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Das »bessere Bewußtsein«

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In seinen frühen, von 1812 bis 1814 entstandenen Manuskripten entwickelt Schopenhauer einen Ansatz, in dessen Zentrum der Begriff des »besseren Bewußtseins« steht. Dabei lehnt sich der Philosoph terminologisch an Fichte an, in dessen Vorlesung er im Herbst 1811 den Begriff des »höheren Bewußtseyns« (HN II 70) kennengelernt hat, welchem das »niedre«, empirische Bewußtsein entgegengesetzt sei. Beide sind – laut Schopenhauer – in der »Identität Eines Ichs verknüpft« (HN I 68). Der beschriebenen erkenntnistheoretischen Dichotomie entspricht eine ontologische Zweiweltenlehre, wie sie Schopenhauer von Platon (empirische Wirklichkeit / Ideen) sowie von Kant (mundus sensibilis / mundus intelligibilis) her kennt. Man könnte also sagen, daß Schopenhauer der »Duplicität des Bewußtseyns« (HN I 68 u. 136 f.) eine »Duplicität [des] Seyns« (HN II 329) zur Seite stellt. Entscheidend ist nun, daß diese Konstellation nicht nur erkenntnistheoretisch und ontologisch bedeutsam ist, sondern daß sie aufs engste mit dem soteriologischen, auf die Erlösung des Menschen abzielenden Grundanliegen von Schopenhauers Denken zusammenhängt, das bereits in einem früheren, 1808 oder 1809 niedergeschriebenem Aphorismus zum Ausdruck kommt: »Alle Philosophie und aller Trost, den sie gewährt, läuft darauf hinaus, daß eine Geisterwelt ist und daß wir in derselben, von allen Erscheinungen der Außenwelt getrennt, ihnen von einem erhabenen Sitz mit größter Ruhe ohne Theilnahme zusehen können, wenn unser der Körperwelt gehörender Theil auch noch so sehr darin herumgerissen wird.« (HN I 7 f.)

Daß der Mensch der Erlösung bedarf, liegt – nach Schopenhauer – daran, daß die empirische Wirklichkeit im wesentlichen von Negativität geprägt sei bzw. etwas darstelle, »was nach dem Ausspruch unsers bessern Bewußtseyns nicht seyn sollte« (HN I 41), während die höhere Wirklichkeit positiv zu bewerten sei, ja dem Menschen die Erfahrung der »Seeligkeit« (HN I 79, 104 u. 167) ermögliche. Daraus ergibt sich für Schopenhauer, daß das Ziel des menschlichen Lebens in der Überwindung der empirischen Wirklichkeit im Zuge des Eintritts in das bessere Bewußtsein besteht: »Zum Lichte, zur Tugend, zum heiligen Geiste, zum bessern Bewußtseyn – müssen wir Alle: das ist der Einklang, der ewige Grundton der Schöpfung.« (HN I 90)

Wie später in seinem Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung unterscheidet Schopenhauer zwischen zwei Wegen, auf welchen sich der Mensch von der empirischen Wirklichkeit lösen und in den Bereich des »besseren Bewußtseins« eindringen kann, einem ästhetischen und einem ethischen: »Im Moralischen spricht sich das bessre Bewußtseyn aus, das hoch über alle Vernunft liegt, sich im Handeln als Heiligkeit äußert, und die wahre Welterlösung ist: dasselbe äußert sich, zum Trost für die Zeitlichkeit, in der Kunst als Genie.« (HN I 44) Entscheidend für beide Weisen der Weltüberwindung ist, daß der Mensch nicht einfach nur einen kognitiven Schritt vollzieht, sondern daß er mit der empirischen Wirklichkeit das, was sie eigentlich ausmache, nämlich das »Leben« (HN I 85, 87 u. 104 f.) bzw. das »Lebenwollen« (HN I 91 u. 105) verneint. Dies aber läuft letzten Endes auf Askese hinaus: »Asketik […] ist Negation des zeitlichen Bewußtseins: und Hedonik seine Affirmation.« (HN I 69; vgl. a. HN I 39 u. 52) Mit anderen Worten, Schopenhauer charakterisiert bereits in seiner frühen Philosophie die Erlösung als »Befreiung vom Wollen […] durch die bessre Erkenntniß« (HN I 120).

Dem »wahre[n], vollkommne[n], reine[n] Kriticismus« (HN II 356; vgl. a. HN II 360), den Schopenhauer in Anschluß an Kant – und in Abgrenzung gegen Fichte und Schelling – errichten will, weist er die Aufgabe zu, die beiden Arten des Bewußtseins bzw. die ihnen korrespondierenden Bereiche der Wirklichkeit »immer vollständiger […] zu trennen« (ebd.). Während sich das empirische Bewußtsein auf die raum-zeitliche, dem Korrelationsapriori von Subjekt und Objekt unterworfene Wirklichkeit bezieht, läßt sich das bessere Bewußtsein nicht positiv, sondern lediglich negativ beschreiben: »Will es bessres Bewußtseyn seyn so können wir positiv von ihm nichts weiter sagen, denn unser Sagen liegt im Gebiet der Vernunft; wir können also nur sagen was auf diesem vorgeht, wodurch wir von dem bessern Bewußtseyn nur negativ sprechen.« (HN I 23) Während das empirische Bewußtsein durch Sinnlichkeit, Verstand und Vernunft sowie die Relation von Subjekt und Objekt bestimmt sei, treffe dies auf das bessere Bewußtsein nicht zu. Insbesondere macht Schopenhauer geltend, daß letzteres nicht der Zeit, sondern der Ewigkeit angehört (vgl. HN I 67 u. 85), daß es nicht der Kausalität unterworfen ist (vgl. HN I 67 sowie HN II 326 u. 329) und daß es darin keinen Gegensatz von Subjekt und Objekt gibt (vgl. HN I 67, 137, 151 u. 167). Damit aber kommt dem besseren Bewußtsein keine kognitive Funktion im herkömmlichen Sinne zu: »[D]as bessre Bewußtsein denkt und erkennt nicht, da es jenseit des Subjekts und Objekts liegt« (HN I 67). Es liegt auf der Hand, daß sich Schopenhauer auf diese Weise der Mystik nähert, mit der er gut vertraut ist und die er durchaus schätzt.7 Vergegenwärtigt man sich, daß das bessere Bewußtsein außerhalb des Bereichs der menschlichen Erkenntnis liegt, so ist es, wie Schopenhauer hervorhebt, nicht statthaft, das empirische Bewußtsein von ihm herzuleiten: »Die Frage ist transcendent und diese Relation ist ein transcendentaler Schein.« (HN I 67)

Unter der Voraussetzung, daß sich das bessere Bewußtsein »jenseits aller Erfahrung also aller Vernunft« (HN I 23) befindet, ist keine der Aussagen, die Schopenhauer darüber macht, wörtlich zu nehmen. Das gilt für Thesen wie jene, daß das empirische Bewußtsein im Vergleich zum besseren einer Täuschung (vgl. HN I 104) verhaftet ist oder daß die Überwindung derselben auf die Erlösung des Menschen hinausläuft. Von daher wird auch verständlich, daß Schopenhauer die Versuche eines Fichte oder Schelling, die metaphysische Wirklichkeit gegenständlich zu erfassen, immer wieder scharf kritisiert.8 Das hindert Schopenhauer freilich nicht daran, vom Philosophen und vom Heiligen zu fordern, das bessere Bewußtsein angemessen zu bestimmen: »Der vollkommne Philosoph stellt theoretisch das bessre Bewußtseyn rein dar, indem er es genau und gänzlich vom empirischen sondert. Der Heilige thut dasselbe praktisch. Beiden ist es karakteristisches Merkmal ihrer Vollkommenheit, daß sie keinen Theil des empirischen Bewußtseyns schonen, unter welcher Gestalt er auch erscheinen mag.« (HN I 149)

Es kann festgestellt werden, daß Schopenhauer in seiner »Philosophie des bessern Bewußtseins« mit seinem soteriologischen Grundanliegen, der Zweiweltenlehre, die ihm zugrunde liegt, sowie mit der Annahme, die Erlösung könne auf ethischem oder asketischem Weg erreicht werden, wesentliche Gedanken seines späteren Ansatzes vorwegnimmt. Was hingegen den Begriff des Willens anbelangt, so tritt dieser zwar gelegentlich auf, nimmt aber noch keine zentrale Stellung ein. Immerhin sieht Schopenhauer den Willen nicht nur im Menschen, sondern auch in der Natur wirken (vgl. HN I 91), und er macht geltend, daß der Übergang vom empirischen Bewußtsein zum besseren durch den Willen – und nicht die Vernunft – ermöglicht wird. In diesem Sinne stellt er fest: »[U]m das ungeheuer Schwere, Unmögliche zu vollenden, braucht man nur zu wollen, aber wollen muß man.« (HN I 54) Von der metaphysischen Deutung des Willens als Ding an sich sind diese Überlegungen allerdings noch ein gutes Stück entfernt.

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