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Kapitel zwei
Оглавление»Sie schmeißen mich raus.« Peter Diamond, der Wachmann, der in jener Nacht, als das Kind entdeckt wurde, für Abteilung neun zuständig war, sprach ohne Groll. »Ich weiß, wie es steht.«
Es stand sehr schlecht für ihn. Er war nicht jung. Achtundvierzig, stand in seiner Akte. Verheiratet. Wohnhaft in West Kensington. Keine Kinder. Expolizist. Hatte es bis zum Detective Superintendent gebracht und dann wegen eines Streites mit dem stellvertretenden Chief Constable seinen Dienst bei der Polizei von Avon und Somerset quittiert. Ein Mißverständnis, hatte jemand gesagt, jemand, der jemanden kannte. Diamond war zu stolz gewesen, um seine Wiedereinstellung zu bitten. Nachdem er bei der Polizei aufgehört hatte, hatte er eine Reihe von Teilzeitjobs angenommen und war schließlich nach London gezogen, wo er bei Harrods anfing.
»Ich sollte das nicht sagen, Peter«, sagte der Leiter des Sicherheitsdienstes zu ihm, »aber Sie haben wirklich verfluchtes Pech. Bislang waren ihre Leistungen beispielhaft. Sie hätten Aussicht auf eine Beförderung gehabt.«
»Regeln sind nun mal Regeln.«
»Leider ja. Wir werden Ihnen ein vorzügliches Zeugnis ausstellen, aber, äh ...«
»... es gibt so gut wie keine Jobs in der Sicherheitsbranche, stimmt’s?« sagte Diamond. Er war unergründlich. Dicke Menschen – und er war dick – haben oft Gesichter, die sie so wirken lassen, als würden sie gleich wütend oder wären amüsiert. Es kam darauf an, richtig zu tippen.
Der Leiter des Sicherheitsdienstes hatte keine Scheu, sich seine Befangenheit anmerken zu lassen. Er schüttelte den Kopf und breitete hilflos die Hände aus. »Glauben Sie mir, Peter, diese ganze Geschichte geht mir selbst an die Nieren.«
»Das können Sie sich sparen.«
»Ehrlich. Ich bin mir selbst nicht sicher, ob ich die Kleine entdeckt hätte. Unter den Kissen war sie praktisch unsichtbar.«
»Ich hab’ die Kissen hochgehoben«, gab Diamond zu.
»Ach?«
»Als ich meine Runde gemacht habe, war sie nicht auf dem Sofa. Ich habe da hundertprozentig nachgesehen. Wie immer. Es ist ein Platz, der sich gut als Bombenversteck eignet. Das Kind muß irgendwo anders gewesen sein und ist später da drunter gekrochen.«
»Wie können Sie sie dann übersehen haben?«
»Ich glaube, ich habe sie für das Kind von einer der Putzfrauen gehalten. Sie bringen manchmal ihre Kinder mit. Einige von ihnen sind Vietnamesinnen.«
»Sie ist Japanerin, glaube ich.«
Diamond wurde jäh aus seiner niedergeschlagenen Stimmung gerissen. »Sie glauben? Hat sich denn keiner gemeldet, der sie sucht?«
»Noch nicht.«
»Kann sie ihren Namen nicht nennen?«
»Sie hat noch kein Wort gesprochen, seit sie gefunden wurde. Drüben im Polizeirevier haben sie den ganzen Tag über versucht, mit einer Reihe von Dolmetschern etwas aus ihr herauszulocken. Nicht eine Silbe.«
»Sie ist doch nicht stumm, oder?«
»Scheint nicht so, aber sie sagt nichts Verständliches. Das Kind zeigt so gut wie keine Reaktion.«
»Taub?«
»Nein. Sie reagiert auf Geräusche. Es ist rätselhaft.«
»Das Fernsehen muß was über sie bringen. Irgend jemand wird sie schon kennen. Ein Kind, das nachts bei Harrods gefunden wird – auf solche Geschichten stehen die Medien.«
»Zweifellos.«
»Sie klingen nicht sehr überzeugt.«
»Ich bin überzeugt, Peter, absolut überzeugt. Aber es gibt noch andere Dinge zu berücksichtigen, nicht zuletzt unseren Ruf. Ich lege keinen besonderen Wert darauf, daß die ganze Nation erfährt, daß ein kleines Mädchen all unsere Sicherheitsvorkehrungen unterlaufen konnte. Falls die Presse an Sie herantritt, wäre ich dankbar, wenn Sie keine Stellungnahme abgeben würden.«
»Über die Sicherheitsvorkehrungen? Natürlich nicht.«
»Danke.«
»Aber Sie können die Polizei nicht zum Schweigen zwingen. Die haben kein Interesse daran, die Geschichte vertraulich zu behandeln. Irgendwie wird es an die Öffentlichkeit gelangen, und zwar bald.«
Ein Seufzer vom Leiter des Sicherheitsdienstes, gefolgt von unbehaglichem Schweigen.
»Also, wann soll ich meinen Spind räumen?« fragte Diamond. »Jetzt gleich?«