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Оглавление8. KAPITEL
Remscheid – Küppelstein
Dienstag, 07. Mai 2013
14:00 Uhr
Sophie gab sich tatsächlich damit zufrieden, ernsthaft mit Roger zusammenzuarbeiten. Felix hatte Recht gehabt. Der Reiseschriftsteller war zweifelsohne ein Experte in Sachen präkolumbischer Kulturen. Und er hatte eine verdammt anziehende Ausstrahlung.
Roger wiederum ließ kaum einen Blick von der Hausherrin, die jetzt auf der Fensterbank im Arbeitszimmer ihres verblichenen Vaters saß. Die eindringenden Sonnenstrahlen ließen ihr Haar aufleuchten und noch voller wirken. Er liebte Frauen mit Löwenmähne. Sie gaben ihnen so etwas Animalisches und weckten seine innersten Instinkte. Wieder trug sie ihre hautenge, grüne Dreiviertelhose, eine dazu passende, kurze Bluse und die hohen Hacken, mit der sie von Zeit zu Zeit gegen den schweren Schreibtisch hämmerte. Konnte es etwas Erotischeres geben? Es kostete ihn einige Anstrengung, sich vom Anblick dieser Frau zu lösen und sich auf seine eigentliche Arbeit zu konzentrieren.
„Eine dualistisch geprägte Weltsicht beherrschte die religiösen Vorstellungen der Mochekultur. Irdisches und überirdisches Leben wurden von den Kräften zweier Gegenpole bestimmt“, erklärte er ihr, und sie versuchte sich die Informationen zu merken. Wenn sie seine Worte wiederholte, sprach sie oft mit leiser, zurückhaltender Stimme, was auf ihn wirkte, als würde sie die Worte von seinen Lippen saugen. Er stellte die Kartons mit den Moche-Keramiken an eine Wandseite, dann ging er zurück zum Schreibtisch und setzte sich wieder in den Sessel.
„Die Keramiken können bereits in dein Geschäft gebracht werden“, sagte er, zögerte dann einen kurzen Augenblick und schaute Sophie an … und wusste wieder, wo er war.
„Zu den am häufigsten dargestellten Göttern der Moche zählte der Herrscher über Tier- und Pflanzenwelt Ai-Apaec“, erzählte er weiter. „Er symbolisierte Fruchtbarkeit und Überfluss mit den Attributen Opfermesser und abgeschnittenem Menschenkopf. Der Krabbendämon, halb Krabbe, halb Mensch, war eines der beliebtesten Mischwesen der Götterwelt. Aus religiösen Gründen kam es bei den Moche auch zu Menschenopfern. Es waren Kriegsgefangene oder auch Verlierer ritueller Kämpfe innerhalb des eigenen Herrschaftsbereichs. So sollten die Götter gestärkt oder verjüngt werden. Einige Wissenschaftler gehen sogar davon aus, dass auch die Herrscher an die stärkende Kraft des menschlichen Blutes glaubten …“
„Igitt, das klingt ja schauderhaft!“ Sophie zog eine Grimasse. „Und das findest du gut?“
Roger Peters bedachte seine Auftraggeberin mit einem breiten Grinsen. „Es liegt doch nicht an mir, die Rituale der alten Urvölker zu bewerten. Ich studiere sie nur und berichte darüber.“
„Aber solltest du nicht versuchen, ihre Beweggründe zu verstehen? Ich meine die Ursache für ihr Handeln?“ Jetzt schob sie ein paar Aktenordner auf die Seite und setzte sich direkt vor ihm auf die Tischkante.
„Das Überleben der Gesellschaft stand bei den Moche an erster Stelle, nicht wahr?“
„Es waren kulturbedingte Notwendigkeiten, würde ich sagen. Der Tod wurde nicht als endgültiger Abschied angesehen, sondern galt den Moche als weitere Stufe innerhalb des ganzheitlichen, zyklisch verstandenen Weltbildes. Gleichzeitig glaubten sie an die Aufgabe der Verstorbenen, Götter und Dämonen zu besänftigen. Die Toten übernahmen eine vermittelnde Rolle zwischen dem Reich der Lebenden und der Toten. Wie in vielen Kulturen, so wurden auch bei den Moche die fürstlich geschmückten Toten mit ihrer gesamten Habe beigesetzt, um sie so für das Leben im Jenseits auszustatten.“
Sophie beugte sich leicht zur Seite und begann, in einer der vielen Aufzeichnungen zu blättern.
„Schau doch mal, hier gibt es ein recht gutes Bild von den Feierlichkeiten in einer antiken Pyramide. Dazu hat mein Vater noch Folgendes hinzugefügt: ‚Die Feierlichkeiten in der heiligen Pyramide dauerten mehrere Tage. Es wurde der Verlust des Herrschers beklagt und seine heldenhaften Taten bekundet. Am Beginn stand zunächst die rituelle Tötung seiner drei Frauen. Von den Priestern wurden Rauschmittel verabreicht, die sie in Trance versetzten. Nach der Tötung mussten die Leichen ausbluten und das Fleisch von heiligen Vögeln, den Geiern, gereinigt werden. Später folgte die Opferung aller weiteren auserwählten Begleiter. Bis in die Neuzeit blieb der Folgetod als Brauch bei vielen Kulturen erhalten, so zum Beispiel auch bei den Inkas.‘“
Plötzlich stutzte sie, zwang sich zu einem ruhigeren Tonfall und meinte: „Ich glaube, wir hören besser damit auf. All diese Zeremonien erinnern mich zu sehr an den grausamen Tod meines Vaters.“
Roger nickte verständnisvoll, wandte sich wieder seinen Notizen zu, schrieb einige Zeilen in seinen Notizblock und fluchte. Er konnte sich einfach nicht mehr richtig konzentrieren. Dieser Zustand zog sich noch bis zum nächsten Tag hin. Sophie machte ihn allein schon durch ihre bloße Anwesenheit nervös. „Ich brauche dringend Abstand von diesem Raum, von diesen Dokumenten und von dieser Frau“, dachte er …
Am Donnerstag herrschte zwischen ihnen auf einmal eine unerklärliche Waffenruhe. Beinahe schon unbehaglich, fand Roger Peters, der sehr wohl bemerkt hatte, dass ihm Sophie irgendwie aus dem Weg ging. Daher vermied er es natürlich ebenfalls, ihr zu nahe zu treten. Auch schien sie jetzt ihren gewohnten Tagesablauf zu ändern. Bereits in aller Herrgottsfrühe verließ sie das Haus und verbrachte den ganzen Tag in ihrem Geschäft in der Eifel. Die Vitrinen im Erdgeschoss waren leer, die meisten Kartons aus dem Arbeitszimmer verschwunden. Nur die kostbaren Textilien machten Roger Sorgen und er suchte nach einer Möglichkeit, diese sicher und unbeschädigt in Sophies Geschäft zu verfrachten.
„Also, wenn der Prophet nicht zum Berg geht, dann eben umgekehrt“, dachte er am Freitagmorgen, als er, wieder einmal sich selbst überlassen, über einem Wirrwarr an Dokumenten im Arbeitszimmer von Sophies Vater saß. So konnte es jedenfalls nicht weitergehen. Er machte sich Notizen über Notizen, und sie schaute sie sich noch nicht einmal mehr an.
„Ich werde zurück in die Eifel fahren und mir bei dieser Gelegenheit gleich mal ihren Laden anschauen“, entschloss er sich spontan und war schon fast mit einem Sprung aus dem Zimmer, als er vom Foyer her Stimmen vernahm. Er hielt inne und versuchte zu lauschen, verstand aber nur Bruchstücke von Wörtern.
„… nichts … Ärger … deswegen.“
„Ach … bloß nicht … auf.“
Das ergab keinen Sinn, aber die Stimmen gehörten eindeutig Marlies und Felix. Allem Anschein nach waren die beiden über etwas in Streit geraten. Sophies Freund trug Jeans, ein Polohemd und Turnschuhe. Da er gerade in diesem Augenblick auf diese hinabschaute, bemerkte er nicht, wie Roger ihn von oben beobachtete. Felix wirkte irgendwie nervös und erschöpft, auch wenn Roger ihn bisher kaum anders kennengelernt hatte.
„Ich hab dir doch gesagt … nicht mehr hier. Sie muss … Laden genommen …“, verstand er jetzt und sah, wie Marlies geschäftig hinter Felix her rannte und dabei die leeren Vitrinen mit einem Leder bearbeitete.
„In Ordnung, lass gut sein, die Dinger werden sowieso gleich abgeholt“, sagte Felix und drehte sich leicht in die andere Richtung. Das war der Moment, in dem er Roger entdeckte und sein Gesicht verzog, indem er vorgab, einen Hustenanfall unterdrücken zu müssen.
„Oh, der Herr Schriftsteller“, sagte er und versuchte, verlegen zu grinsen, doch Roger bemerkte, dass er sich an einem der Glaskästen abstützen musste.
„Ich wollte nur mal nachsehen, ob die Vitrinen sauber sind. Sie werden gleich geholt. Wie kommen Sie mit Ihrer Arbeit voran?“
„Bestens, danke der Nachfrage.“
„Sitzt Sophie noch beim Frühstück?“
„Nein, sie ist schon nach Bad Münstereifel gefahren“, teilte ihm Roger mit und wunderte sich über diese Frage.
„Stimmt ja auch. Sie muss sich um die Sammlung ihres Vaters kümmern, die sich ja jetzt fast vollständig in ihrem Laden befindet. Eigentlich bin ich auch nur hergekommen, um nachzusehen, ob hier noch jemand meine Hilfe benötigt.“
Roger wunderte sich zunehmend über dessen Aussagen und nahm dem Ganzen den Wind aus den Segeln, indem er sagte: „Ich wollte sowieso gerade in die Eifel fahren und könnte ihr bei dieser Gelegenheit gut ein wenig zur Hand gehen.“
Damit war für ihn das Thema erledigt.
„Sophie macht doch eh alles alleine“, knurrte Marlies dazwischen. Roger Peters musste grinsen, als er sich gedanklich vorstellte, wie Sophie auf ihren hohen Stelzen versuchte, antike Möbelstücke zu verrücken. Immerhin besaß er jetzt einen guten Grund mehr, um sie in ihrem Laden zu besuchen. Damit war seine Aufgabe in Remscheid so gut wie erfüllt. Mit einem Grußwort zum Abschied auf den Lippen schritt er zur Tür, öffnete sie und ging die Stufen hinunter zu dem kleinen Parkplatz, wo sein kleiner, grüner Sportwagen stand.