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MARIA KENTARIS

AMBELÁS, PAROS, SÜDLICHE ÄGÄIS, SEPTEMBER 2016

Unfähig sich zu bewegen, stierte sie einen Moment lang hinunter in die brodelnde Bucht, ihre Gedanken rasten. Was sollte sie zuerst tun? Hilfe holen oder zunächst nach der Person sehen, vielleicht lebte sie ja noch? Ohne weiter kostbare Zeit zu verlieren, riss sie sich mit einem Ruck von der kalten Brüstung los. Ihre Augen erkundeten geschwind die nähere Umgebung. Obwohl sie schon unzählige Male an dieser Stelle gestanden hatte, suchte sie hilflos nach einer geeigneten Stelle, um möglichst schnell nach unten ans Wasser zu gelangen. Achilléas bellte ihr fordernd entgegen. Maria hastete die steile Treppe hinunter und stolperte über eine lose Anhäufung von Steinen in die angrenzende Bucht, stützte sich dabei immer wieder mit ihren Händen ab, wenn sie drohte das Gleichgewicht zu verlieren. Auf einen derartigen Balanceakt war sie nicht vorbereitet gewesen, so wie jeden Morgen hatte sie sich für den frühen Spaziergang mit ihrem Hund lediglich ihre Hausschuhe übergestreift. Ein denkbar ungeeignetes Schuhwerk für eine derartige Kletterpartie. Maria schaffte es, ohne zu stürzen, bis ans Ufer, krempelte schnell ihre Hose hoch und rannte die wenigen Meter zu dem leblosen Körper. Sie zitterte vor Aufregung, Achilléas sprang ihr wild gestikulierend entgegen. Bereits der erste Blick verriet ihr, dass es sich bei der angespülten Person um eine Frau handelte. Sie lag auf dem Bauch, bekleidet mit einer beigen Strickjacke und einem hellen Rock, mit dessen Saum die Brandung spielte. Die weißen Beine waren unbekleidet und befanden sich halb im Wasser. Sobald sich dieses zurückzog, erkannte sie an einem Fuß einen weißen Turnschuh, der andere Fuß war nackt.

Maria nahm allen Mut zusammen, packte die Frau von der Seite aus und drehte sie beherzt auf den Rücken, ein greller Schrei entwich ihr und schnellte wie ein Torpedo aufs Meer hinaus. Unweigerlich hatte sie einen Satz nach hinten gemacht. Achilléas stupste die Frau immer wieder an, so als wolle er sie zum Aufstehen animieren. Wie gebannt stand Maria eine Weile da, konnte ihren Blick nicht von dem versteinerten Gesicht der Frau wenden, zwei weit aufgerissene, angsterfüllte Augen starrten ins Leere. Hier gab es nichts mehr zu machen, die Frau war eindeutig tot. Während sie so dastand und den leblosen Körper betrachtete, erinnerte sie sich, die Tote war ihr nicht unbekannt, in den letzten Tagen war sie ihr mehrmals begegnet. Die weißen Turnschuhe waren ihr dabei immer ins Auge gefallen. Ein lautes Rufen ließ sie aufhorchen, sie drehte sich um, die Küchenhilfe aus dem Thalassa stand oben am Geländer und schrie ihr etwas entgegen. Marias greller Schrei beim Anblick der Wasserleiche hatte die Frau sofort zum Meer laufen lassen. Jetzt stand sie da und hielt sich gelähmt vor Entsetzen die Hände vors Gesicht.

Die Frau war keine große Hilfe, stellte Maria schnell fest und überlegte fieberhaft, was nun zu tun war. Sie griff in die Tasche ihrer Jacke, suchte nach ihrem Telefon, aber es lag zuhause. Die Polizei in Parikía konnte sie von hier aus schon mal nicht anrufen. Sie winkte der Angestellten zu, bevor sie sich jedoch zurück nach oben begab, sammelte sie noch einmal alle ihre Kräfte und zog die Tote einige Meter den Strand hinauf, raus aus der auslaufenden Brandung in einen geschützten Bereich. Dann kraxelte sie auf allen Vieren zurück zur Straße. Oben angelangt, stürmte sie ins Innere des Thalassa und rief laut nach dem Inhaber der Gastwirtschaft, die Küchenhilfe ließ sie dabei links liegen.

»Janni! Janni! In der Bucht liegt eine Tote! Wir müssen die Polizei benachrichtigen. Es ist eine Frau, ich glaube sie ist ertrunken.«

Aus der Ferne hörte Maria schlürfende Schritte näherkommen. »Um Gottes Willen!« Jannis Frau, Flora, erschien kreidebleich im Türrahmen und bekreuzigte sich unentwegt. »Kennst du die Tote?«, fragte sie leicht zitternd.

»Nur vom Sehen, sie ist mir in den vergangenen Tagen mehrfach über den Weg gelaufen, muss eine Touristin sein.«

»Wie schrecklich!«, entgegnete Flora, »Aber bei dem Sturm geht doch keiner ins Wasser!«

»Wir müssen die Polizei benachrichtigen.«

Flora griff nach einem Handy und reichte es Maria. Der Notruf landete automatisch in der Polizeidienststelle in Parikía. Wenige Minuten später war ein Beamter der ansässigen Polizeistation nach Ambelás unterwegs.

Maria setzte sich auf einen Stuhl und rief ihren Mann an, um ihn über den makabren Fund zu informieren. Der wartete schon ungeduldig auf ihre Rückkehr und bot besorgt an, sie abzuholen. Doch Maria wiegelte ab. »Fahr schon in den Garten, Ich muss warten bis die Polizei da ist. Die wollen mit mir reden.« Sie wusste, dass Christos früh aufbrechen wollte, um die Kühle des Morgens zu nutzen, außerdem wollte sie ihm den Anblick der angespülten Frauenleiche ersparen.

»Jetzt brauche ich erst einmal einen Kaffee.« Flora hatte sich von dem ersten Schrecken erholt und begann, einen griechischen Mokka zu kochen. »Hatten wir schon lange nicht mehr, dass hier einer ertrunken ist«, sagte sie, während sie zwei Tassen aus dem Schrank holte.

»Das Komische ist, dass die Frau vollständig bekleidet ist«, bemerkte Maria ganz in Gedanken.

Zwanzig Minuten später hörten sie wie ein Wagen vorfuhr, Achilléas hieß den Ankömmling bellend willkommen und ein junger Mann stieg aus dem Auto. Maria lief nervös nach draußen, nur ein Polizist war gekommen, sie hatte mit der Kommissarin gerechnet, die nicht weit weg vom Fundort wohnte. Quasi eine Nachbarin.

»Wo ist Katharina«, rief sie dem Polizisten entgegen und reichte ihm ihre Hand.

»Hat heute frei, Sie müssen mit mir vorliebnehmen … Filippos Panos«, stellte er sich vor. »Ich bin der zweite Mann in der Polizeidienststelle.« Er lächelte sie charmant an.

Maria Kentaris kannte den Mann nur flüchtig. Sie glaubte, ihn schon einmal bei einer Feier der Kommissarin gesehen zu haben, am Osterfest vor ein paar Jahren, als Katharina zu einer Wohnungseinweihung geladen hatte. Der markante Wuschelkopf des Kriminalbeamten war ihr damals schon angenehm aufgefallen.

»Wo ist die Tote?«, kam der Beamte direkt zur Sache. »Sie haben uns doch angerufen und die Frau gefunden?«

»Ja … und nein«, stotterte Maria. »Mein Hund hat sie gefunden, ich bin dann hinterher …« Sie zeigte in Richtung der kleinen Bucht auf der gegenüberliegenden Straßenseite.

»Zeigen Sie mir die Fundstelle.« Filippos öffnete seinen Kofferraum und holte zwei Gummihandschuhe und eine Kamera hervor.

Dann stolperten sie hastig die Treppe zu der toten Frau hinunter. Flora war ihnen nachgeeilt und stand mit sorgenvollem Gesicht an der Brüstung, um das Spiel aus sicherer Entfernung beobachten zu können. Die vom Wind aufgewirbelte Gischt spritzte dem Kriminalbeamten entgegen, als er sich der leblosen Frau behutsam näherte. Maria wies er an, in einigen Metern Abstand zu warten. Achilléas nahm sie an die Leine. Nachdem er sich vom Ableben überzeugt hatte, fotografierte er zunächst den Fundort aus verschiedenen Perspektiven, dann widmete er sich ausgiebig der Leiche. Irgendetwas irritierte ihn beim Anblick der Frau, er wusste aber nicht was es war. Die nackte Todesangst in ihren leeren Augen war kaum auszuhalten. Filippos musterte die Tote eine ganze Weile und plötzlich wusste er, was ihn an der Fremden so verunsicherte. Der auffallend geschminkte Mund passte nicht zu der Szenerie am Strand, ein grell roter Lippenstift, der allen Attacken des Salzwassers getrotzt hatte. Auch das Gesicht wies Spuren eines viel zu stark aufgetragenen Make-Ups auf, ungewöhnlich für eine Frau in diesem Alter. Er schätzte die Tote auf Mitte bis Ende fünfzig. Auffallend war auch eine grobgliedrige Halskette, die mit weißen Perlen durchsetzt war, daran hing ein goldenes, ovales Amulett. Der Polizist machte eine Nahaufnahme des Gesichts, bückte sich zu der Frau hinunter und suchte in den Taschen ihrer Strickjacke nach verwertbarem Inhalt, jedoch ohne Erfolg. Erst jetzt, bei näherem Hinsehen, entdeckte er an der Nase und am Mund der Leiche Spuren eines leichten Schaumpilzes, ein typisches Merkmal beim Tod durch Ertrinken. Das sollte sich aber Doktor Spanópoulos noch einmal genauer ansehen, den hatte er schon auf seiner Fahrt nach Ambelás angerufen. Ein geschätzter Kollege, der eng mit der Polizei zusammenarbeitete und immer gerufen wurde, wenn die Polizei den Rat eines erfahrenen Mediziners benötigte. Der würde dann entscheiden, ob die Frau gegebenenfalls in die Gerichtsmedizin nach Athen gebracht werden musste.

»Kennen Sie die Tote?«, fragte er Maria schließlich.

»Nur vom Sehen, es muss eine Urlauberin sein, bin ihr ein paar Mal begegnet, als sie durch Ambelás spaziert ist.« Sie war näher an die Leiche herangetreten und bemerkte einige Details, die sie in ihrer Panik übersehen hatte.

»Haben Sie auch einen Namen zu der Person?«

Maria konnte ihren Blick nicht von der Unbekannten loseisen, die starke Schminke und die teuer wirkende Goldkette, das alles hatte sie bei der Bergung der Toten nicht bemerkt.

»Wissen Sie, wie die Tote heißt?«, fragte Filippos zum wiederholten Male.

»Nein, aber sie muss hier in der Nähe gewohnt haben, so viele haben zu dieser Jahreszeit ja nicht mehr auf. Das müsste schnell herauszukriegen sein.« Sie schaute noch einmal zu der Frau hinüber. »Sieht aus, als hätte sie sich richtig herausgeputzt, schöngemacht … und dann so was.«

Filippos hob seinen Kopf. »Wie meinen Sie das?«

»Die war nie so stark geschminkt … wie gesagt, ich bin ihr mehrfach begegnet. Eine freundliche Frau, sie hat immer gegrüßt«. Maria überlegte einen Augenblick lang, »… und da sah sie eher krank aus, blass und schwach, nicht so gestylt.«

»Wo könnte sie gewohnt haben?« Filippos musste den Namen der Toten in Erfahrung bringen, um ihre Angehörigen zu informieren.

»Ich habe sie mehrmals zur anderen Seite des Hafens laufen sehen, da hat meines Wissens nach nur noch die Villa Sophia und Carmens Appartement auf. Ich kann dort anrufen und nachfragen.«

Filippos nickte, er mochte die anpackende Art der Frau, machte ihr aber unmissverständlich klar, keinerlei Details auszuplaudern. Sie solle lediglich in Erfahrung bringen, ob die Häuser noch aufhatten, alles Weitere würde er übernehmen. Sogleich stieg Maria den Abhang hinauf und suchte nach den Telefonnummern der Ferienwohnungen. Kurz darauf traf Doktor Spanópoulos ein, der ohne Umschweife zu der Toten in die Bucht stieg, um sich der Leiche anzunehmen. Er untersuchte sie gewissenhaft, sein besonderes Augenmerk lag auf ihrem Mund und Rachenraum.

»Sieht sehr nach Tod durch Ertrinken aus«, kam er schließlich zu dem gleichen Ergebnis wie schon Filippos zuvor. »Genau kann das aber nur in der Gerichtsmedizin festgestellt werden.«

Der junge Beamte spürte die Unsicherheit des Arztes.

»Ich frage mich, wie die Frau ins Wasser gekommen ist?«

»Das kann ich leider nicht beantworten, aber um ein Fremdverschulden auszuschließen, muss die Tote nach Athen. Ich schlage vor, Katharina zu informieren«, sprach Spanópoulos zu Filippos gewandt.

Die Kommissarin wohnte direkt um die Ecke, daher entschied sich der Polizist persönlich bei ihr vorzusprechen.

Bittere Kapern

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