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Die Unsterblichkeit der Seele

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Ob aber jeder einzelne unter uns Menschen unsterblich ist oder ob wir gänzlich der Vernichtung verfallen, oder aber ob ein Teil des Menschen dahingeht, sich zerstreut und vernichtet wird während ein anderer Teil, der sein eigentliches Selbst ist, auf immer bleibt, diese Frage kann man klären wenn man sie in folgender Weise ihrem Wesen gemäß betrachtet.

Der Mensch ist ja nicht ein Einfaches, sondern es ist in ihm Seele, anderseits hat er den Leib; mag der nun unser Werkzeug oder in anderer Weise mit uns verknüpft sein – jedenfalls wollen wir die genannte Einteilung ansetzen und die Wesensart jedes der beiden betrachten. Der Leib also, der seinerseits wieder zusammengesetzt ist, kann damit schon aus Gründen der Logik keinen Bestand haben; aber auch die Wahrnehmung sieht ihn sich auflösen, verwesen und sonst mancherlei Verderbnis ausgesetzt; jeder der Bestandteile kehrt zu seinem Ort zurück, ein Teil vernichtet den andern, wandelt sich in den andern und zerstört ihn, und das besonders wenn die Seele nicht mehr bei den Teilen der Materie ist, die sie einträchtig macht. Aber auch wo diese Teile sich absondern und Einzelding werden, ist keine Einheit; es läßt sich immer noch auflösen in Form und Stoff, aus denen notwendiger Weise auch die Elemente zusammengesetzt sein müssen; da sie ferner, als Körper, Masse haben, und daher zerteilt und in kleinste Bestandteile zerstückt werden können, so können sie auch auf diesem Wege der Zerstörung unterliegen. Ist also der Leib ein Teil von uns, so sind wir nicht als Ganzes unsterblich; ist er unser Werkzeug, so mußte er, da er uns nur auf eine gewisse Zeit gegeben wurde, seinem Wesen nach zeitlich sein. Nun steht aber das Eigentliche, das Selbst des Menschen, wenn anders es dies wirklich ist, im Verhältnis von Form zu Stoff zum Leibe oder im Verhältnis von Benutzer zu Werkzeug: auf beide Weisen aber ist dies Selbst die Seele.

[2]Welches Wesen aber hat dies Selbst? Ist es Körper, so müssen wir es unbedingt zerlegen, denn aller Körper ist ja zusammengesetzt. Ist es freilich nicht als Körper anzusehen, sondern andern Wesens, so ist eben dies andere Wesen in derselben Weise oder auf eine andere zu untersuchen. Zuvörderst aber ist zu prüfen, in welche Bestandteile dieser Körper, als den sie die Seele ansehen, aufzulösen ist. Da der Seele notwendig Leben beiwohnt, muß notwendig dieser Körper, die Seele, Leben von Anbeginn in sich tragen; und zwar, besteht er aus zwei Körpern, beide, besteht er aus mehreren, alle, oder einzelne der Bestandteile haben Leben, andere nicht, oder keiner von beiden beziehungsweise von allen. Wenn einem der Bestandteile Leben anhaftet, so ist eben dieser die Seele. Was gibt es nun für einen Körper, der von sich aus Leben hat? Feuer Luft Wasser und Erde sind von sich aus unbeseelt; welcher von ihnen Seele und Leben hat, hat es als nachträglich Hinzugekommenes. Andere Körper (Elemente) aber außer diesen gibt es nicht; auch soweit man noch andere Elemente angenommen hat, hat man sie ja als Körper, nicht als Seelen bezeichnet, und als unbelebt. Hat aber keines der Elemente Leben, so wäre die Erzeugung von Leben durch ihre bloße Vereinigung ein Unding, oder vielmehr es wäre eine Unmöglichkeit, daß das Zusammentreffen von Körpern Leben bewirkt, und damit das Ungeistige Geist erzeugt. Sie werden ja selbst nicht behaupten daß die Körper durch beliebige Mischung zu belebten Wesen werden; es muß also ein ordnendes Prinzip vorhanden sein, eine Ursache der Mischung; dann hat eben dies Prinzip den Rang der Seele. Denn nicht nur kein zusammengesetzter, nein auch kein einfacher Körper kann in der Welt sein ohne daß die Seele im All ist, wenn anders rationale Form, an den Stoff herantretend, den Körper hervorbringt; Form aber kann von nirgend herantreten als von der Seele.

[3]Wer aber behauptet, daß nicht in dieser Weise, sondern durch Vereinigung von Atomen oder teillosen Bestandteilen Seele entsteht, der wird widerlegt durch die Einheitlichkeit und Empfindungseinheit (der Seele); … und auch dadurch daß durch bloße Nebeneinanderstellung kein durchwaltetes Ganzes entstehen kann … denn ein Einheitliches und einheitlich Empfindendes kann nicht aus empfindungslosen und der Vereinheitlichung nicht fähigen Körpern entstehen, die Seele aber hat einheitliches Empfinden mit sich selbst. Aus teillosen Körpern ferner kann gar kein Körper und überhaupt keine Größe entstehen.

Aber auch wenn der Seelenkörper ein einfacher ist und man zugibt, daß er, soweit er rein stofflich ist, von sich aus kein Leben hat (da der Stoff qualitätlos ist), dann aber behauptet daß dasjenige, was die Stelle der Form einnimmt, das Leben hervorbringt, so müssen sie entweder diese Form als Substanz ansetzen: dann kann die Seele nicht beides zusammen, sondern nur das eine von beiden sein und das kann nicht mehr Körper sein, denn es ist nicht seinerseits aus Stoff, sonst können wir es wieder auf die gezeigte Weise auflösen; oder sie setzen diese Form als eine Affektion des Stoffes und nicht als Substanz an: dann müssen sie aufweisen, woher denn diese Affektion, das Leben, in den Stoff gekommen ist; denn der Stoff formt sich doch nicht selbst und pflanzt sich nicht selbst die Seele ein. Es muß also etwas da sein das Leben zu liefern (mag es nun an den Stoff oder an irgendeinen der Körper geliefert werden), und das muß außerhalb und jenseits jedes körperlichen Seins liegen. Ja es könnte überhaupt gar kein Körper existieren, wenn das Seelenvermögen nicht wäre. Denn der Körper fließt, sein Wesen ist in Bewegung; und er würde gar bald zu Grunde gehen, wenn alles Sein nur aus Körpern bestünde, mag man auch einem dieser Körper den Namen ‘Seele’ geben; diese wäre ja doch den gleichen Erscheinungen unterworfen wie die andern Körper, da er aus demselben Stoff wäre, vielmehr es würde ein Körper überhaupt gar nicht zur Existenz gelangen, sondern alles würde in der bloßen Materie stecken bleiben, wenn es keine Kraft gibt die sie formt; vielleicht gäbe es dann sogar überhaupt keine Materie. Auch unser Weltall ferner müßte sich auflösen, wenn man seine Existenz der bindenden Kraft eines Körpers anvertrauen wollte, dem man die Rolle der Seele, selbst ihre Bezeichnung gibt, der Kraft der Luft, des Hauches, der sich doch weithin zerstreut und nicht aus sich die Möglichkeit hat eine Einheit zu sein. Wie kann man, wo alle Körper der Zerteilung unterliegen, auf einem Körper welcher es sei die Existenz dieser Welt beruhen lassen, ohne sie zu einem vernunftlosen, ordnungslos Bewegten zu machen? Wie kann der Hauch, der selbst von der Seele her der Ordnung bedarf, Ordnung in sich haben oder Vernunft oder Geist? Nein, gibt es Seele, so sind ihr all diese Körper zu Diensten zum Bestehen der Welt und jedes Lebewesens, indem jeder eine andre Eigenschaft beisteuert zum Ganzen; ist die Seele aber nicht im All zugegen, so gäbe es diese Welt gar nicht, geschweige in Ordnung.

[4]Aber sie selbst werden ja, geführt von der Wahrheit, zu Zeugen, daß es vor den Körpern eine ihnen überlegene Form, die Seele, geben muß; sie setzen ja den Hauch als vernunftbegabt und sprechen von dem vernunfthaften Feuer; als könne der obere Seinsteil nicht ohne Feuer und Hauch in der Welt sein und müßte sich einen Platz suchen worauf er sich gründen könnte; während sie vielmehr einen Ort suchen müßten wo sie die Körper gründen können; denn die Körper müssen gegründet werden in den Kräften der Seele. Wenn sie aber den Hauch und nichts anderes für gleichbedeutend mit Leben und Seele halten, was soll dann ihr vielberedetes ‘Bestimmtbefindlich’, auf das sie sich zurückziehen weil sie gezwungen sind neben den Körpern noch ein wirkendes Prinzip anzusetzen? Da nicht jeder Hauch Seele sein kann – denn es gibt zahllose unbeseelte Hauche –, müssen sie den bestimmtbefindlichen Hauch als Seele ansetzen; dann müssen sie dies ‘bestimmtbefindlich’, diesen ‘Zustand’, entweder unter das Seiende rechnen oder nicht. Wenn nicht, dann handelt es sich um den bloßen Hauch, und das ‘bestimmtbefindlich’ ist leeres Wort; dann müßten sie dahin kommen, auch sonst nichts anderes für seiend zu halten als den Stoff, Seele aber, Gott und alles andere für leere Worte und nur den Hauch für seiend. Soll aber der ‘Zustand’ ein Seiendes sein und neben dem Substrat, der Materie, existieren, am Stoff, aber selbst unstofflich – es darf ja nicht seinerseits wieder aus Stoff zusammengesetzt sein – dann ist dieser Zustand irgendwie eine rationale Form und kein Körper, und somit andern Wesens (als der Körper).

Ferner stellt sich auch auf folgendem Wege die Unmöglichkeit heraus, daß die Seele ein Körper, welcher auch immer, sei. Denn dann muß sie entweder warm sein oder kalt, rauh oder weich, flüssig oder fest, schwarz oder weiß und was sonst die verschiedenen Qualitäten in den verschiedenen Körpern sind. Ist sie nun warm, kann sie lediglich Wärme erzeugen, wenn sie kalt ist, Kälte; ein Leichtes kann durch sein Hinzutreten und seine Gegenwart nur leicht machen, ein Schweres schwer, ein Schwarzes schwarz, ein Weißes weiß. Denn Feuer kann nicht kälten, und Kaltes nicht wärmen. Nun wirkt aber die Seele in den verschiedenen Lebewesen je Verschiedenes, aber auch in demselben Gegensätzliches: sie macht bald fest bald flüssig, bald dicht bald dünn, schwarz weiß, leicht schwer. Dabei müßte sie eine einzige Wirkung hervorbringen entsprechend ihrer körperlichen Qualität, zumal ihrer Farbe: tatsächlich aber wirkt sie Vielfaches.

[5]Wie wollen sie ferner erklären daß die Bewegungen verschiedene sind und nicht eine, wo doch die Bewegung jedes Körpers nur eine ist? Wenn sie bald Vorsätze bald Begriffe als Grund ansetzen, so ist das ganz richtig. Aber weder Vorsatz noch Begriffe gehören dem Körper; sie sind verschiedenartig, der Körper ist aber einer und einfach, und hat keinen Teil an derartigem Begriff, soweit er ihm nicht gegeben ist von dem das ihn zu einem Warmen oder Kalten machte.

Das Wachsenlassen ferner je zu seiner Zeit und bis zu einem bestimmten Maß, wie kann das aus dem Körper selbst zustande kommen, dem eigen ist zu wachsen, selbst aber des Wachsenlassens unfähig zu sein, soweit er nicht aus der Masse des Stoffes aufgegriffen wird demjenigen zu dienen das durch ihn Wachstum bewirkt? Setzen wir aber auch daß die Seele Körper ist und den Körper wachsen läßt: dann muß sie ja auch selbst wachsen, und zwar selbstverständlich durch Hinzutreten von gleichviel Körper, wenn sie mit dem von ihr zum Wachsen gebrachten Körper Schritt halten soll. Das Hinzutretende muß dann entweder Seele oder unbeseelter Körper sein. Wenn es Seele ist, woher und wie kommt sie hinein und wieso tritt sie hinzu? Ist aber das Hinzutretende unbeseelt, wie kann es dann zu Seele werden und mit dem schon Vorhandenen zu gleichen Urteilen kommen und eine Einheit mit ihm werden, und wie kann es an den gleichen Vorstellungen wie das schon Vorhandene teilhaben, wo es doch wie eine fremde Seele nichts von dem wissen müßte was die andre in sich hat? Wenn weiter, wie von unsrer übrigen Leiblichkeit, so auch von der Seele, wenn sie Körper ist, immer teils etwas ausgeschieden werden teils etwas hinzukommen muß, so daß schließlich nichts Identisches mehr nachbleibt, wie können da unsere Erinnerungen statthaben, wie können sich Bekannte erkennen, wenn sie je eine andre Seele haben?

Wenn ferner die Seele Körper ist, zum Wesen des Körpers es aber gehört daß wenn er in mehrere Teile geteilt wird, jeder Teil nicht dasselbe ist wie das Ganze – wenn die Seele eine bestimmte quantitative Größe ist, und wenn sie sich dann verringert, ist sie nicht mehr Seele, wie denn jedes Quantitative durch Subtraktion sein bisheriges Sein ablegt –; wenn anderseits ein Ding, das Größe hat, trotz Verringerung des Quantums an Qualität dasselbe bleiben kann, so ist sein Körper-Sein von seinem Quantität-Sein verschieden, und es kann Qualität die ja etwas andres ist als Quantität nur vermöge der Identität bewahren –: wofür werden sich also entscheiden die die Seele als Körper ansehen? Erstlich zu den einzelnen Teilen der Seele die in demselben Leibe ist: soll der einzelne Teil auch Seele sein in gleicher Weise wie die ganze? Und so fort der Teil des Teiles? Dann macht also die Größe für ihr Wesen nichts aus – was sie doch müßte wenn die Seele eine Quantität wäre. (Auch ist sie als Ganzes an vielen Stellen, und das ist für einen Körper unmöglich, daß dasselbe als Ganzes in mehreren Dingen ist und daß der Teil dasselbe ist wie das Ganze.) Wollen sie aber ihre einzelnen Teile nicht Seele nennen, so ergibt sich ihnen eine Seele die aus unseelischen Teilen besteht. Überdies, wenn die Größe jedes einzelnen Seelenteiles begrenzt sein soll nach beiden Richtungen, so kann wenigstens die in Bezug auf Verkleinerung begrenzte nicht Seele sein. Wenn nun aus einer Begattung und einem Samen Zwillinge entstehen, oder auch wie bei den Tieren Mehrlinge, indem der Same sich an viele Stellen (der Gebärmutter) verteilt, und jeder Teil des Samens also ein Ganzes ist: so muß das doch die die lernen wollen belehren, daß dasjenige dessen Teil dasselbe ist wie das Ganze, in seiner Seinsart über dem Quantitativ-sein steht, und notwendig ohne Quantität sein muß; denn so kann es identisch bleiben obgleich es die Quantität los wird, denn es braucht sich nicht zu kümmern um Quantität und Masse, da sein Wesen andrer Art ist. Folglich sind die Seele und die Formkräfte nicht quantitativ.

[6]Daß aber, wenn man die Seele als Körper ansetzt, es unsre Wahrnehmung, unser Denken, unser Wissen nicht geben kann und keine Tugenden und Werte, das wird aus Folgendem klar. Was etwas wahrnehmen soll, das muß seinerseits eine Einheit sein und jeden Gegenstand mit einem und demselben Vermögen erfassen, auch dann wenn durch verschiedene Sinne mehrere Wahrnehmungen nach innen gelangen oder viele Qualitäten die einem einzigen Gegenstand zugehören, wie auch dann wenn durch einen einzigen Sinn eine vielgegliederte Wahrnehmung wie z. B. ein Antlitz eindringt; denn nicht nimmt ein Vermögen die Nase wahr, ein andres die Augen, sondern ein und dasselbe alles zumal. Wenn die eine Wahrnehmung von den Augen, die andre von den Ohren kommt, so muß es Eines geben an das beide gelangen; denn wie könnte der Mensch sonst diese Sinneseindrücke als verschieden ansprechen, wenn sie nicht bei ein und derselben Instanz zusammenträfen? Diese Instanz muß also gewissermaßen das Zentrum sein, und die von allen Seiten kommenden Wahrnehmungen müssen, wie Radien die von einer Kreisperipherie aus zusammentreffen, zu ihm hindringen, und entsprechend muß das Wahrnehmungsorgan wahrhaft eines sein. Wenn es dagegen ausgedehnt wäre und die Wahrnehmungen wie auf die beiden Enden einer Linie träfen, so muß der Eindruck entweder doch wieder an demselben Punkt, etwa der Mitte der Linie, zusammentreffen, oder die beiden Stellen werden verschiedene Wahrnehmung, und jede von einem andren Ding, haben, so als wenn ich und du verschiedenes wahrnehmen. Wenn ferner der Sinneseindruck einheitlich ist, wie z. B. ein Antlitz, so muß er entweder in einen Punkt zusammengefaßt werden – und das ist offensichtlich wirklich so; er wird ja schon in den Pupillen zusammengefaßt, sonst könnte man nicht die größten Gegenstände durch die Pupille sehen; um so mehr werden sie, wenn sie weiter gehen zum Leitenden (Zentralorgan), gleichsam zu teillosen Gedanken – und dann muß dieser Punkt teillos sein; oder, ist das Wahrnehmungsbild quantitativ ausgedehnt, so müßte das Aufnehmende sich mit ihm teilen, so daß jeder Teil einen andern Teil wahrnähme und kein Mensch das Wahrgenommene als ein Ganzes erfassen könnte. Es ist aber das ganze Aufnehmende ein Einheitliches. In welcher Weise sollte es auch zerteilt werden? Es kann dabei doch nicht gleich zu gleich passen, weil das Leitende nicht jedem Wahrnehmbaren gleichgroß ist; in was für Größenabschnitte soll es also zerlegt werden? Etwa in soviel Teile wieviele das eintretende Wahrgenommene an mannigfachen Teilen zählt? Soll dann jeder dieser Seelenteile mit seinen Unterteilen Wahrnehmung haben, oder die Teile der Teile kein Wahrnehmungsvermögen besitzen? Das wäre unmöglich. Soll aber jeder Teil das Ganze wahrnehmen, dann muß, da Größe in unzählige Teile zerlegt werden kann, sich ergeben, daß jeder von jedem Gegenstande unzählige Wahrnehmungen hat, also etwa von demselben Gegenstand unzählige Abbilder in unserem leitenden Organ.

Ferner, ist das Wahrnehmende Körper, so kann das Wahrnehmen nicht anders zustande kommen als ein Siegel, das von einem Petschaft in Wachs abgedrückt wird, ob die Sinneseindrücke nun ins Blut oder in die Luft sich abdrücken. Geschieht das aber wie es in feuchte Körper zu geschehen pflegt, und das wäre das Wahrscheinlichste, dann wird der Abdruck zerrinnen wie in Wasser, und es kann keine Erinnerung geben; bleiben aber die Abdrucke haften, so ist es entweder unmöglich daß andere Eindrücke sich abprägen weil die ersten den Platz besetzen: dann kann es keine andern Wahrnehmungen geben; oder wenn andere Eindrücke entstehen, müssen jene ersten verschwinden: dann kann es wieder keine Erinnerung geben. Da es nun aber Erinnerung gibt und die Möglichkeit eins nach dem andern wahrzunehmen ohne daß die vorigen Wahrnehmungen im Wege stehen, so ist es unmöglich, daß die Seele Körper ist.

[7]Man kann aber auch aus der Wahrnehmung des Schmerzes das Gleiche ersehen. Wenn man sagt daß einem Menschen der Zeh schmerzt, so ist das Wehtun natürlich am Zeh, die Wahrnehmung des Schmerzes aber, das werden sie zweifellos zugeben, hat statt im Leitenden Organ. Wenn also der schmerzende Teil ein andrer ist, nimmt das leitende Organ den Affekt wahr, und die ganze Seele nimmt Teil an diesem Affekt. Wie kommt das zustande? Durch ‘Weitergabe’, behaupten sie, indem zuerst der seelische Hauch am Zeh affiziert werde, dieser dem Nachbar daran Teil gebe, dieser dem nächsten, bis es zum Leitenden gelangt. Wenn also das erste eine Wahrnehmung des Schmerzes hatte, muß notwendig die des zweiten eine andere sein, wenn anders die Wahrnehmung durch ‘Weitergabe’ fortgeleitet wird, und die des dritten wieder eine andre, es müssen also viele, ja unzählige Wahrnehmungen aus der einen Schmerzwahrnehmung entstehen, und das Leitende Organ muß nachher all diese Wahrnehmungen wahrnehmen und obendrein noch seine eigne. In Wahrheit aber wäre jede dieser einzelnen Wahrnehmungen nicht Wahrnehmung des Schmerzes im Zeh, sondern die dem Zeh benachbarte hätte zum Inhalt, daß der Mittelfuß schmerzt, die dritte, daß der nächstobere Teil, und so entständen viele Schmerzempfindungen, und das leitende Organ nähme nicht einen Schmerz am Zeh wahr, sondern einen Schmerz an sich selbst, nur dieser letztere käme ihm zur Kenntnis, die andern aber ließe es auf sich beruhen und wüßte gar nicht daß der Zeh schmerzt. Ist es also unmöglich, daß die Wahrnehmung eines solchen Affekts durch ‘Weitergabe’ entsteht, und kann kein Körper – denn Körper ist bloße Masse – Kenntnis vom Affekt eines anderen haben (denn von jeder Größe ist jeder Teil ein andrer als jeder andere): so muß man das Wahrnehmende solcher Art ansetzen daß es überall in allen Teilen mit sich identisch ist. Das aber kommt einer andern Wesenheit und nicht dem Leibe zu.

[8]Daß aber auch kein Denken möglich wäre, wenn die Seele ein Körper welcher Art immer wäre, läßt sich folgendermaßen zeigen. Wenn nämlich Wahrnehmen ein Begreifen durch die Seele mit Hilfe des Leibes ist, dann kann nicht auch das Denken ein Erfassen vermittels des Körpers sein; sonst wäre es ja dasselbe wie das Wahrnehmen. Ist also das Denken ein Erfassen ohne Körper, so muß erst recht das was denken soll selbst unkörperlich sein. Ferner wenn Gegenstand der Wahrnehmung das Sinnliche, Gegenstand des Denkens das Geistige ist – lehnen sie das ab, nun so gibt es doch wenigstens von gewissen unsinnlichen Dingen ein Denken und von größelosen ein Erfassen: wie kann dann etwas das Größe ist das denken was nicht Größe ist, wie durch das Teilbare das Unteilbare denken? Vielleicht durch einen unteilbaren Teil seiner selbst? Dann braucht das, was denken soll, nicht mehr Körper zu sein; es ist ja zum Erfassen des Gegenstandes gar nicht mehr das Ganze vonnöten, die Berührung mit einem einzelnen Stück reicht ja aus. Wenn sie also wenigstens zugeben, daß die obersten Gedanken, wie es wahr ist, die Dinge zum Gegenstand haben die völlig und gänzlich von Körperlichem rein sind, dann kann auch seinerseits das was den einzelnen Gegenstand denkt, ihn nur erkennen, wenn es vom Körperlichen rein ist oder wird. Behaupten sie aber daß die in der Materie befindlichen Formen Gegenstand des Denkens sind, so können sie es doch erst werden wenn von den Körpern abstrahiert wird, wobei der Gedanke es ist der abstrahiert; denn die abgetrennte Vorstellung Kreis Dreieck Linie oder Punkt schließt die Verbundenheit mit Fleisch und überhaupt Stoff aus. Die Seele muß also ihrerseits bei solchem Verfahren sich vom Körper trennen. Folglich kann die Seele nicht ihrerseits Körper sein.

Ausdehnungslos ist, sollte ich meinen, auch das Schöne und das Gerechte. Folglich auch das Denken von ihnen. Sie muß ihnen also, wenn sie sie heimsuchen, mit ihrem ungeteilten Sein Empfang und Willkomm bereiten, und dann wohnen sie in ihr als teilloser.

Und wie sollen denn, wenn die Seele Körper ist, ihre Tugenden zustande kommen, Zucht Gerechtigkeit Tapferkeit und die anderen? Eine bestimmte Art Hauch oder Blut soll Zucht, Gerechtigkeit oder Tapferkeit sein? oder wohl Tapferkeit die Unempfindlichkeit des Hauches, und Zucht seine gute Mischung? Schönheit aber eine Art Wohlgestalt in Prägungen, dergemäß wir jemand schön und blühend am Leibe nennen? Kraft und schöne Ausprägungen kommen dem Hauch ja wohl zu; aber was hat der Hauch mit der Zucht zu schaffen, hat er nicht im Gegenteil nötig in Umarmung und Berührung sich wohl sein zu lassen wo er warm werden kann oder wohltemperiert ‘nach Kühlung verlangen’, oder sich an weiche zarte glatte Dinge schmiegen? Nach Gebühr aber zu verteilen (Gerechtigkeit), was schiert das den Hauch?

Erfaßt nun aber die Seele die Inbegriffe der Tugend, wie die der andern geistigen Dinge, als ewige, oder wird einem Tugend zuteil und fördert, und schwindet dann wieder? Aber wer wirkt sie dann, und woraus? Dann muß nämlich dies Wirkende seinerseits beharren. Die Tugenden müssen also als ewige und bleibende begriffen werden, so wie die geometrischen Objekte. Sind sie aber ewig und bleibend, so sind sie nicht körperlich. Dann muß aber auch das worin sie sein sollen ebenso sein; also nicht Körper. Denn nicht beharrt, sondern es fließt das körperliche Wesen alles.

[81]Wenn sie aber in Ansehung des Umstandes daß das körperliche Tun Wärme und Kälte, Stoßen und Schwere hervorruft, in diesem Bereich die Seele ansetzen, sie also lokalisieren gewissermaßen im Bereich des Handelns, so verkennen sie dabei erstlich, daß die Körper erst vermöge der ihnen innewohnenden unkörperlichen Kräfte diese Wirkungen hervorbringen; zweitens ist zu bedenken, daß nach unserer Auffassung nicht diese Kräfte der Seele zugehörig sind, sondern Denken, Wahrnehmen, Überlegen, Begehren, verständige und edle Vorsorge: alles Dinge die eine andre Substanz voraussetzen. Wenn sie aber die Kräfte des Unkörperlichen auf die Körper übertragen, so lassen sie für das Unkörperliche keine Kraft mehr nach. Daß vielmehr umgekehrt die Körper vermittels unkörperlicher Kräfte vermögen was sie vermögen, wird folgendermaßen deutlich. Sie werden zugeben daß Qualität und Quantität etwas verschiedenes ist, ferner daß jeder Körper quantitativ ist (weiter aber, daß nicht jeder Körper qualitativ ist, so die Materie); mit diesen Zugeständnissen geben sie zugleich zu, daß die Qualität, da sie verschieden ist von der Quantität, auch verschieden ist vom Körperlichen; denn da sie nicht quantitativ ist, kann sie nicht Körper sein, wenn anders jeder Körper quantitativ ist. Wenn ferner, wie oben schon gesagt wurde, jeder Körper und jede Masse durch Teilung seinen früheren Zustand verliert, dagegen aber, wenn der Körper zerschlagen wird, die Qualität bei jedem Teile die gleiche, ganze bleibt, z. B. die Süßigkeit des Honigs um nichts minder Süßigkeit bleibt an jedem einzelnen Teil des Honigs, so kann die Süßigkeit nichts Körperliches sein … ebenso die übrigen Qualitäten. Ferner, wären die qualitativen Kräfte Körper, so müßten notwendig die starken Qualitäten große Masse, die mit geringerer Wirkungskraft kleine Masse haben. Da es aber große Massen von kleiner Qualitätskraft, dagegen kleine und kleinste Massen von sehr großer qualitativer Kraft gibt, so ist die Wirkung einem andern als der Größe zuzuschreiben: also dem Größelosen. Der Tatbestand ferner, daß die Materie ein und dieselbe ist – und zwar nach ihrer Behauptung ein Körper –, dabei aber die verschiedensten Wirkungen hervorbringt wenn die Qualitäten zu ihr hinzutreten, muß doch deutlich machen, daß das Hinzutretende unstoffliche, größelose Begriffe sind.

Sie sollen auch nicht einwenden, daß das Lebewesen ja stirbt, wenn der Hauch oder das Blut es verläßt. Denn wie ohne diese beiden, so kann man auch ohne vieles andere nicht leben, und doch ist keines von dem darum Seele.

Ferner: weder Hauch noch Blut durchdringt den ganzen [82]Körper, sondern nur die Seele. Wäre nun die Seele die alles durchdringt, ein Körper, so wäre sie dem Durchdrungenen beigemischt so wie bei den andern Körpern die Mischung stattfindet. Da nun aber die Mischung der Körper keinem von den vermischten Dingen die Aktualität beläßt, so könnte die Seele nicht mehr aktual in den Körpern sein, sondern nur potential, und verlöre ihr Seele-sein; so wie bei einer Mischung von Süß und Bitter das Süß nicht mehr süß ist. Dann hätten wir also keine Seele.

Ist sie aber Körper und dem Körper ‘durch und durch’ beigemischt, wobei der eine Mischungsbestandteil an derselben Stelle wie der andre sein soll, indem beide Bestandteile der Mischung die gleiche Masse, den gleichen Raum einnehmen und keine Vermehrung durch Hinzufügung des andern eintreten soll, so läßt diese Mischung nichts Unzerstücktes nach. Denn die Mischung geschieht nicht in großen Stücken nebeneinander – das nennen sie ‘Anhäufung’ – sondern durch den ganzen Körper dringt das Hinzutretende, auch wenn es kleiner ist; was unmöglich ist, daß das Kleinere dem Größeren an Ausdehnung gleich wird – gut aber, es durchdringt ihn ganz, und damit zerstückt es ihn überall; soll es ihn also Punkt für Punkt zerstücken und soll kein Stück Körper dazwischen unzerstückt bleiben, dann muß notwendig die Aufteilung des Körpers bis zu Punkten gehen; und das ist unmöglich. Geht aber die Zerstückung bis ins Unendliche (denn wie klein man sich einen Körper vorstellt, immer ist er noch teilbar), dann müßte das Unendliche nicht nur potential sondern auch aktual existieren. Es ist also nicht möglich, daß ein Körper einen andern durch und durch durchdringt; die Seele tut es: folglich ist sie unkörperlich.

83Die Behauptung ferner, daß derselbe Hauch zunächst nur vegetative Kraft war, und erst als er (bei der Geburt) ins Kalte kam und wie Stahl ‘abgeschreckt’ wurde, Seele wurde, indem sie nämlich im Kalten sich verdünnte – eine Behauptung die ja schon an sich unsinnig ist, denn viele Lebewesen werden im Warmen geboren und haben also eine Seele die nicht durch Abkühlung entstanden ist – gut aber, sie behaupten daß das Vegetative früher als die Seele ist die erst durch die außen (außerhalb des Mutterleibes) eintretenden Umstände entstehe. So geraten sie dahin das Geringere zuerst entstehen zu lassen, und davor noch ein Geringeres, das sie ‘Zuständlichkeit’ nennen, der Geist aber ist erst das letzte, da er nämlich erst von der Seele her entsteht. Wenn aber der Geist vor allem ist, dann mußte man erst nach ihm die Seele entstehen lassen, dann die vegetative Kraft, und immer als nächstes das Geringere, wie es seiner Natur entspricht. Wenn so auch der Gott, entsprechend dem Geist, für sie später ist und geworden, und den Geist erst als nachträgliche Zutat besitzt, dann wäre es möglich daß weder Seele noch Geist noch Gott überhaupt existierte, da das Potentiale, wenn das Aktuale nicht vorher existiert, nicht vorhanden sein und nicht zur Aktualität gelangen kann. Denn was sollte es dazu bringen, wenn nicht vorher ein andres als es existiert? Soll es sich selbst zur Aktualität bringen, was ein Unding ist, aber gut: so muß es auf ein Vorbild sich dabei richten, und das kann nicht potential, sondern nur aktual sein. Freilich, wenn das Potentiale die Eigenschaft haben soll immer das Nämliche zu bleiben, dann kann es sich nach seinem eigenen Vorbild in die Aktualität überführen; dabei muß dies Nämliche dann aber stärker sein als das Potentiale, da es gleichsam Gegenstand seines Strebens ist. Früher also ist das Höhere, das ein vom Körper verschiedenes Wesen hat und immer in Aktualität ist; früher ist also auch Geist und Seele als die vegetative Kraft. Die Seele steht also anders als der Hauch und als der Körper.

Daß die Seele nicht als Körper angesehen werden darf, darüber ist von andern noch andres ausgeführt, aber das Gesagte mag [84]genügen. Da sie also von anderm Wesen ist, muß untersucht werden, von welchem. Ist sie etwa ein Anderes als der Körper, aber doch ein Etwas des Körpers, etwa seine Fügung (Harmonie)? Während die Pythagoreer diese in einem andern Sinn verstanden, hat man geglaubt es sei das etwas wie die Harmonie der Saiten. Denn wie dort bei der Spannung der Saiten etwas hinzutritt, eine Art Affektion der Saiten, eben die Harmonie: in derselben Weise bringe, da unser Körper aus einer Mischung ungleicher Bestandteile bestehe, deren so und so bestimmte Mischung Leben und Seele hervor, welche die an der Mischung anfallende Affektion sei.

Gegen diese Lehre ist schon vieles zum Erweis ihrer Unmöglichkeit geltend gemacht worden. So, daß die Seele das Frühere ist, die Harmonie aber das Spätere; daß die Seele herrscht und dem Körper gebietet und vielfach mit ihm uneins ist, was sie nicht könnte, wenn sie seine Harmonie wäre; daß die Seele Substanz, die Harmonie nicht Substanz ist; daß die Mischung der Körper, aus denen wir bestehen, wenn sie in guter Proportion ist, Gesundheit ist (also nicht Seele); daß an den einzelnen Teilen des Körpers, die doch verschieden gemischt sind, verschiedene Seelen sein müßten, so daß es viele Seelen (in einem Körper) geben müßte; und das Wichtigste: daß dann notwendig vor dieser Seele eine andre vorhanden sein müßte die diese Harmonie erzeugt, so wie bei den Instrumenten der Musiker, der den Saiten die Harmonie eingibt und die Proportion, nach der er sie abstimmt, von sich aus mitbringt. Denn sowenig dort die Saiten von sich aus, so können hier die Leiber sich selbst in Harmonie versetzen. Überhaupt aber: auch diese Lehre läßt aus Unbeseeltem Beseeltes entstehen und aus Ungeordnetem zufällig Geordnetes, und statt die Ordnung aus der Seele läßt sie vielmehr die Seele aus zufälliger Ordnung zur Existenz kommen. Das ist aber weder bei den Einzeldingen noch im All möglich. Folglich ist die Seele nicht Harmonie.

[85]In welchem Sinne aber die Seele als Entelechie bezeichnet wird, versteht man folgendermaßen. Die Seele, sagt diese Lehre, verhält sich in dem Zusammengesetzten zum Körper wie die Form zum Stoff; sie ist aber nicht Form eines beliebigen Körpers und nicht sofern er bloß Körper ist, sondern eines ‘naturhaften’, ‘organischen’, ‘der potential Leben hat’. Ist sie dabei nun dem angeglichen mit dem sie verbunden ist, wie die Form einer Statue dem Erz, so muß die Seele, wenn der Körper zerlegt wird, mit geteilt werden, und wenn ein Teil abgehauen wird, muß auch bei dem Abgehauenen ein Teil der Seele sein. Dann kann auch die Entrückung der Seele im Schlaf nicht stattfinden, wenn anders die Entelechie fest verbunden sein soll mit dem dessen Entelechie sie ist; in Wahrheit aber könnte es nicht einmal Schlaf geben. Wenn sie ferner Entelechie ist, könnte die Vernunft nicht den Begierden entgegentreten, sondern die Seele müßte als ganze immer nur einer einheitlichen, gleichmäßigen, widerspruchslosen Affektion unterliegen. Wahrnehmungen könnte es vielleicht geben, Gedanken aber unmöglich. Weshalb sie denn auch selbst eine andere Seele einführen, den Geist, welchen sie als unsterblich setzen. Die überlegende Seele muß also in einem andern Sinn als diesem Entelechie sein, wenn überhaupt dieser Ausdruck zur Anwendung kommen soll. Die wahrnehmende Seele ferner trägt in sich Abdrücke von den Wahrnehmungsobjekten auch wenn sie nicht da sind; sie können also nicht an die Gemeinschaft mit dem Körper gebunden sein; sonst müßten sie in ihr sein wie eingeprägte Formen und Abbilder; dann aber wäre es unmöglich andre aufzunehmen. Die Wahrnehmungsseele ist also nicht Entelechie in dem Sinne daß sie untrennbar vom Körper sei. Ferner das Begehrende, das nicht nach Speis und Trank sondern nach anderem, Überkörperlichem verlangt, auch es kann nicht untrennbare Entelechie sein. Es bleibt also das Vegetative, bei welchem man zweifeln könnte ob es nicht in der genannten Weise untrennbare Entelechie ist. Aber auch das ist offenbar nicht so. Da nämlich der Ursprung jeder Pflanze in der Wurzel sitzt und die Seele bei vielen Pflanzen auch wenn der übrige Körper vertrocknet in der Wurzel und den unteren Teilen verbleibt, so hat sie offenbar die andern Teile verlassen und sich in einem Teil zusammengezogen; folglich ist sie nicht als untrennbare Entelechie in dem Ganzen. Anderseits ist sie, bevor die Pflanze wächst, in der kleineren Masse. Geht sie also aus einer Pflanze die größer ist, in eine die kleiner wird und anderseits aus einem kleinen Raum in die ganze Pflanze, warum soll sie dann nicht auch sich gänzlich abtrennen können? Ferner, da die Seele teillos ist, wie kann sie des teilbaren Körpers Entelechie werden? Ferner: dieselbe Seele gehört mehreren Lebewesen nacheinander an. Wie kann die des ersteren die des zweiten werden, wenn sie die Entelechie von einem war? (Dieser Einwand wird deutlich an den Lebewesen die sich in andre Lebewesen verwandeln.)

Die Seele hat ihre Existenz also nicht dadurch daß sie die Form von etwas ist, sondern sie ist Wesenheit indem sie dies ihr Sein nicht empfängt durch ihr Gegründetsein auf den Körper, sondern indem sie existiert, schon bevor sie gerade diesem bestimmten Lebewesen angehört. Mithin kann der Leib die Seele nicht erzeugen (?)

Welches ist nun also ihr Wesen? Ist sie denn weder Körper noch eine Affektion des Körpers, sondern Handeln und Schaffen und viel ist in ihr und wird aus ihr, was für eine Wesenheit ist sie dann, da sie eine außerkörperliche ist? Offenbar die, die wir im eigentlichen Sinne Seinsheit nennen. Denn alles Körperliche darf man Werden nennen nicht Sein, ‘werdend und vergehend, niemals aber wahrhaft seiend’; nur durch Teilhabe am Seienden wird es erhalten, soweit es denn daran teilhaben kann. Die[9] andre Wesensart aber, die von sich selbst das Sein hat, sie ist all das wahrhaft Seiende, welches nicht wird noch vergeht: sonst müßte alles andere vergehn und würde nicht wieder entstehen können, wenn das dahin ist, das allem Erhaltung gewährt, dem Andern wie insbesondere dieser unserer Welt, welche durch die Seele erhalten und zum Organismus wird. Denn die Seele ist der Urbeginn der Bewegung und verleiht erst allem Anderen Bewegung, während sie selbst sich aus sich selber bewegt; sie gibt dem beseelten Leib erst das Leben, welches sie selbst von sich aus hat und niemals verliert, da sie’s von sich selber hat. Denn nicht alles kann ein nachträglich hinzutretendes Leben haben, sonst geht die Reihe ins Unendliche; sondern es muß eine Wesenheit geben die ursprünglich lebt, welche mit Notwendigkeit unvergänglich, unsterblich sein muß, da sie für die andern der Urgrund des Lebens ist. Daselbst muß denn auch das Göttliche alles, das Selige, seinen Platz haben, welches von sich aus Leben hat und von sich aus ist, da es ursprünglich ist und ursprünglich Leben hat, jedes Wesenswandels überhoben, nicht werdend und nicht vergehend; woraus sollte es denn auch werden oder wohin vergehen? Und wollen wir ernstmachen mit der Bezeichnung ‘sein’, so darf das Seiende nicht bald sein bald nicht sein; wie auch das Weiße, die Farbe als solche, nicht bald weiß bald nicht weiß sein kann; und wäre das Weiße so wie es weiß ist auch seiend, so wäre es immer, aber es hat nur die Weiße. Was aber von sich aus und ursprünglich Sein hat, das muß immer seiend sein. Dies Seiende nun, das ursprünglich und immer ist, kann nicht ein toter Körper sein wie Stein oder Holz, sondern muß ein Lebendes sein; und zwar muß das Stück von ihm, das für sich allein bleibt, reines Leben haben; das Stück, das sich mit dem Niederen mischt, hat darin allerdings eine Hemmung des höchsten Lebens, aber sein eignes Wesen geht ihm darum mit nichten verloren, es nimmt die ursprüngliche Lebensform wieder auf wenn es wieder zu seinem eigenen Bereich aufsteigt.

[10](Daß die Seele der göttlichen Wesenheit verwandt ist und dem Ewigen, das geht auch daraus hervor, daß sie, wie man gezeigt hat, nicht Körper ist. Ferner: ‘sie hat keine Gestalt, keine Farbe und läßt sich nicht ertasten’. Aber man kann es auch auf folgende Weise zeigen.)

Da uns jetzt also feststeht, daß alles Göttliche und wahrhaft Seiende gutes und vernunfthaftes Leben hat, so müssen wir als nächstes prüfen, welcher Art unsere menschliche Seele ist. Nehmen wir die Seele nicht wie sie im Leibe mit unvernünftigen Begierden und Wallungen versetzt ist und andern Affektionen Einlaß gab, sondern wie sie dies von sich abstreift und soweit möglich nicht dem Leibe sich gesellt. An ihr wird es deutlich, daß das Böse ein Zusatz ist für die Seele und anderswoher stammt, wenn sie sich aber rein macht, ist in ihr das Edelste, Einsicht und die andere Tugend, und das ist ihr angestammter Besitz. Ist also die Seele, wenn sie zu sich selbst aufsteigt, solcher Art, so muß sie ja von jener höheren Art sein wie wir sie dem Göttlichen und Ewigen allein zuschreiben. Denn Einsicht und wahre Tugend, die göttlich sind, können sich nicht wohl in einem minderwertigen und sterblichen Ding befinden, sondern ein solches Ding muß göttlich sein, da es Teil hat am Göttlichen zufolge angestammter Verwandtschaft, Wesensgleichheit. Weshalb auch, wer von uns solcher Art ist, nur ein weniges vom Oberen abweicht was die Seele selbst angeht, und nur um das Stück, das im Leibe ist, geringer ist. Daher denn, wenn jeder Mensch solcher Art wäre oder doch eine größere Zahl solche Seelen hätte, keiner so ungläubig wäre daß er nicht glaubte daß das Seelische im Menschen durchaus unsterblich ist. So aber, wo sie sehen daß die Seele der meisten Menschen auf tausend Weisen verstümmelt ist, können sie sich nicht vorstellen, sie sei ein göttliches, ein unsterbliches Ding. Man muß aber, will man das Wesen eines Dinges erkennen, auf sein reines Sein blicken, denn Zusätzliches ist immer hinderlich für die Erkenntnis dessen dem es zugesetzt ist. Prüfe sie also indem du das ausscheidest, oder vielmehr: man scheide es aus und blicke auf sich selbst, dann wird man vertrauen unsterblich zu sein, wenn man erschaut, wie man selbst ins Geistige, Reine eintritt. Man wird nämlich den Geist sehen wie er schaut – nichts Sinnliches, nichts von unsern sterblichen Dingen, sondern mit dem Ewigen das Ewige erkennt, all die Dinge im geistigen Kosmos, wobei er selbst auch seinerseits zu einem geistigen, lichthaften Kosmos wird, erleuchtet von der Wahrheit, die von dem ‘Guten’ kommt, welches über allen geistigen Wesen strahlt. Da wird dann jenes Wort ihm immer wieder treffend scheinen: ‘Heil euch! Ich aber bin unsterblicher Gott’, nämlich im Aufstieg zum Göttlichen und im unverwandten Blicken auf die Gleichheit mit ihm.

Wenn so die Reinigung uns des Herrlichsten in der Seele inne werden läßt, so wird auch sichtbar wie die Wissenschaften drinnen in der Seele liegen, diejenigen welche denn im wahren Sinne Wissenschaften sind; denn nicht irgendwo draußen schweifend erschaut die Seele Zucht und Gerechtigkeit und Wissenschaft, sondern bei sich selbst, in dem Innewerden ihres eignen Wesens und ihres früheren Zustandes, sie sieht gleichsam Standbilder in sich errichtet, die durch die Zeit von Rost befleckt sind, und sie macht sie wieder rein; wie wenn Gold beseelt wäre und ausstieße was an Schlacke in ihm ist: vorher kannte es sich nicht selbst als es das Gold nicht sah, dann aber, wenn es sich für sich allein sähe, würde es staunen über die Pracht und innewerden daß es keine von außen kommende Schönheit brauchte, da es von selber herrlich ist wenn man es nur rein für sich sein läßt.

[11]Daß ein solches Ding unsterblich ist, welcher Verständige könnte daran noch zweifeln? Ihm wohnt ja aus sich selbst Leben bei, welches unmöglich vergehen kann, denn es ist nicht nachträglich erworben; wiederum hat es auch die Seele nicht derart wie dem Feuer die Wärme beiwohnt. Ich meine das nicht in dem Sinne daß die Wärme eine nachträgliche Zutat zum Feuer sei; aber wenn auch nicht zum Feuer, so doch zu dem dem Feuer zugrundeliegenden Stoff; durch ihn geht denn auch das Feuer zu Ende. Die Seele aber hat ihr Leben nicht in dem Sinne daß sie als Stoff zugrundeliegt, dann das Leben in sie kommt und sie damit erst zur Seele macht. Denn entweder ist das Leben Substanz und die Seele ist eine solche Substanz die von sich selbst aus lebt: das ist das was wir suchen, und dessen Unsterblichkeit müssen sie zugeben; sonst müssen sie auch das wieder als zusammengesetzt auflösen, bis sie schließlich doch zu einem Unsterblichen gelangen das von sich selbst bewegt wird; und dem ist nicht beschieden dem Todeslose zu verfallen; oder wenn sie das Leben als eine erst zum Stoff hinzutretende Affektion ansehen, dann sind sie gezwungen eben dem die Unsterblichkeit zuzubilligen von dem her diese Affektion in den Stoff gekommen ist; denn das kann dem Gegenteil von dem was es hinzubringt nicht ausgesetzt sein. Aber es gibt ja eine einheitliche Wesenheit, die aktual Leben hat.

[12]Und ferner, wenn sie jede Seele vergänglich sein lassen, so müßten längst alle Dinge zu Grunde gegangen sein. Lassen sie aber nur einige Seelen sterblich sein und andre nicht, also z. B. die Allseele unsterblich, die menschliche nicht, dann müssen sie dafür einen Grund angeben. Denn bewegendes Prinzip ist eine wie die andre, beide haben von sich aus Leben, beide ergreifen mit demselben Organ dasselbe, indem sie denken was im Himmel ist oder noch jenseits des Himmels, indem sie aufsuchen alles was wesenhaft ist und aufsteigen bis zur ersten Ursache.

Ferner wird der Seele von sich aus vermöge dessen was sie in sich erschaut und vermöge der Wiedererinnerung Erkenntnis des Wesens der Einzeldinge zuteil, und das gibt ihr eine Existenz die vor dem Körperlichen liegt, ein ewiges Sein, da sie ewige Erkenntnisse zu eigen hat.

Alles Auflösbare ferner muß seiner Natur nach, da es durch Zusammensetzung zur Existenz gelangt ist, sich in demselben Sinne auflösen in dem es zusammengesetzt wurde. Die Seele aber ist eine einheitliche und einfache Wesenheit, die aktual Leben hat; sie kann also nicht auf diesem Wege zu Grunde gehen. – ‘Aber dann könnte sie doch durch Teilung und Zerstückung vernichtet werden’. – Aber die Seele ist wie gezeigt keine Masse und nichts Quantitatives. – ‘Dann wird sie durch Veränderung ihren Untergang finden’. – Aber eine Veränderung, die vernichtet, benimmt die Form und beläßt den Stoff; das aber widerfährt nur einem Zusammengesetzten. Wenn sie also auf keine dieser Weisen vergehen kann, ist sie notwendig unvergänglich.

[13]Warum geht nun aber, da das Geistige abgetrennt ist, die Seele in den Leib ein? Soweit der Geist für sich allein ist, verharrt er ewig ohne Affektion oben in der geistigen Welt, ein rein geisthaftes Leben führend; denn es ist kein Trieb in ihm und kein Trachten. Das aber bei dem das Trachten hinzutritt – es folgt dem Oberen, dem Geist als nächste Stufe –, das schreitet durch das Hinzutreten des Trachtens nunmehr gewissermaßen aus sich heraus ins Weite, von dem was es im Geist sah ist es gleichsam trächtig, hat Zeugungsdrang und den Trieb die Dinge zu ordnen nach dem Bilde dessen was es im Geiste sah; so wird es eifrig zum Hervorbringen, zur Schöpfung. Aus diesem Eifer streckt sich die Seele zum Sinnlichen; in der Gemeinschaft mit der Allseele ragt sie hinaus über das was sie verwaltet und nimmt Teil an der Fürsorge für das All, mit einem Teil aber will sie walten und ordnen, sie sondert sich ab und geht in das ein worin sie ist; sie wird aber dabei nicht ganz und gar des Leibes, sondern behält noch ein Stück außerhalb seiner. Also ist auch ihr Geist nicht den Affektionen verfallen. Sie selbst aber ist bald im Leibe bald außer ihm, sie nimmt ihren Ausgang von den Ersten Dingen und schreitet vor bis hinab zu den Dritten, den irdischen Dingen durch Wirksamkeit des Geistes, welcher beharrt im gleichen Sein und dabei mittels der Seele alles anfüllt mit Schönem und ordnet, er ist unsterblich durch sie, die unsterblich ist so wahr er selbst ewig seiend ist durch nie aufhörendes Wirken.

[14]Was aber die Seelen der andern Lebewesen angeht, so müssen auch die Seelen, die zu Fall gekommen sind und hinabgerieten bis in Tierleiber, notwendig unsterblich sein. Und gibt es noch eine andre (niedrigere) Art von Seele, so kann auch die nur von der wahrhaft lebenden Wesenheit kommen, denn auch sie ist den betreffenden Lebewesen Ursache des Lebens; und ebenso selbst die Seele in den Pflanzen. Denn sie alle sind ausgegangen von dem gleichen Urgrund und haben alle ein wesenseigenes Leben; auch sie sind unkörperlich und unteilbar und Substanzen.

Wollen sie aber behaupten daß die menschliche Seele, da sie dreiteilig ist, infolge dieser Zusammensetzung sich auflösen wird, so antworten wir, daß die reinen, wenn sie vom Leibe scheiden, zurücklassen was ihnen bei der Geburt angeklebt wurde, die andern aber für länger mit ihm zusammen sein werden; das Geringere aber, losgelassen, wird ebenfalls nicht zu Grunde gehen, solange es das gibt das für es Prinzip ist. Denn nichts kann aus dem Seienden getilgt werden.

[15]Damit ist gesagt, was an die gerichtet werden mußte die Beweise wollen. Für die aber, die einen Glauben wollen der sich auf Augenscheinlichkeiten stützt, ist das was sie brauchen auszuwählen aus der Überlieferung von solchen Dingen, die reichlich fließt. So die Orakel der Götter, die geboten den Zorn beleidigter Seelen zu versöhnen, Toten Ehre zu erweisen, die also davon eine Empfindung haben müssen; wie denn auch alle Menschen tun gegenüber den Abgeschiedenen. Und viele Seelen, die vorher in Menschen waren, haben auch nach dem Austritt aus dem Leibe nicht abgelassen, den Menschen Gutes zu tun: sie haben Orakelstätten gestiftet und bringen mit ihren Prophezeiungen sonst Nutzen, zeigen aber auch so durch ihr eigenes Beispiel, daß auch die andern Seelen nicht ausgelöscht sind.

Schriften in deutscher Übersetzung

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