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November 1248 - Johann Rikeland
ОглавлениеRatsherr Johan Rikeland schaute unwirsch von seinem Teller auf. Warum störte man ihn gerade jetzt? Hatte das nicht Zeit bis nach dem Essen? Verärgert winkte er der Magd. Ausgerechnet Hegemann kam um die Mittagszeit zu ihm? Hatte der nicht selber bei Tische zu sein? Oder gab es heute für ihn nichts zu essen? Nun musste er doch schmunzeln. Hegemann hatte eine zänkische Alte zu Hause, und wenn die in Rage kam, dann blieb meistens die Küche kalt und er ließ sich im Wirtshaus oder bei Freunden beköstigen. War es also wieder einmal soweit?
Rikeland erhob sich um ihn zu begrüßen. „Gott sei mit Dir, Arnhold, und vor allem mit der Furie, die sich Dein Weib schimpft.“
„Du hast gut reden Johan, seit Jahren lebst Du mit Deinem Sohn allein und brauchst Dich um die Frauenzimmer nicht zu scheren.“ Hegemann warf dem Hausmädchen seinen Umhang zu. „Nun, ich wäre ein glücklicher Mann, wenn meine Barbara noch leben würde. Sie war immer sanftmütig und milde gestimmt.“ „Gemach, gemach, ich wollte Dir nicht zu nahe treten, ich weiß wie sehr Du sie vermisst. Mein Kommen hat auch nicht den Zweck, mir bei Dir den Bauch voll zu schlagen. Ein Anliegen von außerordentlicher Wichtigkeit führt mich zu Dir.“
Rikeland ließ trotzdem einen zweiten Teller bringen, und sein Freund und Geschäftspartner strafte augenblicklich seiner Aussage Lügen. Er griff nach dem größten Stück Fleisch und schlug sofort seine kräftigen Zähne hinein. Rikeland lachte. „Du könntest einen ganzen Hammel verschlingen, Arnhold, und das ohne auch nur ein Messer in die Hand zu nehmen. Woher hast Du nur dieses Gebiss? Unter Deinen Vorfahren muss ein Wolf gewesen sein. Ich wünschte ich hätte auch solche Zähne.“
„Das wünschte ich auch, dann könntest Du diese öfter einmal in den Versammlungen Eures Stadtrates zeigen.“ Zwischen den einzelnen Bissen holte Hegemann immer wieder tief Luft und empörte sich heftig. „Du bezeichnest Dich als meinen Freund, aber wenn es darauf ankommt, dann lässt Du mich im Ungewissen. Mir ist etwas zu Ohren gekommen, das Du mir erklären musst. Der Rat soll die Auflösung des Hospitals von Sankt Jürgen besprochen haben? Wie geht das an? Ihr werdet mich ruinieren. Seit Jahren spende ich regelmäßig 60 Scheffel Getreide und nach jedem Braugang ein Fass Bier für die Bedürftigen. Ich bin Pfründner, das weißt Du genau. Schon meine Eltern hatten sich in Sankt Jürgen eingekauft, und auch ich gedenke mich im Alter dort versorgen zu lassen. Sogar testamentarisch habe ich das geregelt. Mein Seelenheil und das meiner Familie ist mir einiges wert.“
Noch immer riss er an dem Fleischbrocken, als gelte es das Tier im Nachhinein noch einmal tot zu beißen.
„Ruhig, lieber Freund.“ Rikeland versuchte besänftigend auf ihn einzureden. „Da wurde Dir nur die Hälfte erzählt. So kommt es, wenn man Neuigkeiten aus zweiter Hand vernimmt. Ein Ratsmitglied kann es Dir nicht zugetragen haben, sonst wüsstest Du die ganze Geschichte.“
„Drum frage ich Dich, was ist dran an dieser Sache?“
„Im Grunde, und das weißt Du auch, sind die Sitzungen des Rates nicht öffentlich. Wer immer Dir etwas daraus berichtet hat, der durfte es nicht. Auch ich würde unrechtmäßig handeln.“
„Red nicht herum.“ Arnhold Hegemann wurde unwirsch. „Noch nie habe ich Dich um solcherlei gebeten. Hier steht aber meine Zukunft, die meiner Familie und ein beträchtlicher Teil meines Vermögens auf dem Spiel. Bist Du mein wahrer Freund? Dann sprich.“
„Na gut, ich weiß Du wirst mich nicht anschwärzen“, Rikeland rief die Magd und bat um einen frischen Krug Bier für beide, dann hub er an zu sprechen.
„Wismar hat sich in den letzten Jahren prächtig entwickelt. Du selbst weißt, wie gut Deine Geschäftsbeziehungen laufen. Die lübischen Händler reißen Dir das Bier fast aus den Händen, und nicht nur die, ich hörte Du hast feste Abnehmer in Köln und liebäugelst sogar mit dem Osten. So geht es vielen hier, die Geschäfte laufen mehr als gut, der Markt quillt über von heimischen Produkten. Im Hafen liegen Schiffe aus fremden Ländern und Kaufleute bieten Waren feil, die ich noch nie gesehen habe. Kurzum, unsere Stadt wächst. Aus diesem Grund erwägt der Rat eine Stadterweiterung. Wir gedenken sie nach Südwesten hin auszudehnen.“
„Also, doch“, erboste sich Hegemann, „die Stadt soll wachsen und das Aussätzigenhospital muss weichen, oder habt Ihr etwa beschlossen, dass es künftig innerhalb der Stadt bleiben darf?“
„Nun, zu Deiner Beruhigung, das Hospital wird verlegt. Westlich von Wismar, am Handelsweg nach Lübeck gibt es Ländereien, die wie geschaffen für ein neues Leprosorium sind. Deine Pfründe werden übernommen, und Du hast die Gewissheit, dass das neue Hospital besser gebaut wird als die erbärmliche Hütte bei Sankt Jürgen.“
„Was aber soll mit dem Friedhof und der alten Kapelle geschehen?“ Arnhold Hegemann kaute nun schon gelassener an dem Fleisch herum. Er war ein stattlicher Kerl, wenn er zum Essen auftauchte, konnte man sicher sein, dass kein Häppchen übrig blieb.
„Der Rat hat beschlossen ein neues Kirchspiel zu bauen, daher wird die Kapelle vorerst bleiben, aber wir werden eine neue Bürgerkirche bauen und somit wird auch der Friedhof weiterhin von der Stadt betrieben.“
„Wie viele Seelen leben eigentlich hier?“
„So an die viertausend mögen es wohl sein.
„Das ist ja eine beträchtliche Anzahl, da sind doch viele Töchter aus guten Häusern dabei, hat denn Dein Sohn noch immer keine Braut gefunden?“
„Bernhard ist nach Flandern unterwegs und versucht neue Handelsbeziehungen aufzubauen. Ich hoffe sehr, dass ihm dort eine Jungfer gefällt. Ich habe ihn bei meinem alten Freund Heesten einquartiert. Der hat gleich zwei liebreizende Töchter und die Mitgift kann sich auch sehen lassen.“
Hegemann lachte. „Als ob er die nötig hätte, Deine Geschäfte laufen seit Jahren mehr als gewinnbringend. Wer auch immer in Deine Familie einheiratet, wird es gut haben. Bernhard ist ein braver Bursche, Geld wird er genug erben und gesund ist er allemal. Aber zurück zur geplanten Stadterweiterung. Meinst Du es lohnt sich, innerhalb des neuen Kirchspiels ein Haus zu bauen?“
„Das könnte sehr wohl sein, ich selbst trage mich mit dem gleichen Gedanken. Darüber können wir aber ein anderes Mal reden, jetzt verrate mir endlich, wer Dir von dem Ratsbeschluss erzählt hat, diese Antwort bist Du mir schuldig. Heraus mit der Sprache, wer ist der Schwätzer?“
„Oh, das kann ich Dir gar nicht sagen. Ich habe vor einer Stunde im Roten Ochsen gegessen und am Nachbartisch ein Gespräch belauscht.“
„Du hast vor einer Stunde erst gegessen und frisst mir hier den Hammelbraten weg? Gütiger Gott Arnhold, Dich darf man nicht leichtfertig zu Tische bitten, da wird man schnell arm. Wer waren die Männer die Du beobachtet hast?“
„Ich kenne sie nicht, sie trugen gutes Tuch am Leib und sahen wohlhabend aus. Einer von ihnen hatte einen merkwürdigen Namen, er wurde von dem Anderen Jokoff genannt. Mehr kann ich Dir zu den beiden nicht sagen. Sie flüsterten sehr eindringlich miteinander.“
„Jokoff? Man erzählt sich, dass in der Familie Moderitz seit Generationen nur Jungen geboren werden, und damit das so bleibt, kriegen sie alle einen Namen mit J verpasst. Du kennst doch auch Jorge, Jost und Jesco. Ob dieser Jokoff wohl dazugehört? Es gibt noch einen Jander, und der ist Mitglied im Stadtrat. Sollte der sich erdreisten, die Ratsbesprechungen mit seinen Brüdern auszuwerten?“
Rikeland kam nicht dazu seine Gedanken weiter auszuführen. Trine, die Magd, bat ihn ins Kontor zu kommen, die alte Benedicta wolle ihn sprechen.
Als hätte ihn ein wildes Tier angefallen, sprang er vom Tisch auf und riss dabei den Bierkrug um. Das der Inhalt sich über den Teller und die lederne Hose seines Gastes ergoss schien ihn nicht zu stören. Hastig durchquerte er den Raum und polterte die Stufen zur unteren Etage hinunter.
Hegemann blieb verwundert zurück und schüttelte den Kopf. Was war nur in seinen Freund gefahren? Die alte Benedicta war weiß Gott kein Weib, deretwegen ein Mann den Kopf verlieren konnte. Mindestens sechzig Jahre musste sie schon zählen, er würde sich glücklich schätzen, wenn er dieses Alter jemals erreichen sollte.
Der Tisch war vom Bier triefend nass, seine Hose durchgeweicht, aber das hielt ihn nicht davon ab, sich das letzte Stück Braten zu angeln und es genüsslich zu verschlingen. Johan würde schon wiederkommen, bis dahin hatte er Muße noch die Kanne Bier zu leeren.
Johan Rikeland stand unterdessen atemlos vor der Frau und herrschte sie an. „Was hast Du mir zu geben, Vettel, her damit, schnell, schnell.“
Die Alte wühlte unter ihren Röcken einen Beutel hervor und griff hinein. Die Sache schien ihr selber nicht geheuer, und so hielt sie ihm zaghaft zwei kleine Engelsfiguren hin, eine schwarze und eine weiße. Rikeland griff sich ans Herz und taumelte zurück. Damit hatte er nicht gerechnet, welch ein Unglück. Es schien ihm gewiss, dass seinem Hause ab sofort böses Unheil drohte. Zitternd bedeutete er Benedicta den schwarzen Engel auf einen Tisch zu legen. „Den anderen, den bring zurück, und sag, ich bin zur selben Zeit am bekannten Ort.“
Dann sackte er auf einem Stuhl zusammen. So fand ihn wenig später Arnhold Hegemann, der sich anschickte heimwärts zu gehen.