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KATHARINA WALDMANN

PARIKÍA, PAROS, SÜDLICHE ÄGÄIS, SEPTEMBER 2016

Am darauffolgenden Morgen hatte Katharina eine außerplanmäßige Dienstbesprechung anberaumt, ihr Team erschien pünktlich in der Polizeidienststelle in Parikía. Die Entdeckung der angespülten Frauenleiche war zwar nur ein Punkt von vielen auf der Tagesordnung, aber er sorgte zweifelsohne für die meisten Diskussionen. Filippos zeigte der Mannschaft die Fotos vom Fundort der Toten, damit sich alle ein Bild von den Umständen machen konnten.

Xenia schauderte, als sie die Nahaufnahme vom grell geschminkten Gesicht der Toten sah. »So geht man vielleicht auf eine Party, aber doch nicht ins Wasser«, gab sie unverblümt zu verstehen, nachdem die Kommissarin den Verdacht eines Suizids geäußert hatte.

»Nicht weit von der Küste herrscht in Ambelàs eine starke, ablandige Strömung«, wusste Takis zu berichten, der jeden Winkel der Insel seit Kindheitstagen kannte.

»Was willst du damit sagen?«

»Sie muss in der Nähe des Strands ertrunken sein, ansonsten hätte sie der Sog aufs Meer hinausgezogen.«

Katharina machte eine Notiz auf der weißen Wandtafel. Dort standen bereits der Name und die Adresse der Frau. »Das würde auf einen Selbstmord hindeuten und …«, sie ergänzte auf der Tafel die vorgefundenen Medikamente, »insbesondere, wenn sie, wie wir vermuten, unheilbar krank war.«

»Ja, das könnte passen. Nur, warum gibt es dann keinen Abschiedsbrief? Und warum in einem abgeschiedenen Nest in Griechenland, wo sie keinen Menschen kannte? Die Pensionswirtin hatte sie ›eine Neue‹ genannt«, sagte Filippos. Er sah müde und abgespannt aus. In seiner freien Zeit war er vollauf mit handwerklichen Tätigkeiten beschäftigt. In ihrem neuen Haus gab es einiges zu tun und zur Taufe sollte das Gröbste erledigt sein, zumal mehrere Verwandte bei ihnen übernachten würden.

»Wer weiß schon, was in solchen Menschen vorgeht«, kommentierte Spyros die Situation.

»Lasst uns den Obduktionsbericht aus Athen abwarten. Wann wollte Angeliki sich melden?«

»Noch heute im Laufe des Nachmittags, das ist eine Routineuntersuchung für die Gerichtsmedizin. Sie wollte es dazwischenschieben.« Die Kommissarin hatte gestern Abend mit ihrer Freundin und ehemaligen Kollegin aus Athen telefoniert und die Gerichtsmedizinerin um schnelle Ergebnisse gebeten.

Inmitten ihrer Runde erklang das Telefon. Katharina hatte bereits ungeduldig und mit einem unangenehmen Grummeln im Bauch auf den Anruf gewartet. Nahen Angehörigen den Tod eines Mitmenschen mitzuteilen, gehörte zum schwierigsten Teil ihrer Arbeit, an den sie sich nie gewöhnen würde.

»Sie sind Julia Moretti, die Tochter von Eva Moretti-Bach«, ließ sie sich den Namen noch einmal bestätigen, nachdem sich die Anruferin mit ihrem Namen gemeldet hatte.

»Ja, das sagte ich bereits. Worum geht es?«

»Es geht um ihre Mutter. Sie sind doch die Tochter von Eva Moretti-Bach?«

»Ja! Nun sagen sie doch endlich, was sie von mir wollen«, wurde die Frau ungehalten.

»Ich muss Ihnen leider eine traurige Mitteilung übermitteln, vielleicht nehmen Sie sich einen Stuhl.« Im Besprechungsraum war es schlagartig ruhig geworden. »Wir haben gestern ihre Mutter tot in Ambelás aufgefunden«, sagte Katharina klar und deutlich.

»Was? Das kann nicht sein.« Katharina hörte, wie die Frau tief durchatmete. »Wo haben Sie meine Mutter gefunden?«, fragte sie gefasst.

»In Ambelás, einem Küstenort auf Paros, in Griechenland«, wiederholte die Kommissarin ruhig den Namen des letzten Aufenthaltsortes der Toten. »Hat ihre Mutter Ihnen nichts von ihrer Reise erzählt?«

»Nein, davon habe ich nichts gewusst, aber …« Julia Moretti begann zu stottern. »Wir hatten schon länger keinen Kontakt mehr.« Ihre Stimme klang verzweifelt. »Wo sagen Sie, hat man sie gefunden?«

»Auf einer griechischen Insel, zwischen Mykonos und Naxos«, die Kommissarin nannte bewusst zwei der bekanntesten Kykladen Inseln.

»Und wie ist sie ums Leben gekommen?«

»Allem Anschein nach ist sie ertrunken, aber Genaueres wird noch untersucht.«

»Ertrunken? Wie schrecklich.« Julias Stimme bebte.

»Wissen Sie, ob ihre Mutter ernsthaft erkrankt war?«, hakte Katharina nach und hoffte auf eine klare Antwort. Es dauerte eine ganze Weile, bevor Julia Moretti sich äußerte.

»Nein, wie gesagt, ich habe mit meiner Mutter das letzte Mal an Weihnachten gesprochen. Da hat sie mir nichts von einer Erkrankung erzählt.«

Katharina vernahm ein leises Schluchzen und das Rascheln von Papier.

»Dann wissen Sie auch nichts von einer Depression oder Selbstmordabsichten, nehme ich an?«

»Nein«, weinte die Frau ungehemmt ins Telefon.

»So wie sich die momentane Sachlage darstellt, liegt kein Fremdverschulden vor. Es könnte sein, dass ihre Mutter freiwillig ins Wasser gegangen ist.«

Ein lautes Stöhnen drang ans Ohr der Kommissarin.

»Können Sie uns den Hausarzt ihrer Mutter nennen«, Katharina wollte versuchen, über den Arzt der Toten an weitere Informationen zu kommen.

»Ich sagte Ihnen doch, wir hatten kaum Kontakt.« Julia Moretti schnäuzte sich in ein Taschentuch.

»Gibt es denn weitere Angehörige, die uns weiterhelfen können?«

»Die gab es, aber Ihre Schwester ist letztes Jahr verstorben.«

»Und sonst? Irgendwelche Bekannten, Freunde?«

»Ich weiß es nicht! Das kommt alles so plötzlich.« Die Stimme der jungen Frau wurde lauter.

»In der Pension, in der ihre Mutter gewohnt hat, haben wir auf dem Nachttisch das Foto einer jungen Frau gefunden. Ich würde gerne wissen, ob Sie das sind?«

»Was?« Julia Moretti stöhnte laut auf.

»Wir können Ihnen das Foto auf ihr Handy senden, dann können Sie sich dazu äußern. Kennen Sie jemanden, der uns bei den anderen Fragen weiterhelfen könnte?«

»Vielleicht eine Nachbarin, mit der meine Mutter seit vielen Jahren eng befreundet ist«, fiel Julia jetzt ein und gab Katharina einen Namen durch. »Wie geht es denn jetzt weiter?« Die Hamburgerin hatte sich wieder etwas gefangen.

»Sobald die Leiche freigegeben wird, womit ich im Laufe des Tages rechne, müssen wir wissen, wohin wir ihre Mutter überführen sollen. Oder wünschen Sie eine Bestattung vor Ort?« Die Kommissarin musste diese Frage stellen, da man die Tote in der Gerichtsmedizin in Athen bekanntlich schnell loswerden wollte. »Diese Entscheidung müssen Sie als engste Angehörige treffen.«

»Oh, Gott«, entwich es der Hamburgerin und die Kommissarin hörte sie stoßweise atmen.

»Lassen Sie mir einen Tag Zeit. Das Ganze kommt vollkommen unerwartet«, antwortete sie mit weinerlicher Stimme. »Ich muss darüber nachdenken. Ich melde mich bei Ihnen.«

»Gut, sobald wir den Obduktionsbericht haben, melden wir uns.«

Katharina hatte aufgelegt.

Betroffenheit spiegelte sich in den Gesichtern ihres Teams, nachdem Katharina die wesentlichen Passagen des Gesprächs für alle übersetzt hatte. Die traurige Stimmung des Telefonats hatte sich auch ohne den Text zu verstehen auf die ganze Truppe übertragen.

»Die scheinen, nicht das beste Verhältnis gehabt zu haben«, interpretierte Konstantinos folgerichtig. »Sie wusste ja nichts von ihrer Mutter.«

»Kommt in den besten Familien vor, ist nicht überall nur Friede, Freude Eierkuchen.« Takis war da ganz realistisch.

»Und dann noch das ganze Theater mit der Überführung, das kann einen Angehörigen schon umhauen.« Katharina tat die Frau leid.

Kurz nach Mittag hatten sie schließlich Klarheit zu den Todesumständen von Eva Moretti-Bach. Angeliki bestätigte ihnen den Tod durch Ertrinken. Spuren, die auf Fremdeinwirkung hinwiesen, hatte sie keine gefunden. Der Todeszeitpunkt wurde von ihr auf zwischen 18:00 und 20:00 Uhr am Vorabend des Auffindens der Toten geschätzt. Die Frau war also bei ihrer Entdeckung seit zwölf bis vierzehn Stunden tot. Die Leiche wurde somit freigegeben und wartete auf den Abtransport zu ihrer letzten Ruhestätte.

Bei der Kommissarin stellte sich sogleich ein Gefühl der Leere ein. So schnell konnte sie sich mit dem Ergebnis aus Athen nicht abfinden. Sie kam ins Grübeln und verfolgte die restliche Dienstbesprechung nur unkonzentriert, weshalb Takis Katharinas Zweifel recht schnell bemerkte.

»Du bist mit dem Bericht aus Athen alles andere als glücklich?«

»Gut erkannt.« Sie war immer wieder über Takis feinfühlige Art überrascht.

»Mein Bauch sagt mir, dass an dem Fall irgendetwas nicht stimmt. Und meistens hat er recht.«

»Geht mir genauso«, entgegnete Filippos.

»Das Rückflugticket und der fehlende Abschiedsbrief lassen mich nicht zur Ruhe kommen«, konkretisierte die Kommissarin ihr Gefühl.

»Und dann das Foto auf dem Nachttisch«, ergänzte Filippos.

»Das muss die Tochter sein. Laut Melderegister hatte die Tote nur ein Kind.«

»Und? Nimmt man das Foto eines Menschen mit in die Ferien, zudem man keinen Kontakt mehr hat?« Katharina hatte die Frage gestellt.

»Wohl kaum«, schaltete sich Xenia ein. »Es sei denn, das Verhältnis wurde von Seiten der Tochter beendet und die Mutter hat darunter stark gelitten.«

»Könnte sein, aber dann hinterlasse ich der geliebten Person ein paar Zeilen, wenn ich mich umbringe,« befand die Kommissarin.

»Vielleicht war es nur ein Unfall und sie wurde ins Meer gezogen«, meldete sich erstmalig Konstantinos zu dem Fall.

»Wohl kaum, wir hatten in den letzten Tagen zwar eine starke Brandung, aber die Wellen sind nicht so hoch, dass sie eine Spaziergängerin ins Meer reißen«, wiegelte Takis ab. »Was hat die Frau überhaupt dazu bewogen, ihren Urlaub in Ambelás zu verbringen? Diese Frage beschäftigt mich schon die ganze Zeit«, setzte er noch nach.

»Vielleicht kann uns ihre Nachbarin dazu etwas sagen.« Katharina zeigte auf den Namen, den Julia Moretti ihr genannt hatte. »Über sie kommen wir hoffentlich auch an den Hausarzt der Toten.«

Viele Fragen blieben unbeantwortet und Unbehagen hing wie eine dunkle Wolke im Raum.

Bittere Kapern

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