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Kapitel acht

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Drei schwarze Limousinen fuhren den Central Park West entlang und hielten in Höhe des Sees. Mehrere große Männer in bunten Trainingsanzügen stiegen aus. Sie hätten ein Footballteam sein können, nur daß ein Footballteam niemals so unruhig gewirkt hätte. Ständig blickten sie sich um, als ob sie befürchteten, daß jemand, den sie kannten, heimlich diesem bunten Treiben zusah. Der letzte, der aus dem ersten Wagen stieg, war Massimo Gatti, ein einflußreiches Mitglied der italoamerikanischen Gemeinde – oder zumindest dem Teil der italoamerikanischen Gemeinde, der rund um die Uhr Leibwächter benötigte. Im Gegensatz zu ihnen war Gatti klein und übergewichtig und hatte Bluthochdruck, weshalb er mit dem Joggen angefangen hatte.

Zunächst machte er eine symbolische Übung, um sich zu lockern, warf die Arme nach vorn wie ein Nummerngirl und lief dabei auf der Stelle. Ein paar seiner Begleiter versuchten verlegen, das gleiche zu machen. Dann setzte sich Gatti in ruhigem Trab in Bewegung, und mit seinem Gefolge im Schlepptau hätte man ihn für eine kleinere, dickere Version des derzeitigen Präsidenten der Vereinigten Staaten halten können.

Wie immer waren New Yorks Fitneßfanatiker scharenweise im Park unterwegs. An diesem Morgen war auch Michael Leapman unter ihnen. Er hatte um eine dringende Audienz bei Gatti gebeten, und man hatte diese erfrischende neue Variante eines Arbeitsfrühstücks vereinbart. Als er die Gruppe erblickte, erhöhte er sein Tempo und lief auf sie zu. Er zählte zu jenen vielbeneideten Menschen, die kaum Sport treiben und trotzdem in Form bleiben.

»Hi, Mr. Gatti.«

Sie waren sich schon früher begegnet, unter Einschaltung einer ellenlangen Kette von Mittelsmännern. Leapmans Insiderkenntnisse der Pharmaindustrie – sozusagen des legalen Drogenhandels – hatten Gatti interessiert. In der schwer gebeutelten Finanzwelt zählte die Pharmaindustrie zu den wenigen Gewinn versprechenden Branchen. Medizinische Versorgung war unerläßlich und so krisenfest wie sonst kaum ein Bereich. Leapman hatte ihm eine Beteiligung an diesem Geschäft angeboten, und Gatti hatte das Angebot unwiderstehlich gefunden.

Vielleicht hatte Gatti zur Begrüßung genickt, vielleicht gehörte das Neigen des Kopfes aber auch zu seiner Laufarbeit. Selbst unter weniger anstrengenden Umständen war es nicht seine Art, Leute zu grüßen. Schon nachdem er wenige Minuten langsam getrabt war, bewegte er sich nur noch tapsig und japste geräuschvoll.

Eine längere Unterhaltung war völlig ausgeschlossen, also lief Leapman neben ihm her und kam schnell zur Sache. »Leider gibt es Schwierigkeiten für unser Projekt.«

Gatti hörte auf zu laufen, wandte sich von Leapman ab und winkte seiner Gefolgschaft zu, sich etwas zurückzuziehen. Sie machten einige Schritte rückwärts, und die Prozession setzte sich wieder, diesmal mit gebührendem Abstand, in Bewegung.

»Was soll das heißen?«

Leapman setzte erneut an: »Manny Flexner ist beim Arzt gewesen und hat erfahren, daß er nur noch ein paar Monate zu leben hat.«

»Na und?«

»Das ist das Problem.«

»Seins, nicht meins«, keuchte Gatti.

»Bei allem Respekt, aber so einfach ist das nicht. Er hat gesagt, er will sich aus der Chefetage zurückziehen.«

»Sich zur Ruhe setzen?«

»Ja.«

»Und was ist daran schlimm?«

»Er will, daß sein Sohn sein Nachfolger wird.«

»Er hat einen Sohn?«

»Ja.«

»Das haben Sie mir nicht gesagt.«

»Tut mir leid, Mr. Gatti. Ich weiß, ich hätte das erwähnen müssen. Aber ich hatte David Flexner überhaupt nicht auf der Rechnung. Er interessiert sich nicht fürs Geschäft.«

»Ist er im Vorstand?«

»Ja, aber ...«

»Und Sie hatten ihn nicht auf der Rechnung, was?«

»Äh, nein.«

»Flexners leiblicher Sohn? Den hatten Sie nicht auf der Rechnung?«

Die Fragen schienen Leapman anzuklagen, und er wurde nervös. »Er sitzt die Vorstandssitzungen einfach ab und sagt kein Wort«, erwiderte er entschuldigend.

Massimo Gatti hörte wieder auf zu laufen. Die Verfolger blieben stehen, so weit entfernt, daß sie nichts mitbekommen konnten. Leapman blieb brav stehen und wartete, daß Gatti wieder zu Atem kam. »Wir haben ein Abkommen, Mr. Leapman«, brachte der kleine Mann schließlich hervor. »Sie brauchten Kapital. Sie haben mir einen Vorschlag gemacht. Schön. Meine Leute fanden Ihr Projekt vielversprechend. Also haben wir Sie unterstützt. Wir haben Ihren Vorschlag in die Tat umgesetzt und uns um die Fabrik in Mailand gekümmert. Und dabei zwei gute Männer verloren.«

Leapman war entsetzt und sagte hastig: »Das war nicht mein Vorschlag, Mr. Gatti. Sie wollten sich zum niedrigsten Preis einkaufen. Brandstiftung hätte ich nie empfohlen.«

»Gute Männer verloren«, wiederholte Gatti. »Für nichts.«

»Nicht für nichts. Seien wir ehrlich, der Brand hatte die erwünschte Wirkung. Die Manflex-Aktien sind in den Keller gegangen. Der Preis hat sich ein bißchen erholt, als Sie anfingen zu kaufen. Das waren doch Sie, oder? Sie und Ihre Partner, die zum Niedrigstpreis gekauft haben?«

Er bekam keine Antwort.

»Die Aktionäre sind zunehmend verunsichert«, beteuerte Leapman. »Manny Flexners Position als Vorstandsvorsitzender ist unhaltbar. Ich bin sicher, daß ich ihn hätte stürzen können. Manny hat keinen Plan, um das Unternehmen zu retten. Keine Rezepte.«

»Und was hat sich geändert?«

»Er ist todkrank, und das ändert alles. Leute, die auf meiner Seite gewesen wären, werden jetzt aus Mitgefühl oder Loyalität seinen Sohn unterstützen. Mannys letzter Wunsch und so weiter. Ich kann das jetzt unmöglich in die Wege leiten.«

Gatti starrte ihn an. »Mr. Leapman, mir ist scheißegal, wer Vorstandsvorsitzender ist. Sie haben ein Milliarden-Dollar-Geschäft mit mir abgeschlossen, und Sie werden Ihren Teil leisten. Sie wissen, was passiert, wenn jemand sich nicht an die Abmachung hält.«

Bereits drei Tage nach seiner Ankunft in Italien saß David Flexner in einer kurzfristig angemieteten Büroetage in Mailand, mit Telefonanlage, Fax, Kopierer, Textverarbeitung, Computer und einer Sekretärin, die den schönen Namen Pia trug. Sie hatte kurzes, tizianrotes Haar und granitfarbene Augen. Pia war so ansehnlich, daß David auf der Stelle beschloß, ihr die weibliche Hauptrolle zu geben, falls er je einen Film in Italien drehen würde, ganz gleich, ob sie schauspielern konnte oder nicht. Die Tatsache, daß ihr Englisch klang wie von einer Nachrichtensprecherin der BBC und daß sie sämtliche Geräte bedienen konnte, war von eher untergeordneter Bedeutung, als sie das erste Mal hereinspaziert kam. Ihren Hüftschwung deutete er so, daß sie nicht total feministisch eingestellt war – genausowenig wie er.

In der Krisensituation nach dem Brand hatte er allerdings kaum Zeit, seinen Blick wohlgefällig auf ihr ruhen zu lassen. Rico Villa hatte Termine mit den Versicherungsleuten, den Gewerkschaftsvertretern, dem Arbeitsamt und den wichtigsten lokalen Zeitungen vereinbart, mit deren Hilfe die Mitarbeiter von Manflex informiert werden konnten. Für den Samstagmorgen war eine Versammlung aller Mitarbeiter anberaumt worden. Sie sollten sich in einem Kino südwestlich der Stadt einfinden. Bis dahin würde David in der Lage sein, ihnen Abfindungen anzubieten. Den Vortag hatte er mit den Rechnungsprüfern verbracht. So ungern er auch sein Leben der Pharmaindustrie widmen wollte, das Problem hier in Italien war etwas, das er mit Energie und Feingefühl angehen konnte. Hunderte von Menschen hatten ihren Lebensunterhalt verloren, und er würde verdammt noch mal sein Möglichstes dafür tun, daß sie mit Anstand und Fairneß behandelt wurden.

Am späten Donnerstag nachmittag kam Pia mit zwei Männern hereingetänzelt, die ganz sicher nicht auf der Gehaltsliste standen. Sie waren viel zu unverfroren, um Angestellte zu sein. Sie musterten David mit langem, ausdruckslosem Blick, als wollten sie ihn für seinen Sarg vermessen. Er wollte sich nicht einschüchtern lassen und betrachtete sie abschätzig, sie und ihre Anzüge von der Stange, ihre langweiligen gestreiften Krawatten. Der eine von ihnen war um die Vierzig und trug das Haar auf etwa einen Zentimeter Länge gestutzt. »Die Herren sind von der Polizei«, sagte Pia überflüssigerweise. Sie wandte sich um und erkundigte sich nach ihren Namen. Die beiden sprachen offenbar kein Englisch. Der Kurzhaarige war ein Commissario, was ziemlich hochrangig klang. Sein Name war Dordoni. Der andere war offensichtlich so subaltern, daß er keine besondere Vorstellung verdiente.

»Haben Sie schon irgendwelche neuen Informationen über den Brand?« eröffnete David das Gespräch.

Pia übersetzte, hörte zu und gab dann die Antwort wieder, die keine Antwort war. »Der Commissario bittet um eine Liste aller Mitarbeiter.«

»Kein Problem. Kann er haben.«

»Er will alle überprüfen.«

»Überprüfen?«

»Ob sie noch leben.«

»So einfach ist das nicht. Sagen Sie ihm, daß wir nicht zu allen Kontakt haben. Am Sonntag findet die Versammlung statt, und dort werden wir die Namen notieren. Worum geht’s denn? Ich dachte, bei dem Brand sei niemand umgekommen.«

Erneut wurde übersetzt. Commissario Dordoni redete sehr schnell, als wäre er wegen der Verzögerung gereizt, und sah David dabei aus feuchtglänzenden, schwarzen Augen an, die ihn an frischen Schafskot erinnerten.

»Er sagt, daß am Abend des Feuers ein Alfa Romeo Veloce auf einer Landstraße rund drei Kilometer von Manflex Italia verunglückt ist. Der Benzintank ist explodiert und das Autowrack völlig ausgebrannt.« Sie ließ sich von Dordoni weitere Einzelheiten erzählen und fügte dann hinzu: »Man hat die Leichen von zwei Männern gefunden. Verbrannt. Völlig entstellt. Sie konnten nicht identifiziert werden.«

»Meint er, daß zwischen dieser Sache und dem Feuer im Werk ein Zusammenhang besteht?«

»Er sagt, der Alfa Romeo kam aus Richtung der Fabrik. Anhand der Bremsspuren haben sie festgestellt, daß der Wagen mit hoher Geschwindigkeit gefahren ist, als er von der Straße abkam. Er hat sich, wie es aussieht, einige Male überschlagen. Im Kofferraum wurden fünf leere Benzinkanister gefunden.«

David schwieg und runzelte die Stirn.

Pia sagte hilfsbereit. »Ich glaube, sie wollen damit andeuten, daß diese Männer vielleicht den Brand gelegt haben, aber so genau hat er das noch nicht gesagt.«

»Was will er von mir?«

Nach einem kurzen Wortwechsel mit Dordoni übersetzte sie: »Er sagt, die Experten von der Feuerwehr schließen Brandstiftung nicht aus, und fragt, ob Sie vielleicht von jemandem wissen, der den Wunsch gehabt haben könnte, die Fabrik zu zerstören.«

»Die Antwort ist nein.«

Commissario Dordoni benötigte keine Übersetzung. Er konterte mit einem Redeschwall auf italienisch.

Pia zog fast unmerklich die Augenbrauen hoch und erklärte: »Ich soll Ihnen sagen, daß es unklug ist, der Polizei die Zusammenarbeit zu verweigern.«

»Falls das eine Drohung sein soll, sagen Sie diesem arroganten Trottel bitte, daß ich empört bin. Ich habe die Wahrheit gesagt. Ich habe keinerlei Veranlassung, einen unserer jetzigen oder ehemaligen Mitarbeiter zu verdächtigen.« Doch dann überlegte er es sich anders. »Nein. Warten Sie. Sagen Sie ihm, daß diese Möglichkeit äußerst beunruhigend ist und daß er unsere volle Unterstützung haben wird.«

Das entspannte die Situation merklich. Dordoni und sein Assistent kamen zur Sache – die Namen der beiden Wachleute, die Anfangszeiten der verschiedenen Schichten, die Anzahl der Angestellten und so weiter. David konnte ihnen alles liefern. Sie wollten auch eine Liste der Mitarbeiter mit Adressen, aber die würde er ihnen erst nach der Versammlung am Samstag geben können.

»Wenn er die beiden Männer beschreiben würde, könnten wir uns umhören. Vielleicht kennt sie ja einer«, sagte er zu Pia.

Dordoni lachte finster auf, als Pia ihm das übersetzte, und während er antwortete, machte er eine reibende Bewegung mit Daumen und Zeigefinger.

Pia übersetzte ungerührt. »Die Männer waren bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Vielleicht können die Gerichtsmediziner ein paar Informationen liefern, aber das dauert mindestens noch mehrere Wochen.«

»Was ist mit dem Wagen?«

Dordoni erklärte, daß die Nummernschilder von dem Alfa Romeo entfernt worden waren. Und es war nur wenig übriggeblieben, was ihnen weiterhelfen konnte.

David bat Pia: »Fragen Sie ihn, wie der Unfall passiert ist. Wurde der Wagen verfolgt?«

Die Antwort, die sie von Dordoni erhielt, war nicht sehr hilfreich: »Das weiß keiner.«

Dordoni nickte seinem Assistenten zu und wandte sich zum Gehen. Er war nicht bereit, noch mehr dämliche Fragen über sich ergehen zu lassen.

»War noch ein Auto in den Unfall verwickelt?« hakte David nach. Pia übersetzte rasch.

Dordoni zuckte die Achseln. An der Tür schien er zu beschließen, daß er doch noch etwas preisgeben wollte. Er wandte sich um und sprach ein paar Sätze.

Jetzt zuckte Pia die Achseln. »Der Wagen fuhr auf einem völlig geraden Straßenstück. Er geriet außer Kontrolle, aber sie wissen nicht, wodurch. Anhand der Reifenspuren ist klar, daß kein Reifen geplatzt ist. Es ist ziemlich unerklärlich. Sie sprechen von höherer Gewalt.«

Später am Nachmittag sprach David mit Rico Villa über den rätselhaften Autounfall. Rico hielt den Gedanken, daß es sich um Brandstiftung gehandelt haben könnte, für ziemlich abwegig. »Wieso können die sich nicht damit abfinden, daß es Zufälle gibt? Typisch Polizei, immer ist sie gleich mit voreiligen Schlüssen bei der Hand. Da passieren an einem Abend zwei schwere Unfälle, und schon müssen sie eine Verbindung herstellen.«

»Kaum zwei Meilen voneinander entfernt«, bemerkte David und nahm unbewußt Dordonis Rolle ein.

»Zwei Betrunkene überschlagen sich mit dem Auto. Was ist daran so unerklärlich?«

»Woher willst du wissen, daß sie betrunken waren?«

»Du bist hier in der Lombardei, mein Freund. Hast du mal den Oltrepo Pavese probiert?«

»Aber sie hatten leere Bezinkanister im Kofferraum.«

»Wahrscheinlich waren sie Bauern aus der Gegend. Wer hier mit landwirtschaftlichen Fahrzeugen arbeitet, hat immer ein paar Reservekanister dabei.«

»Aber er hat gesagt, daß die Nummernschilder fehlten.«

»Möglicherweise Kinder. Oder Souvenirjäger. Die bedienen sich, wo sie können.«

David war nicht überzeugt und sagte das auch.

»Okay«, lenkte Rico schließlich ein, »in zwei Tagen können wir eine Personalliste zusammenstellen. Und dann wissen wir, ob jemand von Manflex Italia vermißt wird. Wollen wir wetten?«

»Die Typen in dem Wagen müssen nicht unbedingt bei Manflex gearbeitet haben«, sagte David. »Wie Dordoni gesagt hat, könnten sie vielleicht rausgeschmissen worden sein. Oder sie waren Kriminelle von außerhalb.«

»Dave, denk nicht weiter drüber nach«, riet Rico und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Im Augenblick haben wir Wichtigeres zu tun.«

Zum ersten Mal, seit er Rico kannte, spürte David Flexner einen Anflug von Mißtrauen.

Die Fährte des Mädchens

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