Читать книгу Das Steinerne Tor - Pia Guttenson - Страница 19

Von Wasser und Feen

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Keiner von uns sagte etwas und doch setzten wir uns wie selbstverständlich gleichzeitig in Bewegung. Die Vögel zwitscherten, die Sonne hatte nun endlich den Mond verdrängt, die Luft roch nach Gras und dem Duft der Blumen. Das alles strafte unsere Angst Lügen. Dennoch schleppten wir uns, wenn auch mehr schlecht als recht, weiter.

Das Schwimmen hatte Ian seine letzten Kraftreserven geraubt und ich sah ihn das erste Mal, seit ich ihn kannte, erschöpft und auf eine Art und Weise verletzlich, die mir unsere Angreifbarkeit vor Augen führte. Den provisorischen Verband um sein verletztes Handgelenk hatte er beim Schwimmen verloren. Ian hatte Schmerzen, was er nie zugegeben hätte, doch ich konnte es sehen. Beiläufig drehte ich mich hin und wieder um. Tat so, als interessiere ich mich für eine Pflanze, hörte dabei aber intensiv auf Geräuschen hinter uns.

„Angst?“, fragte er beiläufig.

„Ähm, du nicht?“, hielt ich dagegen.

„Doch. Es ist nicht unbedingt beruhigend, wenn man fix und fertig ist und weiß was für Bewohner es hier gibt. Wir müssen uns unbedingt ausruhen und zu Kräften kommen.“

„Wo wollen wir eigentlich hin? Unterbrich mich bitte, wenn ich falsch liege, aber wir sind nicht ... na ... du weißt schon! Also woher willst du wissen, dass es nicht weit ist, hä?“

„Ach, nur so ein Gefühl“, brummte er.

„Aha, prima!“ Toll. Hoffentlich war es ein sichereres Gefühl, als die anderen davor!

Im Tageslicht verblasste der Albtraum der Nacht, fast konnte ich mir einbilden, es wäre nie geschehen. Nur – da waren noch immer keine Straßen, keine Menschen und keine Gebäude weit und breit. Für die Hölle war es, wenn man von den Moorguhls mal absah, zu schön. Stellte sich die Frage, wo zum Teufel wir gelandet waren?

„Isa!“

„Hm?“

„Isa, seit wann ist Sam weg?“

Ians Frage traf mich unvorbereitet, mitten ins Herz. Einen Moment lang blieb ich stehen, sah ihn an. Sein Gesicht drückte Kummer und Sorge aus. Ich öffnete meinen Mund, brachte aber keinen Laut heraus. Als ob nichts gewesen wäre, ging ich weiter. Er hielt mich am Arm fest, drehte mich um, nahm mein Kinn in seine Hand und zwang mich ruhig, aber bestimmt, ihm in die Augen zu sehen.

„Wann, Mädchen? Wann ist er verschwunden?“, wiederholte er seine Frage.

Tränen kullerten über meine Wangen. Ich war wie hypnotisiert von seinen Augen. „Vom 31. Oktober auf… auf den 1. November, letztes.. letztes Jahr. Sechs, er… er war gerade mal sechs Jahre alt!“, stotterte ich mit einer Stimme, die nicht die meine zu sein schien.

„Samhain, Daingead!“, überlegte Ian laut. Abrupt ließ er mich los und schlug mit der Faust zornig gegen einen Baum.

„Und gestern ...“, setzte ich flüsternd an.

„Ja, Sommersonnwende, besser bekannt als Litha. Das sind alles Keltische Feste. Mein Gefühl sagt mir, dass das alles irgendwie zusammenhängt!“

Ich sah ihn völlig entgeistert an. „Wir … wir waren in … in keinem Steinkreis“, stotterte ich.

Ian zuckte mit der Schulter. „Mag sein, aye. Aber wir sind durch das Steinerne Tor gegangen“,gab er zu bedeken und musterte mich nachdenklich. „Es wird schon alles gut werden, Isa. Und wo wir schon mal hier sind, wo auch immer, werden wir auch deinen Jungen finden!“

Den Rest sprach er nicht aus, doch es hing unausgesprochen zwischen uns, drei Worte, ich konnte sie fühlen: „Wenn er lebt ...“

Ian blickte sich suchend um.„Hmpf!“, murmelte er zufrieden. „Ja, das ist gut.“ Er lief ein paar Schritte weiter und seine Aufregung übertrug sich auf mich. „Siehst du?“ Er zeigte in die Ferne. „Egal, ob das hier Schottland ist oder nicht, der Zufluss vom Meer ist derselbe. In Schottland wäre das Loch Alsh und Loch Long, Loch Duich müsste folgen. Somit müsste es auch mit etwas Glück die Falls of Glomach geben und dort könnten wir an Trinkwasser herankommen.“

Das hatten wir sehr, sehr nötig, um nicht zu dehydrieren.„Zugegeben, das wäre ein Lichtblick. Das -und wenn nicht- bemühte ich mich zu ignorieren.

„Sieh mal, selbst die Berge sind die Gleichen. Vielleicht eine andere Epoche oder Zeit? Die Schafe fehlen, ebenso die Rinder, ts, ts.“

„Es ist ein Albtraum, einer von der ganz schlimmen Sorte, aus dem man einfach nicht aufwacht. Für das hier …“, ich drehte mich einmal im Kreis und zeigte um mich, „... gibt es einfach keine logische Erklärung!“

Ian kniff mich heftig in den Oberarm.

„Autsch! Sag mal, spinnst du?“

„Nein, aber es ist auch kein Traum!“

Über beide Ohren grinsend, wich er meiner Faust gekonnt aus, die auf seinen Arm zielte.

„Tut mir leid, eine bessere Erklärung hab ich auch nicht.“Der Schalk saß ihm im Nacken und ich konnte ihm nicht böse sein.

„Ian.“

„Hmm?“

„Ian, wo hast du eigentlich Sams Tuch hin?“, fragte ich, wie ich fand, sehr gefasst.

„Äh, es – mh, es steckt in deinem Mieder.“

„Wie bitte?“, hakte ich in der Annahme, mich verhört zu haben, nach.

„Nun ja, äh, in deinem Mieder, also – mpf – innen drin. Hm.“

Das war der Moment, in dem ich rot bis zu den Haarwurzeln wurde. „Das ist doch nicht wahr, Ian? Du hast doch nicht etwa ...“ Ich blieb stocksteif stehen. Den Mund geöffnet wie einen Karpfen.

„Du warst bewusstlos und ich, äh, also ich dachte, du wolltest es, hm, na ja, nah am Herzen tragen, damit du es nicht verlierst“, erklärte er verlegen.

Entrüstet schlug ich auf ihn ein. Er hob schützend seine Hände über den Kopf.

„Du, du Schuft. Du Mistkerl. Du hast mich begrapscht! Was zum Kuckuck fällt dir ein, Ian Tormod Robert MacLeod?“

„Also, bitte hör auf, bevor du dir wehtust. He! Aua!“

„Ein Scheiß werd ich. Hat dir deine Mutter keine Manieren beigebracht?“

Er hatte meine Hände gepackt und hielt mich auf Abstand, während ich Gift und Galle spuckte.

„Mo nighean ruaidh, sguir! Sguir! Hör auf, bitte, ich hab dich nicht ...“

„Spar dir dein blödes Gälisch, ich verstehe es eh nicht! Du ... du ... Schotte!“

„Hätte ich es wegwerfen oder verlieren sollen? Jetzt beruhige dich, verdammt! Spar dir die Kraft für den Weg, Kleine!“

Seine dunklen Augen sahen mich belustigt an. Der verfluchte Kerl hatte doch tatsächlich Spaß an unserem Streit. Noch immer hielt er mich auf Abstand, als ahnte er, dass ich ihm am liebsten die Augen auskratzen würde. Ich trat ihn gegen das Schienbein und er zog schmerzvoll die Luft durch die Zähne.

„Zufrieden?“, zischte er.

„Nein, nicht im Geringsten!“, knurrte ich zurück.

„Bitte, wenn ich dich jetzt loslasse, beruhigst du dich dann? Der Weg ist noch weit und ich möchte dich nur ungern zurücklassen“, drängte er und ließ mich los. Gleichzeitig wich er zwei Schritte zurück, was mich mit Genugtuung erfüllte.

Mit einem giftigen „Männer!,“ drehte ich mich abrupt um und lief weiter, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Es wurmte mich, dass er ausnahmslos recht hatte. Er hatte recht, was meine Kraft anging, genauso wie mit Sams Tuch. Schließlich hatte ich weder Taschen am Kleid, noch eine Handtasche dabei. Verflixt!

In sicherem Abstand hörte ich ihn hinter mir hergehen. Es wurde zunehmend hügeliger und immer mehr Bäume kamen in Sicht. Sams Tuch auf meiner nackten Haut fühlte sich an wie ein Verräter und ich fühlte mich nicht wohl in meiner Haut.

Ian sah auf Isas Gestalt vor sich, die aufrecht und stolz vor ihm her wankte. Wie stelle ich es an, dieses sture Weib zu beruhigen, ohne dass sie mir die Augen auskratzt? Eine Entschuldigung kam ihm dabei nicht in den Sinn. Sie war am Ende ihrer Kräfte. Stolperte nun immer mehr. Wenn ihm nicht bald etwas einfiel, konnte er sie vom Boden auflesen.

„Versteh einer die Frauen. Egal was man macht, es ist immer falsch! Begrapscht, bah. Verflixtes Weibsbild!“, grummelte er. Er hatte sie nicht begrapscht. Zugegeben, der Gedanke hatte etwas Verlockendes, kam aber für einen Ehrenmann niemals infrage.

„Mpf, du wirst freiwillig in meine Arme kommen, mo rùn“, murmelte er.

Bei dem Gedanken wurde ihm ganz warm ums Herz. Colin wüsste, was zu tun war. Leider war sein Freund nicht hier. Sein Blick fiel wieder auf Isa. Trotz der Stolperei waren ihre Schritte immer noch wütend und energisch. Was hatte diese höchstens 1,60 Meter große Frau nur an sich, dass ihn so faszinierte? Stolz, Sturheit, gepaart mit vollendeter Weiblichkeit und den süßesten Lippen auf Erden, dachte er und ein Lächeln huschte über seine angespannten Gesichtszüge. Isa hatte seit dem Vorfall kein Wort mehr mit ihm gewechselt. Ian befand, dass es jetzt genug war. Keinen Moment zu früh hatte er sie eingeholt. Sie war im Begriff über einen großen Stein zu fallen. Er erwischte sie gerade noch an der Hüfte und hielt sie fest.

„Lass mich wieder vorausgehen, Sommersprosse. Es ist nicht mehr weit bis zur Quelle“, redete Ian sanft auf mich ein.

„Mhm“, stimmte ich kraftlos zu.

Mein Mund war so trocken, dass ich fast nicht mehr in der Lage war zu schlucken. Beinahe bei jedem zweiten Schritt kam ich ins Straucheln.

Ian schlug sich indes in die Büsche, den Berg hinauf. „Ich höre es schon plätschern!“, drang seine begeisterte Stimme vom Berg herab an meine Ohren.

„Schön. Kann nich’ mehr hoch“, antwortete ich lapidar.

„Oh doch. Los, gib mir deine Hand.“ Mit festem Griff zog er mich hinter sich den Berg hinauf. Nun konnte ich es auch hören. Zuerst nur ein leises Gurgeln, das dann immer mehr an Stärke zunahm und zu einem tosenden Rauschen anschwoll.

„Da ist es. Danke lieber Gott!“, stieß er voller Inbrunst aus.

Losgelöst wie eine Feder sank ich auf den Felsboden und saß einfach nur da. Ian füllte sein Trinkhorn und das meine. Jetzt wurde mir endlich klar, wozu dieses Horn gedacht war; auf dem Fest hatte mich das lästige Anhängsel am Kleid eher gestört. Hier und jetzt war ich froh darüber. Ian trank und kam dann zu mir.

„Trink schön langsam!“, mahnte er und ließ mich nicht aus den Augen. Behutsam, wie bei einem Säugling, hob er mir das Trinkhorn an den Mund und ich trank, wie mir geheißen, in kleinen Schlucken. Köstliches Nass breitete sich in meinem Mund aus. Frisch und klar, das Wasser kam mir vor wie edler Champagner. Wir tranken viel und schöpften Wasser, womit wir uns wuschen, so gut es eben ging. Was nicht gerade einfach war, da die Wasserfälle senkrecht in die Tiefe stürzten und wir über die Schlucht balancieren mussten, um an das Wasser zu kommen.

Die Aussicht von hier oben war spektakulär. Ich hatte die Highlands immer gemocht. Das hier, das waren die Highlands und doch auch wieder nicht.

„Siehst du das dort unten? Da, wo die Lochs sich treffen, da müsste eigentlich Eilean Donan Castle stehen“, erklärte Ian und ich blickte angestrengt, in die Richtung in die er mit dem Finger zeigte.

Ja, müsste es, aber dort stand nur ein zerfallener Turm.

„Es ist nicht da, Ian!“, wisperte ich beklommen.

„Aye. Trotzdem, da gehen wir hin!“

Glücklicherweise hatte Ian eine Feldflasche an seinem Gürtel hängen und wir füllten sie mit dem so kostbaren Wasser. Wir machten uns mit den letzten Kraftreserven auf den Weg zur Ruine von Eilean Donan, wie wir annahmen. Doch je näher wir kamen, umso mehr erkannten wir, dass es nicht die Ruine von Eilean Donan war.

„Es ist ein sogenannter Broch, ein Feenturm. Warte hier vor dem Eingang, ich sehe mich um.“

Ich setzte mich auf einen Stein und tat wie mir geheißen. Kurze Zeit später kam Ian zurück.

„Alles in Ordnung. Lass uns reingehen“, sagte er.

Es war angenehm kühl in dem Broch. Wir fanden zwei alte Tonbecher. Sie waren zwar nicht mehr ganz, aber noch zu gebrauchen, eine alte Decke und Stroh. Mithilfe einer alten Leiter (einige Sprossen waren noch heil) stiegen wir in den ersten und von dort in den zweiten Stock. Der Boden machte einen soliden Eindruck und Ian beschloss, hier unser Lager aufzuschlagen. Mithilfe der Decke brachte er das Stroh nach oben, das auf der unteren Ebene des Turms herumlag. Während ich es in einer Ecke schichtete, machte sich Ian noch mal auf, etwas Essbares zu besorgen. Ich war dabei die Decke über das Stroh zu legen, als er zurückkam. Mit reicher Ausbeute und verschmiertem Gesicht.

„Du hast da etwas“, lachte ich und rieb ihm, mit dem Zeigefinger sacht am Mundwinkel entlang.

„Oh. Vermutlich von den Brombeeren.“

Er ließ sich aufs Strohlager fallen, sodass der ganze Boden bebte.

„Ups, war wohl nicht so schlau“, stellte er fest. „Wer weiß, wie stabil der Boden noch ist.“

„Äh, ja, ich möchte nur ungern durch den Boden fallen“, erwiderte ich und wich argwöhnisch an den Rand des Bodens zurück.

Unser Mahl war köstlich. Ian hatte einen Teil seines Kilts gerafft und darin Brombeeren, Himbeeren und Äpfel gesammelt, die wir nun genüsslich vertilgten.

„Hmm, das war sehr gut, mein Jäger und Sammler“, lobte ich ihn und er schenkte mir ein verschmitztes Grinsen. „Ja, das war es. Dennoch könnte ich glatt noch ein ganzes Schwein verdrücken.“

„Oh ja, oder ein Hühnchen mit gebratenen Kartoffeln und ...“

„Wirst du wohl still sein!“ Ian sah mich pikiert an. „Mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Lass uns besser nicht übers Essen reden, ja!“

Zur Antwort knurrte mein Magen.

„Du hast recht, Ian. Mir fallen sowieso die Augen zu. Ich kippe gleich um.“

Er nickte. „Eigentlich sollten wir abwechselnd Wache halten, aber das schaffen wir beide nicht mehr. Wir ziehen die Leiter hoch, das muss reichen!“

Ich ließ mich rückwärts aufs Strohlager fallen, Ian legte sich neben mich und öffnete seinen Kilt.

„Was tust du, Ian?“, säuselte ich im Halbschlaf.

„Ich schlafe im Hemd und decke uns mit meinem Kilt zu.“

„Prima!“, erwiderte ich.

Es spielte keine Rolle, da ich keine Kraft mehr hatte, mir Gedanken zu machen. Wir lagen dicht beieinander, Ian halb nackt und ich saft- und kraftlos. Kein Platz für Scham und falsche Gedanken, nur unendliche Müdigkeit.

Wir fielen beide sofort in einen tiefen Schlaf. Traumfetzen stiegen in mir hoch und zerfielen, kurz bevor ich sie fassen konnte. Erinnerungen, die im Traum an die Oberfläche drangen und am Morgen unwiederbringlich verloren waren. Eine blonde Frau rief mir etwas zu, das ich partout nicht verstand. Ein Strudel aus Farben, Lärm und Schmerz, verschluckte mich. Die schreckliche Stimme zischte ununterbrochen, dass ich sterben würde. Moorguhls, deren Klauen und Zungen nach mir griffen und Sam, mein kleiner braunhaariger Engel, der ängstlich schrie: Mummy, du hast gesagt, Monster gibt es gar nicht! Lieber Gott wie sehr ich mich geirrt hatte!

Mit dem Gedanken einer Lüge kam ich langsam zu mir und wurde wach. Ich hatte Sam belogen, hatte ihm gesagt, es gäbe keine Monster. Wie falsch ich doch gelegen war. Das seltsame Gefühl, dass etwas nicht stimmte, ließ mich letztendlich ganz wach werden und hochschrecken. Ians Arm lag um meine Taille geschlungen, er hatte mich im Schlaf an sich gezogen und nun hatte ich Mühe, mich unter seinem Arm hervorzuwinden. Vorsichtig, um ihn nicht zu wecken, setzte ich mich auf.

Das Steinerne Tor

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