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3. KAPITEL

Remscheid – Küppelstein

Montag, 06. Mai 2013

19:00 Uhr

Roger Peters saß an dem schweren Eichenschreibtisch, den ihr Vater so geliebt hatte, umgeben von riesigen Papierbergen und geöffneten Kartons. Vor ihm lag ein dicker Schreibblock und Sophie bemerkte, dass er bereits etliche Seiten beschrieben hatte. Sein Haar fiel ihm in die Stirn und er sah irgendwie sehr konzentriert oder aber frustriert aus. Felix stand vor dem gegenüberliegenden Regal und schien etwas abzuzählen.

„Na, ihr beiden, noch fleißig?“

Roger blickte zu ihr auf. Scheinbar gelassen über ihr plötzliches Eintreten, hielt sein Blick sie regelrecht fest. Sie fröstelte und fühlte ein seltsames Prickeln in sich aufsteigen. Felix schien überhaupt keine Notiz von ihr zu nehmen. Stattdessen griff er in seine Hosentasche und nahm eine Plastikverpackung hervor. Er drückte kurz darauf und etwas Rundes, Weißes fiel in seine Hand. Hastig steckte er es in den Mund, griff nach der kleinen Flasche Mineralwasser, die auf dem Fenstersims stand, nahm einen Schluck und schluckte die Pille hinunter.

„Ein schönes Chaos ha…“, wollte ihr Roger gerade erklären, aber Sophie schnitt ihm einfach das Wort ab. Stattdessen rief sie aufgeregt: „Ich hab da etwas, das ihr euch unbedingt ansehen müsst!“

Dabei wirkte der Klang ihrer Stimme so dominant, dass keiner der beiden Herren einen Widerspruch wagte. Erst jetzt fiel ihr auf, dass jene Kostbarkeit, die sie von Heiner bekommen hatte, noch auf der kleinen Rückbank ihres Mini Coopers lag. Hastig stöckelte sie wieder zurück ins Foyer und raus aus dem Haus. Die beiden Männer blickten sich verwundert an. „Was hat sie denn jetzt schon wieder vor?“

Kurz darauf war sie zurück und legte eine alte Decke auf den Schreibtisch im Arbeitszimmer. Die verwaschene Decke passte wirklich wie die Faust aufs Auge zu ihrer Strickjacke. Beide hatten in etwa den gleichen grünen Farbton. Ihre Finger fuhren nervös über den großen Stein in der alten Jugendstilbrosche, welche sie immer trug, bevor sie die Decke auseinander schlug. Das Schmuckstück war ein Geschenk ihres Vaters.

Diesmal war es Roger, dem es beim Anblick des Gemäldes die Sprache verschlug. Auch er begriff sofort, was er da vor sich hatte.

„Wahnsinn!“, kam es über seine Lippen. Voller Ehrfurcht strich er mit seinen Fingern über das raue Leinen, ganz so wie es Sophie bereits vor ihm getan hatte. Dann machte er sich sofort in seiner urtypischen Art daran, das Gemälde zu inspizieren.

„Das Bild stammt noch aus den Anfängen der Kolonialzeit“, wusste er zu berichten. „Francisco Pizarro hatte gerade die ehemalige Inkahauptstadt Cuzco als neue spanische Stadt gegründet und mit der Errichtung des Bischofssitzes 1536 einen Bauboom von Gotteshäusern ausgelöst, die nach ihrer Fertigstellung allesamt prachtvoll dekoriert sein wollten. Dadurch entstand eine immense künstlerische Bewegung, die sich hauptsächlich mit Malerei beschäftigte. Als dann um 1650 ein großes Erdbeben die alte Inkahauptstadt Cuzco fast vollständig zerstörte, kamen endlich wieder die ursprünglichen Ureinwohner zur vollen Entfaltung. Mit der Cuzcoschule entstand die wichtigste Kunstschule Südamerikas. In den dort hergestellten Gemälden wurden die Heiligen der Christen mit Andinen-Göttern gemischt und zudem mit lokaler Flora und Fauna geschmückt. Einzigartig war die Anwendung der sogenannten Brokat-Technik, wobei einzelne Bildkonturen mit feinstem Blattgold veredelt wurden.“

Jetzt atmete Roger langsam aus und ließ den Blick durch den Raum schweifen. Felix und Sophie hatten ihm mit offenen Mündern zugehört. Die Hausherrin lehnte sich mit der Hüfte an den Schreibtisch und deckte das kostbare Gemälde vorsichtig wieder zu.

„Es ist wunderschön, nicht wahr?“, sagte sie stolz.

„Ja, das ist es, und nahezu in perfektem Zustand.“

„Lieben Sie Herausforderungen, Herr Peters?“

Jetzt lächelte sie und wurde für ihn dadurch zu einer besonders reizvollen Frau.

„Verdammt, sie flirtet mit mir, obwohl ihr Freund dabei ist. Am besten, ich ignoriere sie einfach, bevor ich mich in Schwierigkeiten bringe!“

„Ich liebe alte Kulturen, Frau Böker“, antwortete er daher bewusst vorsichtig.

„Sophie. Bitte sagen Sie Sophie zu mir. Ansonsten komme ich mir so alt vor. Also, ich kann dann mit Ihrer Zusammenarbeit rechnen?“, fragte sie kokett und ließ sich gleichzeitig von der Tischkante gleiten.

„Es wird ihm wohl nichts anderes übrig bleiben“, rief Felix jetzt dazwischen. Er hatte sich von der Überraschung erholt, starrte aber nach wie vor wie gebannt auf die alte, grüne Decke, die den wertvollen Inhalt in sich verbarg.

„Übrigens, was haltet Ihr von Riefkoken?“, fragte er auf einmal. Sophie und Roger blickten sich unschlüssig in die Augen. „Was hat das jetzt zu bedeuten?“

Felix erklärte es ihnen.

„Ich habe, meine liebe Sophie, kurz nach deinem Aufbruch heute Morgen Marlies angewiesen, die notwendigen Zutaten einzukaufen. Seit dem frühen Nachmittag werkelt sie in der Küche herum und dürfte so langsam etwas Schmackhaftes zustande gebracht haben. Die kross gebratenen Kartoffelpuffer zuzubereiten nimmt immer eine Menge Zeit in Anspruch, also lasst uns mal nachschauen, ob sie schon fertig sind.“

Sie waren fertig. Marlies wirbelte in der Küche herum und summte zu einer Melodie, die aus dem Radio auf dem Kühlschrank dröhnte.

„All by myself … yes I‘m gonna be … All by myself.“

„Oh, das ist ja mein Lieblingslied“, meinte Sophie und lachte vor Freude. „Kommt, lasst uns mit anpacken und den Tisch im Esszimmer decken. Dort sitzt es sich gemütlicher.“

Die Riefkoken waren ein Gedicht. Besonders, da sie mit Apfelkraut bestrichen und zusätzlich mit Kaviar und Lachs belegt waren. Von wegen „Arme-Leute-Essen“. Roger gönnte sich gleich drei Portionen. Er dachte an die vielen gefrorenen Klumpen, die er regelmäßig aus dem Gefrierfach seines Kühlschrankes zog, um sie dann mittels Mikrowelle in eine Delikatesse zu verwandeln. Meistens nahm er seine Mahlzeiten auch noch im Stehen ein und benutzte dazu ein einfaches Besteck aus Plastik. Er wusste, dass er seine Essensgewohnheiten dringend ändern musste, genauso wie so manches andere in seinem Leben. Zum Schluss gab es einen Espresso. Sophie nippte an der kleinen Tasse, bevor sie sie abstellte.

„Was genau schreiben Sie eigentlich?“, fragte sie nachdenklich.

„Du!“

„Wie bitte?“

„Es muss heißen: Was genau schreibst du eigentlich? Ich heiße Roger, und wir waren schon beim Du, hast du das bereits vergessen, Sophie?“

Sie lachte wie zuvor bei ihrem Lieblingslied und entlockte ihm damit ebenfalls ein Lachen.

„Unveröffentlichte Abenteuerromane.“

„Oh, das muss aber frustrierend sein.“ Sie blickte ihn mitleidsvoll an.

„Bloß nicht schon wieder das Thema“, dachte Roger und erinnerte sich daran, wie glücklich er sich gefühlt hatte, als man endlich seinen ersten Roman veröffentlicht hatte.

„Wenn man etwas unbedingt will und nicht aufgibt, dann schafft man es auch“, versuchte Sophie ihn zu trösten. Roger leerte seinen Espresso in einem Zug. Er konnte sich Sophie jetzt immer besser als Geschäftsfrau vorstellen. Sie konnte zuhören und wusste genau im richtigen Moment, was sie zu sagen hatte. Er durfte nur nicht zu offen mit ihr reden. Doch jetzt, nach dem Genuss der vorzüglichen Kartoffelpuffer, spürte er eine deutliche Müdigkeit in sich aufsteigen.

„Und wie sich Remscheid verändert hatte!“, dachte er. „Da ist man ein paar Monate nicht in seiner alten Heimat, und schon steht der schäbige, alte Bahnhof nicht mehr an seinem Platz.“ Er war einfach abgerissen worden.

Sophie, die seinen Zustand bemerkte, bot ihm an, in der Villa zu übernachten.

„Du kannst das Gästezimmer nehmen“, sagte sie. „Es befindet sich oben, im zweiten Stock. Dort ist auch ein zweites Bad, wenn du duschen möchtest …“

Dem hatte Roger ganz und gar nichts hinzuzufügen. „Der morgige Tag wird noch früh genug beginnen und mir eine Menge Arbeit bescheren“, befand er, als er sich wenig später in die flauschige Bettwäsche einwickelte.

Kurz vor dem Einschlafen schaute er sich in dem Zimmer um. Das Bett war gemütlich, aber alt. Es gab eine antike Frisierkommode mit einem großen Spiegel, dazu einen passenden Schrank. Regale mit Büchern und altem Spielzeug, das noch aus Sophies Kindheit stammen musste. Puppen, Stofftiere, eine Miniaturküche …

Auf einem kleinen Tischchen stand ein alter Fernseher und an den Wänden hingen Poster von „Smokie“ und den „Bay City Rollers“. Letztere waren nicht gerade sein Fall gewesen, aber sie passten irgendwie zu Sophie. Plötzlich kam ihm noch jener Zeitungsbericht in den Sinn, der selbst in der Eifel für Aufsehen gesorgt hatte: Weltbekannter Sammler von ethnischem Kulturgut im eigenen Haus ermordet und geköpft aufgefunden. Damit hatte schließlich alles angefangen, denn sechs Monate später hatte er den Anruf von Felix Wagner bekommen, der eine fachkundige Kraft zum Auswerten und Katalogisieren einer umfangreichen Privatsammlung suchte. Dass Felix Wagner der Freund der Tochter des ermordeten Sammlers Dr. Ferdinand Böker war, die ebenfalls in der Eifel wohnte und dort ein Antiquitätengeschäft betrieb, wusste Roger bereits, nachdem er das zweite Mal mit ihm telefoniert und dessen Einladung, in seine Heimatstadt Remscheid zu kommen, angenommen hatte. Und jetzt befand er sich mitten in der Höhle des Löwen.

Dienstag, 07. Mai 2013

00:25 Uhr

Das Telefon klingelte unaufhörlich und das penetrante Geräusch weckte ihn schließlich auf. Vorsichtig stieg Felix aus dem Bett und schlich auf Zehenspitzen hinaus auf den Flur. Das Telefon stand unten im Flur. Es klingelte noch immer. Hastig eilte er die Treppe hinunter und lief auf das kleine Beistelltischchen zu, worauf sich der Apparat befand. Er warf einen Blick auf die digitale Anzeige. Rufnummer unbekannt, sagte das Display. Er nahm den Hörer ab und vernahm den Piepton. Der unbekannte Anrufer hatte aufgelegt.

„Scheiße, und dafür bin ich extra aufgestanden und habe mich hier runter bemüht!“

Wütend ging er wieder nach oben. Als er ins Schlafzimmer kam, saß Sophie aufrecht im Bett und hatte sich das Kissen in ihren Rücken geschoben.

„Um diese Zeit?“, fragte sie. „Wer war denn dran?“

„Niemand! Der Anrufer hat einfach aufgelegt, als ich den Hörer abgenommen habe. Wahrscheinlich irgend so ein Scherzkeks, der nachts nichts Besseres zu tun hat, als fremde Menschen um ihren wohlverdienten Schlaf zu bringen. Einsperren sollte man diese Scheißkerle!“

„Hm …“, murmelte Sophie mit schlaftrunkener Stimme. „In letzter Zeit häufen sich diese seltsamen Anrufe. Bei mir im Geschäft ruft auch dauernd jemand an und legt dann wieder auf. Ich habe schon überlegt, mir eine geheime Telefonnummer zuzulegen.“

„Ach was, das ist doch sicher nicht notwendig. Geheime Nummern sind doch nur etwas für Spione. Leg dich wieder hin und schlafe, Liebling. Morgen wird wieder ein anstrengender Tag. Gott sei Dank haben wir jemanden bei uns, der uns hilft …“

Eifel-Wahn

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