werden? Und wie soll die Magie des Unterrichts, ohne die es auf Dauer auch nicht geht, kontrolliert, beschrieben, evaluiert oder eben „gemessen“ werden?

Hier sehe ich die Grenze jeder externen Evaluation und im übrigen auch jeder Bewertung bei einem schulinternen Unterrichtsbesuch. Weil aber dieser beziehungsmäßige, emotionale, magische Bereich des Unterrichts und des Tuns des Lehrers mit einem nur rationalen Messinstrument wie einem Evaluationsfragebogen letztlich nicht wirklich eingefangen, bewertet und kontrolliert werden kann, bedeutet dies jedoch nicht, dass dieser Bereich dann unwichtig wäre.

Die Schüler jedenfalls haben gerade für die Beziehungsebene feine Antennen und es gibt schnell Störungen, wenn im Kontakt zum Lehrer etwas nicht stimmt. Sie wollen einen Menschen aus Fleisch und Blut und mit Stärken und Schwächen vor sich haben, an dem sie sich orientieren und reiben und von dem sie Zuwendung und Bestätigung bekommen können. Damit ist das zweite große Bildungsziel neben der Wissensvermittlung berührt: Persönlichkeitsentwicklung, Charakterbildung und Werteerziehung. Diese Aspekte des Unterrichts spielen sich vor allem auf einer emotionalen Ebene ab – sehr vergleichbar mit dem Verhältnis von Eltern zu ihren Kindern. Wie aber soll solch ein entscheidender emotionaler Bereich des Unterrichts mit einer rationalen Methode wie einer Evaluation wirklich und in der Tiefe erfasst werden können?

Eine gute Schule ist nur mit guten Lehrern möglich. Eine funktionsfähige Schulverwaltung beispielsweise, die in einer Evaluation durchaus „gemessen“ werden kann, schafft jedoch noch keine gute Schule, sie kann höchstens für bessere Rahmenbedingungen sorgen, unter denen dann anregender Unterricht stattfinden kann. Diese Tatsache muss immer bewusst bleiben, wenn eine Schule einer externen Evaluation unterzogen wird.

Nun soll im nächsten Punkt noch auf die Situation der Schüler näher eingegangen werden. Dabei ist mir klar, dass ich als Lehrer natürlich parteiisch bin. Dennoch hoffe ich, auch einigen Stimmen von Schülern Raum geben zu können; oder andere zu hören, die an den Schülern nah dran sind.

Schule – quo vadis?

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