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CHRISTOS KENTARIS

AMBELÀS, PAROS, SÜDLICHE ÄGÄIS, SEPTEMBER 2016

Christos Kentaris saß auf einer der verwitterten Holzbänke im Hafenrondell von Ambelás und beobachtete die unruhig in der Dünung schaukelnden Boote. Darunter seine Stella 2, ein sieben Meter langes Motorboot, das nach seiner geliebten Tochter benannt wurde und an dem sein Herz hing. Der in die Jahre gekommene Kahn, ein Verdränger vom Typ Nordfjord 22, war sein zweiter Rückzugsort, wenn er Ruhe brauchte und ihm nach Alleinsein zu Mute war. Gerade hatte er sich vergewissert, dass die alte Lady gut vertäut war, eine notwendige Sicherheitsmaßnahme, denn der Wind sollte einige Tage andauern und da tat eine Kontrolle Not. Erst gestern war er spontan mit dem Boot zu einer Fahrt aufgebrochen. Er wolle die ruhige See nutzen, hatte er Maria mitgeteilt, nachdem im Wetterbericht starker Wind für die nächsten Tage angekündigt wurde. Spät, erst nach Einbruch der Dunkelheit, war er dann wortkarg zurückgekehrt.

Das einfache Hafenbecken, welches in unmittelbarer Nähe zum Dorfstrand von Ambelás lag, wurde mit einer langgezogenen Aufschüttung von Felsblöcken gegen die starke Brandung geschützt. Sie dienten als Wellenbrecher, um den anrollenden Brechern Paroli bieten zu können. Dahinter lag die eigentliche Hafenzone. Die wenigen, festen Liegeplätze waren heiß begehrt und den wenigen Dorfbewohnern, die seit vielen Jahren in Ambelás lebten, vorbehalten. Christos genoss die Ruhe. Jetzt, zum Ende der Saison, konnte er endlich wieder die Stille des Ortes genießen und in der Abenddämmerung träumerisch seinen Blick übers Meer nach Naxos schweifen lassen. Außerhalb der Ferienzeit war er hier häufig anzutreffen. Stillschweigend saß er dann in der untergehenden Sonne, bis die Konturen von Naxos langsam in der anbrechenden Dunkelheit verwischten und nur noch ein funkelndes Glitzermeer aus der Ferne zu erkennen war. Im Juli und August verweilte er dagegen selten im Hafen, meistens nur, wenn er auf sein Boot wollte, um eine Spritztour mit seiner Tochter zu unternehmen oder er die Flucht hinaus aufs Meer suchte.

Schon als Stella noch ein Kind war, hatten Vater und Tochter ausgiebige Touren unternommen. In der kleinen Kajüte gab es zwei bequeme Schlafplätze und wenn ihnen danach war, hatten sie sich eine geschützte Bucht gesucht und auf dem Wasser übernachtet. Der Kahn besaß sogar einen kleinen Kühlschrank, einen Campingkocher und eine Spüle mit Wasserpumpe unter dem Fahrersitz. Stella war jedes Mal aufgeregt gewesen, sobald sie zu einer Reise aufs Meer aufgebrochen waren. Das war viele Jahre her. Sein Mädchen lebte mittlerweile in Athen, besuchte ihre Eltern aber regelmäßig, so unternahm sie auch heute noch Spritztouren mit ihrem Vater hinaus auf die See. Für die junge Bankmanagerin aus der Hauptstadt eine willkommene Entspannung zu ihrem aufreibenden Job. Losgelöst vom Land, nur die Weite der See vor Augen, konnte sie abschalten und Luft holen in diesen krisengeschüttelten Zeiten. Ihren Vater verstand sie ohne große Worte. Mit ihm verband sie von klein auf eine innige Liebe, die mit den Jahren stetig gewachsen war. Sie war seine Prinzessin auch heute noch und sie hatten viel gemein. Ihr leichter Hang zur Melancholie und die Verbundenheit zum Meer hatte Maria als Grund für das innige Verhältnis der beiden ausgemacht. Christos hätte gerne mehr Kinder gehabt, aber Maria war nach einer Fehlgeburt zwei Jahre nach Stellas Geburt nicht mehr in der Lage gewesen, weitere Kinder zu bekommen.

Er genoss die anbrechende Dunkelheit und zündete sich im Schutz seiner Jacke eine Zigarette an, nur das monotone Schlagen eines Fischers drang an sein Ohr. Schon seit geraumer Zeit schlug dieser einen Oktopus auf einen großen Stein, um das zum größten Teil aus Eiweiß bestehende Gewebe des Tieres aufzubrechen. Nur so war sichergestellt, dass er nach der Zubereitung zu einem butterzarten Erlebnis wurde und nicht wie ein zähes Stück Leder daherkam. Ein immer wieder gerne fotografiertes Ritual, das Touristen aus aller Herren Länder mit ihren Kameras festhielten. Auch Christos ging häufig auf die Jagd nach den beliebten Meeresbewohnern, bekleidet mit einem dicken Neoprenanzug und einer Harpune fuhr er mit seiner Stella zu ein paar Fangplätzen raus, die ihm fast immer eine gute Beute bescherten. Christos liebte Oktopus, besonders als Stifado zubereitet – ein Gericht, das er in der Sommerzeit auch seinen Gästen anbot.

Er schaute auf die Uhr, es wurde Zeit nach Náoussa aufzubrechen und in seinem Laden nach dem Rechten zu sehen. Nun, da die Touristenströme abebbten, konnten sie den Laden früher schließen und es musste längst nicht mehr so viel Ware angeliefert werden wie in den vergangenen Wochen. Der Laden der Kentaris hatte es in einige Reiseführer geschafft und es kam häufig vor, dass Segel Crews bei ihm vorbeischauten, um ihren Bordbestand an frischem Obst und Gemüse aufzufüllen. Er hoffte, dass die Leute auch in Zukunft vorbeikommen würden, da erst im letzten Jahr zwei neue, moderne Supermärkte an der Ortsumgehung mit viel Tam Tam eröffnet worden waren.

Christos überlegte schon seit geraumer Zeit, wie er sich dieser Entwicklung stellen konnte, eine zufriedenstellende Lösung war ihm bislang noch nicht eingefallen. Solche Gedanken hätte er sich noch vor einigen Jahren nicht gemacht, mittlerweile nahmen sie einen großen Teil seines Tages ein. Häufig lag er nächtelang wach und grübelte darüber nach, wie sehr sich die Welt verändert hatte. Zum Glück hatte er sich auf Kapern spezialisiert, eine Investition, die sich schon länger auszahlte. Sie waren sein wichtigstes Produkt, das viele Touristen in seinen Laden trieb. Stella hatte bei ihrem letzten Besuch eine gute Idee gehabt, die ihm seitdem nicht mehr aus dem Kopf ging.

»Deine Gäste wollen mehr, sie wollen nicht nur ein Glas Kapern aus Paros mit nach Hause nehmen«, hatte sie begonnen, nachdem sie ihm mühsam seine Sorgen aus der Nase gezogen hatte. »Sie wollen wissen, woher die Kapern kommen, wie sie angebaut werden und vor allem, wie man sie zubereitet«.

»Du meinst, wir sollten ihnen unseren Garten zeigen?«

»Warum nicht? Eine kleine Führung mit all deinem Fachwissen zu der für die meisten Nordeuropäer exotischen Pflanze.«

Christos hatte sie eine Weile ungläubig angestarrt. Fremde Menschen in seinem Heiligtum! Da brauchte es Zeit und Muße, darüber nachzudenken.

»Und ich veranstalte einen kleinen Kochkurs.« Maria war sofort Feuer und Flamme gewesen, nachdem sie das Gespräch der beiden mit verfolgt hatte. Auch sie konnte sich durchaus mehr Werbung für ihren Gemüseladen vorstellen.

»Genau, das spricht sich rum und ihr seid dann nicht nur irgendwelche Pensionsbesitzer in Ambelás. Nein, ihr bringt den Urlaubern ein Stück unserer Heimat näher!«

Christos hatte abgewunken: »Nun mal langsam, unsere Gäste haben sich bisher auch ohne diesen Zirkus bei uns wohlgefühlt.«

»Klar doch, aber das Angebot ist größer geworden und die Ansprüche der Urlauber auch. Ihr müsst euch von den vielfältigen Offerten absetzen. Zimmer vermieten kann jeder. « Stella hatte ihre Eltern herausfordernd angeschaut. »Das nennt man Marketing, ohne Werbung läuft heute nichts mehr.« Zärtlich hatte sie danach ihren Vater in den Arm genommen.

»Hast dich ganz schön verändert, seitdem du in dieser Bank in Athen arbeitest.«

»Das ist mein Job, warum sollten wir das nicht auch hier auf Paros anwenden? Ich erstelle euch ein Konzept«, hatte Stella geantwortet, so als wäre das bereits beschlossene Sache.

Christos hatte sich überrumpelt gefühlt und wollte darüber ein paar Nächte schlafen, doch seine Tochter hatte sich eine Idee in den Kopf gesetzt und er wusste, dass er bei Stellas nächstem Besuch auf der Insel mit einem konkreten Vorschlag rechnen konnte. Und der war bereits weit mehr ausgearbeitet, als sie ihre Eltern wissen ließ. Der Gedanke war ihr vor einigen Wochen gekommen, nachdem sie zufällig eine interne Aktennotiz im Druckerraum ihrer Bank gefunden hatte, versehentlich auf dem Kopierer zurückgelassen von einem Mitarbeiter aus der Personalabteilung. Der Inhalt hatte es in sich. Unter dem Vermerk – Streng Vertraulich – war von einer großen Kündigungswelle die Rede, das Gerücht darüber war schon länger im Umlauf. Stella hatte es anfangs erfolgreich verdrängt. Dabei waren es nicht die ersten Entlassungen, die zur Sanierung des Geldinstitutes durchgeführt wurden. Sie war den ständigen Druck schon lange leid. Wer weiß, vielleicht war sie die Nächste auf der Liste? So war der Gedanke, wieder zurück nach Paros zu gehen, stetig gereift. Nur dazu bedurfte es einer Geschäftsidee, den ersten Stein dafür hatte sie ins Rollen gebracht.

Christos warf einen letzten Blick auf sein Boot und ging die kurze Strecke zurück zu seinem Wohnhaus. Es wurde Zeit, nach Náoussa aufzubrechen.

Bittere Kapern

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