Читать книгу DER BESONDERE BÄCKER - Phillip Schnieders - Страница 19
ОглавлениеANDEREN GEHT ES ÄHNLICH
Der farbenfrohe Lichtblick des grauen Tages fällt heute definitiv auf meinen besten Freund Napoleon. Ich kannte ihn schon, da hieß er noch Frank Tuchel. OK, so heißt er offiziell natürlich immer noch, aber die ganze Welt nennt ihn Napoleon. Zu dem Namen kam er vor vielen Jahren, weil er schon immer einen Kopf kleiner war als wir anderen Jungs. Außerdem stolziert er auch heute noch sehr energisch umher und will alle Leute kommandieren! Der Kerl ist so verrückt: Er hat sich „Napoleon“ sogar in seinen Personalausweis eintragen lassen!
Steffi und ich machen uns gegen 20 Uhr zu Fuß auf den Weg, um mit Napoleon und seiner Frau Daniela einen schönen ruhigen Abend zu verbringen. Es ist für mich jedes Mal eine kleine Überwindung, weil es meine übliche Schlafenszeit schon überschreitet, aber dafür habe ich meinen Mittagsschlaf heute stark ausgedehnt. Es steht also nichts im Wege: Die Jungs in der Backstube kommen gleich ganz sicher ohne mich klar, die Kinder sind groß genug, und wir lassen es uns heute richtig gutgehen.
Es dauert nicht lange, da kann ich das Thema ansprechen, das mich seit meinem Gespräch mit dem Hilbert gestern beschäftigt. Napoleon gießt noch etwas von diesem leckeren Rotwein in mein Glas und nimmt förmlich Anlauf zu einem kleinen Vortrag.
„Ich will dir mal was sagen“ und schaut mich bedeutungsvoll mit ungewohnt ernster Miene an.
„Glaubst du allen Ernstes, dass mir die FleischEssLust einfach so zugefallen ist? Damals hatten wir ja nur das Hauptgeschäft mit der einen Filiale. Ich bin mir allerdings ziemlich sicher, dass sich für die alte ,Fleischerei Tuchel‘ heute keiner mehr interessieren würde! Was seit drei Jahren bei uns abgeht, steht völlig gegen den Trend der Branche - nur, weil ich alles radikal auf den Kopf gestellt habe! Jetzt haben wir ein Restaurant, sieben Geschäfte und noch drei in Planung! Das ist so krass: Überall um uns herum machen ständig irgendwelche Fleischer zu, weil sie entweder zu unattraktiv für neue vernünftige Mitarbeiter sind oder es nicht hinkriegen, ihren Kunden wirklich etwas Besonderes zu bieten.
Es kann natürlich auch sein, dass sie ihren Mitarbeitern nichts Besonderes bieten und für ihre Kunden nicht attraktiv sind! - Nimm es, wie du willst!“
Ich merke, dass mein Mund offen steht. Ein erstauntes „Ähhh…“ kommt heraus, weil es gerade die einfachste Reaktion ist, die ich für dieses kraftvolle Statement zu bieten habe. Es war mir nicht klar, weshalb Napoleon die alte Fleischerei seiner Eltern so drastisch verändert hat. Ich wusste auch nicht, dass er schon so viele Filialen aufgebaut hat! Er hat mir zwar immer wieder von seinen Ideen und Plänen berichtet, aber ich nahm an, dass wir über die gleichen Niederlassungen sprechen - und nicht immer wieder über komplett neue Filialen!
Die Ladenlokale seiner Fachgeschäfte “FleischEssLust" sind ziemlich cool - überhaupt nicht, wie sich die Metzger früher präsentiert haben! Seitdem ich zum ersten Mal seinen völlig umgestalteten Laden gesehen habe, bin ich ein totaler Fan: Die Geschäfte wirken wie eine extrem gelungene Kombination aus einer Fleischerei im Industrial Style und einem durchdachten Bekleidungsgeschäft! Das Konzept unterscheidet sich grundlegend von den traditionellen Fleischern, bei denen die Kunden an einer zentralen Theke bedient werden und sich Verkäufer mit Kunden frontal gegenüberstehen. Napoleon lädt seine Kunden aktiv zum „Fleisch-Shoppen“ ein: Die verschiedenen Fleisch- und Wurstsorten sind in transparenten Retro-Kühlschränken oder kleineren Theken im Lokal verteilt.
Alles ist sehr offen und modern gestaltet. Die Beratung funktioniert wie in anderen Geschäften auch - persönlich. Wenn ich mir z. B. direkt neben FleischEssLust ein neues Hemd kaufen will, steuere ich die Hemdenabteilung an und bleibe vor dem Regal stehen, um die Auswahl auf mich wirken zu lassen. Dann kommt eine Verkäuferin und hilft mir, die passende Größe und den besten Schnitt für mich zu finden. Dann begleitet sie mich vielleicht zu den Socken oder sorgt dafür, dass ich dort bekomme, was ich brauche.
Genau so läuft es bei FleischEssLust im Prinzip auch: Wenn die Kunden den “Store" betreten, werden sie direkt von einem freundlichen Mitarbeiter begrüßt - Napoleon nennt die Mitarbeiter am Eingang die “Erfüller", weil sie dafür sorgen, dass die FleischEss-Gelüste der Kunden im Store erfüllt werden.
Diese Erfüller weisen den Kunden freundlich den Weg und machen sie auf Aktionen aufmerksam. Alleine diese Station ist für das ganze Erlebnis sensationell. Die Kunden gehen dann z. B. zum Geflügel, lassen sich dort beraten und schlendern weiter. In der Mitte des Stores steht ein alter oranger VW Käfer, und sein umgebautes Heck besteht aus einer wagenbreiten Aufschnitt-Theke! Ein Verkäufer holt die Fleisch- oder Wurstwaren “aus dem Kofferraum" und schneidet sie direkt mit der auffälligen roten Aufschnittmaschine, die auf einem kleinen Tisch neben dem Wagen steht.
Und alles, was die Kunden kaufen wollen, wird direkt zu einem großen robusten Holztisch im hinteren Teil des Stores gebracht. Dort wird die Ware dann in eine hochwertige Papiertasche wie von einer Modemarke gepackt und kassiert.
„So etwas habe ich noch nie zuvor gesehen!“
Napoleon erzählte mir ganz am Anfang, dass er nicht so viele Fleischfachverkäufer einstellen kann. Deswegen hat er die einzelnen Stationen einfach getrennt! Die Erfüller und die Kassierer brauchen ja gar keine spezielle Ausbildung, wenn sie gut mit Kunden umgehen können! Was den Umsatz betrifft, sind seine Bons durchschnittlich um 23% gestiegen! Außerdem hat er auch nach mehreren Monaten noch ein Kundenplus von über 15 %! - Ich bin mir absolut sicher: So etwas habe ich noch nie zuvor gesehen!
Ich erinnere mich noch sehr genau an die Eröffnung seines Restaurants “ZART&HERZLICH" vor ziemlich genau einem Jahr: Es war absolut außergewöhnlich und großartig. Napoleon hatte eine Event-Agentur beauftragt und ausschließlich geladene Gäste. Er hatte schon lange vorher immer wieder auf Facebook berichtet und Anzeigen geschaltet, damit wirklich jeder in 30 km Umkreis Lust auf das neue Restaurant bekommt.
Die Presse hat Lobeshymnen gesungen und sogar das Fernsehen hat berichtet! Seitdem höre ich nur noch, dass es immer komplett ausgebucht ist. Steffi und ich waren schon dreimal dort, und es ist auf jeden Fall das beste Steak- und BurgerRestaurant in unserer Region.
Auffällig besonders: An jedem Platz liegt eine “Rote Gabel der FleischEssLust"! Diese Gabel alleine ist schon ein absolut einzigartiges und geniales Detail! Napoleon hat sich inzwischen eigenes Besteck produzieren lassen, was er auch in seinen Geschäften verkauft. Er hat wirklich Vollgas dafür gegeben und ein echt gutes Team aufgebaut. Als ich ihn einmal gefragt habe, wieso er jetzt auch noch Steaks und Burger braten will, sagte er mir einfach: „Weil es noch kein anderer macht! Und weil ich es kann!“
Diese Haltung beeindruckt mich sehr.
„Du musst besonders sein!“
Vor ein paar Wochen erzählte er mir, dass er mit “Liebkostung" eine neue Linie mit hochwertigen gekochten Mahlzeiten plane. Fertige Menüs in feinster Qualität, die über die regionalen Supermärkte und in seinen eigenen Geschäften gekauft werden können. Ich frage mich, wie er das bloß alles schafft und woher der Mann die Energie nimmt, um so geniale Sachen rauszuknallen.
„Im Grunde ist es ganz einfach“, erklärt Napoleon. „Du musst besonders sein! Wer nicht auffällt, fällt weg! - Aber das bringt natürlich nur etwas, wenn du positiv auffällst!“
„Ich könnte mir ja einfach mal … sagen wir … rote Schuhe anziehen!“ werfe ich ein.
„Ja, dann schauen die Leute da hin. Wenn du dann aber im Weg stehst oder genau so lahmarschig wie alle anderen läufst, ist es auch Mist! Es geht also nicht um die roten Schuhe, sondern um das, was du mit ihnen machst! Die eigentliche Frage ist dann ja: WIESO trägt der Mike rote Schuhe?“
„Hmmm, weil er auffallen will?“
Napoleon lacht mich aus: „Das ist wie ein voll besetzter Saal, in dem in der Mitte ein Mikrofon steht. Kennst du so eine Podiumsdiskussion?“
Ich nicke.
„Wenn du aufstehst und ans Mikro gehst, hast du alle Blicke auf dich gerichtet. Du fällst ganz sicher auf.“
Ich nicke erneut.
„Wenn du dann so etwas sagst wie “One … One … One … Test … One … Two … Three" wirst du ausgelacht, mit Tomaten beworfen oder gevierteilt!“
Wir lachen, weil wir uns beide dieses verrückte Bild vorstellen. Er erklärt weiter: „Schau mal“ und malt ein Kreuz auf einen der Zettel vor sich.