Читать книгу Die Fährte des Mädchens - Peter Lovesey - Страница 7
Kapitel drei
ОглавлениеDer Pater blickte in die vertrauensvollen Augen der Witwe und erklärte hastig: »Das ist doch nicht das Ende der Welt.«
Die tröstenden Worte wurden an einem schönen Sommerabend im Wohnzimmer eines Landhauses in der Lombardei, zwischen Mailand und Cremona, gesprochen. Seelsorge nannte Pater Faustini das. Fürsorge für die Trauernden, die heilige Pflicht eines Geistlichen. Zugegeben, in diesem Fall dauerte die Fürsorge länger als üblich, bereits zwei Jahre, um genau zu sein. Aber Claudia Coppi, durch ein grausames Schicksal mit achtundzwanzig Jahren Witwe geworden, war ein ungewöhnlicher Fall.
Giovanni, ihr Gatte, war durch einen absurden Unglücksfall getötet worden, auf dem Fußballplatz vom Blitz erschlagen. »Wieso mußte es denn ausgerechnet mein Mann sein, wo doch noch einundzwanzig andere Spieler, ein Schiedsrichter und zwei Linienrichter dabei waren?« wollte Claudia jedesmal vom Pater wissen, wenn er sie besuchen kam. »Ist das der Wille des Herrn? Von all diesen Männern, warum ausgerechnet mein Giovanni?«
Pater Faustini erinnerte Claudia stets daran, daß die Wege des Herrn unergründlich sind. Sie blickte ihn stets vertrauensvoll aus ihren großen, dunklen, ausdrucksvollen Augen an (sie hatte als Mannequin gearbeitet), und er mahnte sie stets, daß es ein Fehler sei, über die Vergangenheit nachzugrübeln.
Der Geistliche und die junge Witwe saßen auf einem Polsterkissen auf dem Fußboden. Wie üblich hatte Claudia gastfreundlich eine Flasche Barolo entkorkt, einen vollmundigen Jahrgang aus Mascarello, und es gab Käsecracker zu knabbern. Die Sonne war gerade eben untergegangen, aber es wäre jammerschade gewesen, an einem solchen Abend das Licht einzuschalten. Durch die offenen Terrassentüren trug die kühler werdende Luft schweren Levkojenduft herein. Die Villa hatte einen schönen, durch ein Sprinklersystem bewässerten Garten. Giovanni, gut bei Kasse – er war als Modefotograf überaus erfolgreich gewesen –, hatte eigens einen Landschaftsarchitekten engagiert. Für Pater Faustini bedeutete die einsame Lage der Villa eine Fahrt von fast fünf Kilometern auf seinem Moped, aber er beklagte sich nie. Er war vierzig und bei bester Gesundheit. Ein robuster Mann mit dichten, schwarzen Locken und prächtigem Schnurrbart.
»Es scheint Ihnen schon sehr viel besser zu gehen«, bemerkte er zur Witwe Coppi.
»Alles nur Fassade, Pater. Innerlich bin ich noch immer sehr angespannt.«
»Wirklich?« Er runzelte die Stirn, aber nur zum Teil aus Sorge, daß sie unter Anspannung stand. Gut, daß der Raum inzwischen so dämmrig geworden war, daß seine Beunruhigung ihr nicht gleich ins Auge springen konnte.
»Das übliche Problem«, sagte sie. »Streß. Der sich auf die Muskulatur schlägt. Ich spüre es in den Schultern, genau hier oben.«
»Wie neulich?«
»Wie neulich.«
Sie schwiegen beide. Auch Pater Faustini empfand jetzt eine gewisse Anspannung.
Claudia sagte: »Letzte Woche haben Sie meine Muskeln wirklich schön lockern können.«
»Wirklich?« sagte er geistesabwesend.
»Es war wie ein Wunder.«
Er räusperte sich, unglücklich über ihre Wortwahl.
Sie korrigierte sich: »Ich meine, es war herrlich. Ach, was für eine Wohltat! Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wieviel besser es mir danach ging.«
»Hat es angehalten?«
»Ein paar Tage, Pater.« Während er darüber nachdachte, fügte sie kläglich hinzu: »Es gibt doch sonst niemanden, den ich darum bitten könnte.«
Es klang wie ein Flehen um christliche Nächstenliebe. Mitunter erledigte Pater Faustini für ältere Mitglieder seiner Gemeinde Einkäufe. Häufig besorgte er ihnen Medizin gegen ihre Leiden. Man wußte, daß er für arme Seelen in Bedrängnis schon Holz gehackt und Suppe gekocht hatte, warum also sollte er Claudia Coppi nicht die schmerzenden Schultern massieren? Nur weil es ihn selbst in Konflikte stürzte? War es richtig, ihr wegen seiner moralischen und geistigen Schwäche den christlichen Beistand zu versagen?
Schon an den letzten beiden Freitagen hatte er ihr diesen Dienst erwiesen. Liebend gern hätte er statt dessen Holz für sie gehackt, aber die Villa hatte eine Ölheizung. Mit Feuereifer wäre er für sie einkaufen gegangen, doch sie wurde zweimal wöchentlich vom besten Supermarkt in Cremona beliefert. Sie hatte einen Gärtner, eine Köchin und eine Putzfrau. Der einzige praktische Dienst, den Pater Faustini Claudia Coppi erweisen konnte, war also der, um den sie ihn jetzt bat. Die arme junge Frau konnte sich nicht selbst die Schultern massieren. Nicht gut genug, um die verspannte Muskulatur zu lockern.
Und da war noch etwas, das ihn zögern ließ. Einmal die Woche nahm er Claudia Coppi in der Kirche die Beichte ab, und in letzter Zeit – er war nicht sicher, wie oft, und er wollte auch keine Berechnungen anstellen – hatte sie gebeichtet, unreine Gedanken oder fleischliche Gelüste zu haben, jedenfalls so ähnlich hatte sie sich ausgedrückt. Es war nicht seine Art, im Beichtstuhl nach weiteren Details zu fragen, wenn die Art der Sünde bereits feststand, daher wußte er nicht, ob es da einen Zusammenhang mit seinen Besuchen in der Villa gab.
»Ich habe etwas besorgt, das Sie einmassieren könnten, wenn Sie so lieb wären«, sagte sie.
Er hüstelte nervös und schlug die Beine übereinander. Das war etwas Neues. »Ein Mittel zum Einreiben?« erkundigte er sich, redlich bemüht, an nichts als die reine Muskelbehandlung zu denken und sich des penetranten Geruchs einer bestimmten Sorte zu erinnern, die von Fußballspielern bevorzugt wurde. Das Zeug trieb einem Tränen in die Augen.
»Eigentlich eher eine Feuchtigkeitscreme. Das ist besser für meine Haut. Ganz weich. Probieren Sie mal.« Sie streckte den Arm aus und schmierte etwas auf seinen Handrücken.
Er wischte es sofort ab. »Das ist parfümiert.«
»Eine Spur Moschus«, gab sie zu. »Würden Sie bitte den Topf halten, ich ziehe nur schnell meine Bluse aus.«
»Das wird nicht nötig sein«, sagte er rasch.
»Pater, die ist aus Seide. Sie bekommt sonst Flecken.«
»Nein, nein, signora, bitte bedecken Sie sich.«
»Aber ich hab’ sie doch noch nicht mal aufgeknöpft.« Sie lachte und fügte hinzu: »Ist es schon so dunkel?«
»Ich habe nicht hingeschaut«, sagte er.
»Schon gut. Ich habe Ihnen sowieso den Rücken zugedreht.«
Während sie noch sprach, hörte er, wie die Bluse von ihren Schultern glitt. Jetzt steckte er richtig in der Klemme. Sie klang so sachlich, so unbekümmert. Wenn er widersprach, könnte es sein, daß er die ganze Situation zu einer moralischen Krise aufblähte. Es könnte so aussehen, als ließe er sich von Dingen beeinflussen, die sie im Beichtstuhl gesagt hatte.
»Nicht zuviel auf einmal«, warnte sie. »Ein wenig reicht.«
Er unterdrückte seine Zweifel, tauchte einen Finger hinein und verteilte die Creme in der Handfläche.
Claudia hatte ihm tatsächlich den Rücken zugewandt. Er streckte die Hand aus und tupfte ein wenig von der Feuchtigkeitscreme auf ihren Nacken.
Sie sagte: »Ach je, die Träger werden sie stören.«
»Ganz und gar nicht«, widersprach Pater Faustini, doch die BH-Träger wurden trotzdem beiseite geschoben.
Bei seinen früheren Besuchen hatte Claudia ihn überredet, sie ohne Creme durch ihr T-Shirt hindurch zu massieren. Das hier war eine neue Erfahrung. Der Kontakt mit ihrer Haut wühlte ihn mehr auf, als er sich eingestehen mochte. Er strich über ihre sanft geschwungenen Schultern, spürte die Wärme unter seinen Fingern. Diese Weichheit war wie eine Offenbarung. Als seine Hände die runde Wölbung ihrer Schultern umschlossen, mußte er innehalten.
Sie seufzte und sagte: »Himmlisch.«
Einen Augenblick später hatte er sich wieder soweit unter Kontrolle, daß er weitermachen konnte. Er verteilte die Feuchtigkeitscreme großzügig auf den Schulterblättern und entlang des Rückgrats hinauf bis zum Hals. Sie hielt den Kopf gesenkt, so daß ihr langes, dunkelbraunes Haar nach vorn hing. Er widmete den Deltamuskeln einige Aufmerksamkeit, sanft die Form jedes einzelnen abtastend. Obwohl Claudia gesagt hatte, sie sei verspannt, fand er, daß sich alles recht geschmeidig anfühlte, aber er war ja schließlich kein Physiotherapeut.
»Sagen Sie, wenn es Ihnen unangenehm ist«, sagte er.
»Ganz im Gegenteil«, murmelte sie. »Sie haben einfach wunderbare Hände.«
Er übte weiterhin leichten Druck auf ihren Halsansatz aus, bis sie plötzlich den Kopf hob und ihr Haar nach hinten warf.
»Genug?« erkundigte er sich hoffnungsvoll. Das Gefühl, wie ihr Haar über seinen Handrücken glitt, hatte bei ihm eine körperliche Empfindung ausgelöst, die sich nicht mit seinem geistlichen Stand vertrug.
Aber Claudia Coppi war noch nicht zufrieden. Sie erklärte, ihre Oberarme seien noch immer verspannt.
»Hier?«
»Ja. Oh ja, genau da. Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich mich gegen Sie lehne, Pater? Es ist bequemer so.« Sie wartete gar nicht erst auf seine Antwort.
Ihr Hinterkopf lag auf seiner Brust, ihr Haar berührte seine Wange, und mit derselben Bewegung legte sie ihre Hände auf seine und hielt sie fest. Dann schob sie sie nach unten.
Er hatte noch gar nicht bemerkt, daß sie ihre Brüste vollständig entblößt hatte. Sie führte seine Hände dorthin. Erlesen schöne, streng verbotene Brüste boten sich ihm dar, sie zu erkunden. Für einige wenige unvergeßliche Augenblicke der Sünde nahm Pater Faustini das Angebot an. Er hielt Claudia Coppis verbotene Früchte, glitt mit den Händen über sie, unter sie und um sie herum, ergötzte sich an ihrer Fülle und ihrem nicht zu leugnenden Zustand der Erregung.
Ein lasterhaftes Ungeheuer.
Im verzweifelten Bemühen, seine fleischlichen Gedanken zu bannen, stieß er die Worte aus: »Führe uns nicht in Versuchung« und zog die Hände zurück, als hätte er sich verbrannt.
Von Scham erfüllt stand er augenblicklich auf und schritt entschlossen durch die Terrassentür hinaus und um das Haus herum, ohne sich umzusehen. Er reagierte nicht, als Claudia Coppi rief: »Sehe ich Sie nächsten Samstag?« Er wußte, er mußte fort von diesem Ort.
Er meinte zu hören, daß sie hinter ihm herkam, vermutlich noch immer im Oben-ohne-Zustand. So schnell er nur konnte, schob er sein Moped hinaus auf die Straße, warf es an und brauste davon.
»Du zuchtloser Narr«, haderte er mit sich selbst über das Knattern des Motors hinweg. »Du willensschwacher, verkommener, lüsterner, widerwärtiger, erbärmlicher, sexbesessener Kerl. Du elender Sünder.«
Die kleinen Räder trugen ihn gleichmäßig dahin, der Scheinwerfer erhellte die Straße vor ihm, aber er nahm kaum wahr, daß er sich fortbewegte. Seine Gedanken kreisten einzig und allein um sein lasterhaftes Verhalten. Ein Mann Gottes, ein Geistlicher, der sich benommen hatte wie ein Tier, nur schlimmer, weil er mit einem Geist gesegnet war, der ihn eigentlich dazu befähigen sollte, die niederen Instinkte zu überwinden.
Wie soll ich das am Tag des Jüngsten Gerichts rechtfertigen, fragte er sich. Gott sei mir armem Sünder gnädig.
Es ist unmöglich zu sagen, wann genau er während der Fahrt bemerkte, daß da vor ihm etwas war. Bestimmt war er schon einige Zeit unterwegs, ehe er imstande war, etwas anderes wahrzunehmen als die Qualen seiner gemarterten Seele. Es mußte etwas Spektakuläres sein, und das war es auch. Pater Faustini starrte geradeaus und sah eine Feuersäule.
Der Nachthimmel über der lombardischen Ebene wurde von Hunderten lodernden Punkten glitzernd hell erleuchtet. Ihr Ursprung war eine Feuersäule, die in ungefähr drei Kilometern Entfernung hoch über dem Land aufragte. Mit Sicherheit war das kein natürliches Feuer, denn es brannte eher grün als orange, hellsmaragdgrün, mit violetten, blauen und gelben Blitzen, die nach außen zuckten. Pater Faustini wurde von der Gewißheit gepackt, daß der Tag des Gerichts da war. Andernfalls wäre ihm vielleicht der Verdacht gekommen, daß dem Barolo, den er getrunken hatte, irgend etwas beigemengt worden war, denn das, was er da sah, war in seiner ungewöhnlichen Farbkombination ausgesprochen psychedelisch. Er hatte schon große Feuer gesehen und gigantische Feuerwerke, aber nichts davon reichte auch nur annähernd an das hier heran.
Was sonst hätte ein elender Sünder am Jüngsten Tage tun können, als auf die Bremse treten, absteigen, auf die Knie fallen und um Vergebung beten? Er fühlte sich gleichzeitig von Panik erfüllt und von Reue geschüttelt, weil all dies just an dem Abend geschah, an dem er der Sünde anheimgefallen war, nach einem untadeligen (oder praktisch untadeligen) Leben im Dienst der Kirche. Er kniete sich auf das Gras am Straßenrand, die Hände vor dem schmerzverzerrten Gesicht gefaltet, und schrie: »Vergib mir Vater, denn ich habe gesündigt.«
Er konnte die Möglichkeit nicht ausschließen, daß sein Fehltritt mit Claudia Coppi unmittelbar für das jetzige Geschehen verantwortlich war. Anzunehmen, daß seine nur wenige Sekunden währenden Liebkosungen zweier schöner Brüste das Ende der Welt beschleunigt hatten, war vielleicht anmaßend, aber er hatte nun mal ein unheilvolles Gefühl von Ursache und Wirkung.
Durch seine gefaltete Händen hindurch riskierte er erneut einen Blick. Der Zustand des Himmels war unverändert furchteinflößend. Feuerstrahlen zischten wie Raketen nach oben und hinterließen funkensprühende Spuren.
Bis jetzt waren noch keine Racheengel zu sehen, auch kein anderes apokalyptisches Zeichen. Er hörte keine Trompeten, aber jetzt würde ihn ohnehin nichts mehr erstaunen.
Statt dessen sah er zwei helle Lichter, so grell, daß ihm die Augen weh taten. Und zugleich hörte er ein dumpfes Dröhnen, das lauter wurde. Die Quelle dessen war keineswegs übernatürlich. Ein Wagen kam mit aufgeblendeten Scheinwerfern aus der Richtung der Feuersäule über die Straße auf ihn zugerast. Pater Faustini konnte verstehen, daß Menschen vor dem drohenden Zorn Gottes flohen, aber er wußte, daß sie sich etwas vormachten. Es gab kein Entkommen.
Und so war es auch.
Das Motorengeräusch wurde immer lauter und die Lichter immer heller. Normalerweise hätte Pater Faustini gewinkt, um dem Fahrer zu signalisieren, daß er geblendet wurde. Aber er saß ja nicht auf seinem Moped. Er lag auf den Knien am Straßenrand. Er hatte sein Moped beim ersten Anblick der Feuersäule stehenlassen. Genau dort, wo er angehalten hatte, mitten auf der schmalen Straße.
Der Wagen raste darauf zu.
Er schlug die Hände vors Gesicht.
Es war einfach keine Zeit mehr, das Moped von der Straße zu holen. Er konnte nur hoffen, daß der Fahrer das Hindernis rechtzeitig bemerken und umfahren würde. Es mochte eine akademische Frage sein, ob ein Unfall – selbst ein tödlicher – in diesem finalen Stadium der Weltgeschichte noch eine Rolle spielte, doch Pater Faustini war immer ein auf Sicherheit bedachter Mensch gewesen, und der Gedanke, für den Tod eines anderen verantwortlich zu sein, war ihm unerträglich.
Tatsächlich traf den Fahrer des Wagens eine Mitschuld, denn seine Geschwindigkeit war deutlich überhöht.
Was dann geschah, war rasch und verheerend, doch Pater Faustini sah es in der seltsamen Zeitlupe, in die das Gehirn umschaltet, damit es auf Gefahren bei hoher Geschwindigkeit reagieren kann. Der Wagen schoß auf das Moped zu, ohne seine Fahrt zu verlangsamen, bis zum letzten Sekundenbruchteil, als der Fahrer wohl gesehen hatte, was da vor ihm war. Das Rutschen der Reifen auf der Straßendecke, als die Bremse durchgetreten wurde, machte ein Geräusch wie eine aufheulende Sirene. Der Wagen schwenkte nach links, um dem Moped auszuweichen, und es gelang ihm auch. Doch er prallte gegen den Bordstein, geriet außer Kontrolle und schleuderte auf die andere Seite. Pater Faustini sah, daß es eine große, PSstrarke Limousine war. Die weißen Lichter der Scheinwerfer verschwanden aus seinem Blickfeld und verwandelten sich in intensives Rot, als der Wagen mit hell leuchtenden Bremslichtern vorbeischlitterte. Er schoß über den Bordstein und eine Grasböschung hinauf, hinter der ein Feld lag. Die Rücklichter stiegen plötzlich hoch und beschrieben einen Bogen. Der Wagen überschlug sich – nicht einmal, sondern dreimal, und tonnenschweres Metall wirbelte umher wie Kinderspielzeug, krachte durch einen Zaun und rutschte schließlich auf dem Dach über die gepflügte Erde.
Eines der Rücklichter brannte noch. Dann erlosch es funkensprühend. Rauch stieg aus dem Wrack.
Pater Faustinis Beine fühlten sich etwa so standfest an wie frischgekochte Pasta, aber er taumelte hinüber, um nachzusehen, ob er jemanden aus dem Wagen ziehen konnte, bevor das ganze Ding Feuer fing.
Das Gewicht des Chassis hatte den Aufbau zusammengedrückt. Der Pater kniete sich neben den zusammengepreßten Schlitz, der einmal das Fenster auf der Fahrerseite gewesen war. Drinnen war ein Mann, der Kopf in einem unmöglichen Winkel abgeknickt. Zu spät für die letzte Ölung. Auf der anderen Seite lag der Beifahrer halb am Boden. Im wahrsten Sinn des Wortes. Die andere Hälfte, von der Hüfte abwärts, war noch im Wagen. Die beiden Hälften waren an der Taille durchtrennt.
Der Pater bekreuzigte sich. Eine Welle der Übelkeit stieg in ihm hoch, aber er durfte jetzt nicht die Beherrschung verlieren, denn die Luft roch nach Benzin, und das ganze Wrack konnte sich in wenigen Sekunden in einen Feuerball verwandeln. Aus Sorge, daß noch jemand lebendig dort drinnen gefangen sein konnte, legte er sich auf den Bauch, um einen Blick auf den Rücksitz zu werfen. Es war unnütz. Zwischen der zerfetzten Polsterung und dem eingedrückten Dach war auch nicht ein Zentimeter Luft.
Als er gerade aufstehen wollte, setzte irgendwo rechts von ihm ein Geräusch ein wie das Brausen des gewaltigen Windes beim Pfingstwunder. Das Benzin hatte sich entzündet.
Er sprang auf und rannte weg. Hinter ihm krachte es einige Male, dann kam ein gewaltiger Knall, vermutlich der explodierende Benzintank. Doch inzwischen war Pater Faustini schon zwanzig Meter weiter und lag flach am Boden.
Eine Weile rührte er sich nicht. Seine Nerven verkrafteten einfach nicht mehr. Er schluchzte sogar ein wenig. Es dauerte eine Zeitlang, bis er daran dachte, ein Gebet zu sprechen. In seinem aufgewühlten Kopf hatte der Autounfall das Jüngste Gericht noch übertrumpft.
Endlich setzte er sich auf. Das Autowrack brannte noch, aber das Schlimmste war vorbei. Öliger, schwarzer Qualm breitete sich aus, und der Gestank von brennendem Gummi brannte ihm in Kehle und Nase. Er starrte in die Flammen. Die verkohlten, verbogenen Metallreste hatten kaum noch Ähnlichkeit mit einem Wagen.
Jeder Muskel seines Körpers zitterte. Mühsam kam er auf die Beine und ging an dem brennenden Wrack vorbei zu seinem Moped, das noch immer unversehrt mitten auf der Straße stand, ein Beweis für seine Dummheit und seine Schuld an der Tragödie.
In der Ferne wurde der Nachthimmel noch immer von der riesigen Feuersäule zerrissen, die ihn so aus der Fassung gebracht hatte. Noch immer waren die Farben überirdisch bunt und strahlend. Trotzdem drängte sich Pater Faustini die Frage auf, ob wirklich der Tag des Jüngsten Gerichts gekommen war. Der Schock des Autounfalls hatte seine Wahrnehmung verändert. Das Phänomen war ihm unerklärlich. Es mußte einen Grund dafür geben, aber er hatte nicht mehr die Kraft, darüber nachzudenken.
Er setzte sich auf sein Moped, startete den Motor und fuhr davon, um zu melden, was geschehen war.