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KATHARINA WALDMANN

AMBELÁS, PAROS, SÜDLICHE ÄGÄIS, SEPTEMBER 2016

Katharina Waldmann vergrub verärgert ihren Kopf unter dem Kopfkissen. Das scheppernde Geräusch eines im Wind hin und her schlagenden Fensters hatte sie brutal aus dem Schlaf gerissen. Ein kalter Luftstrom wehte durch ihr Schlafzimmer, weshalb sie schnell das Laken über ihre nackten Schultern zog. Dawid, an dem sie sich hätte wärmen können, hatte sich schon aus dem Bett geschlichen, ganz behutsam, um sie nicht zu wecken. Im Gegensatz zu ihr musste er heute arbeiten. Bestimmt war er schon zu seiner Werkstatt unterwegs. Zu gerne hätte sie ihren freien Tag mit ihm zusammen verbracht, dem starken Mann an ihrer Seite, mit dem sie nun schon einige Jahre zusammenlebte. Es hätte ihnen gutgetan, da ihr Privatleben in der letzten Zeit ein wenig zu kurz gekommen war. Aber trotz mehrfachen Drängens hatte Dawid keine Möglichkeit gesehen, seinen Termin so kurzfristig zu verlegen. Vor nicht allzu langer Zeit noch, hätte er alles stehen und liegen lassen, wenn sie spontan einen Urlaubstag angekündigt hätte. Sie war ernsthaft besorgt wegen seines ungewöhnlichen Verhaltens, schließlich hatte sie eine gute Antenne, wenn sich Unstimmigkeiten anbahnten. Sie würde da nachhaken müssen, der Sache auf den Grund gehen, warum Dawid diesmal anders als gewohnt reagiert hatte. Sie nahm dieses Anzeichen sehr ernst, denn sie war für jeden Tag dankbar, dass sie diesen wunderbaren Mann kennengelernt hatte und er es mit ihr schon so lange aushielt. Der resoluten Kriminalhauptkommissarin, vor der so viele Männer Reißaus genommen hatten. Dawid war da anders, er interessierte sich für die Frau hinter der taffen Fassade und war stets zur Stelle, wenn ihr einmal ein Fall zu nahe ging. Es schien sogar, als könne er, ohne große Worte ihre Gedanken lesen. Er war immer da und hatte sich bislang dem immer vollen Terminkalender von Katharina gebeugt. Sie hatte seine Rücksicht als selbstverständlich angenommen und nie einen Grund gesehen, ihre Arbeitsweise zu ändern. Diesmal war es anders, ihr Gefühl sagte ihr, dass sie aufpassen musste. Unbewusst glitt ihre Hand auf die leere Seite des Bettes, er war definitiv schon aufgestanden.

Gähnend warf sie einen Blick nach draußen. Es war noch nicht einmal richtig hell, eigentlich viel zu früh, um aufzustehen, und das an ihrem freien Tag.

Die Kommissarin hatte sich kurzentschlossen einen Urlaubstag gegönnt, die Hauptferienzeit war zu Ende und in ihrem Garten sah es verheerend aus, da war in den vergangenen, hektischen Monaten einiges liegen geblieben. Die erfrischende Brise zu dieser frühen Stunde tat ihr gut, genau richtig für einen entspannten Tag an der Luft, sie würde ihn gemütlich angehen lassen. Unzählige vertrocknete Blüten mussten entsorgt und einige Sträucher ausgedünnt werden, schon lange hatte sie sich das vorgenommen. Bislang war einfach keine Zeit dafür geblieben. Jeden Morgen beim Verlassen des Hauses, hatte ihr vernachlässigter Garten ein trauriges Gefühl bei ihr hinterlassen. Heute würde sie endlich wieder Ordnung in ihre Grünflächen bringen. Für Katharina war das keine Arbeit, eher etwas Meditatives, und ihren Pflanzen wieder einen erfreulicheren Anblick zu verschaffen, empfand sie als Balsam für ihre gestresste Seele.

Die Kommissarin war erschöpft, nach Monaten pausenloser Polizeiarbeit brauchte sie dringend Erholung. Selbst an den Wochenenden war sie häufig zu Einsätzen gerufen worden, das hatte bei ihr merklich Spuren hinterlassen. Sie brauchte immer länger, um sich fit zu fühlen. Es hatte einige Zeit bedurft, sich das einzugestehen, aber mit ihren 59 Jahren wurde es höchste Zeit, ein wenig kürzer zu treten. In wenigen Wochen würde sie sechzig werden, ein Alter, in dem man seine beruflichen Aktivitäten zurückschrauben sollte. Die Arbeit auf Paros war zwar im Vergleich zu ihrem vorherigen Job in der Mordkommission in Athen ein Kinderspiel, doch die ständige Präsenz und die Verantwortung fiel ihr immer schwerer. Auch wenn sich ihre Arbeit auf der Insel bis auf wenige Ausnahmen auf Diebstähle, Wohnungseinbrüche und Nachbarschaftsstreitigkeiten beschränkte, sie war halt keine dreißig mehr. Da hatte sie in der Hauptstadt mit ganz anderen Kalibern zu tun gehabt. Das war der Grund, warum sie Athen den Rücken gekehrt und sich ihr Leben auf ihrer Lieblingsinsel neu eingerichtet hatte. Gute fünf Jahre war ihr Umzug jetzt her. Katharina hatte noch keine Sekunde bereut.

Erschwerend hinzukam, dass Takis, der dienstälteste Mitarbeiter in ihrem Team, zum Ende des Jahres in den vorzeitigen Ruhestand wechseln wollte. Er hatte eine beachtliche Erbschaft gemacht und plante zusammen mit Rika, seiner alten Jugendliebe, die verlorenen Jahre ihres gemeinsamen Glücks nachzuholen. Er wartete noch auf die finale Bestätigung, dennoch hatte Katharina vorsichtshalber nach Bekanntwerden von Takis Plänen einen Antrag auf Ersatz gestellt. Bisher gab es noch kein grünes Licht von der Bezirksregierung in Ermoupoli für eine Neubesetzung der Stelle und das letzte Telefonat mit der zuständigen Behörde machte ihr wenig Hoffnung. Sie würde wohl zukünftig mit einem Mann weniger in ihrer Truppe auskommen müssen. Die Kommissarin musste bei den Gedanken an Takis schmunzeln, mit dem sie in der ersten Zeit immer wieder aneinandergeraten war. Er würde ihr fehlen mit seiner Erfahrung und seinem guten Draht zur einheimischen Bevölkerung, mit dem er sich oft Zugang zu Informationen beschafft hatte, was einer Fremden wie ihr nie gelungen wäre. Erst spät hatte sie diesen Schatz erkannt und so war das Vertrauen langsam zwischen ihnen gewachsen. Ausschlaggebend war ein brisanter Fall vor drei Jahren gewesen, als es um die Aufklärung eines seltsamen Todesfalls an einem städtischen Beamten ging. Der Tote war damals in einer alten Zisterne aufgefunden worden. Takis kannte das Opfer schon aus seiner Schulzeit und war wesentlich an der Aufklärung der Umstände beteiligt gewesen. Jetzt war er mit der Witwe des Opfers zusammen. Verrückt, mit welchen Geschichten das Leben doch aufwarten konnte.

Den Rest ihrer Mannschaft, welche aus Konstantinos, Spyros und ihrem Stellvertreter Filippos bestand, hatte sie bereits schonend auf die zusätzliche Arbeit vorbereitet, falls es denn so weit kommen sollte. Aber noch war das letzte Wort nicht gesprochen. Xenia, die zweite Frau neben ihr und uneingeschränkte Chefin des Sekretariats, nahm die Sache ganz gelassen. »Lasst uns froh sein, dass wir in diesen Zeiten einen krisensicheren Job haben«, war ihr einziger Kommentar gewesen. Ganz falsch lag sie damit nicht.

Filippos würde mehr Verantwortung übernehmen müssen, nicht nur die Aufgaben von Takis, auch was sie selbst betraf, sollte er in naher Zukunft eine neue Position ausfüllen. Und das bald, damit sie sich etwas mehr Zeit freischaufeln konnte. Da kamen die Zeichen von ihrem Liebsten gerade recht. Zu lange hatte sie sich in sicherem Fahrwasser gewähnt, erste Signale verdrängt, jetzt war sie in Alarmbereitschaft. Erst vor ein paar Tagen hatte sie Dawid vorsichtig gefragt, was mit ihm los sei, und ängstlich auf eine Antwort gewartet. Er hatte sie zunächst nur angesehen, so als käme diese Frage völlig überraschend für ihn. »Du fragst mich, was mit mir los ist?«, hatte er schließlich geantwortet und der vorwurfsvolle Unterton in seiner Stimme traf sie tief in ihrem Innersten. Hilflos war sie seinem Blick ausgewichen, die Traurigkeit in seiner Stimme hatte sie angesprungen wie ein lauerndes Tier. »Ich habe das Gefühl, die meiste Zeit in unserem Leben auf dich zu warten«, hatte er noch hinzugefügt, war aufgestanden und in seine Werkstatt gefahren. Lange hatte sie darüber nachgedacht und ihr war klar geworden, dass sie ihr Leben dringend ändern musste, wollte sie diesen wunderbaren Menschen nicht auch noch verlieren. Bereits ihre erste Ehe war maßgeblich daran zerbrochen, dass sie mehr mit ihrem Beruf als mit ihrem Mann verheiratet gewesen war.

Schon länger wartete sie auf eine geeignete Situation, um mit Filippos seine zukünftigen Aufgaben zu besprechen. Im Moment war er zu sehr mit der Einrichtung seines neuen Hauses beschäftigt. Außerdem stand ein großes Fest bevor, bei dem auch die Kommissarin nicht ganz unbeteiligt sein würde. Dimitris, der erste Sohn von Filippos und seiner Frau Irini, war nun gut ein Jahr alt und die Vorbereitungen für seine Taufe liefen auf Hochtouren. Der junge Vater konnte es kaum erwarten. Katharina, als die ehemalige »Koumpára« »Trauzeugin« der beiden, sowie Sewastos, der zweite Trauzeuge des jungen Paares, würden die Patenschaft übernehmen. Sie hatten sich schon mehrfach getroffen, um alle Details zu besprechen. Den Namen des Kindes hatte Filippos ihnen erst neulich verraten, für die beiden Trauzeugen war es aber keine sonderliche Überraschung gewesen. Gemäß der griechischen Tradition erfolgte die Namensgebung nach den Großeltern des Kindes, in diesem Falle nach Filippos Vater. Dimitris sollte es heißen. Viel mehr hatte Katharina gewundert, dass die jungen Eltern fast ein ganzes Jahr nur von ihrem »Baby« gesprochen hatten, ohne einen Namen zu benennen. Ein Brauch, wie er früher in Griechenland üblich war, und wie sie nun erkennen musste, immer noch angewandt wurde. Das »Baby« würde offiziell erst bei der Taufe seinen Namen erhalten.

Katharina schälte sich aus dem Bett und schloss das Fenster, in der Ferne hörte sie das anhaltende Bellen eines Hundes. Mit verschlafenen Augen stieg sie die Treppe zu ihrer Küche hinunter, Dawid hatte den Frühstückstisch gedeckt. Schade, dass sie den Start in den Tag nicht gemeinsam genießen konnten. Aber ab jetzt würden sich wieder mehr Gelegenheiten dazu ergeben, zumindest an den Wochenenden der stillen Jahreszeit.

Karl, ihr Kater, strich ihr unentwegt um die Beine und forderte ihre uneingeschränkte Aufmerksamkeit, fast wäre sie über ihn gestolpert. Mittlerweile hatte er sich an das raue Katzenleben auf Paros gewöhnt, nach dem Umzug aus Athen hatte der verwöhnte Stadtkater einiges einstecken müssen. Jetzt aber, belohnte er ihr Streicheln mit einem vergnügten Schnurren.

Katharina öffnete die Tür zu ihrer Terrasse und warf einen Blick nach draußen. Der Wind hatte loses Blattwerk zuhauf in die Ecken getrieben, sie konnte das Durcheinander kaum ertragen. Das plätschernde Geräusch des Bewässerungssystems drang an ihre Ohren, zu ihrem Glück wurde es von Dawid schon vor Jahren installiert, ansonsten würde sie jetzt in eine vertrocknete Einöde blicken. Was den Garten betraf hatten sie eine klare Absprache getroffen, er kümmerte sich um die Technik, die Pflege der Pflanzen oblag ganz den Händen Katharinas. Gut, dass wenigstens Dawid seinen Job anständig erledigt hatte.

Sie brauchte jetzt dringend einen starken Kaffee, einen Ellinikó-varí-kafé, um in Schwung zu kommen. Genüsslich löffelte sie sich Kaffeemehl und etwas Zucker in ihr antikes Briki. Das Erbstück, von ihrer längst verstorbenen Großmutter, zog sie jedem modernen Kaffeeautomaten vor.

Draußen war es mittlerweile hell geworden, sie zog sich an und suchte nach ihren Gartenhandschuhen, als sie hörte wie sich Schritte ihrer Haustür näherten.

Bittere Kapern

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