Читать книгу DER BESONDERE BÄCKER - Phillip Schnieders - Страница 24
ОглавлениеGEWOHNHEITEN & VERÄNDERUNG
„Sag mir bitte, welche Herausforderungen du hast. Welche Veränderungen willst du umsetzen?“
„Nun ja, wo soll ich anfangen? Im Grunde ist es ja ganz OK. Die Zahlen könnten besser sein und vielleicht könnte ich noch ein, zwei Mitarbeiter gebrauchen.“ steige ich langsam und zurückhaltend ins Gespräch ein.
„Ah, verstehe. Wenn alles eigentlich ganz OK ist … wieso produzierst du nicht einfach ein paar Brötchen mehr, die deine Kunden kaufen können und stellst die Leute ein, die du brauchst?“ fragt Jens ohne Umschweife.
Aus meinem Mund ertönt ein Lachen ohne Fröhlichkeit.
„Weil … na weil das nicht so einfach geht! Ich weiß ja gar nicht, wie ich mal so einfach mehr verkaufen soll! Und außerdem finde ich keine Leute! Weder für die Backstube noch für den Verkauf!“
Jens schaut mich an und macht nicht den Eindruck, als wolle er etwas sagen. Also erzähle ich weiter: „Das geht aber allen so. Es will ja auch keiner mehr Bäcker werden! Und die Kunden kaufen die Brötchen viel zu oft billig im Discounter!“
Er nickt mir verständnisvoll zu und fragt, was diese beiden Punkte für mich bedeuten. Vertrauensvoll gestehe ich ihm, dass wir schon eine Filiale zumachen mussten und ich so langsam Angst um meine Zukunft bekomme. Ich merke, dass er sich wirklich für mich interessiert und erzähle weiter.
„Veränderungen sind bei uns schwer. Am besten muss alles neu und modern sein - aber gleichzeitig bitte nicht so viel, damit ich gut in Ruhe weiterarbeiten kann.“ fasse ich die Stimmung meiner Mitarbeiter zusammen. „Und wenn es nach meinem Vater ginge, müsste ich sowieso den ganzen Tag die Mitarbeiter durch die Gegend scheuchen. Morgens in der Produktion und danach im Verkauf!“
„Und darauf hast du keine Lust?“
„Nein! Habe ich nicht!“ regt mich allein schon der Gedanke daran auf. „Ich will mich nicht mit dem ganzen Mist beschäftigen und ständig hinter den Leuten stehen. Aber wenn ich es nicht mache, scheint es auch nicht richtig zu funktionieren! So macht die Arbeit auch keinen Spaß! Dafür bin ich nicht Bäcker geworden!“ schreie ich ihn an und entschuldige mich im gleichen Atemzug für meine Lautstärke.
„Deine Entschuldigung interessiert mich nicht. Sag mir lieber, wo genau dein Problem ist. Wieso änderst du die Sachen nicht einfach?“
Obwohl ich die Frage deutlich verstanden habe, bin ich nicht in der Lage, eine Antwort zu geben … Wieso ändere ich es nicht einfach?
Verschiedene Gedanken schießen durch meinen Kopf. Nach einer gefühlten Ewigkeit gebe ich zu, dass ich schlichtweg nicht weiß, wo ich anfangen und was ich wie überhaupt ändern solle.
„Und außerdem ist das extrem kräftezehrend!“
„Selbst wenn der Tag doppelt so viele Stunden hätte, würde die Zeit nicht reichen!“
„Ja, das kenne ich. Ich bin früher selbst oft genug daran verzweifelt. Alles ist irgendwie wichtig, alles ist irgendwie dringend. Und selbst wenn der Tag doppelt so viele Stunden hätte, würde die Zeit und vor allem die Energie nicht reichen.“
Er erzählt mir, dass er ebenfalls seit vielen Jahren Unternehmer ist und nicht immer in diesem Bereich tätig war. Es habe ihn allerdings schon immer gereizt, anderen zu helfen und deshalb konzentriere er sich inzwischen nur noch auf die Beratung und Umsetzung der strategischen Begeisterung.
„Außerdem stehen alle unsere Kunden am Anfang vor der Herausforderung, erst einmal alles zu ordnen. Das ist besonders schwierig, wenn man von allen Seiten erdrückt wird und die Leute gleichzeitig an einem ziehen.“
„Das hört aber nicht auf, oder?“ frage ich mehr scherzhaft als ernst.
„Doch! Tut es. Und zwar direkt … mit einer einzigen Entscheidung!“
Meine gespielte Heiterkeit verstummt. Jens macht wirklich einen sonderlichen Eindruck auf mich. Ein solches Gespräch habe ich noch nie in meinem Leben geführt. Kann mir der Mann im roten Hemd mit seinen interessanten Ansichten vielleicht wirklich helfen?
„Kann ich mir kaum vorstellen“, sag ich.
„Genau das ist das Problem! Immerhin ist es deine Entscheidung, ob du dich erdrücken lässt und wer an dir ziehen darf. So lange du dich drücken und ziehen lässt, bist du ein Opfer! Wir zeigen unseren Kunden, wie sie Stück für Stück ihr Leben zurückerobern und wieder zum Macher werden, statt jeden Tag die Opferrolle einzunehmen.“
Hat er mich gerade wirklich als Opfer bezeichnet? Muss ich mir so etwas gefallen lassen?
„Mike, weißt du, wie man Elefanten am Weglaufen hindert?“
„Nein, ich habe keine Ahnung! Was hat das denn mit dem Thema zu tun?“
„Elefanten sind riesige Tiere und haben enorm viel Kraft. So ein grauer Bulle kann problemlos einen LKW ziehen und trotzdem reicht nur ein kleiner Holzstab, damit er nicht wegläuft. Ein kleines Stück Holz, das verhindert, dass er seine eigene Sache macht und frei ist.“
„Häh, wie jetzt?“ erwidere ich ungläubig.
„Wenn der Elefant noch ganz klein ist, kettet man ihn mit einem Fuß an einen Pfahl. Das junge Tier merkt, dass es nicht weglaufen kann und ergibt sich irgendwann seinem Schicksal. Später reicht nur ein Stück Holz mit einer Kette daran, weil dieses riesige starke Tier nie mehr hinterfragt, was es da eigentlich jeden Tag festhält. Schockierend, oder?“
Als ich mein eigenes Bild klein auf dem Display des Smartphones sehe, stelle ich einmal mehr fest, dass mein Mund vor Verwunderung offen steht.
„Was ist dein eigener Pfahl?“
„Das ist ja ein Hammer. - Das wusste ich wirklich nicht!“
„Und du hast dir vermutlich ebenso wenig Gedanken gemacht, was dein eigener Pfahl ist, oder? Was ist deine Geschichte? Wieso sagst du dir selbst immer wieder, dass du es nicht kannst und wie schwer alles ist, anstatt es einfach zu machen?“ muntert Jens mich auf.
„Leichter gesagt als getan!“ reagiere ich mehr automatisch als reflektiert. „Ich weiß es nicht! Keine Ahnung, was mich zurückhält. Meine Mitarbeiter, mein Vater… Wahrscheinlich bin ich es selbst. Teilweise merke ich ja sogar, dass ich mir selbst im Weg stehe.“
„Ja, das ist meistens der einzige Grund, der uns Menschen daran hindert, wirklich etwas aus unserem Leben zu machen.“ bekomme ich zur Antwort. „Immer schön klein spielen, weil man das ja so macht. Sei lieb, sei brav, tu dies, tu das - bloß nicht selbst denken und auffallen. Ich will es nicht ins Lächerliche ziehen - es steckt ja in uns allen. Das ist ja teilweise richtig und nennt sich Erziehung - es ist allerdings nichts weiter als eine Story, die uns immer wieder erzählt wurde! Diese Story dürfen wir dann irgendwann einmal hinterfragen und selbst Geschichte schreiben!“
Ich stimme stumm und kopfnickend zu. Er spricht mir aus der Seele.
„Finde doch als Erstes mal heraus, was du, Mike Wickel, wirklich willst. Wieso bist du Bäcker geworden und was begeistert dich an deinem Beruf? Dann kommst du in deine Kraft und sorgst dafür, dass du mehr davon bekommst, was dich antreibt. Du fängst auf einmal an, dein Leben selbst zu gestalten, statt einfach nur jeden Tag vor dich hinzuleben.“
Das hatte ich schon irgendwo gehört. Ich erinnere mich an die Aussagen von Daniela und Napoleon. Ihm ging es ja früher scheinbar genauso.
„Und wie sollte ich das tun?“
„Wie würde mein Unternehmen und mein ganzes Leben aussehen, wenn ich es wirklich selbst gestalten könnte?“
„Das ist ganz einfach … Nicht leicht, aber einfach: Du erteilst dir selbst die Genehmigung, deinen eigenen Weg zu gehen. Das ist die Stelle, wo sich die Leute fragen ,Was ist, wenn ich wirklich könnte? Wie würde mein Unternehmen und mein ganzes Leben aussehen, wenn ich es wirklich selbst gestalten könnte?‘ … Hört sich komisch an, oder? Ist aber tatsächlich der schwierigste Teil.“
Ich hänge an seinen Lippen und sauge jedes einzelne Wort in mir auf.
„Und was kommt dann?“
„Dann?“ grinst er und macht eine kurze Pause, um meine Spannung zu erhöhen. „Dann wird die Veränderung umgesetzt! Das, was in den ganzen feinen Seminaren und Erfolgsbüchern verschwiegen oder bestenfalls beschönigt wird. Es ist nämlich unangenehm, anstrengend und stinkt nach harter Arbeit, Schweiß, Blut und Tränen. Du treibst deine eigene Veränderung voran und wächst bei der Umsetzung. Du setzt dir ehrgeizige Ziele, planst, setzt um, korrigierst und machst weiter. Tag für Tag, Woche für Woche und Monat für Monat.“
„Klingt gut“, fasse ich die Vorgehensweise für mich zusammen. Ich betone, dass mir harte Arbeit noch nie etwas ausgemacht habe, aber sicher auch keine neuen Bäcker oder Verkäufer bringe.
Jens stimmt mir zu: „Oberflächlich betrachtet, ist das vermutlich richtig. Sobald deine Bäckerei aber wirklich etwas Besonderes für deine Kunden und auch für deine Mitarbeiter ist, wird sich deine Arbeit um ein Vielfaches auszahlen. Wir sprechen hier von strategischer Begeisterung! Als Erstes brauchst du Gründe, Ziele und vor allem Kraft zur Veränderung. Nach der Kraft kommt die Kommunikation - schon alleine, weil niemand auf eine schwache Aussage reagiert. Der Schlüssel ist eine besondere, kraftvolle Kommunikation, die auf deine Mitarbeiter und Kunden ausgerichtet ist. Das schaffen wir mit unserem dritten Schritt: Emotionen. Wer weiß, was Menschen denken und fühlen, kann ganz anders kommunizieren und die Massen bewegen. Das ist dann der letzte und größte Teil: die Bewegung.“
Mit einem Mal sehe ich Jens nicht mehr auf meinem Smartphone. Das Bild ist weiß. Ich sehe nur einen Cursor - offensichtlich hat er mir seinen Bildschirm freigegeben. Jens schreibt vier bedeutungsvolle Worte.