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März 1250 – Die Opferhand

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Die Ratsleute tobten.

Noch nie war ein solch frevelhafter Antrag auf ihren Tisch gekommen.

Der Bürgermeister griff immer wieder zur Tischglocke und mahnte die aufgebrachten Männer sich zu beruhigen. Sein lauter volltönender Bass wurde allerdings vom Geschrei der anderen erstickt.

Einzig Johan Rickeland saß still am Tisch und starrte mit glasigen Augen vor sich hin..:

Am lautesten schrie Jander Moderitz seinen Zorn hinaus, aber das hatte Rikeland nicht anders erwartet. Nur, dass auch sein Freund Hegemann in den Chor der Entrüstung einstimmte, das befremdete ihn.

Vielleicht aber war ja das, was er da verlangte, und dem Rat auf einem Stück Pergament vorgelegt hatte, tatsächlich ein Frevel.

Er nahm das Blatt an sich, stand auf und augenblicklich war es totenstill in der Ratsstube. „Ich wiederhole noch einmal mein Ansinnen“, sprach er und las das Schreiben langsam vor.

Ich, Johan Rikeland, der Unterzeichner gar selbst, leibhaftig

und bei geistiger Unversehrtheit, verlange Aufklärung

über die grausame Ermordung meines Sohnes Bernhard.

Seine seelenlose Hülle werde ich auf dem Kirchhof von

Sankt Jürgen der Erde wiedergeben.

Mit diesem Schriftstück aber beantrage ich Folgendes:

Vor der Beisetzung meines Sohnes soll seinem Leichnam die

rechte Hand abgenommen und in der Kirche für jedermann sichtbar

aufbewahrt werden.

Sie wird ein Zeichen für die Anklage dieser barbarischen Tat sein,

ein Zeugnis für meinen Willen, nicht eher zu ruhen, bis der elende

Schurke gefasst ist, der den letzten Erben der Familie Rikeland

ausgelöscht hat.

Wenn der Mörder überführt, verurteilt und gerichtet ist, dann erst darf

auch die Hand des Opfers ihren Frieden finden und seinem leblosen

Körper zurückgegeben werden.

Wird er weder gefunden noch bestraft, so soll sie ruhelos den Verbrecher

verfolgen, seine Familie ins Unglück stürzen und über die Jahrhunderte

allen Menschen Kunde von diesem schrecklichen Ereignis geben.

Johan Rikeland, Tuchhändler zu Wismar

Anno 1250, im März

Wieder brandete eine Woge der Entrüstung auf. Man beschimpfte ihn übel, Ketzer und Gottesverächter waren noch die harmlosesten Beleidigungen, welche man ihm an den Kopf warf. Einer griff gar auf den Teller und warf einen Fisch nach ihm, aber Rikeland blickte so stur und hart in die Augen seiner Ratsbrüder wie zuvor. Ihn konnte man nicht mehr verletzen, mit Nichts, und schon gar nicht mit Worten. Als ihn ein Becher mit Bier traf, schüttelte er seinen Umhang ab und verließ die aufgebrachte Meute. Für ihn war die Ratssitzung heute beendet.

Sein Freund Hegemann lief ihm nach.

„Wie konntest Du das nur tun? Wie konntest Du dem Rat ein solches Anliegen unterbreiten, ohne vorher mit mir darüber zu sprechen? Ich bin Dein ältester Freund, wir haben zusammen Deinen Sohn gesucht und seinen erfrorenen Körper am Wegrand gefunden. Meine Arme haben Dich an diesem Tag nach Hause getragen, sonst wärest Du neben ihm zu Grunde gegangen. Warum übergehst Du mich?“

„Du hättest mich liegen lassen sollen, neben Bernhard zu sterben wäre die Erfüllung meines Lebens gewesen. Zugegeben, verachtenswert, aber mein Leid von jenem Moment an kannst Du nicht ermessen. Was nützt mir ein Freund, und sei er noch so aufrichtig, was nützt Du mir, habe ich doch alles verloren. Was sollte ich tun? Was, was? Ein Wort von mir, und es wäre gewiss, dass Du mir tagelang dieses Ansinnen an den Rat ausreden würdest. Ich habe doch gehört wie Du Dich eben in der Versammlung ereifert hast, mitgeschrieen mit den anderen und mich angeschaut, als wäre ich der Leibhaftige persönlich. Glaube mir, den fürchte ich nicht, er saß ja mitten unter uns.“

„Johan wie meinst Du das?“

„Ach Arnhold, Du weißt so gut wie ich wer meinen Sohn umgebracht hat. Kann ich mir aber erlauben den Verdacht zu äußern? Wer steht auf meiner Seite? Du etwa?“

„Lieber Freund, denn das bist Du immer noch, und kannst meiner Freundschaft sicherer sein, als jemals zuvor. Wie konnte ich mich im Rat auf Deine Seite stellen? Mich selbst hast Du mit diesem Ansinnen völlig überfahren. Mag es Gott gefallen oder nicht, ob es den Ratsbrüdern behagt ist einerlei, aber mir gefällt Dein Vorschlag mit der Opferhand. Du hättest mich ins Vertrauen ziehen sollen und gemeinsam wären wir vielleicht geschickt genug gewesen, sie wenigstens nachdenklich zu stimmen. Jetzt schreien sie nur rum und bewerfen Dich mit Schmutz. Sicher, ich habe eben mit der Meute geheult, aber das gab mir Gelegenheit sie alle gründlich zu beobachten, und Du hast völlig recht, der getroffene Hund bellte am lautesten.“

„Danke Arnhold, ich glaubte auch Dich verloren zu haben. Wer steht für die Toten ein? Niemand wird sich den Brüdern Moderitz in den Weg stellen. Zuviel ist in den letzten Jahren geschehen, und seit Jander im Rat sitzt, gibt es immer mehr ungeklärte Vorfälle. Auch der tote Knecht tut mir leid. Niemand trauert um ihn, ein Bursche ohne Familie, wen schert es schon wenn so einer ermordet wird. Verscharren werden sie ihn irgendwo. Mich graust es.“

„Du warst schon immer ein Menschenfreund Johan, ich weiß, dass es den Knechten und Mägden bei Dir gut geht, soviel Glück haben nicht viele. Lass uns jetzt gehen, aber nicht in Dein Haus, da versinkst Du nur in Trübsal. Komm mit zu mir, ich will etwas mit Dir besprechen, es wird Dich erfreuen.“

Sie machten sich auf den Weg, während im Rathaus immer noch große Aufregung herrschte. Allerdings schrien sich die Männer nicht mehr an, die Person, gegen die sich ihr Groll richtete, hatte die Versammlung längst verlassen. Das Pergament hatte Rikeland auch mitgenommen, so dass man nicht genau wusste, wie nun zu verfahren war. Eine solche Situation hatte es im Rat noch nicht gegeben.

Sie beschlossen mehrheitlich das Anliegen auf sich beruhen zu lassen. Ihre Abneigung dagegen hatten sie überdeutlich gezeigt und insgeheim hoffte jeder, dass der Antragsteller von seinem Vorhaben absehen würde. Vielleicht hatte er ja nur ein paar Becher Wein zuviel getrunken und käme in den nächsten Tagen zu sich. Der tragische Tod seines Sohnes schien ihm ohnehin die Sinne verwirrt zu haben.

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Der Winter nahm 1250 tatsächlich kein Ende. Er war so eisig, dass die Krähen mit leisem Knacken von den Bäumen fielen. Johan Rikeland spendete viel für die Armen und Kranken in den Hospitälern der Stadt. Besonders Sankt Jacob hatte es ihm angetan. Er brachte nicht nur Essen und Kleidung dorthin, auch Feuerholz, wärmende Decken, Kräuter und sogar Kinderspielzeug beschaffte er. Er tat es nicht zuletzt eines kleinen Mädchens wegen, das dort völlig verarmt mit seiner Mutter lebte und seine Enkelin war. Auch wenn er sich nicht zu ihr bekennen konnte, niemand wusste von dem Kind, so war sie doch ein Teil seiner Familie, die Tochter seines toten Sohnes. Oft plagten ihn Vorwürfe, ob seiner Hartherzigkeit, als er Bernhard verbot die Schwester der Moderitzbrüder zu ehelichen. Wäre alles anders gekommen, wenn er Agnes als Schwiegertochter aufgenommen hätte? Er versuchte zu tun, was ihm möglich war, um dieses Hospital vor den Toren der Stadt zu versorgen.

Für Einen konnte er nichts mehr tun, er konnte ihn nicht einmal anständig in Gottes Erde bringen, es war einfach zu kalt, um sein Grab auszuheben. So lag Bernhard steifgefroren in der kleinen Kapelle der Holzkirche von Sankt Jürgen und wartete auf seinen Einzug ins Paradies.

Eines Nachts huschten zwei vermummte Gestalten durch Wismars Gassen. Die Gesichter waren mit Kapuzen und Tüchern verhüllt, schwere Wollumhänge machten es unmöglich zu erraten, wen sie verbargen. Vielleicht hätte man sie am Gang erkennen können, aber wer achtete in diesem Winter auf nächtliches Treiben in der Stadt. Der Nachtwächter war gerade in der Nähe des Hafens, als die beiden den Kirchhof von Sankt Jürgen betraten. Einer holte eine Gerätschaft unter seinem Umhang hervor und hebelte mit einem Ruck die einfache Holztür der Kirchenkapelle auf. Sie schlüpften hinein und als wäre Gott mit ihnen, knarrte sie kein bisschen. Im Inneren entzündeten sie eine Kerze und schwacher Lichtschein erhellte den Raum. Eilig begaben sie sich zu dem Sarg, welcher in der Mitte stand und mit einem weißen Tuch bedeckt war.

„Verzeih mir mein Sohn!“ Johan Rikeland war es, der den Deckel anhob und beiseite schob. Er murmelte ein Gebet und starrte dem Toten ins Gesicht. „Schnell, schnell“, mahnte ihn sein Begleiter, der nur Arnhold Hegemann sein konnte, und zog eine Säge hervor. „Du musst es schnell tun, der Nachtwächter wird nicht lange brauchen, bis er hier ist. Rikeland bekreuzigte sich und griff nach dem Arm seines Sohnes. Er holte noch einmal tief Luft, setzte das Werkzeug am Handgelenk an und sägte mit kräftigen Bewegungen die Hand ab.

„Gott sei mit Dir!“ Die Männer flüsterten nur leise, richteten den Sarg wieder her und verschwanden so still, wie sie gekommen waren.

Am nächsten Morgen regnete es kräftig, die Temperatur war gestiegen, der Schnee schmolz sehr schnell und Wismar glich einer einzigen Schweinesuhle.

Der Pastor von Sankt Jürgen stapfte durch den Dreck der Straßen und schimpfte leise vor sich hin. Nicht einmal die hölzernen Trippen, die er sich unter die Füße geschnallt hatte, konnten den Schlamm und Unrat von seinen Kleidern fernhalten. Das würde wieder einen Schmutz in seiner Kirche geben. Ungeduldig fummelte er mit dem großen eisernen Schlüssel im Schloss herum und war über die offene Tür sehr erstaunt. Als er aber feststellte, dass alle Kerzenleuchter an ihrem Platz waren und auch sonst nichts fehlte, selbst der Opferstock war unberührt, gab er nichts darauf. Wahrscheinlich hatte er einfach am Abend vorher vergessen zuzusperren. Er wurde alt, das schien ihm verzeihlich.

Wichtig für ihn war, dass der Sarg endlich unter die Erde kommen würde. In ein paar Tagen taute der Boden sicherlich tief genug und es konnten Gräber geschaufelt werden. Es gab viele Tote in diesem Winter, er zeigte sich unbarmherzig.

Niemandem der Trauergäste fiel während der Beerdigung von Bernhard Rikeland auf, dass der Sarg geöffnet worden war. Niemand wollte noch einmal hineinschauen und niemand ahnte, dass darinnen etwas fehlte.

Überhaupt gestaltete sich das Begräbnis eigenartig. Die Familie Rikeland hatte einen ehrbaren Namen in der Stadt und weit darüber hinaus. Zahlreiche Trauergäste erschienen und der kleine Kirchhof war von Menschen gänzlich überschwemmt. Trotzdem stand Johan einsam an dem offenem Grab. Nur Hegemann gesellte sich zu ihm. Sämtliche Ratsherren waren anwesend, blickten aber allesamt betreten zu Boden und tätigten nicht mehr als die üblichen Beileidsbekundigungen. Insgeheim war jeder froh, dass das unsägliche Anliegen nicht wieder zur Sprache kam und Rikeland anscheinend den schmerzlichen Verlust anderweitig verarbeitete. Die ganze Stadt schien von der eskalierten Ratssitzung zu wissen und die Bürger tuschelten und redeten. Sie taten nur eines nicht, keiner sprach von der Aufklärung des feigen Mordes, niemand fragte, ob er helfen könne. Alle schienen in eine ängstliche Starre verfallen zu sein.

Nachdem der Pastor seine Rede beendet hatte verschwanden die Menschen so schnell es der Anstand eben noch zuließ. Der Regen tat ein Übriges und vertrieb selbst diejenigen, die vielleicht doch mehr als „mein Beileid“ murmeln wollten. Nur die Brüder Moderitz gaben sich den Anschein von besonderer Betroffenheit und schüttelten Johan, der die ganze Zeit nur still und in sich gekehrt dastand, aufdringlich die Hand. Jokoff sagte: „Du solltest nach Hause gehen und Dich an ein wärmendes Feuer setzen, diese nasse Kälte kann tödlich sein.“

Rikeland zeigte mit einer einzigen Bewegung, dass er mitbekam, was um ihn herum geschah. Er drosch Jokoff seine Faust ins Gesicht.

In einer entfernten Ecke des Friedhofes zuckte eine junge Frau ob dieses Schlages zusammen. Es war Agnes Moderitz, die sich nicht näher herantraute. Von der Liebe zu Bernhard Rikeland war ihr nur das Töchterchen Ghese geblieben. Ihre Brüder sollten sie hier nicht weinen sehen. Konnte sie überhaupt noch weinen? Vielleicht; wenn alle fort waren, vielleicht konnte sie dann in aller Stille Abschied nehmen. Völlig durchnässt verbarg sie sich zitternd hinter einem höheren Grabstein. Seit Stunden hockte sie hier und wenn der Regen nicht bald aufhörte und Johan Rikeland nicht nach Hause ging, dann konnte sie sich gleich zu ihrem toten Geliebten legen. Sie begann leise zu husten.

Das Geheimnis der Baumeisterin

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