Читать книгу Das Steinerne Tor - Pia Guttenson - Страница 17

Jagdbeginn

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Ian sah es an ihrem kreidebleichen Gesicht, an dem Schmerz und der Verzweiflung in ihren Augen. Er fing Isa auf, noch bevor sie den Boden berührte. Bewusstlos lag sie einmal mehr in seinen Armen. Ihr Schmerz hatte ihn bis ins Mark erschüttert, seinen lange gehegten Schutzpanzer durchbrochen und ihn tief im Herzen berührt. Er war verrückt vor Liebe, vor Verlangen nach dieser außergewöhnlichen Frau.

Behutsam entwand er ihr das bunte Tuch aus der schlaffen Hand. Es war eines dieser typisch bunten Kinderhalstücher, rot mit bunten Hunden darauf. Am unteren Rand war der Name Samuel Georgy von Hand kunstvoll eingestickt.

„A Mhìcheil thoir cobhair dhuinn an aghaidh nan deamhan- Heiliger Michael beschütze uns vor Dämonen. Die haben ihren Sohn. Daingead!“

In Gedanken fügte er hinzu: Jetzt sind sie tot und wer kann uns nun sagen, wo der Junge ist?

Sein Arm pochte schmerzhaft. Sanft legte er Isa ab. Ihr Atem ging regelmäßig und er war sich sicher, dass sie früher oder später wieder zu sich kommen würde.

Nur wann? Ihnen lief die Zeit davon und Ian hatte nicht das Gefühl, dass es ratsam war abzuwarten, wer oder was nach der abgelaufenen Zeit kommen würde. Er riss einen Streifen Leinen von seinem Hemd und verband sich notdürftig, so gut es eben mit einer Hand und den Zähnen ging, sein schmerzendes Handgelenk. Gut, es war nicht die Schwerthand, aber darauf anlegen wollte er es dennoch nicht. Nur gut, dass ich wenigstens weiß, wie man ein solches Schwert benutzt, schoss es ihm durch den Kopf. Liebevoll strich er ihr eine ihrer widerspenstigen Haarsträhnen aus dem Gesicht und nahm sie vorsichtig und mit schmerzgepeinigtem Handgelenk auf den Arm. Diese Frau war so unberechenbar, so geheimnisvoll. Sie überraschte ihn dauernd aufs Neue.

Es war ein qualvoller Aufstieg. Mehr als einmal verlor er das Gleichgewicht und drohte auf den unebenen, teils losen Steinstufen zu stolpern und samt Isa in die Tiefe zu stürzen. Eisern unterdrückte Erinnerungen drängten sich in seine Gedanken.

„Du warst ein kleiner Junge, Ian. Du konntest absolut nichts tun. Oh, Georgie“, flüsterte er tonlos. Himmel, Ian Mac, das alles ist Vergangenheit! Konzentrier dich!

Sein sturer Wille und die Angst um die Frau in seinen Armen, halfen ihm, die dunklen Dämonen der Vergangenheit niederzuringen. Isa regte sich unruhig, ein warmes und weiches Gewicht in seinen Armen.

Ian rief sich den Abend am Kilt Rock ins Gedächtnis und wie er am Torbogen auf ihr gelegen hatte.

Mmmh, ihr Duft! Er hatte sich fast nicht beherrschen können. Am liebsten wäre er sofort über sie hergefallen. Hatte sie seine Erregung wahrgenommen? Er betete inständig, dass dem nicht so war. Auf jeden Fall war sie nahe daran gewesen es zu erraten. Ian grinste vor sich hin.

„Puh, wie lange ist die Treppe noch?“ Über ihm war immer noch der Turmfalke – seltsam, als ob er sie beobachtete.

Unter ihnen rauschte das Meer und die Luft roch nur noch nach Salz und frischem Tang. Seltsame kleine Blumen wuchsen in den Ritzen zwischen den losen Steinen. Die gibt es bei uns nicht, dachte Ian.

Wo um alles in der Welt waren sie gelandet? Es war Duncansby Head – gleichzeitig aber auch nicht. Vielleicht eine andere Zeit? Nur: Zukunft oder Vergangenheit? Sein Blick glitt zu Isa in seinem Arm und er wünschte sich nichts sehnlicher, als sie zu berühren. Sie war real – alles andere kam ihm fremd und doch auf eine Art und Weise bekannt vor.

„Konzentriere dich auf deinen Weg, du Narr!“, ermahnte er sich selbst. Mittlerweile war es Nacht und nur der Vollmond schenkte ihm wenigstens etwas Licht auf diesem unwegsamen Weg. Die Stufen waren eigentlich nicht mehr als lose Steinplatten und diese brachen ihm des Öfteren einfach unter den Füßen weg. Was im Normalfall schon schlimm genug war, aber mit Isa auf dem Arm, ohne Hände, mit denen er das Gleichgewicht halten konnte, war es ein sehr heikles Unterfangen. Keine Sekunde zu früh erreichte er das ersehnte Ende.

„Ifrinn!“, murmelte er und atmete erleichtert aus. Wie befürchtet war auch der Kiesweg verschwunden. Stattdessen gab es einen etwas besseren Trampelpfad.

Aus der traumlosen Schwärze meiner Bewusstlosigkeit kam ich langsam wieder zu mir. Das Erste, was ich im dämmerigen Licht wahrnahm, war Ians besorgtes Gesicht und dass ich in seinen Armen lag. Er roch gut - nach Whisky, Erde, dem Hauch eines Parfüms, Blut und Schweiß. Wir waren wieder oben am Anfang der Stufen.

„Ian!“, krächzte ich. „Ian, lass mich runter.“ Mein Mund war staubtrocken.

Er gab ein Stöhnen von sich, das irgendwie erleichtert klang. Kein Wunder, er musste mich die ganze Treppe hochgeschleppt haben. Langsam stellte er mich ab.

„Alles in Ordnung mit dir?“

„Äh, glaub schon. Hm, danke“, gab ich kleinlaut von mir. Ich drehte mich um. Unter uns rauschte das Meer und die Moorguhls waren nicht mehr zu erkennen.

Stop. Halt. Woher wusste ich das?

Woher zum Henker wusste ich, dass diese Viecher Moorguhls hießen?

Weil sie dich suchen, Prinzeschen, antwortete plötzlich eine schneidende Stimme in meinen Gedanken und ließ mich zusammenzucken.

„Ian, Ian der Kies ist weg“, stellte ich um Ablenkung bemüht fest und blickte konzentriert auf meine Füße.

„Ach, tatsächlich“, kam die trockene Antwort.

„Ian.“

„Hmm?“

„Ian. Also … Danke für … du weißt schon.“

Er sah mir tief in die Augen und ich scharrte verlegen mit den Füßen im Dreck.

„Konnte dich ja schlecht bei den Viechern liegen lassen, Sommersprosse!“

„Dein Handgelenk! Was ist mit … also, ich bin ja nicht so leicht und … Es war weit, nicht?“, stotterte ich.

Er zeigte auf sich. „Also, ich bin Schotte und keine Memme“, gab er gespielt entrüstet von sich. „Außerdem wiegst du nicht mehr als ein paar Säcke Kartoffeln, Süße.“ Er gab mir einen leichten Klaps auf meinen Allerwertesten.

„Also hör mal!“, gab ich entrüstet zurück und warf ihm einen ärgerlichen Blick zu.

„Wir sollten schleunigst Land gewinnen. Ich habe keinen Bedarf mehr an diesen Viechern und zum Kämpfen fehlen mir die Kraft und eine brauchbare Hand mehr!“

„Moorguhls. Diese Viecher, sie heißen Moorguhls.“

„Was? Was hast du gesagt?“

„Also, sie heißen Moorguhls. Das hab ich gesagt.“

Zornig funkelte er mich an. „Aha, und woher zum Teufel weißt du das?“

Ich schüttelte den Kopf und zuckte gleichzeitig mit den Schultern. „Wenn ich das nur wüsste. Es war auf einmal in meinem Kopf.“

„Ach so. Einfach so. Du hast nicht zufällig gewusst, dass sie hier sind, um uns umzubringen?“

„Was unterstellst du mir eigentlich, Ian? Nein, verflixt, ich versteh’ das doch auch alles nicht. Müsste hier nicht der Parkplatz ...?“

Wir waren ein ganzes Stück gelaufen, während wir uns unterhielten, doch auch der Parkplatz war wie vom Erdboden verschluckt.

„Oh Gott, Ian. Ich hab Angst.

Er sah mich an und lächelte wieder. „Mmhm. Mir geht es ähnlich. Lass uns schneller gehen. Mehr Abstand gewinnen, ja?“

Im strammen Marsch – zum Rennen fehlte uns die Kraft – liefen wir weiter. Die Angst saß uns im Nacken. Mir gingen die grausigsten Dinge durch den Kopf. Ian hingegen spielte den starken Schotten. Er hatte zwar zugegeben, auch etwas Angst zu haben, ließ jetzt aber nichts mehr davon hören. Dennoch merkte ich, dass er sich auffällig oft umdrehte und seine Augen voller Sorge waren.„Zuallererst müssen wir von dieser Insel runter. Ich habe keine Lust auf einer so kleinen Insel zu bleiben, wenn es womöglich mehr von diesen Moorguhls gibt!“

„Ach ja! Und wo bitte sollen wir hin?“

„Auf das Festland natürlich.“

„Natürlich.“, echote ich.

„Tja, das ist zumindest größer. Also mehr Platz für uns und die Moorguhls!“

„Tatsächlich“, erwiderte ich trocken. „Und wie soll das gehen? Wer weiß, ob es überhaupt Festland gibt oder eine Brücke dahin? Wir haben Nacht, falls es dir entgangen sein sollte und wo immer wir sind, es scheint ein anderes Schottland zu sein!“

„Falls du meinst, dass wir im Dunkeln tappen, nein, das ist mir nicht entgangen. Diese Insel ähnelt Skye und auch wieder nicht. Ich hoffe, dass der Überweg oder zumindest die kurze Meerespassage noch existiert und da gehen wir rüber. Wenn’s sein muss, schwimmen wir!“

„Weißt du, ich habe die Nase voll. Ich habe Durst und meine Füße tun weh und ...“

Ian unterbrach mich und hielt mich an der Hand zurück. „Psst! Riechst du es auch?“, flüsterte er.

Und das tat ich in der Tat. „Heilige Maria, Ian! Was, wo...“ Meine Stimme brach und hätte Ian mir nicht geistesgegenwärtig den Mund zugehalten, hätte ich vor Entsetzen laut geschrien.

Wir hatten die Anhöhe vor Dunvegan Castle erreicht und uns bot sich ein Bild des Schreckens. Wo sonst ein schöner Ausblick Touristenmassen anlockte, war nur noch die Ruine von Dunvegan Castle zu sehen und in dieser Ruine leuchteten an die hundert Lichter. Es waren die Augen der Moorguhls, die wie Glühwürmchen umherschwebten. Ihr Gestank nahm uns den Atem.

Ian hielt prüfend den nassen Finger in die Luft. „Gut, der Wind kommt von ihrer Seite. Bete, dass er nicht dreht, und lass uns ganz schnell abhauen!“

Der Ernst in seiner Stimme erschütterte mich bis ins Mark und ich konnte nur nicken. Er nahm sanft, aber bestimmt, meine Hand und wir begannen so schnell und so leise wie möglich zu rennen. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und ich klammerte mich, so fest es nur ging, an Ians Hand.

In meinem Kopf jubilierte erneut eine fremde Stimme: Du kannst laufen, so schnell du willst, Prinzeschen. Sie werden euch dennoch kriegen. Euer Schicksal steht längst fest!

Ängstlich biss ich die Zähne zusammen. Ian schien von dieser Stimme nichts mitzubekommen. Nach einer Weile bekam ich Seitenstechen und ich fragte mich, wie lange ich dieses mörderische Tempo noch durchhalten konnte. Es kam mir vor, als wären wir Stunden unterwegs gewesen, als Ian endlich langsamer wurde und eine Pause einlegte.

„Puh“, sagte er außer Atem. „Wir schlagen uns nach Kyleakin durch, dort gab es schon immer eine Furt. Wenn nicht, wie gesagt, dann schwimmen wir.“

Mein Blick ging zum Himmel, wo tausend Sterne blinkten.

„Schön, nicht? Wenigstens haben wir Vollmond. Wir schaffen es, Isa, ganz sicher!“, sagte er und drückte mir dabei ermutigend die Hand

Die Vegetation war herrlich. Keine Abgase, kein Smog, die Luft roch frisch, der einzige Lärm kam von uns. Um uns herum gaben die Nachttiere ein Konzert und selbst die Sterne kamen mir zahlreicher vor als sonst. Ian lief langsamer, als nehme er Rücksicht auf mich. Nun gut, ich musste ja auch für jeden Schritt von ihm zwei eigene machen!

„Ian?“

„Hmm?“

„Glaubst du, wir sind, na ja, in einer anderen Zeit oder Welt? Nein, sag nichts. Ich weiß, es hört sich total verrückt an! Aber es ist alles so anders und wo sind die Menschen?“ Ich musste Luft holen, so schnell hatte ich geredet.

„Aye! Der Gedanke kam mir auch schon und ich befürchte fast, eine andere Erklärung gibt es nicht.“ Er seufzte laut und voller Inbrunst. „Wir müssten längst die Hauptstraße passiert haben. Ich frage mich, ob es hier überhaupt Menschen gibt. Gegeben hat es sie, das steht außer Frage. Es gibt überall Mauern und Ruinen. Nur gibt es sie auch jetzt, in dieser Zeit?“

„Laufen wir einfach weiter, ja!“, flüsterte ich.

„Ja, das ist wohl das Beste im Moment, du hast recht!“

Wir liefen und liefen, bis wir in der Nähe von Kyleakin auf einen schmalen Übergang trafen. Was so viel hieß wie: Wir sahen zumindest das andere Ufer. Die Morgendämmerung setzte langsam ein und die Natur erwachte um uns herum. Die ganze Nacht waren wir ohne große Pausen gelaufen, wir hatten kein Essen und was viel schlimmer war: auch nichts zum Trinken.

„Setz dich hin und komm ja nicht auf die Idee ...“ Er zeigte auf das Wasser.

Tja, ich konnte noch nie einen Gedanken für mich behalten. Ian konnte es mir also auch vom Gesicht ablesen. Mist. Als wenn ich nicht wüsste, dass Salzwasser nicht trinkbar war. Klar wusste ich es, nur war ich vor allem eins: durstig, sehr durstig!

Er schien keine Antwort zu erwarten, also nickte ich nur ergeben. Während ich dasaß und nur vor mich hin starrte, lief Ian suchend am Ufer entlang und murmelte Unverständliches vor sich hin.

„Was suchst du eigentlich, Ian?“, murmelte ich total entkräftet.

„Hm, ein Brett oder einen Baumstamm, ein Boot wäre das Beste. Aber nun ja, ein Brett oder ein Baumstamm tut es zur Not auch, denke ich.“

„Hä?“ Irgendjemand stand auf meiner Leitung. „Für was ... äh wofür?“

„Damit du nicht nass wirst, Sommersprosse.“

Klar, logisch, was sonst. „Ähm, Ian? Wieso soll ich nicht nass werden? Ich kann gut schwimmen.“

„Nein. Besser ich schwimme!“, sagte er mit einer Autorität, die keinen Widerspruch duldete.

„Mein Superheld!“, entfuhr es mir sarkastisch. Nun hatte ich seine volle Aufmerksamkeit.

Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah mich verärgert an. „Hat dir schon einmal jemand gesagt, dass du ein ganz schön stures und eigenwilliges Frauenzimmer bist?“

Allerdings, nur dachte ich nicht im Traum daran, das zuzugeben. „Nein du Obermacho. Schon mal etwas von Gleichberechtigung gehört?“, gab ich schnippisch zurück. Tatsächlich machte er sich über mich lustig. Ich konnte genau sehen, wie er sich das Lachen verkniff.

„Hm, also erstens bin ich zu groß und zweifelsohne zu schwer für einen Baumstamm oder ein Brett!“

„Zweifelsohne!“, pflichtete ich ihm bei.

„Dazu kommt: Das Wasser ist eisig kalt. Ich meine: Wirklich kalt und ihr Weiber friert doch andauernd.“ Mit zusammengekniffenen Augen fixierte er mich.

„Jaaaa“, gab ich kleinlaut zu.

„Drittens brauche ich warme Kleidung dort drüben!“ Er zeigte aufs andere Ufer. „Und in diesem Kleid kannst du sowieso nicht schwimmen.“ Er klang belustigt und ich merkte, wie ich rot anlief. Ganz zu schweigen, dass ich ernsthaft sauer war. „Zum Henker!“, giftete ich.

„Nicht so bald, hoffe ich“, kam die trockene Antwort.

Er schleppte einen alten, wie mir schien, ziemlich morschen Baumstamm an. Nur, dass es bei ihm fast aussah, als trüge er einen Zahnstocher. Okay. Übertrieben, aber es hatte den Anschein, als mache es ihm nicht das Geringste aus, als hätte er Kraft im Übermaß.

„Wohl im Zaubertrank gebadet“, murmelte ich leise.

„Was sagst du?“

„Ähm, nichts.“ Verflixt, er hatte tatsächlich auch noch Ohren wie ein Luchs.

Ian begegnete meinem skeptischen Blick. „Keine Sorge. Der trägt dich und wenn nicht, kommst du doch noch zum Schwimmen.“

Das sollte wohl aufmunternd gemeint sein.

„Es wird wirklich Zeit. Ich wäre gerne am anderen Ufer, bevor es richtig hell wird. Zu gut sichtbar!“, fügte er meinem fragenden Blick hinzu.

Mit einem lauten `Platsch´ warf er den Stamm ins Wasser und sah mich an. „Mmpf, würdest du ...?“

„Hä?“

„Du weißt schon. Umdrehen.“

„Was?“

„Ähm, hat dir noch niemand erklärt ...? Du weißt schon, richtige Schotten tragen nichts unter’m Kilt!“

„Ah, tatsächlich? ’Tschuldigung!“ Nun war es an mir zu schmunzeln.„Wirklich gar nichts?“, fragte ich über meine Schulter hinweg.

„Nichts als Schottlands Zukunft. Du hast es erfasst, mo rùn. Irgendwann, wenn mehr Zeit ist, wer weiß? Heute lieber nicht“, raunte er mit einer Stimme, die ein Flattern in meiner Magengegend verursachte.

„Ha, ha, ha! Das hättest du wohl gerne. Vorher gefriert die Hölle!“, antwortete ich trocken.

„Ha, wohl eher etwas anderes. Daingead cac, ist das kalt.“Es folgte ein Platschen und Prusten, gefolgt von etlichen derben gälischen Flüchen. Erschrocken fuhr ich auf dem Absatz herum und entdeckte Ian im Wasser.

„He, wenn du vor hast zu lachen, lasse ich dich die Temperatur gerne testen, Sommersprosse!“

Mühsam schluckte ich das Lachen hinunter und bemühte mich um einen ernsthaften Blick. Soeben testete er, ob der Baumstamm schwimmtauglich war. Er tat es, indem er ihn mit seinem ganzen Gewicht nach unten drückte. Dabei wurde immer wieder Ians nackter Hintern sichtbar und ich war bemüht, Desinteresse zu heucheln.

Ein zufriedenes Brummen gab bekannt, dass er wohl für unseren Zweck genügte.

„Also los. Am besten hebst du dein Kleid weit hoch und kriechst dann von hinten auf den Stamm. Ach und wenn du so freundlich wärst ...?“ Er zeigte auf den Stoffhaufen zu meinen Füßen. „Ich will am anderen Ufer ungern frieren, bitte!“

Ich muss ängstlich dreingeblickt haben, denn er setzte noch ein „Keine Angst, Sommersprosse. Ich halte den Stamm fest!“ hinzu.

„Wie der Herr befiehlt. Was möchte der Herr denn sonst noch so?“

„Zynismus bringt dich nicht ans andere Ufer, Sommersprosse! Darf ich bitten?“

Fordernd streckte er mir seine Riesenhand, die mir vorkam wie eine Pranke, entgegen. Meine Hand verschwand komplett in ihr und ich hielt mich daran fest, wie an einem Rettungsanker. Es war ganz und gar nicht leicht, die Balance auf allen vieren zu halten, auf einem wackelnden, nicht gerade breiten Baumstamm und es kam mir vor wie eine Ewigkeit, bis ich endlich dort war, wo Ian mich haben wollte. Ich musste ihm zugutehalten, dass er nicht einmal gelacht hatte – noch nicht mal gegrinst – und wenn er mich festhielt oder anschob, so tat er das nicht zärtlich, sondern bestimmt und fest. Das wiederum machte es mir leichter und weniger peinlich.

Vorsichtig bugsierte er das improvisierte Floss und mich ins tiefe Wasser und schwamm in festen, strammen Zügen. Ab und zu berührte er mich sachte, als wolle er sichergehen, dass ich noch da war. Der Mond strahlte mit seinen letzten verblassenden Strahlen seinen muskulösen Körper an und seine kleinen Härchen leuchteten dunkel auf, und er hatte jede Menge davon. Die Schotten haben viele Sagen und Märchen – nun, mir kam soeben die von einem Kelpi in den Sinn. Ein Kelpi ist ein Wasserpferd und so kam mir Ian vor: stolz, stark und schön. Fast verschlug es mir den Atem. Mein Herz klopfte wie wild und ich schluckte krampfhaft, um wieder Luft zu bekommen. Ich wünschte, ich hätte meine Nikon da, schoss es mir durch mein Hirn.

Seine Muskeln waren nicht übertrieben wie bei Bodybuildern, nein, eher die Art Muskeln, die man sich durch harte Arbeit oder regelmäßiges Schwimmtraining erwarb. Seinen dunkleren Teint hatte er vermutlich der Sonne und seinem keltischen Erbe zu verdanken. Ich konnte das beurteilen, denn ich hatte schon so ziemlich alles vor der Linse gehabt. Einer der vielen Jobs war, Bodybuilder für ein Hochglanz-Magazin abzulichten. Für mich waren es die schlechtesten Fotos, die ich je geschossen hatte. Was vermutlich daran lag, dass ich diese Männer und ein paar dieser Frauen potthässlich fand! Selbst heute dachte ich nur mit Abneigung an diese Fotoshootings.

Neidvoll musste ich gestehen, dass Ian wohl doch der bessere Schwimmer von uns war. Tja, er hatte den breiten Rücken eines Schwimmers.

Hoffentlich kommen wir bald an, sinnierte ich. Im Osten war schon ein Hauch Morgenrot auszumachen. Langsam bekam ich Probleme damit, nicht einzunicken. Meine Beine waren total verkrampft und mein linker Fuß schlief dauernd ein. Das beständige Plätschern und Ians regelmäßiger Atem halfen auch nicht unbedingt dabei, wach zu bleiben, müde, durstig und hungrig wie ich war. Nur ein bisschen dösen, ein kleines Bisschen ...

„Isa, nicht einschlafen, mo rùn! Sonst fällst du noch ins Wasser.“ Ian rüttelte mich fest an der Schulter.

„Mmh, lass mich“, säuselte ich im Halbschlaf.

„Komm schon. Wir haben’s gleich geschafft. Bleib wach.“ Er pikste, stupste, und schüttelte mich liebevoll, aber konstant. „Verdammt Weib! Ich verspreche dir bei allem, was mir heilig ist, wenn wir drüben sind, suche ich uns ein geschütztes Fleckchen zum Schlafen und Wasser. Nur bleib wach!“ Seine Stimme war streng und ein Quäntchen Besorgnis schwang mit. Ich versuchte mich, auf die Geräusche von Ian zu konzentrieren. Einige Zeit später vernahm ich bei jedem seiner Schwimmzüge ein angestrengtes Stöhnen, das mich mehr als beunruhigte.

„Ian?“, rief ich alarmiert und tastete mit den Fingern den Baumstamm nach seiner Hand ab.

„Schon gut, Isa“, beruhigte er mich. „Ich bin immer noch hier“, sagte er und hielt sich an mir und dem hölzernen Gefährt fest.

„Dir geht doch nicht die Kraft aus, oder? Verflucht wie weit ist es noch?“

„Ich schaff das schon. Muss mich nur zwischendurch ein bisschen festhalten, aye. Es kann nicht mehr weit sein.“ Wieder verging einige Zeit, bis Ian sich an meinem Ohr bemerkbar machte. „Jetzt sehe ich Schilf und ich glaube, ich spüre den Boden.“

Vorsichtig, um nicht etwa zu kippen, setzte ich mich auf und spähte zum Ufer. Es sah genauso aus wie dort, wo wir abgelegt hatten. Keine Ahnung, was ich erwartet hatte. Schilf, Schlick und Steine konnte ich ausmachen, eben all das, was es an einem Ufer so zu sehen gab. Wir hatten das Ufer erreicht und ich konnte mir keine Gedanken mehr machen.

„Achtung! Sommersprosse, festhalten!“ Der Stamm ruckelte und bebte und saß im Uferschlick fest. Ehe ich mich versah, hob mein Held (wie gut, dass Ian keine Gedanken lesen konnte) mich unter den Armen hoch und schwang mich, wie ein Kleinkind, ans Ufer.

„Noch alles dran und trocken geblieben?“

Nach einer kurzen Bestandsaufnahme beantwortete ich Ians Frage mit „Ja.“ Ob die Moorguhls unsere Verfolgung aufnahmen? Gab es hier auf dem Festland noch mehr dieser Monster? Ian riss mich aus meinen Gedanken. „Umdrehen oder Augen zu. Und wenn du mir bitte meinen Kilt ...? Wirf ihn einfach her!“

„Wie? Werfen und nicht hinsehen?!“

„Mmpf!“

„Schon klar, ’tschuldigung.“

„Es dauert einen Moment, aye. Ich äh, muss mich einrollen“, erklärte er und mir fiel ein dass er ja die alte Kilt Variante, den Belted Plaid, trug. Wenn gleich zumindest die Falten, wie er mir auf dem Fest erklärt hatte, bereits festgenäht waren.

Ich warf und drehte mich um, hatte aber aus den Augenwinkeln noch einen letzten Blick auf Ians sexy Hintern. Wow. Da hieß es immer, Frauen tickten anders als Männer. Nun, bei mir traf dies scheinbar nicht zu, oder ich war abnormal und das weigerte ich mich strickt zu glauben!

Das Steinerne Tor

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