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Geist, Ideen und Seiendes

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Alle Menschen gebrauchen gleich von Geburt an die Sinne, vor dem Geist, und treffen notwendigerweise zuerst auf das sinnlich Wahrnehmbare. Manche nun bleiben ihr ganzes Leben hindurch hier stehen, sie halten das Sinnliche für das Erste und Letzte, das Angenehme und das Schmerzerregende welches im Sinnlichen ist bedeutet ihnen das Gute und das Schlechte, und so halten sies für genug ihr Leben zu verbringen indem sie jenem nachjagen und dies von sich fernhalten; die von ihnen auf Rechtfertigung Wert legen, nennen das sogar Weisheit. Sie gleichen schweren Vögeln, die zuviel von der Erde aufgenommen haben das sie beschwert, und nun nicht hoch fliegen können, obgleich die Natur ihnen Flügel gab. Andere gibt es, die erheben sich ein kleines Stück über die niedere Welt, indem der bessere Teil ihrer Seele sie vom Angenehmen zum Schöneren hintreibt; aber da sie nicht im Stande sind das Obere zu erblicken, so sinken sie, weil sie keinen andern Grund haben auf dem sie stehen können, mitsamt dem Worte Tugend, das sie im Munde führen, hinab zum praktischen Handeln, das heißt zum Auswählen unter eben jenen irdischen Dingen, über die sich hinaufzuheben sie zunächst unternommen hatten. Eine dritte Klasse endlich sind gottbegnadete Menschen, die von stärkerer Kraft sind und ein schärferes Auge haben, daher sehen sie sozusagen wie Fernsichtige den Glanz dort oben und heben sich dort hinauf gleichsam über die Wolken und den Dunst der irdischen Welt hinweg, und verbleiben dort in der Höhe, achten das Irdische alles gering und erquicken sich an jenem Orte welcher der wahre und ihnen angestammte ist, so wie ein Mensch, der nach langer Irrfahrt in seine von guten Gesetzen regierte Heimat zurückkehrt.

[2]Was ist das nun für ein Ort, und wie kann man dorthin gelangen? Dahingelangen mag der seiner Anlage nach vom Eros Bewegte, der in seiner Haltung ursprünglich und im wahren Sinne des Wortes ein Philosoph ist; er ist dem Schönen gegenüber, als Erotiker, von Zeugungsdrang erfüllt, gibt sich aber nicht zufrieden mit der leiblichen Schönheit, sondern flieht von ihr hinauf zu den Schönheiten der Seele, Tugenden Wissenschaften Tätigkeiten Recht Sitte, und von dort steigt er ein zweites Mal hinauf, zu der Ursache des Schönen in der Seele, und dann weiter zu dem was etwa noch darüber liegt, bis er am Ende zum Ersten gelangt, welches aus sich selbst schön ist; ist er dort angelangt, wird er des Zeugungsdranges ledig, vorher nicht.

Aber wie soll er diesen Aufstieg bewerkstelligen, woher kommt ihm die Kraft dazu, und welche Überlegung soll diesen Eros unterweisen und leiten? Nun, die folgende. Die Schönheit hier an den Leibern ist nur von außen an die Leiber herangebracht; denn sie ist die Form der Leiber, die an ihnen sitzt wie an einer Materie; denn die Unterlage verändert sich ja und wird aus schön häßlich; also, folgert diese Überlegung, ist sie nur durch Teilhabe schön. Und was ist das nun, was einen Körper schön macht? Es ist in einem Sinne die Anwesenheit von Schönheit, oder, in anderer Hinsicht, die Seele, sie hat ihn gestaltet und diese bestimmte Form in ihn gesandt. Aber die Seele, ist sie denn aus sich selbst schön? Das nicht; dann könnte nicht eine Seele einsichtig und damit schön, die andere unvernünftig und häßlich sein. Mithin beruht das Schöne in der Seele auf Einsicht. Und wer ist es, der der Seele Einsicht verleiht? Nun, notwendigerweise der Geist. Vom Geist aber gilt, daß er nicht bald Geist, bald Nichtgeist ist, wenigstens vom wahrhaftigen; folglich ist der Geist aus sich selbst schön. Muß man nun bei ihm als dem Ersten haltmachen, oder ist es vielmehr so daß man noch über den Geist hinaus emporschreiten muß, und daß der Geist allerdings von uns aus gesehen das Erste Prinzip überdeckt, gleichsam in der Vorhalle des Guten postiert uns in sich Botschaft bietet über alles was in jenem ist, wie als ein Abdruck von Jenem, der in größerer Vielheit ist, während jenes gänzlich im Einssein verharrt?

[3]So gilt es denn dies Wesen Geist zu prüfen, von welchem unsere Überlegung verspricht daß es das eigentlich Seiende, die wahre Seinsheit sei; nur ist zuvor noch auf einem andern Wege zu sichern, daß es ein Wesen von dieser Art geben muß. Es mag ja lächerlich sein auch nur die Frage zu stellen, ob es in der Welt einen Geist gibt; aber es gibt wohl Leute die selbst das bestreiten. Weit umstrittener aber ist es, ob der Geist von der Art ist wie wir es lehren, ob er eine vom Sinnlichen abgetrennte Existenz hat, ob er das Seiende ist und ob in ihm die Wesenheit der Ideen ihren Sitz hat; Fragen also, die zu behandeln uns eben jetzt obliegt.

Alles von dem man sagt es sei, treffen wir an als zusammengesetzt, keines als einfach, weder die einzelnen Gegenstände welche die Künste hervorbringen noch das was von Natur geworden ist. Die künstlichen Erzeugnisse enthalten Erz oder Holz oder Stein, aber damit sind sie noch nicht fertig, erst muß die Kunst, je nachdem, eine Statue, ein Bett, ein Haus daraus machen, indem sie dem Stoff die Form, über welche sie verfügt, einsetzt. Ebenso wird man die von Natur gewordenen Dinge, soweit sie vielfach zusammengesetzt, also sogenannte ‘Verbindungen’ sind, zerlegen in die einzelnen Glieder der Verbindung und in die Gestalt die auf all diesen einzelnen Gliedern ist, zum Beispiel den Menschen in Seele und Leib. Und dann den Leib in die vier Elemente; wenn man dann findet daß jedes einzelne Element aus Materie und einem sie Formenden zusammengesetzt ist – denn von sich aus ist die Materie der Elemente ungeformt –, so wird man untersuchen woher diese Gestalt in die Materie kommt. Und bei der Seele wird man wiederum fragen, ob sie bereits zu den einfachen Wesenheiten gehört, oder ob es auch in ihr etwas wie Materie und dann die Form gibt, nämlich den Geist in ihr, welcher einerseits dieselbe Rolle spielt wie die Form die am Erz der Statue sitzt, anderseits wie der Künstler welcher die Form dem Erz eingegeben hat. Das gleiche wird man dann auch auf die Weltseele übertragen, auch hier wird man aufsteigen zum Geist und ihn als wahren Schöpfer und Werkmeister ansetzen; man wird behaupten müssen, daß die Unterlage erst durch Aufnahme von Formen zu Feuer Wasser Luft oder Erde geworden ist, daß aber diese Formen von einem andern herkommen, und das sei die Seele; die Seele hat dann weiterhin den vier Elementen erst die Form des Kosmos geschenkt. Und sie wieder ist vom Geist mit den rationalen Formen ausgestattet worden, so wie erst aus der Kunst in die Seele des Künstlers die Formen für sein Schaffen kommen; der Geist aber ist von der einen Seite selbst die Idee der Seele, soweit er ihre Form ist; anderseits aber verleiht er wie der Schöpfer einer Statue der Seele die Form, so daß in ihm selbst alles vorhanden ist was er mitteilt. So steht, was die Seele schenkt, der wahren Wirklichkeit nahe, was aber der Körper dann aufzunehmen vermag, das sind nur mehr Schatten und Nachbilder.

[4]Warum muß man aber noch über die Seele emporsteigen und kann sie nicht selbst als das Erste ansehen? Erstlich ist der Geist verschieden von der Seele, und zwar etwas Höheres; das Höhere aber ist von Natur das Erste. Denn keineswegs bringt die Seele, wie man glaubt, wenn sie zur Reife gelangt ist, den Geist hervor. Denn wie kann das Potentiale zur Aktualität gelangen, wenn nicht eine Ursache da ist die es in die Aktualität überführt? Ist das bloßer Zufall, so besteht auch die Möglichkeit daß es nicht zur Aktualität gelangt. Deshalb muß man das Erste als in Aktualität befindlich ansetzen und als autark und vollendet, das Unvollendete dagegen als später von ihm kommend, welches aber vollendet wird von eben den Wesenheiten die es hervorgebracht haben, die wie ein Vater der Vollendung zuführen was sie zunächst unvollendet hervorbrachten. So muß man die Seele im Verhältnis zu ihrem Hervorbringer, dem Ersten, zunächst als Materie ansehen, die erst dann Form annimmt und fertig wird.

Da ferner die Seele ja unter Einwirkungen zu leiden hat, es aber etwas keinen Einwirkungen Unterliegendes geben muß – denn sonst müßte mit der Zeit alles zu Grunde gehen –, so muß es etwas vor und über der Seele geben. – Da ferner die Seele in der Welt lebt, es aber auch etwas außerhalb der Welt geben muß, so ergibt sich auch auf diesem Wege daß es etwas vor der Seele geben muß; denn da in der Welt sein im Leibe und in der Materie sein heißt, so könnte dann nichts dasein was mit sich identisch bleibt; dann könnte also die Idee Mensch und überhaupt die begrifflichen Formen nicht ewig sein und dieselben bleiben.

Daß es einen Geist geben muß, der vor und über der Seele ist, kann man aus den angeführten und aus noch vielen anderen Beweisen folgern.

[5]Wenn wir mit der Bezeichnung ‘Geist’ Ernst machen wollen, so dürfen wir ihn nun nicht auffassen als das potential Geistige, welches aus der Unvernunft erst geistig wird (wir müßten ja sonst nach einem zweiten Geist über diesem suchen), sondern als den der aktual und ewig Geist ist. Ist ihm aber die Vernunft keine nachträgliche Zutat, so stammt das was er denkt, aus ihm selbst, und was er hat, hat er aus sich selbst. Denkt er aber aus sich und von sich selbst, so ist er selbst das was er denkt. Denn wenn sein Sein etwas für sich wäre, und das was er denkt von ihm verschieden, dann müßte seine Wesenheit als solche Nichtgeist sein; und dann wäre er wieder nur potential und nicht aktual der Geist. Man darf mithin das eine nicht vom andern sondern, wir haben uns das nur vom Irdischen her angewöhnt, auch das Obere uns gesondert vorzustellen.

Was ist nun seine Wirksamkeit (Aktualität) und was denkt er, damit wir ihn als das ansetzen können, was er denkt? Nun es ist klar, da er seinshaft Geist ist, denkt er das wesenhaft Seiende und bringt es zum Dasein. Er ist also das Seiende. Denn er muß es entweder als anderswo Seiendes denken oder als in ihm, und dann ist er es selbst. Anderswo nun ist unmöglich, denn welcher Ort sollte das sein? Folglich denkt er es als sich selbst und in ihm selbst Seiendes. Denn als im Sinnlichen Befindliches, wie man wohl meint, kann er es ja nicht denken. Denn das Ursprüngliche jeden Dinges ist nicht das sinnlich Wahrnehmbare; denn die Form die in den Sinnendingen über die Materie gelagert ist, ist nur ein Nachbild des eigentlich Seienden, jede Form die sich an einem Dinge befindet, ist aus einem andern in es eingetreten, und ist ein Abbild jenes andern. – Wenn es ferner einen Schöpfer dieser unserer Welt geben muß, so kann das was dieser denkt um sie zu schaffen nicht in dem dann noch gar nicht Seienden sich befinden; die Gegenstände seines Denkens müssen also vor dieser Welt sein, nicht Abdruck anderer Dinge, sondern Urbilder, Erstes, Wesen des Geistes. Wollte man einwenden daß bloße Begriffe dazu genügten, so müßten das doch ewige sein; sind sie aber ewig und unaffizierbar, so müssen sie im Geist sein, der eben diese Qualitäten hat, der früher ist als Zuständlichkeit, Wachstumskraft und Seele; denn diese sind nur potential.

Somit denkt der Geist das Seiende indem er es ist, nicht als etwas anderwärts Seiendes, denn es ist weder vor ihm noch nach ihm, vielmehr ist er gleichsam der erste Gesetzgeber oder richtiger das Gesetz des Seins selber. Mit Recht heißt es also ‘denn ein und dasselbe ist Denken wie Sein’ und ‘die Wissenschaft von den immateriellen Dingen ist identisch mit ihrem Objekt’ und ‘ich habe mich selbst gesucht’ (als eines von den seienden Dingen nämlich), und auch die Lehre von den Wiedererinnerungen besteht zu Recht. Nichts vom eigentlich Seienden ist außerhalb, noch überhaupt räumlich, sondern es beharrt ewig in sich selbst und unterliegt keiner Veränderung und keiner Vernichtung: darum ist es eben wahrhaft seiend. Andernfalls, wenn es werdend und vergehend sein würde, müßte es das Seiende als fremde Zutat an sich tragen, und nicht mehr es selbst, sondern jenes Fremde würde das Seiende sein. Die Sinnendinge also sind das was sie heißen nur durch Teilhabe, indem die ihnen zugrundeliegende Wesenheit ihre Form anderswoher erhält, so das Erz von der Bildhauerkunst, das Holz von der Zimmrerkunst, wobei die Kunst nur vermöge eines Abbildes in die Gegenstände eintritt, die Kunst selbst dagegen außerhalb der Materie in Selbigkeit beharrt und die wahre Bildsäule, das wahre Bett in sich besitzt. Ebenso ist es auch mit der irdischen Welt, auch die Körper in ihr haben nur an Abbildern teil und weisen so darauf hin, daß das Seiende von ihnen verschieden ist, da, während sie sich wandeln, jenes unwandelbar ist und auf sich selber gegründet, und keines Ortes bedarf, denn es ist keine Größe, sondern eine geisthafte, sich selbst genügende Existenz hat. Denn Leiber verlangen ihrem Wesen gemäß nach Erhaltung durch ein anderes, der Geist aber, welcher durch sein wunderbares Wesen aufrecht hält was von sich selbst hinfallen müßte, bedarf selbst keines Ortes auf dem er sich gründete.

[6]So sei also der Geist das Seiende, der alles Seiende in sich hat nicht als in einem Ort, sondern indem er sich selbst hat und mit dem Seienden ein Eines ist. Es ist aber dort oben alles beisammen und nichtsdestoweniger doch gesondert. Trägt doch schon die Seele viele Wissenschaften in sich beisammen und doch nicht durcheinander, sondern jede Wissenschaft vollzieht im Bedarfsfalle ihre besondere Aufgabe ohne die andern hineinzuziehen, und auch der einzelne Gedanke kommt für sich zur Wirksamkeit, unvermengt mit den andern in der Wissenschaft ruhenden Gedanken. Ebenso und erst recht ist der Geist alles beisammen, und ist es auch wieder nicht beisammen sofern jedes einzelne eine besondere Kraft ist; der gesamte Geist aber umfaßt es wie die Gattung die Arten und das Ganze die Teile; auch die Kräfte des Samens bieten ein Gleichnis des Gemeinten, denn im ganzen Samen ist alles ungeschieden vorhanden, und die rationalen Bildekräfte liegen in ihm wie in einem einzigen Mittelpunkte beisammen; und doch (?) ist die das Auge bildende Kraft verschieden von der der Hand, man erkennt ihr Anderssein an dem Sinnending welches sie hervorbringt.

Was nun die im Samen enthaltenen Kräfte betrifft, so ist jede von ihnen wieder eine einheitliche Bildekraft, in ihrer Gesamtheit die in ihr enthaltenen Teile umfassend, und hat das Körperliche zur Materie (so das was am Samen Feuchtigkeit ist), die Kraft als solche ist aber Gestalt in ihrer Gesamtheit, rationale Bildekraft, welche identisch ist mit einer Gattung der Seele, nämlich der zeugerischen, und diese Seele wieder ist das Nachbild einer andern, höheren Seele. Die Seele ihrerseits die im Samen wirkt, nennen manche ‘Natur’ (Werdekraft), sie geht aus von oben, von dem was vor ihr ist wie Licht von Feuer, und wandelt und gestaltet die Materie, nicht durch mechanischen Stoß noch durch Anwendung der vielberufenen Hebelkraft, sondern indem sie ihr von den Bildekräften mitteilt.

[7]Von den Wissenschaften ferner, welche in der vernünftigen Seele sind, sind die sinnliche Gegenstände betreffenden – wenn man die überhaupt Wissenschaften nennen will, es kommt ihnen eigentlich nur der Name ‘Meinungen’ zu – später als ihre Gegenstände und also ihre Abbilder; die Wissenschaften aber von den geistigen Gegenständen, die ja erst wahrhaft Wissenschaften sind, gelangen aus dem Geist in die vernünftige Seele und denken nichts Sinnliches, sondern insoweit sie Wissenschaften sind, sind sie je das Einzelne was sie denken und erhalten von innen sowohl das Gedachte wie das Denken; denn drinnen ist der Geist, als welcher selbst das Erste ist, da er ewig nur bei sich selbst ist und reine Aktualität ist, und die Dinge nicht erfaßt als hätte er sie nicht oder müßte sie erst erwerben oder doch, weil sie nicht zuhanden sind, erst diskursiv durchlaufen; das alles sind Zustände der Seele, sondern er steht stille in sich selber und ist alles Seiende zumal; und zwar denkt er nicht erst das Einzelne um es in die Existenz zu rufen; es ist nicht, als er Gott dachte, Gott entstanden und als er Bewegung dachte, die Bewegung entstanden. Daher auch die Auffassung der Ideen als Gedanken, wenn sie so gemeint ist, daß erst als der Geist sie gedacht hat die einzelne Idee entstand und nun existiert, nicht richtig ist, denn das Gedachte muß früher als dieser einzelne Gedanke sein; wie sollte er sonst dazu gelangen es zu denken? Das kann doch nicht aus Zufall geschehen sein, auch [8]kann es nicht blindlings geschehen sein daß er es ergriff. Richtet sich also das Denken auf ein dem Geiste Innewohnendes, so ist eben dies Innewohnende die Gestalt, und das ist die Idee. Was ist nun diese Idee? Sie ist Geist, die geisthafte Wesenheit, aber nicht die einzelne Idee vom Geist unterschieden, sondern jede einzelne ist der Geist. Und zwar ist der Geist als Gesamtheit alle Ideen, die einzelne Idee aber ist der Geist als einzelnes, so wie die gesamte Wissenschaft gleich allen Lehrsätzen ist, jeder einzelne Lehrsatz aber ein Teil der Gesamtwissenschaft, nicht als wäre er räumlich von ihr gesondert, sondern er hat als einzelner seine Kraft und Bedeutung erst im Ganzen. So ist denn also der Geist in sich selbst und da er sich selbst in voller Ruhe innehat, ist er ewig gesättigte Fülle. Wenn der Geist als dem Seienden vorausliegend zu denken wäre, so müßte man annehmen, daß der Geist indem er es denkend verwirklicht, das Seiende erst fertig macht und so hervorbringt; da aber notwendig das Seiende vor dem Geist zu denken ist, so muß man ansetzen, daß das Seiende im Geiste darinliegt und daß sich die denkende Wirksamkeit (Aktualisierung) des Geistes am Seienden vollzieht so wie die Wirkungskraft des Feuers am bereits vorhandenen Feuer, damit so das Seiende den einheitlichen Geist an sich trage als seine, des Seienden, Wirksamkeit. Nun ist auch das Seiende Wirksamkeit; sie haben also beide nur eine Wirksamkeit, oder richtiger, sie sind beide eins. Eine Wesenheit sind also das Sein und der Geist, und folglich auch das Seiende und die Verwirklichung des Seienden und der so verstandene Geist; und die so verstandenen Gedanken sind allerdings die Idee und Gestalt des Seins und seine Verwirklichung, nur unser Denken zerteilt und denkt das eine vor dem andern; denn unser teilender Geist ist verschieden von jenem unteilbaren, nicht teilenden, welcher das Sein und die Gesamtheit aller Dinge ist.

[9]Welches nun sind die Dinge in dem Einen Geist, die wir mit unserm Denken zerteilen? Denn man muß sie, die in ihrem Sein ruhen, hervorholen, so wie man aus einer Wissenschaft, die in ungeteilter Einheit dasteht, die einzelnen Inhalte nacheinander betrachten muß. Da unsere Welt ein Lebewesen ist welches alle Lebewesen in sich enthält, und da sie von einem andern her ihr Sein und ihr Sosein empfängt, da ferner dies andere von dem her die Welt ist (die Seele) auf den Geist zurückzuführen ist, so muß notwendig eben im Geist das gesamte Urbild vorhanden sein, er, der Geist, muß die geistige Welt sein, von der Plato sagt: ‘in dem wesenhaften Lebewesen’; denn wie notwendig, sofern einerseits die Bildekraft, anderseits der Stoff der diese samenhafte Bildekraft aufnimmt vorhanden sind, ein Lebewesen entstehen muß, ebenso muß auch, da einerseits die geisthafte, allvermögende Wesenheit da ist, anderseits nichts sie absperrt, denn es liegt nichts zwischen ihr und dem zur Aufnahme Fähigen, notwendig dies Letztere zur Welt gestaltet werden und jenes es gestalten. Diese gestaltete Welt hat die ideale Form als Geteiltes, hier den Menschen dort die Sonne, Jenes dagegen hat alles in Einem vereint.

[10]Alles also was als ideale Formen im Reich des Sinnlichen weilt, das stammt aus jener Welt, das andere aber nicht; weshalb es denn dort oben für das Naturwidrige keine Ideen gibt, so wie es in den Künsten die Idee des Kunstwidrigen nicht gibt, und in den Samen keine Lahmheit (denn Fußlähmung bei der Geburt beruht darauf daß die Bildekraft die Materie nicht bewältigen konnte, solche durch Unfall auf einer Beschädigung der idealen Form). So gehören also der oberen Welt an harmonische Qualitäten und Quantitäten, Zahlen und Größen und Verhaltungen, Handlungen und Erleidungen, soweit sie naturgemäß sind, Bewegungen und Stillstände, sowohl insgesamt wie im Einzelnen; und statt der Zeit die Ewigkeit; und der Raum besteht dort oben geisthaft darin daß eins im andern ist. Da nun dort oben alles beisammen ist, so ist all dies, was man auch herausgreife, Wesenheit und geisthaft und jegliches hat Teil am Leben, ist sowohl Selbigkeit wie Andersheit, Ruhe wie Bewegung, bewegt wie ruhend, Substanz wie Qualität; und alles ist reine Wesenheit, denn jedes einzelne Seiende ist aktual, nicht potential, so daß die Qualität nicht geschieden ist von der jedesmaligen Substanz. –

Sind nun in der oberen Welt nur die Formen dessen was im Sinnlichen ist, oder noch mehr? – Indessen ist zuvor was ins Gebiet der Kunst gehört zu untersuchen. (Von etwas Bösem nämlich gibts dort oben keine Form, denn das Böse hier unten ist Folge von Mangel, Privation, Unvollkommenheit, es ist Schicksal der Materie und ihres Unheils sowie dessen was der [11]Materie sich angeglichen hat.) Sind also die Kunstgegenstände und die Künste in der oberen Welt? Die nachahmenden Künste Malerei und Bildhauerei, Tanzkunst und Pantomimik, welche irgendwie auf der niederen Welt beruhen, ein Sinnliches zum Vorbild haben und die Gestalten, Bewegungen und Symmetrien nachahmen und umbilden, die sie sehen, kann man nicht wohl auf die obere Welt zurückführen, soweit das nicht durch den Begriff des Menschen geschehen kann. Wenn aber etwa eine künstlerische Fähigkeit, ausgehend von der Symmetrie der einzelnen Lebewesen, die Symmetrien von Lebewesen überhaupt zum Gegenstand der Betrachtung machen würde, so wäre dies Vermögen ein Teil jener Kraft, welche auch dort oben die Symmetrie aller Dinge im Geistigen betrachtet und anschaut. Alle Musik ferner, welche ihre Gedanken auf Harmonie und Rhythmus richtet, ist jener analog, die in der oberen Welt den Rhythmus des Geistigen überdenkt. Die Künste ferner, die künstliche Sinnengegenstände hervorbringen wie Hausbau und Zimmermannskunst, dürften soweit sie Symmetrien anwenden ihre Prinzipien aus der oberen Welt und von der Zweckvernunft dort oben erhalten; da sie diese Dinge aber mit dem Sinnlichen vermischen, so haben sie als Ganze dort oben keine Stelle, außer im Begriff des Menschen. Ebensowenig auch der Landbau, welcher das sinnlichwahrnehmbare Gewächs pflegt, oder die Heilkunde welche die irdische Gesundheit zum Gegenstand der Betrachtung hat, oder die Kunst die sich mit der Kraft und der guten Form dieses unseres Leibes befaßt (Gymnastik); denn in der oberen Welt gibt es eine andere Fähigkeit, eine Gesundheit, vermöge derer alle Lebewesen dort oben ohne Zittern und ohne Bedürfen sind. Rhetorik ferner, Strategie, Verwaltungs- und Regierungskunst, welche von ihnen dem Schönen Anteil an ihren Handlungen gibt, die empfängt, wenn sie das Schöne der oberen Welt ins Auge faßt, einen Anteil von oben für ihre Wissenschaft aus der oberen Wissenschaft. Die Geometrie dagegen, welche geistige Dinge zu ihrem Gegenstand hat, gehört in die obere Welt und ebenso die Weisheit, welche sich in der obersten Höhe mit dem Seienden beschäftigt.

[12]Soviel über die Künste und ihre Gegenstände. Gibt es aber in der oberen Welt die Idee des Menschen und die des vernünftigen und die des kunstbegabten Menschen, dann gibt es dort auch die Künste, welche Erzeugungen des Menschen sind.

Man muß aber hervorheben, daß es Ideen nur vom Allgemeinen gibt, so nicht des Sokrates sondern nur des Menschen. Weiter aber ist beim Menschen zu fragen, ob es auch von den Einzelheiten an ihm Ideen gibt. Es gibt diese Einzelheiten in der Ideenwelt, weil ja dieselbe Einzelheit beim einen Menschen so beim andern anders ist, zum Beispiel weil der eine eine Plattnase, der andre eine Hakennase hat, muß man die Plattheit und Gebogenheit der Nase als Varietäten an der Idee des Menschen ansetzen, so wie es auch von einem Tier solche Varietäten gibt. Anderseits muß man annehmen, daß nun die Materie auch mitwirkt und daß es von ihr herrührt daß der eine solche, der andere eine andere Gebogenheit der Nase hat; ebenso liegen die Verschiedenheiten der Hautfarbe teils schon in der Idee des Menschen, teils bringt sie die Materie und die Verschiedenheit der Örtlichkeit hervor.

[13]Es blieb noch zu erörtern, ob nur die Dinge der Sinnenwelt dort oben als Idee sind, oder ob, wie es vom Menschen verschieden die Idee des Menschen gibt, auch von der Seele unterschieden eine Idee der Seele und vom Geist eine Idee des Geistes in der oberen Welt existiert. Da ist zuerst zu sagen daß man nicht alles was in dieser Welt ist, für bloße Nachbilder von Urbildern halten muß, und so auch nicht die Seele nur für ein Nachbild der Idee der Seele, sondern daß eine Seele sich von der andern an Wert und Rang unterscheidet und daß es auch in der unteren Welt Seelen gibt die Idee der Seele sind – allerdings vielleicht nicht insofern sie hier unten sind. Auch in der Einzelseele, die wahrhaft Seele ist, muß es eine Gerechtigkeit und Besonnenheit geben, auch in den Seelen, die in uns wohnen, wahre Wissenschaft, nicht etwa nur, als in der Sinnenwelt, Abbilder der oberen Tugend und Wissenschaft, sondern die oberen selbst, die, mit sich identisch, dennoch in andrer Weise auch hier unten sind; denn die Oberen sind nicht auf einen bestimmten Ort beschränkt, dergestalt daß, wo immer eine Seele aus dem Leibe sich heraufgehoben, dort jene oberen zur Stelle sind. Denn die sinnliche Welt ist an einer Stelle, die geistige aber an allen Stellen. Somit ist alles, was eine solche Seele hier unten enthält, in der oberen Welt vorhanden(?). Wenn man also die Dinge in der Sinnenwelt als das Sichtbare auffaßt, dann gibt es in der oberen Welt nicht nur die Dinge der Sinnenwelt allein, sondern noch mehr; versteht man aber darunter alles was in unserer Welt ist, mit Einschluß der Seele und ihrer Inhalte, so ist alles was dort oben ist, auch hier unten vorhanden.

Die Wesenheit nun welche im Geistigen alles umfaßt, die muß man als den Urgrund ansehen. Wie das aber möglich ist, wo doch der wahre Urgrund ein einheitlicher und schlechthin einfacher ist, und wie die Vielheit, die in der Welt herrscht, neben dem Einen sein kann, und in welchem Sinne die Vielheit aufzufassen ist und wie dies unser All, und weshalb dies Geist ist und woher es kommt – das alles wird von einem andern Ausgangspunkt aus darzulegen sein.

Was aber die Frage betrifft ob es dort oben auch eine Idee von den aus der Fäulnis entstehenden und von schädlichen Lebewesen gibt, ferner von Schmutz und Schlamm, so ist zu sagen daß alles was der Geist vom Ersten her erhält, vollkommen gut ist; dazu gehören diese Dinge nicht, und nicht der Geist, sondern erst die Seele, die, vom Geist ausgehend (?), von der Materie etwas entnimmt, schafft daraus das Niedere (?), und darunter sind diese Dinge (genaueres darüber wird gesagt werden, wenn wir auf das Problem zurückkommen wie aus Einem Vielheit entstehen kann); weiter ist zu sagen daß die willkürlich zusammengesetzten Dinge, da sie nicht vermöge des Geistes sondern selbständig als Sinnendinge sich zusammenfügen, sich nicht unter den Ideen befinden; und daß die aus der Fäulnis hervorgehenden Wesen entstanden sind weil die Seele vielleicht nicht die Kraft zu etwas anderem hatte; denn sonst hätte sie ein naturgemäßes Ding geschaffen wie sie tut wo sies kann, vor dieser Einzelseele aber liegt die Seele als Allgemeines, und vor dieser die Idee der Seele, und das heißt: das Leben welches im Geiste ist bevor es Seele wird (denn nur so ist es möglich jenes Obere Idee der Seele zu nennen).

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