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Experimentelle Medienkompetenz

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Kontrollierende Medienkompetenz geht davon aus, dass zuerst Medienwissen aufgebaut werden muss. Dieses Wissen ist die Grundlage für eine spätere Anwendung. Über das Wissen wird die Anwendung kontrolliert. Dieses Buch empfiehlt experimentelle Medienkompetenz. Sie kann wie folgt definiert werden: Mit Medien in realen Kontexten handeln, dabei interaktiv Erfahrungen sammeln und diese so reflektieren, dass Können entsteht.

[19]Ein Einstieg ist schnell gefunden: Welche Frage beschäftigt Sie im Moment, so dass Sie an einer Antwort interessiert sind, die Sie nicht durch Nachschlagen in wenigen Minuten ermitteln können? Schreiben Sie Ihre Frage auf und veröffentlichen Sie sie an einem geeigneten Ort im Netz. Dies könnte zum Beispiel das Intranet Ihrer Schule, eine Chat-Gruppe, ein Twitter-Profil, eine Facebook-Gruppe oder ein Instagram-Account sein. Achten Sie darauf, dass Ihre Frage prägnant formuliert ist und zugleich klar wird, welche Art von Antwort für Sie hilfreich ist und welche nicht.


Abb. 1: Tweets von Userin @heikeflemming, 9. Juli 2019. – Mit Genehmigung der Autorin

Abb. 1 zeigt ein Beispiel für eine solche Frage: Eine Mutter und Lehrerin hat im Juli 2019 auf Twitter danach gefragt, [20]welche Erwartungen andere Eltern an eine gute Schule haben und welchen Aufwand sie betreiben würden, damit ihre Kinder eine gute Schule besuchen könnten. Die Publikation der Frage im Netz erlaubt der Twitter-Userin @heikeflemming zu verfolgen, wie intensiv sie gelesen wird und wer darauf antwortet. Der Text ist Teil des Netzes geworden.

Das bedeutet im Wesentlichen zwei Dinge: Er ist erstens ein doppelter Text, da er neben der sicht- und lesbaren Oberflächenstruktur auch eine Tiefenstruktur besitzt, in der eine Programmsprache festlegt, wie Computer diesen Text darstellen sollen. Obwohl Sie beim Schreiben vermutlich nicht an diesen Code gedacht haben, ist er da. Zweitens ist der Text mit anderen Texten verlinkt. Die drei Teile der hier abgebildeten Frage sind miteinander verbunden, sie beziehen sich aufeinander. Wer den einen aufruft, sieht auch die beiden anderen. Weitere Texte im Netz können sich über Links auf Ihren Text beziehen, Menschen können ihren Text über Suchmaschinen finden, auch noch in mehreren Jahren. Sie können auf unberechenbare Weise darauf reagieren.

Beide Vorstellungen – dass digitale Texte zusätzlich eine programmierte Tiefenstruktur aufweisen, die für Programme geschrieben ist und dass sie in ein Netz von Verlinkungen und Reaktionen eingebunden werden – sind für viele Personen ungewohnt. Sie erleben im Umgang mit digitalen Texten eine Art Kontrollverlust, eine Verunsicherung. Nach der Jahrtausendwende hat Marc Prensky den Begriff der »digital natives« geprägt und damit die Hypothese geäußert, das Alter von Menschen entscheide darüber, wie wohl sie sich im Netz fühlen.16 Diese Hypothese gilt heute als widerlegt: [21]Erfahrungen, Bildung, Beruf und Persönlichkeitsmerkmale sind Faktoren, die für die Wahrnehmung und Einschätzung von digitalem Schreiben und Lesen bedeutsam sind. Wer viel im Netz schreibt, etwas extrovertiert ist und berufliche Erfolge mit digitalen Praktiken erzielen kann, wird zu sehr wohlwollenden Einschätzungen gelangen. Anders geht es Menschen, die kaum Erfahrungen mit Schreibprozessen auf digitalen Plattformen haben, sich nicht wohlfühlen, wenn sie in der Öffentlichkeit kommunizieren oder schlechte Erfahrungen damit gemacht haben. Wenn Sie noch einmal über Ihre Gefühle nachdenken, die Sie beim Veröffentlichen Ihrer Frage im Netz hatten, können Sie nachvollziehen, zu welcher Gruppe Sie eher gehören.

Im Rest des Buches stehen keine expliziten Aufforderungen an die Leserinnen und Leser, im Netz aktiv zu schreiben. Alle Beispiele und Beschreibungen von Möglichkeiten sind aber als Einladung zu verstehen, eigene Schreibideen zu entwickeln und im Netz zu veröffentlichen – um zu erproben, welche Effekte diese Schreibformen haben. Wer verstehen will, wie Schreibprozesse im Netz verlaufen, schreibt am besten selbst im Netz. Wer z. B. kompetent über Memes sprechen will, versucht selber, Memes zu schaffen.17


Abb. 2: Beispiel für ein Meme auf der Basis des Wikipedia-Logos. – CC BY-SA 4.0 Wikimedia Commons / That’s Pretty Good

Abb. 2 zeigt ein Meme. Die Bedeutung von »Meme« ist komplex,18 in Bezug auf Netzkommunikation wird der Begriff so verwendet: »Meme« bezeichnet eine Bild-Text-Kombination, die sich auf digitalen Plattformen viral verbreitet hat oder [22]verbreiten könnte. Die Aufgabe, ein gutes Meme zu kreieren, erfordert eine Reihe von Kompetenzen:

 die Kenntnis einer Sammlung etablierter Meme-Formen, wie sie etwa auf knowyourmeme.com gesammelt werden

 die Fähigkeit, visuell und sprachlich stilistische Verfahren passend zu kombinieren.

 die Kombination aktueller oder relevanter Inhalte mit bei der Zielgruppe bekannten memetischen Ausdrucksweisen

 die Publikation der Memes zum richtigen Zeitpunkt auf gut sichtbaren Konten auf einschlägigen Plattformen

 die kreative Erfindung oder Variation von Memes.

[23]Wenn Sie nun überlegen, wer Ihnen bei dieser Aufgabe wie helfen könnte, dann bemerken Sie, dass experimentelle Medienkompetenz für den Unterricht ein verändertes Rollenverständnis zur Folge hat. Lehrende können – und müssen! – nicht davon ausgehen, dass sie jede der von den Schülerinnen und Schülern zu erwerbenden Kompetenzen bereits besitzen. Sie sollten sich von der Vorstellung lösen, Schülerinnen und Schüler in jeder Situation anzuleiten. Ihre Aufgabe besteht vielmehr darin, die Lernenden darauf vorzubereiten, Schreibaufgaben strukturiert zu planen und auszuwerten. Das hat auch mit den Eigenschaften digitaler Schreibaufträge zu tun – und mit den didaktischen Settings, in die sie eingebettet sind.

imgflip.com/memegenerator

 Website für einfache und individuelle Meme-Erstellung

 Empfehlung: Einstellung »Private« (mit Download) wegen Urheberrechten

Digitales Schreiben. Blogs & Co. im Unterricht

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