Читать книгу Das Steinerne Tor - Pia Guttenson - Страница 13

Wo die Wurzeln der Vergangenheit ruhen

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Wann hatte ich gepackt? Ich war in meinem Zimmer bei Mrs. Pomfrie, nur, wie war ich dorthin gekommen? Also, auf jeden Fall war ich gut versorgt mit selbst gebackenen Keksen und Tee in meiner bescheidenen rosa Bleibe gelandet. Mrs. Pomfrie war die Erleichterung anzusehen. Trotz meines Anrufes (wann hatte ich sie angerufen?) schien sie sich Sorgen gemacht zu haben, die Gute. Es beunruhigte mich, nicht zu wissen, wann ich gefahren war und was ich am Telefon gesagt hatte. Aber es war nichts zu machen, der totale Filmriss. Zum Teufel, nada, keinerlei Erinnerung. Surreal und unwirklich.

Tock, tock, tock. Es klopfte laut an der Tür.

„Kindchen, oh Kindchen, fast wäre es mir entfallen: Mr. MacLeod hat ein paar Mal nach Ihnen gefragt!“

Entgeistert blickte ich auf das Päckchen in meinem Schoß, das ich von Agnes erhalten hatte. „Aha. Und wieso hat Mr. MacLeod nach mir gefragt?“ Und wie oft, verflixt noch mal?, setzte ich in Gedanken hinzu.

„Auf Dunvegan Castle ist am Samstag die große, mittelalterliche Sommersonnwendfeier und da werden Sie erwartet. Habe schon für Sie zugesagt. So etwas lässt man sich nicht entgehen. Er ist dort Verwalter und wird Ihnen sicher die Burg zeigen, also das Wahrzeichen von Skye und ...“

„Moment mal, Sie haben was? Aber Mrs. Pomfrie, Sie können doch nicht über meinen Kopf ...!“

„Ein ausgezeichneter Sänger, dieser Mr. MacLeod, er spielt Dudelsack wie ein Gott. Alle tragen historische Gewänder und Kilts. Ein Schotte im Kilt ist ...“ Ohne Punkt und Komma redete sie, wohlgemerkt mit meiner geschlossenen Zimmertür, weiter. Was bei meiner jetzigen Laune besser für ihre Gesundheit war.

Schließlich holte sie einmal Luft und ich warf ein: „Mrs. Pomfrie, ich habe keine historische Kleidung, außerdem habe ich nicht vor ...!“

„Oh, oh, in ihrem Schrank hängt ein Kleidersack, ich hab nicht gewagt, reinzusehen, na ja nur ein bisschen. Er hat es für Sie abgegeben. Ein schönes Kleid! So ich hab zu tun, Kindchen, falls Sie noch Abendessen möchten ...?“

„Nein, danke!“, schrie ich giftiger als beabsichtigt.

Himmel! Verflixte alte Schachtel! Sie hatte einfach zugesagt und war an meinem Schrank gewesen, das konnte doch alles nicht wahr sein. Ich war vor lauter Zorn aufgesprungen und das Päckchen fiel vor mir auf den rosa Plüsch des Teppichs.

Im Spiegel über der Kommode sah mich ein strubbeliges Etwas mit roten Haaren an. Falls Mrs. Pomfrie Kinder hatte, so wünschte ich ihr keine Schwiegertochter oder einen Schwiegersohn, denn sie war die Personifizierung eines Hausdrachens! Ich holte aus und stauchte gegen meine Chucks, traf aber zu meinem Leidwesen das Bein der Kommode.

„Verdammt, tut das weh!«, zischte ich durch zusammengebissene Zähne. Elende Mrs. Pomfrie! Verflixter MacLeod! Was bildet sich der Kerl ein? Ein Held zu sein?

Humpelnd bewegte ich mich zum Tischchen und schaltete den einzigen modernen Gegenstand im Zimmer ein, den Wasserkocher. Verärgert riss ich ein Päckchen Caddburys -Trinkschokolade auf und leerte es samt dem heißen Wasser in eine dieser kitschigen, rosenbedruckten Porzellantassen. Ich brauchte Schokolade um meine Nerven zu beruhigen. Schließlich gewann meine Neugierde die Oberhand und ich ging zum Kleiderschrank, wobei ich meinen lädierten Fuß so wenig wie möglich belastete. Unter Knarzen öffnete ich die Tür des alten Eichenschrankes. Tatsache, da hing es, in einem Kleidersack, auf dem mit goldenen Lettern stand: Historische Gewandungen – Eileen Connor – Edinburgh.

Ich öffnete den Reißverschluss und fragte mich laut: „Der Kerl ist doch nicht extra nach Edinburgh gefahren – wegen mir und einem Kleid?“

Nein, überlegte ich. Schotten waren eigenartig. Ja, teils auch etwas verrückt in ihren Ansichten und Bräuchen, aber das? Nein. Mir blieb fast die Luft weg, als ich die Hülle hinab zog. Das Kleid war wundervoll. Tannengrün mit geschnürtem Mieder, eigentlich ganz nach meinem Geschmack. Mal abgesehen von einem seltsam anmutenden Horn, welches an einem zum Kleid passenden Gürtel aus wunderbar weichem Leder, hing.

Dumme Pute!, schalt ich mich. Das heißt gar nichts, und nein, ich mag Sie kein bisschen, Mr. MacLeod. Nichts da, Ian Tormod Robert MacLeod. Ich falle nicht auf Sie rein! Am Bügel hing ein kleiner Brief. Ich sah ihn voller Abscheu an, doch er wich nicht. Na ja, ich konnte ihn ja zumindest lesen!

Vor Nervosität merkte ich erst, als ich Luft holte, dass ich den Atem angehalten hatte. Als ich den Brief öffnete, stand da: „Sehr geehrte Mrs. Georgy. Ich erwarte Sie am kommenden Samstag, gegen 18.30 Uhr zur Sonnwendfeier auf Dunvegan Castle“, in einer für einen Mann schönen Handschrift und weiter: „Dort hoffe ich, Sie einmal lachen zu sehen, wobei ich mich gerne zur Belustigung zur Verfügung stelle. Es besteht Kostümzwang! Ihr ergebener Diener, Ian Tormod Robert MacLeod. PS: Das Grün hat die Farbe Ihrer Augen.“

Was bildete sich dieser eingebildete Schotte eigentlich ein? Glaubte denn jeder hier auf Skye, er könnte über mich bestimmen? Wutentbrannt zerknüllte ich den Brief und warf ihn in den Mülleimer neben dem Schreibtisch. Natürlich traf ich daneben!

„Verflixt! Klappt heute denn gar nichts?“, schimpfte ich und ließ das Corpus Delicti liegen, wo es war. Mein Blick fiel wieder auf das durch die Sonnenstrahlen vom Fenster angeleuchtete Päckchen von Agnes.

Was soll’s? Ich ließ mich neben ihm nieder, klemmte den Kopf zwischen die Beine und seufzte laut. Ich bräuchte nur die Hand auszustrecken und es zu öffnen. Ganz leicht, einfach öffnen. Stell dich nicht so an.

‚Du bist kein kleines Pflänzchen, nee, du bist ‘ne stachelige Rose!’, pflegte Oliver Buchanan zu sagen. Es sollte ein Kompliment sein, ich bekam es mit vierzehn samt meinem ersten Kuss von ihm.

Vorsichtig machte ich mein Erbe auf. Es verströmte den Duft der Rosen des Klosters, roch aber auch nach Agnes und ihren Kräutern. Das Packpapier entblößte einen liebevoll mit Rosenpapier- oh, Agnes was sonst! - beklebten Schuhkarton. Mit spitzen Fingern, als könne er zerbrechen, hob ich den Deckel an und schaute in das neugierige Gesicht eines dreijährigen Kindes mit grünen Augen und flammend roten Haaren. Das war ich mit meinem Hasen Eddie im Arm, schüchtern an den Rock einer strahlend schönen Schwester Agnes geklammert.

Es folgten einige Schnappschüsse. Oli und ich auf unserem Baum, vermutlich still und heimlich aufgenommen. Eine energisch dreinschauende 14-Jährige, gefolgt von einer 16-Jährigen in Jeans und Wanderstiefeln, Arm in Arm mit einer lächelnden Agnes. Jetzt erst wurde mir bewusst, wie sehr sie mich geliebt haben musste.

Das letzte Foto zeigte eine 20-Jährige mit Koffern. Sie hatte es gemacht, als ich ging, es war etwas fleckig und an den Ecken abgegriffen. Eine Woge der Trauer erfüllte mich. Ich nahm das Foto mit mir und Agnes und drückte es fest an meine Brust. Verflixt, nicht schon wieder heulen. Schniefend zog ich die Nase hoch. Nein gar nicht ladylike. Unter den Fotos kam eine Babydecke zum Vorschein, sie war kunstvoll bestickt. Beim näheren Betrachten stellte ich fest, dass es sich um Fabelwesen handelte. Da waren Einhörner, Drachen, Elfen und Zwerge. Die Decke war zauberhaft. In ihrer Mitte prangte ein großes Emblem oder Wappen. Ein ineinander verschlungenes I, ein kleines U und ein D, verbunden mit einem bunten Drachenreigen. Das gleiche Wappen fand ich kunstvoll gestaltet als Amulett mit einer alten ... War das tatsächlich Pergament? Es war eine Art Rolle, an den Rändern stark ausgefranst, vergilbt und übersät mit undefinierbaren braunen Spritzern. Blut?

„Ha, ha, ha, du hast einen Vogel, Isa und definitiv zu viele Krimis gesehen und gelesen!“, sagte ich laut zu mir.

Vor der Tür begann Mrs. Penibel einmal mehr ihre furchtbar schmutzige Treppe mit dem Staubsauger zu malträtieren. Ich war mir sicher, gleich würden die Geräusche des Wischmopps hinzukommen. Wie gut, dass nicht alles gleichzeitig ging. Mrs. Pomfries Bed & Breakfast musste wohl ständig komplett ausgebucht sein. Na ja, jedem Tierchen sein Pläsierchen. Ich drehte ihr, hinter verschlossener Tür, eine lange Nase.

Das Amulett lag angenehm warm in meiner Hand. Ich betrachtete es näher. Die Drachen hatten grüne Augen. Wie ich, kam mir in den Sinn, während die Einhörner goldene Augen hatten. Wie von selbst legte ich es mir um den Hals und ließ es in meinen Ausschnitt gleiten. Entschlossen machte ich mich daran, die Pergamentrolle zu entrollen. Vielleicht würde ich nun endlich mehr über mich erfahren. Weshalb mich meine Eltern weggegeben hatten und ob und wo sie noch lebten. Mit klopfendem Herzen und zwischenzeitlich schweißnassen Händen entrollte ich das alte Papier ganz und strich es vorsichtig glatt. Ich hatte die Augen zugekniffen, lauschte dem Rauschen meines Blutes und dem Pochen meines Herzens.

„Na los jetzt, sei kein Frosch!“, murmelte ich, um mir Mut zu machen. Ich hatte so lange gehofft, gewartet und gebetet, dass ich mehr über meine Herkunft erfuhr. Doch alle Suchen nach meinen leiblichen Eltern waren vergeblich geblieben. War es nun endlich so weit? Augen öffnen und beruhigen. Los, Augen öffnen und beruhigen, ging ich in Gedanken mein neues Mantra durch. Seufzend holte ich Luft und begann zu lesen:

„Der Krieger durch Liebe gebunden.

Ein Kind das gefunden.

Zu richten und zu binden das alte Geschlecht.

Ein Pakt aus Blut und Tränen gemacht.

Was war und wird sein mit vereinter Macht.

Um zu öffnen, des Buches Tor und zu binden das Gift der Vier.

Im Herzen des Moors.“

Was war das für ein Witz? Und wo war die versteckte Kamera? Ich sah mich in meinem Zimmer um. Nein. Es war alles so, wie ich es verlassen hatte. Abgesehen vom Kleid im Schrank. Die Landschaftsbilder hingen an Ort und Stelle, sogar meine halb ausgeleerte Handtasche lag noch auf dem wackeligen Schreibtisch herum. Ich seufzte laut, las es noch einmal und noch einmal, drehte und wendete das Papier. Schließlich fand ich auf der Rückseite, fast hätte ich es übersehen, eine krakelige Schrift die besagte: „Geh durchs Tor. Duncansby Head. Sonnwende. Kind zurück.“

Das Pergament fiel aus meiner Hand. Lieber Gott, das konnte nicht sein! Meine Gedanken schlugen einen Salto nach dem anderen. Sam entführt? War das möglich? Aber wieso? Woher zum Teufel hatte Agnes diese Schriftrolle?

Fragen über Fragen schwirrten in meinem Kopf und ich hatte nicht eine plausible Antwort, nicht eine. Am Rande der Hysterie ließ ich alles zerstreut liegen und warf mich aufs Bett. Mein Herz fühlte sich an wie eine Zeitbombe, die jeden Augenblick explodieren würde. Bum bum bum. Mein Puls raste und mir war fürchterlich schlecht.

Logisch, gab ich mir selbst die Antwort. Du hast nichts, fast nichts gegessen. Was, wenn die Entführer Geld wollten? Ich war arm wie eine Kirchenmaus. Wer waren sie, er oder es? Mrs. Pomfrie war fertig mit ihrem Hausputz und ich fing erneut an zu heulen. Irgendwann schlief ich vor Erschöpfung ein.

Das Donnern und Blitzen war überall. Es glich einem Hexenkessel aus Farben, Funken und Rauch. Schreie hallten durch den Nebel aus Qualm. Menschen, Elben, Elfen, sie alle rannten wild durcheinander. Angst griff um sich und Hysterie machte sich unter den Flüchtenden breit.

„Nimm das Kind, Geliebte und lauf! Nazra, Thailo und Norna werden euch begleiten.“ Der Mann küsste die blonde Frau und das kleine Kind zärtlich.

„Gibt es keine Zukunft für uns? Keine andere Lösung?“ Verzweiflung schwang in der Stimme der Frau mit.

„Ich wünschte es so sehr! Geht, mein Herz. Geht, wir halten sie auf!“ Tränen rannen über sein Gesicht, die Frau versuchte mutig zu lächeln.

Sie legte ihm die Hand an die Wange, flüsterte leise elbische Worte und in der Sprache der Menschen: „Nichts ist vergessen, nichts wird vergessen. Unsere Liebe wird überdauern und die Zeit wird kommen, Geliebter, mein Leben. Inschala!“

Sie drehte sich um und entfernte sich eilenden Schrittes, flankiert von den zwei Frauen und den zwei Kriegern. Sie rannten durch Kämpfende, stiegen über Tote, niemand wurde verschont. Die Krük waren gekommen, der Gestank nach Blut und Verwesung war allgegenwärtig und nahm ihnen fast die Luft. Auszurotten war ihr Ziel und sie würden nicht aufhören, bis auch der Letzte der Blutlinie der up Devlays tot war!

„Mami, was sind das für Lichter? Wo gehen wir hin? Wo ist Papa?“, fragte das kleine Kind die blonde Frau.

„Sieh nicht hin, Isa, unsere Welt geht in Flammen auf!“ Sie drückte das Kind beruhigend an sich und lief noch schneller, das Böse im Nacken. Sie fühlte es, aber sie mussten es schaffen, sie mussten einfach. Vor ihnen ragte das steinerne Drachentor empor. Und dort waren sie schließlich umzingelt, doch dies spielte keine Rolle mehr. Sie gab ihre zornig weinende Tochter der Frau mit dem Namen Norna: „Du weißt, was zu tun ist.“ Zärtlich küsste sie das schreiende Mädchen auf die roten Haare.

„Vergiss nie, dass ich dich liebe! Für immer, mein Stern!“

Mit der anderen Frau und den Kriegern bildeten sie einen Verteidigungsring um Norna und das Kind. Norna beschwor das Tor, flüsterte geheime Worte in Elfisch und das Tor öffnete sich. Das Letzte, was die Alte sah, war, wie einer nach dem anderen fiel und starb. Die blonde Frau war die Letzte. Selbst im Tod strahlten die blonden Locken Isabella Dorothea up Devlays noch wie die Sonne.

Verschwitzt und verängstigt fuhr ich aus dem Schlaf. Ich versicherte mich, dass ich mich in meinem Zimmer befand. Keine Monster! Nur das leise Ticken des alten Weckers. Inzwischen war es Nacht geworden und mein Zimmer lag im Dunkeln. Nach längerem Tasten fand ich die Lampe auf meinem Nachttisch und schaltete sie ein. Erleichtert sah ich mich um. Nein, alles beim Alten, kein Kriegsschauplatz, keine Leichen unter meinem Bett.

Ein lautes Seufzen entwich mir. Ich bemerkte einen metallenen Geschmack in meinem Mund – Blut. Ich hatte mir wohl die Lippen aufgebissen. Kein Wunder, so real wie dieser Albtraum gewesen war! Mein Blick blieb an dem Schuhkarton und seinem Inhalt hängen, der auf dem rosa Plüschteppich fehl am Platz wirkte. In meinem Kopf hallte immer noch der Traum nach. Die traurigen Augen des Mannes mit den roten Haaren und die widerspenstigen, blonden Locken der Frau. Isabella Dorothea genauso ein bescheuerter, altmodischer Name wie mein eigener, dachte ich. Das vermaledeite Pergament war schuld. Da musste ja zwangsläufig die Fantasie mit einem durchgehen! Oder?

Das Steinerne Tor

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