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August 1262 – Die Beginen

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Die Stadt stank.

Vier Wochen nach dieser schrecklichen Nacht kündete sie mit ihrem Geruch immer noch weithin von der Feuerkatastrophe. Das einzig Gute daran war, das die sonst noch übleren Ausdünstungen, welche sie gemeinhin an sich hatte, überdeckt wurden. Die Gerüche der faulenden Fischreste am Hafen, das vor sich hin gammelnde Stroh in den Straßen, mitsamt dem Dreck der Schweine, Ziegen, Hühner und Menschen verschwanden unter einer brandigen Dunstglocke.

Ihre Einwohner waren so emsig wie immer, sie ließen sich nicht unterkriegen. Ein Brand war zwar tragisch, aber durchaus alltäglich. Ständig hörte man von Händlern, dass irgendwo eine Stadt oder ein Dorf in Flammen aufgegangen war.

Auch in Wismar fackelte hin und wieder ein Haus oder eine Stallung ab, aber so, wie in jener Nacht, so lichterloh und unerbittlich hatte der rote Hahn hier noch nie gewütet.

Wer gar nichts mehr besaß und auch nicht bei Verwandten unterkriechen konnte, der versuchte sein Glück in einem der restlos überfüllten Hospitäler.

Diejenigen, die es sich leisten konnten, bauten ihre Bude, ihr Häuschen oder Lagerhaus wieder auf. Der Holzhandel war das Geschäft der Stunde, Zimmerleute waren jetzt gefragte Handwerker und selbst die Ärmsten der Armen wurden hin und wieder als Handlanger gebraucht.

Zum Heulen und Wehklagen nahmen sich die Menschen keine Zeit. Ein Rathaus musste gebaut werden, auch diese neues Gebäude errichtete man wieder aus Holz. Noch war man nicht schlau aus dem Unglück geworden. Es wurde an die Westseite des Marktplatzes gestellt, so hatten die Ratsherren nicht nur das Treiben der Menschen gut im Blick, sondern auch die Rats- und Marktkirche Sankt Marien. Nur hundert Meter weiter zeigten sich die ersten Umrisse der zukünftigen Georgskirche. Die Türme beider Gotteshäuser mussten den späteren Ratsleuten einmal einen großartigen Anblick bieten.

Zwischen all dem geschäftigen Hin und Her fielen ein paar Frauen und Mädchen auf, welche in grauer Tracht und immer nur zu zweit durch die Straßen eilten.

Ein Junge wie Conrad nahm wenig Notiz von ihnen. Mönche gab es genügend in der Stadt, schwarz und braun gewandete sah er fast täglich. Nun liefen eben auch noch ein paar Nonnen herum, was scherte es ihn.

Als er durch die Haustür stürzte, um seinem Vater zu berichten was es an Neuigkeiten auf seiner Lieblingsbaustelle gab, hätte er beinahe zwei von ihnen umgerannt. Die grauen Vögel, wie er sie insgeheim nannte, trugen einen Korb voll Wäsche und wollten gerade ins Freie treten.

„Entschuldigt“, kriegte er ganz knapp über die Lippen. Frauen mochte er nie gerne ansprechen und so machte er sich ganz dünn um an ihnen vorbei ins Haus zu gelangen.

„Tölpel!“, erwiderte die eine und blickte Conrad fest ins Gesicht. Ein Paar grüne Augen nagelten ihn an den Türrahmen.

Keinen Schritt konnte er mehr machen und auch sein Verstand verweigerte für einen Moment den Dienst. Er stammelte: „Ich... ähm...wollte nicht... ähm...“

„Du hast wohl immer noch nicht gelernt höflich zu sein?“ Zu den grünen Augen gehörte ein wohlgeformter roter Mund, der sich verächtlich verzog und ihm ein bitterböses „Flegel!“ an den Kopf warf.

Jetzt schnaubte er aber doch kräftig durch die Nase. Was bildete sich diese Person ein? Es war nicht seine Absicht gewesen ihr, den Korb aus der Hand zu reißen. Außerdem sah er, dass die Wäsche darin schmutzig war, was machte es also, wenn sie einmal mehr im Dreck landete.

„Bist Du zu fein uns behilflich zu sein? Ohne Dich läge das Zeug nicht auf der Straße.“ Die Grünäugige gab keine Ruhe.

„Was glaubst Du, wer Du bist? Hat man je gesehen, dass ein Mann bei der Wäsche mit anpackt?“ Conrad wurde wütend. „Bückt euch selber ihr...“ Weiter kam er nicht. Plötzlich verlor er das Gleichgewicht, landete äußerst unsanft auf seinem Hosenboden und schlug mit dem Kopf heftig an die Hauswand. In seiner Rage hatte er übersehen, dass er auf dem Ärmel eines Wamses stand, welches seine schöne Widersacherin mit einem Ruck an sich nahm.

Wortlos drehten sich die Frauen um und gingen. Die eine aufrecht und festen Schrittes. Die Andere ein klein wenig gebeugt und hinkend, sodass der große Wäschekorb zwischen ihnen hin und herschwankte. Beide warfen die Köpfe stolz nach hinten. Die weißen Schleier hoben sich im Wind und Conrad blickte auf einen zarten blonden Zopf und eine wallende Mähne feuerroten Haares.

Langsam erhob er sich. Eine Erinnerung schoss durch seinen Kopf und packte ihn leidenschaftlich. Er kannte diese wütende Schöne.

Schnell rannte er nach oben in seine Kammer. Die Neuigkeiten für seinen Vater hatte er vorerst vergessen. In einer Truhe unter dem Fenster lag ein kleiner Leinenbeutel und in diesem wiederum ein zusammengefaltetes Tüchlein. Hierin bewahrte er den größten Schatz auf, den er bisher gefunden hatte. Gewiss, seine Steinsammlung, die stand an erster Stelle, aber das Beutelchen barg etwas, das ihm seit zwei Jahren mehr bedeutete als jeder Backstein. Vorsichtig faltete er das Tüchlein auseinander und betrachtete das zusammengeringelte flammendrote Haar. Ghese, so hieß das Mädchen damals im Hospital. Sie wollte ihm kein Wasser bringen und war schon seinerzeit stolz und schön. Heute hatte er sie wiedergesehen. Sie kam aus seinem Haus und würde sicher wiederkommen, sie musste ja die Wäsche zurückbringen. Sein Herz klopfte ungestüm. Was war nur los mit ihm? So kannte er sich nicht.

Völlig in Gedanken versunken überhörte er das laute Rufen seines Vaters.

Johan Rikeland stand am Fuße der Treppe und begriff nicht, warum sein Sohn zuerst ohne einen Gruß an ihm vorbeistürzte und nun auch noch taube Ohren hatte.

„Conrad!“, rief er wieder und nun erschien der Junge auf dem Treppenabsatz und stieg die Stufen ganz gemächlich hinab. Rikeland war über den verklärten Gesichtsausdruck des Bengels mehr als überrascht.

„Fehlt Dir etwas?“, fragte er besorgt. Er bekam keine Antwort. Eine freundschaftliche Kopfnuss sollte Conrad klar machen, dass sein Vater auf eine Antwort wartete. „Autsch!“ Rikeland hatte die dicke Wölbung getroffen, welche inzwischen an Conrads Hinterkopf prangte.

„Nanu, woher stammt die Beule? Ich muss doch nicht Sorge tragen, dass der Verstand Deinem Kopf entweichen will, nachdem es mich ein Vermögen gekostet hat, ihn Dir dort eintrichtern zu lassen?“

„Nein Vater, Du hast Dein Geld gut angelegt, Lehrer Bodecker ist ungemein zufrieden mit mir. Er lässt Dir ausrichten, dass ein Gespräch notwendig sei. Du möchtest doch die Tage bei ihm vorbeischauen. Er will mit Dir über meine weitere Ausbildung reden. Aber sag mal Vater, was machen denn die Nonnen mit unserer Wäsche? Ist das Kloster jetzt dafür zuständig?“

Die beiden setzten sich an den schwerer eichenen Esstisch, auf dem Trine schon irdene Schüsseln mit gekochtem Huhn und dampfendem Gemüse aufgetragen hatte. Sie langten kräftig zu und Rikeland sah mit Freude, das Conrad seinen Hunger kaum zügeln konnte, obwohl er ein wenig lustlos in der Grütze herumstocherte. Er wusste, dass sein Sohn lieber Brot zu den Mahlzeiten aß. So brachte Trine auch noch einen Laib frisches Graubrot und mit vollem Mund hakte Conrad nach. „Nun sag schon Vater, was machen die in unserem Haus?“

Johan Rikeland schüttelte den Kopf. „Das sind keine Nonnen, sondern Beginen. Sie sind zwar den Franziskanern angeschlossen, weil sie sich dem Schutz eines Ordens unterstellen müssen, aber im Kloster leben sie nicht. Ihr Hof ist das große Haus in der Lübschen Straße unweit des Hospitals vom Heiligen Geist.“

„Die meisten der Frauen sind Witwen und nicht unvermögend. Sie leben nach eigenen Regeln und können den Konvent auch wieder verlassen und heiraten wenn sie wollen. Du solltest Dich nicht mit ihnen abgeben. Man sagt ihnen ungeheuerliche Dinge nach.“

„Ungeheuerliche Dinge? Erzähl mir davon.“ Dem Knaben fiel vor Spannung fast das Essen aus dem Mund. Rikeland druckste herum. „Nun ja, sie leben wohl nicht so keusch wie Gott es für die Menschen vorgesehen hat.“

„Trotzdem lässt Du sie in unser Haus?“

„Nur um die Wäsche zu holen, sie zu säubern und Näharbeiten auszuführen. Deine Herumtreiberei auf den Baustellen beschert uns immer wieder zerfledderte Hosen. Trine ist alt geworden, sie schafft es kaum noch das Haus zu versorgen. Ich sollte mich nach einer jüngeren Magd umsehen.“

Conrad beschloss später über das Gehörte nachzudenken und sich mit seinem Freund Gottfried über die Beginen zu unterhalten. Jetzt gab es wichtigere Dinge zu besprechen.

„Wegen der Baustellen und meiner Ausbildung Vater, ich kann doch auf Dein Versprechen hoffen, dass Du mich nicht in das Tuchgeschäft zwingen wirst?“

„Ich weiß längst, dass Du einen einmal gefassten Entschluss selten rückgängig machst. Deine Begeisterung für Steine und Bauwerke verfolge ich, seit Du den ersten Backstein gestohlen hast. Meine Angst Dich deswegen eines Tages am Pranger zu finden oder gar einer schlimmeren Bestrafung ausgesetzt sehen, war immer unermesslich.“

Conrad blickte stumm auf den Tisch.

„Ich kann nicht anders Vater. Nicht stehlen, nein das meine ich nicht. Gottes Gebote sind mir wichtig und ich habe nie etwas anderes genommen als Steine, das kannst Du mir glauben. Nur bauen, Vater, bauen will ich. Steine sind so lebendig wie ein Schaf oder ein Hund. Ein einzelner hat wahrlich kein Herz, aber alle zusammen haben viel mehr, als die meisten Menschen sehen können. Sie geben den Gebäuden ein Gesicht. Die Häuser schauen mich an, wenn ich vorüber gehe. Atmen sie nicht? Hat nicht jedes einen anderen Geruch, gerade so, wie jeder Mensch anders aus dem Halse riecht? Und hast Du sie schon einmal reden hören? Sie sprechen zu mir. Ein Haus hat nicht nur eine Seele, es beherbergt die Seelen aller Menschen, die einmal in ihm wohnten. Holzhäuser gehen schnell kaputt, sie brennen ab oder fallen zusammen, dann ist auch das Leben aus ihnen gewichen. Steinhäuser werden alles in sich bewahren. Noch in hundert Jahren können sie den Menschen erzählen was sie jemals erlebt haben.“

Johan Rikeland legte seinem Sohn beschwichtigend die Hand auf den Arm. „Du brauchst Dich nicht so in Zorn zu reden mein Junge. Zu Bodecker gehe ich gleich morgen früh. Ich wollte ihm schon gestern sagen, dass Du Dich in vierzehn Tagen bei Baumeister Egidius Medenge vorstellen wirst. Übrigens meinte der Du würdest auch einen vortrefflichen Holzfäller abgeben.“

Conrad wurde rot bis über die Ohren. Erwischt! Seit einiger Zeit half er den Bauleuten Holz für die Brennöfen des Ziegeleihofes heranzuschaffen. Die Wälder um Wismar herum gaben reichlich Brennholz her und ihm war es ein Bedürfnis sich auszutoben und nach dem Unterricht richtig in Schweiß zu geraten. Er bekam nichts dafür, doch er konnte seinen Teil zum Bau der neuen Georgskirche beitragen, wenn auch heimlich. Nun würde sich aber alles ändern, in zwei Wochen durfte er offiziell mitbauen. Freudestrahlend fiel er seinem Vater um den Hals.

An diesem Abend lag Conrad glücklich in seinem Bett. Gleich morgen wollte er zu Egidius Medenge gehen und sich entschuldigen. Nichts sollte seinen Start als Baugehilfe beschweren. Er wusste, dass er einen langen Weg vor sich haben würde. Seine Gedanken kreisten aber nur kurz um Backsteine und Kirchen. Immer wieder gingen ihm die Worte Johan Rickelands im Kopf herum. Beginen lebten unkeusch und trieben ungeheuerliche Dinge. Seine Phantasie reichte nicht aus um zu einem Ergebnis zu kommen. Endlich riss ihn der Schlaf mit sich fort und Conrad träumte von einer riesigen Kirche, wie sie selbst Wismar nicht besaß. Ihm kam es vor als stäche sie mit ihrer endlos langen Kirchturmspitze Gott in seinen Allerwertesten. An dicken Pfeilern prangten mächtige Frauenköpfe mit grünen Augen und roten wallenden Haaren. Ihre Münder waren weit aufgerissen und lachten ihn schamlos aus.

Das Geheimnis der Baumeisterin

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