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Februar 1263 - Begierden

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Er durfte nicht hier sein, aber die Gier nach Rache war größer.

Hier, in der dreckigsten Kaschemme die er je gesehen hatte, wollte er einen Mann treffen, dem jeder Bürger Wismars aus dem Wege ging, den Anführer einer Kinderbande, die in den Wäldern und Dörfern zwischen Lübeck, Rostock und Schwerin ihr Unwesen trieb.

Die Tranfunzel ließ seine Augen tränen und verrußte ihm das Gesicht, aber das war auch gut so. Niemand sollte ihn erkennen, darum zog er die Kapuze seines Umhanges tiefer ins Gesicht. Die Männer an den anderen Tischen vergnügten sich mit kreischenden Dirnen. Ihm war das Treiben in der Schänke „Zur Fackel“ höchst zuwider. Oh, Mädchen mochte er schon, aber als Mitglied des Stadtrates konnte er sich bessere Weiber leisten.

Die Tür öffnete sich lautlos und niemand nahm Notiz von der eintretenden Gestalt. Lediglich der Hauch des Winters streifte kurz alle Anwesenden im Schankraum. Wortlos setzte sich der Kerl neben ihn, nahm ihm den Becher Bier weg und leerte ihn in einem Zug.

Ein übler Dunst breitete sich um den Eingetretenen aus.

„Welcher von euch bist Du?“ fragte er.

„Ist das wichtig?“

„Sicher, ich kenne meine Feinde gern.“

„Warum Feind? Ich habe nichts mit Dir.“

„Hinterher schon, es ist immer so. Also?“

„Jander“

„Der Ratsherr persönlich?“ Leises Lachen ertönte. „Ihr Moderitzbrüder macht noch Dunklere Geschäfte als meine Bande. Es soll mir ein Vergnügen sein, für Euch zu arbeiten. Und Euch soll es ordentlich was kosten.“

„Psst, sei doch still! Du wirst nicht zu kurz kommen, vorausgesetzt das Ergebnis fällt so aus, wie ich es mir vorstelle.“

„Seit dem beschlossenen Hansebündnis vor vier Jahren ist es riskant geworden, die Handelswege zu belagern.“

„Wegelagerei ist nicht mein Ziel. Ich erwarte von Dir, dass Du mir mit Deinen Kindern im Herbst...“

Jander Moderitz rückte ganz nah an seinen stinkenden Nachbarn heran und flüsterte ihm sein Begehren zu.

Der lachte laut und schallend. „Verstehe ich recht? Hunderte? Und für jedes Dutzend einen Viertelpfennig?“

Moderitz kroch in sich zusammen und lag mit dem Gesicht fast auf der Tischplatte. Wenn der Kerl so weitermachte, dann blieb dieses Treffen hier nicht unentdeckt.

„Ich frage Dich nicht was Du damit vorhast Mann. Dein Anliegen ist von seltsamer Natur. Zahle den vereinbarten Preis und wir sehen uns nach dem Sommer wieder.“

Das Geschäft wurde mit einem Handschlag besiegelt.

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Am selben Abend saß Conrad im Kontor seines Vaters und schrieb. Pergament war teuer, Wachstafeln auch, aber auf ihnen konnte er wenigsten einen Fehler riskieren, der ließ sich immer wieder ausbessern. Obwohl, Fehler sollte er tunlichst vermeiden. Baumeister Medenge nahm alles übel und Conrad wollte seine Ausbildung nicht gefährden.

Seit einigen Wochen saß Ghese regelmäßig neben ihm und berechnete Kreise, Winkel und Mengen. Er hatte sie nicht länger abwehren können. Dieses Mädchen war erstaunlich. Als sie merkte, woran er so fleißig arbeitete, bat sie ihn, es ihr beizubringen. Jeden Abend, wenn er nach Hause kam, und das war meistens spät, wartete sie schon. Das Beginen ein so freies Leben führten, beeindruckte ihn. Noch mehr beeindruckte ihn aber die schnelle Auffassungsgabe seiner Schülerin. Nie hätte er geglaubt, dass auch Mädchen logisch denken können.

Johan Rikeland machte anfangs großes Theater. Wenn er auch nicht schrie, so war er doch äußerst ungehalten und machte Conrad immer wieder Vorhaltungen wegen der Verbindung zu diesem Mädchen. Teilweise hatte er Recht. Die teure Ausbildung für seinen Sohn zahlte er aus seiner Tasche und nun kam dieses Kind daher und machte sich dessen Wissen unentgeltlich zu nutze. Anfangs verbot er den beiden Beginen sein Haus jemals wieder zu betreten. Dann trafen sich die Kinder aber vor den Toren der Stadt und Conrad zeichnete und schrieb mit einem Stöckchen in den Sand, was er am Tage gelernt hatte und Ghese sog all das mit der frischen Luft in sich ein.

Das andere Mädchen, jenes mit dem blonden Zopf hielt sich immer im Hintergrund. Sie sprach kaum und Rikeland wusste nur ihren Namen, Elsa.

Eines Tages beobachtete er, wie Ghese seinem Sohn den Stock aus der Hand riss, heftigst gestikulierte und die Zeichnungen im Sand auslöschte. Erstaunt sah er, dass sie immer wieder auf Conrad einredete, Wörter und Zahlen auf den Boden malte und Conrad mit hochrotem Kopf nur noch nicken konnte. Später erfuhr er, dass Conrad sich bei der Berechnung einer Wand aus Backsteinen schwer geirrt hatte und, sollte sie gebaut werden, keinen Tag stehen bleiben würde.

„Was treibt dieses Mädchen an soviel lernen zu wollen?“, fragte er beim abendlichen Mahl.

„Ich weiß nicht Vater, sie ist besessen von Zahlen und Buchstaben. Man könnte glauben, sie ernähre sich davon. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass sie viel schlauer ist als ich. Aus meinem Schädel sickert manchmal etwas heraus, dieser Mädchenkopf aber ist wie ein neues Weinfass, alles bleibt drin und wird mit der Zeit sogar immer besser.“

„Nun, wenn das so ist, dann scheint sie Dir von Nutzen zu sein. Im Hof, unter dem Walnussbaum, dort werde ich euch Lehm aufschütten und feststampfen lassen, dann habt ihr einen Zeichenboden und könnt gemeinsam üben. Ich bitte euch nur, sprecht mit niemandem darüber, schweigt um Gottes Willen. Auch Gottfried sollte es nicht wissen.“

Conrad war sehr glücklich über den Entschluss seines Vaters. Dieses Mädchen faszinierte ihn. Woran mochte das liegen? Er kam nicht dahinter, freute sich aber, Ghese jetzt öfter sehen zu können. Das Problem war nur, dass nicht genug kaputte Wäsche im Haus war, um den häufigen Besuch der Beginen öffentlich zu rechtfertigen.

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Begehrlichkeiten wuchsen auch in Gottfried. Plötzlich stand er im Leben seines besten Freundes hinten an. Sicher, der war gut zwei Jahre älter, ging jeden Tag auf die Baustelle und traf sich schon mit Mädchen. Er hatte gesehen, wie Conrad ständig mit diesen grauen Vögeln zusammenhockte. Zuerst vor der Stadt und nun auch noch im Haus des Tuchhändlers. Was machte er mit ihnen? Er wusste wohl um die Unterschiede zwischen Mann und Frau, aber es konnte unmöglich das sein, was sein Vater des nachts mit der Mutter tat. Conrad war noch ein Junge, genau wie Gottfried auch. Ein andächtiger Blick in seine Hose hatte ihn davon überzeugt, dass er mit seinen fast dreizehn Jahren dem Vater immer ähnlicher wurde, doch schienen ihm die Möglichkeiten für Vergnügungen solcher Art begrenzt. Er, Gottfried, hatte kein Mädchen, geschweige denn eine Frau. Conrad hatte derer gleich zwei, und was man über Beginen in der Stadt so sprach, das gelangte auch an Gottfrieds Ohren. Nur Conrad, der antwortete ihm kaum noch, gab Ausflüchte und leugnete sogar, die Mädchen näher zu kennen.

Es musste doch mit dem Teufel zugehen, wenn sich nicht herausfinden ließ, warum sein engster Freund sich so zugeknöpft gab.

Das Geheimnis der Baumeisterin

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