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JULIA MORETTI

HAMBURG, DEUTSCHLAND, SEPTEMBER 2016

Mit Schwung parkte Julia Moretti ihren roten Fiat 500 in der Tiefgarage des Appartementhauses, in dem sie nun seit drei Wochen lebte. Der kleine Flitzer war ihr ans Herz gewachsen, ein idealer Kleinwagen für die Stadt, wie sie befand, und ein symbolträchtiges Gefährt obendrein, insbesondere für eine Frau mit italienischen Wurzeln. So empfand sich Julia Moretti generell viel mehr als Italienerin, denn als Deutsche, obwohl sie in Deutschland geboren und aufgewachsen war. Schon als Jugendliche hatte sie sich bewusst lässig, südeuropäisch gegeben und alles typisch Deutsche abgelehnt. Das schlechte Verhältnis zu ihrer Mutter hatte dieses Verhalten noch bestärkt. Auch wenn sie es sich nicht gerne eingestand, so hatte sie doch sehr viele typisch deutsche Charaktereigenschaften von ihrer Mutter mitbekommen, wie ihre penible Pünktlichkeit und Disziplin. In ihrem beruflichen Umfeld wusste sie das geschickt einzusetzen.

Ihr kompakter Fiat wirkte in der großzügigen Tiefgarage verloren, Kleinwagen waren eher die Seltenheit. Aber das niedliche Gefährt war kein gewöhnlicher Wagen, er war Kult und sie brauchte ihn nur innerhalb Hamburgs. Für größere Strecken bevorzugte sie die Bahn oder den Flieger. Ganz besonders schätzte sie an dem guten Stück den geringen Platzbedarf. Zu lange hatte sie in Gegenden gewohnt, wo die Parkplatzsuche einem Sechser im Lotto gleichkam. Mit Fahrzeugen dieser Größenklasse, gestaltete sich die Suche nach einer freien Parklücke wesentlich einfacher. Sie griff nach ihrem Autoschlüssel, verriegelte ihren Wagen und lief zum Aufzug. Mit Unbehagen dachte sie an das Chaos in ihrer Wohnung, in die sie direkt aus der Tiefgarage hochfahren konnte. Ihr Magen revoltierte schon eine ganze Weile, sie hatte Hunger und auch wenn es schon spät war, Julia Moretti würde sich noch eine leckere Mahlzeit zubereiten. Dafür war immer Zeit, da kamen ihre italienischen Gene durch. Ein Gong signalisierte das Erreichen der obersten Etage. Als sich die Aufzugstür öffnete, hätte sie am liebsten die Augen zugemacht. Gemütlichkeit sah anders aus, die hochgestapelten Umzugskartons würden weitere Tage auf ihre Entleerung warten müssen. Mit Schwung warf sie ihre Tasche auf eine Kommode, schmiss ihren Mantel auf ihr Bett, zog ihre Pumps aus und lief barfuß in die Küche.

Heißhungrig öffnete sie den Kühlschrank. Auf einem flachen Teller lag unter einer stramm gespannten Frischhaltefolie ein gekochtes Stück Kalbfleisch. Bei dem Anblick lief Julia das Wasser im Munde zusammen. Gestern Nacht hatte sie ein gutes Kilo der mageren Kalbsnuss in leicht gesalzenem Wasser zusammen mit Suppengrün und Weißwein vorgekocht. Dies war die Grundlage für ein Vitello Tonnato, eine ihrer Lieblingsvorspeisen, manchmal auch Hauptgerichte, je nachdem wie hungrig sie war. Heute würde es wohl eher eine Hauptspeise werden. Jetzt musste sie nur noch die Soße zubereiten, eine Routineübung die ihr leicht von der Hand ging. Julia Moretti goss sich ein Glas Weißwein ein und spielte einen Augenblick mit dem Gedanken ihren Freund anzurufen, verwarf die Idee aber schnell wieder. Sie war für einen ausschweifenden Abend zu müde und wenn Markus käme, würde es wie immer ein intensiver Feierabend werden. Er war der richtige Kerl für guten Sex, das war aber auch alles, was sie beide verband, nicht mehr und nicht weniger. Darüber hinaus hatte das Paar es bisher nicht kommen lassen. Jeder besaß seine eigene Wohnung. Manchmal sahen sie sich mehrere Wochen nicht, wenn sie mal wieder beruflich unterwegs waren und die Zeit es einfach nicht zuließ. Ein Idealzustand in ihrer momentanen Situation und Markus teilte diese Einstellung, obwohl sie sich gerade in der letzten Zeit immer häufiger bei dem Wunsch nach mehr Zweisamkeit ertappte.

Sie nahm genüsslich einen Schluck Wein und widmete ihre Gedanken wieder dem Kochen. Geschickt trennte sie vier Eier, ließ das Eiweiß in eine Schüssel tropfen und kippte das Eigelb in eine mittlere Glasschale, dazu träufelte sie zunächst Olivenöl und dann Sonnenblumenöl. Mit großer Vorsicht rührte sie anschließend nach und nach Zitronensaft in die sich bildende Mayonnaise. Jetzt brauchte sie nur noch den Thunfisch und die Anchovis Filets unter die Masse zu pürieren und schon stieg ihr der aromatische Duft der Thunfischcreme in die Nase. Zuletzt holte sie die Kapern hervor, die sie regelmäßig mit anderen Köstlichkeiten aus dem Heimatdorf ihres Vaters zugeschickt bekam. Ihre Tante ließ es sich nicht nehmen, alle sechs bis acht Wochen ein Paket mit eingelegtem Gemüse, Käse, Wurstwaren, handgemachten Nudeln und stets einem Glas Kapern zu schicken. Damit hatte sie nach dem Tod ihres Bruders begonnen, um den Kontakt zu Julia nicht ganz zu verlieren und ihre Nichte sich stets an den italienischen Teil der Familie erinnerte. In Julias Freundeskreis war das Paket von Tante Carmen mittlerweile eine feste Größe, nach Erhalt des Fresspakets lud sie meistens zu einem opulenten Essen ein.

Ein frisches Baguette, das sie sich in der Mittagspause gekauft hatte, rundete ihr Abendessen ab. Es steckte noch in einer Papiertüte in ihrer Tasche. Sie lief zurück in den Flur, um das Brot zu holen, gleichzeitig kramte sie aus den Untiefen ihrer Handtasche das Handy hervor. Augenblicklich erschien die Anrufliste mit der ihr unbekannten Nummer. Der fremde Anrufer war hartnäckig gewesen, er hatte weitere Versuche unternommen sie zu erreichen, das hatte sie gar nicht mitbekommen. Zusätzlich wurde auf dem Display der Eingang von mehreren Sprachnachrichten angezeigt. Mit dem Telefon am Ohr ging sie zurück in die Küche, steckte ihren Zeigefinger in die frisch angerührte Soße und schleckte sie genüsslich ab, während sie ihre Mailbox abhörte. Markus hatte gleich zwei Mitteilungen hinterlassen, er war beruflich noch in Moskau unterwegs und schien, Langeweile zu haben. Sie würde ihn später zurückrufen. Eine Freundin fragte, ob sie am Wochenende mit ihr ins Theater käme, auch das wollte sie nach dem Essen klären. Die letzte Nachricht machte sie neugierig, es musste der ausländische Anrufer sein. Gespannt drückte sie die Abhörtaste, ihre Anspannung stieg, als sie hörte, dass es sich um eine Frau von der griechischen Polizei handelte. Eine Katharina Waldmann, Kriminalhauptkommissarin, bat dringend um Rückruf. Hektisch suchte sie nach einem Stift und einem Stück Papier, um sich die Nummer zu notieren, dafür hörte sie die Mitteilung mehrmals ab. Die Stimme der Anruferin klang angenehm warm, aber in gewisser Weise auch bestimmt. Julia Moretti spürte, dass es sich um eine ernste Angelegenheit handeln musste. Instinktiv schaute sie auf ihre Uhr, es war fast zehn, zu spät um zurückzurufen.

Was wollte die Polizei in Griechenland von ihr? Plötzlich kamen ihr Zweifel, die Frau hatte in nahezu akzentfreiem Deutsch die Botschaft hinterlassen, war das Ganze vielleicht ein Fake Anruf? Sie war viel gereist in den letzten Wochen, aber nach Griechenland konnte sie trotz intensiven Überlegungen keinerlei Verbindung herstellen. Vielleicht handelte es sich auch nur um eine Verwechslung? Grübelnd überlegte sie, was sie tun sollte, sie verspürte eine aufkommende Unruhe, die die Sprachnachricht bei ihr ausgelöst hatte. In ihrem Magen meldete sich ihr Hunger zurück, jetzt musste sie zunächst eine Kleinigkeit essen. Sie legte das Telefon zur Seite und entschied, die Frau am nächsten Morgen zurückzurufen.

Bittere Kapern

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