Читать книгу DER BESONDERE BÄCKER - Phillip Schnieders - Страница 23

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EINE ANDERE SICHTWEISE

In den folgenden Tagen ist alles wieder wie gewohnt. Nachts aufstehen, um mich in die Backstube zu schleifen und noch kraftloser gegen Mittag zurückzukehren. Mittagsschlaf, dann etwas Büroarbeit und Familie.

An den Zettel und diesen ominösen Coach verliere ich keine weiteren Gedanken. Ich habe mein Leben und mein Unternehmen im Griff: Es könnte besser sein, aber auch bei Weitem schlechter!

Am Donnerstag kommt unsere Frau der Dinge zu mir und teilt mir mit, dass sie mit meinem Vater gesprochen hat.

„Ich soll dir sagen, dass du mal einen neuen Kaffeeautomaten anfragen sollst, hat er gesagt. Der Kasten ist ja auch schon ein paar Jahre älter und es wird bald Zeit für eine moderne Maschine, die auch leiser ist.“ baut sich Inge vor mir auf und stemmt die Hände in ihre breiten Hüften. „Dann nimm doch am besten direkt einen, der auch schon mit Vanille und Karamell mixen kann. So einen habe ich am Wochenende beim LIDL gesehen. Das Teil kann ja wirklich alles! Und da ist noch ein Monitor eingebaut, auf dem wir unsere Snacks, also die Schlemmerbrötchen oder nachmittags die Teilchen zeigen können. Von mir aus können wir ja sogar mal irgendein Brot fotografieren und da zeigen. Das ist dann alles etwas moderner und besser. Da kann sich sogar dann der Kunde selbst bedienen und seinen Kaffee selber ziehen!“ schwärmt Inge weiter.

„Will er das denn?“ frage ich mit unverkennbarer Skepsis in der Stimme.

„Ja klar, will er das! Und dein Vater hat gesagt, dass du dir mal ein Angebot über einen neuen Automaten holen sollst. - Ich halte mich ja jetzt raus. Macht das mal schön unter euch aus.“

Sie dreht sich um und lässt mich wortlos im kleinen Flur zum Treppenhaus stehen. Überrascht vom abrupten Ende des Gesprächs gehe ich einen Schritt zurück und halte mich am Geländer fest. Ich sinniere kurz über diesen bescheuerten Kaffeeautomaten, bis mir auffällt, dass er es schon wieder getan hat. Mein Vater schreibt mir nicht nur vor, was ich tun soll - er verkündet seinen Befehl auch noch durch die dicke Inge! Was soll das! Hätte er nicht selbst zu mir kommen können?

„Hey Mike, ich habe den Kaffee getrunken und er schmeckt mir nicht mehr. Willst du nicht mal einen neuen modernen Automaten kaufen?“

Wieso fragt er mich nicht einfach selbst und schickt wieder seine Lakaien, um mich zu ärgern? Kann er nicht einmal aufhören, sich ständig irgendwie einzumischen? Wenn er es doch so toll besser kann, wieso macht er den Scheiß nicht einfach hier alleine?

Ich weiß nicht mehr, wohin ich eigentlich wollte, bevor mir Inge über den Weg gelaufen ist. Die Tür zur Backstube geht auf und Markus Röhrmann kommt in meine Richtung.

„Alles gut, Chef? Sie sehen ja aus, als hätten Sie gerade einen Schwächeanfall!“

„Ja, danke. Alles bestens.“ lüge ich und gehe wieder zurück nach oben.

In meinem Büro angekommen, lasse ich mich in den Stuhl sinken und greife mir ein beliebiges Blatt Papier, um es zu lesen.

„Verdammter Mist!“ brülle ich und zerknülle den Zettel. Es hält mich nicht im Stuhl. Ich springe auf und drehe mich zum Fenster. Meine Augen werden wässerigtrüb und haben Mühe, irgendetwas zu fokussieren.

„Nichts mache ich richtig!“

Wieso behandelt er mich immer noch wie einen kleinen dummen Jungen? Er hat mir die Bäckerei übertragen und mischt sich ständig wieder ein! Nichts mache ich richtig!

„Und? Jens ist echt gut, oder?“ ist die erste Frage von Napoleon, als ich ihn ein paar Minuten später anrufe, um meinem Ärger Luft zu verschaffen.

„Nein. Bin ich noch nicht zu gekommen. Bei Papa kann der Kerl mir sowieso nicht helfen! Oder kennt er einen guten Auftragskiller?“

„Sicher nicht. Aber er kann dir ganz bestimmt helfen. Oder glaubst du, du wärst der Einzige mit einem Generationenkonflikt? Ich habe dir doch von meinem alten Herrn erzählt! - Was ist denn überhaupt los?“

Ich berichte ihm von dem Vorfall mit Inge und was mich daran so ärgert. Ich erzähle ihm, dass ich ja gerne einige Sachen ändern würde, aber auch nicht weiß, wo ich anfangen soll.

„OK, verstanden. Wir machen das jetzt so: Du hörst auf zu heulen, gehst von mir aus eine rauchen und ich rufe mal kurz für dich bei Jens an. Einverstanden?“

Es ist mir schon fast egal, wer oder was mich aus dieser Situation befreit.

„Einverstanden“, sage ich. „Und außerdem heule ich nicht, du Arsch!“

Wir müssen beide über unsere albernen Sticheleien lachen. Dann beenden wir das Gespräch.

Ich drücke gerade die Zigarette in den Ascher, als mein Handy klingelt. Eine Frau ist dran und stellt sich als Nadine Kampmann vor und sei die Assistentin von Jens Remmers.

„Ich habe gerade mit dem Frank Tuchel gesprochen, aber der Jens hat heute leider keine Zeit.“

Sie würde aber gerne einen Termin für morgen Nachmittag mit mir vereinbaren, damit ich mich in Ruhe mal mit dem Jens unterhalten könne. Ob denn 16 Uhr bei mir ginge, will sie wissen.

„Ja, perfekt.“ antworte ich und frage, wie lange wir ungefähr brauchen.

„Das Gespräch wird ungefähr eine dreiviertel Stunde bis Stunde dauern“ antwortet Frau Kampmann und fragt nach meiner E-Mailadresse, damit sie mir direkt einen Link für den ”Videocall" schicken könne.

„Videocall? Also nicht Telefon?“

Sie erklärt mir, dass ich mich ganz einfach mit meinem Smartphone oder Tablet einloggen kann und es für das Gespräch um einiges besser sei, wenn Jens und ich uns sehen. Außerdem könne ich die kostenlose Beratung für mich nutzen und immer wieder anschauen, weil das Gespräch aufgezeichnet würde.

„Na prima. Dann freue ich mich auf morgen 16 Uhr.“ fasse ich zusammen und spüre so etwas wie freudige Anspannung.

Am nächsten Tag mache ich meine Arbeit in der Backstube und gehe unserer Inge aus dem Weg. Selbstverständlich hole ich kein Angebot für einen neuen Kaffeeautomaten ein! Kurz vor 16 Uhr öffne ich die E-Mail von Frau Kampmann und klicke auf den Link. Ich bestätige die Installation der zusätzlichen App und klicke auf “Am Meeting teilnehmen".

„Irgendwie eine ungewohnte Welt“ denke ich.

Ich lehne mein Smartphone gegen eine Vase auf dem Wohnzimmertisch, damit ich es nicht in der Hand halten muss. Als sich das Bild aufbaut, bin ich überrascht: Das soll ein Coach und Mentor sein? Ich habe mit jemandem um die 50+ gerechnet, im Anzug und mit Krawatte! Mit so etwas wie unserem Steuerberater Tichelkamp oder zumindest dem Verkäufer im Autohaus.

Was ich vor mir auf dem Display sehe, entspricht auf den ersten Blick nicht meinen Erwartungen. Ich kann nicht einmal sagen, was oder wen ich erwartet hatte, aber irgendwie sieht der Mann in meinem Telefon anders aus, als ich es angenommen hatte.

„Hallo. Ich bin Jens Remmers.“ klingt es leicht schroff vom Wohnzimmertisch. Vor mir sehe ich einen Mann ungefähr in meinem Alter. Sein rotes Hemd lässt ihn dominant wirken. Sein Gesichtsausdruck ist weder freundlich noch sonderlich sympathisch. Er wirkt vielmehr ruhig und irgendwie entschlossen auf mich.

„Wir arbeiten mit unseren Kunden prinzipiell auf einer sehr vertrauensvollen und persönlichen Ebene. Ist es OK für Sie, wenn wir DU zueinander sagen?“

„Ja klar, ich bin Mike.“

„Gut, Mike. Lass mich direkt zur Sache kommen: Wir arbeiten mit Unternehmern, die sich nicht mit dem zufrieden geben, was sie haben. Mit unserer Hilfe erschaffen sie dann etwas Besonderes für sich, ihre Familie, ihre Mitarbeiter und ihre Kunden. - Aber das hat Napoleon dir sicher schon alles erzählt. Ich will heute gerne herausfinden, ob und wie wir dich auf deinem Weg unterstützen können. Sollte ich gleich im Gespräch feststellen, dass ich dir helfen kann, stelle ich dir am Ende eine einzige Frage, die du mit ,Ja‘ oder ,Nein‘ beantworten kannst. Ist das in Ordnung für dich?“

Diese energische und klare Ansage überrascht mich ein wenig. Jens ist scheinbar alles andere als ein schleimiger Verkäufer, der mich um den Finger wickeln will.

„Ja, in Ordnung“, sage ich.

„OK, Mike. Dann klären wir als Erstes, wie du mit ‚strategischer Begeisterung‘ etwas Besonderes erschaffen kannst.“

„Wow … Etwas Besonderes … Das hört sich ja gut an. Aber ich werde ganz sicher nicht Unsummen für Werbung ausgeben!“

Jens hat scheinbar mit einer solchen Reaktion gerechnet.

„Höre mir bitte genau zu - das hat auch niemand gesagt. Wir sprechen nicht über Werbung! Ein Unternehmen muss tiefgründig an den Bedürfnissen seiner Kunden ausgerichtet sein! Deswegen ist dieser Weg zur strategischer Begeisterung mit Abstand die wichtigste Aufgabe jedes Unternehmers! Es gibt zu viele Firmen, die das nicht verstehen und denken, dass sie mit ihrer Arbeit oder irgendwelchen austauschbaren Dingen Geld verdienen können - die Kunden sind egal. Vielleicht funktioniert das irgendwie. Das gibt ihnen die Illusion, von ihren Kunden geliebt zu werden - obwohl sie selbst die größten Fans ihrer Arbeit sind.

Sie kümmern sich dann aber nicht um die Begeisterung anderer, sondern um sich selbst! Nebenbei machen sie vielleicht noch ein wenig Werbung mit irgendwelchen störenden Flyern, Anzeigen und Prospekten. Lass uns deswegen über die Schritte der strategischen Begeisterung von Mitarbeitern und Kunden sprechen, nicht über dümmliche Werbung.“

Genau so muss Neo sich wohl in der Matrix gefühlt haben, als ihm gesagt wurde, dass es “da draußen" noch ganz andere Dinge für ihn gibt. In diesen ersten wenigen Minuten des Telefonats wurde mir klar, dass ich weder den Unterschied zwischen Marketing und Werbung kannte noch dass ich mir jemals überhaupt Gedanken über “Strategische Begeisterung" gemacht hatte! Mein ganzes berufliches Leben lang hatte ich die bestmöglichen Brote und Brötchen gebacken, weil ich meine Arbeit liebe. Ich hatte meinen Meister gemacht und mich fortgebildet, weil ich ein immer noch besserer Bäcker werden wollte. …

DER BESONDERE BÄCKER

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