Читать книгу Gesetzlose Städte, raue Männer: Alfred Bekker präsentiert 9 Western - R. S. Stone - Страница 24
5
ОглавлениеEs war wohl so: In Channing hatte die Gesetzlosigkeit Einzug gehalten. Den Mann, der das Gesetz in der Stadt personifizierte, hatte man kaltgestellt. Und nun war ich aufgetaucht, und sicherlich war ich alles andere als willkommen.
Am Morgen besorgte ich mir beim Town Mayor den Schlüssel für das Sheriff’s Office und betrat es wenig später. Die Luft war abgestanden; es roch nach kaltem Tabakrauch. Der Regulator, der an der Wand hing, war stehengeblieben. Ich schaute auf meine Taschenuhr, stellte ihn und versetzte dem Pendel einen leichten Stoß, sodass es zu schwingen begann. Sogleich erfüllte das monotone Ticken das Büro.
Ich ging zum Schreibtisch und zog den Schub heraus. Da lag eine Kladde, die ich herausnahm und aufschlug. Der letzte Eintrag war acht Tage alt. An diesem Tag hatte ein Farmer namens Josh Tucker Anzeige gegen Jensen erstattet, weil Rinder der Diamant-J auf seinen Grund und Boden gelaufen waren und ein Weizenfeld zertrampelt hatten. ‚Ich habe Jensen zur Rede gestellt’, stand da. ‚Er wusste von nichts. Am Abend ist Ferguson mit einer Handvoll Reiter in die Stadt gekommen. Etwas ist im Gange. Es sieht nach Terror aus’.
Hawkins musste diesen Bericht geschrieben haben, ehe er seinen letzten Rundgang an diesem Tag angetreten hatte.
Die Tatsache, dass Cole Ferguson mit einigen Männern der Diamant-J an dem Abend, an dem der Anschlag auf Hawkins verübt wurde, in Channing anwesend war, schien mir recht vielsagend zu sein.
Ich verließ das Office, schloss hinter mir ab und wollte in den Mietstall gehen, um nach meinem Pferd zu sehen, als ich Dick Martin und Harris Parson, jeder einen Ochsen am Geschirr führend, aus einer Seitenstraße kommen sah. Die beiden waren ziemlich früh auf den Beinen. Die Stadt war zwar schon zum Leben erwacht, doch auf der Straße waren keine Menschen zu sehen. Sie saßen noch beim Frühstück.
Die beiden Siedler spannten die Ochsen vor ihre Fuhrwerke, dann gingen sie in den General Store.
Ich stand am Vorbaugeländer und wartete. Und es dauerte nicht lange, dann begannen die Siedler mit Hilfe eines dritten Mannes, der eine grüne Schürze trug, Säcke und handliche Kisten herauszutragen und auf die Fuhrwerke zu laden. Sogar einige Rollen Stacheldraht waren unter den Waren. Ich war ziemlich überrascht, denn auch ich war der Meinung, dass man im General Store den Siedlern keine Waren mehr auf Kredit geben würde.
In dieser Minute konnte ich nicht ahnen, dass dahinter ein Plan steckte, der an Teufelei kaum zu überbieten war.
Ich stieg vom Vorbau und stapfte am Fahrbahnrand in Richtung der Gespanne. Es hatte nicht mehr geregnet, aber die Straße war nach wie vor matschig. Die großen Pfützen jedoch waren versickert.
Soeben verabschiedeten sich Dick Martin und Harris Parson von dem Mann mit der grünen Schürze. Sie wandten sich mir zu. „Alles in Ordnung?“, fragte ich, nachdem ich einen guten Morgen gewünscht hatte.
Martin grinste. „Ja, entgegen unserer Erwartungen gab es keinerlei Probleme. Jetzt haben wir wieder alles, was wir benötigen, um die nächsten Monate über die Runden zu kommen. Gebe Gott, dass die Ernte in diesem Jahr gut wird. Dann können wir mit einem Schlag unsere Schulden bei Jensen begleichen.“
„Ich wünsche es Ihnen“, sagte ich, dann schaute ich zu, wie die beiden auf die Wagenböcke kletterten, die Ochsen antrieben und in Richtung Westen die Stadt verließen. Das leise Quietschen der Achsen in den Naben entfernte sich, manchmal rumpelten die Wagen. Dann waren sie so weit entfernt, dass die Geräusche nicht mehr zu vernehmen waren.
Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte.
Aber dieser Zustand meiner Skepsis dauerte nicht einmal drei Stunden. Ich kam gerade vom Haus des Arztes und war auf dem Weg zum Office, als ich von Westen her einen Ochsen mitten auf der Main Street in die Stadt trotten sah, auf dessen Rücken vornübergesunken, geradezu liegend, ein Mann saß. Im ersten Moment glaubte ich, nicht richtig zu sehen. Aber dann erkannte ich Dick Martin und mir schwante Unheilvolles.
Sein Gesicht war blutüberströmt, er klammerte sich mit beiden Armen am Hals des Ochsen fest, und als ich das Tier anhielt, schaute mich Martin mit einem Blick an, der wie aus weiter Ferne zu kommen schien. Ich registrierte, dass er eine Streifschusswunde am Kopf davongetragen hatte. Die Kugel hatte ihm einen regelrechten Scheitel gezogen.
Plötzlich lief der Schimmer der Erkenntnis über das maskenhafte Gesicht, und der Siedler murmelte mit erschreckend lahmer Stimme: „Fünf Maskierte – etwa drei Meilen außerhalb der Stadt - Harris ist – ist tot. Sie – sie haben …“
Plötzlich kippte er seitlich von dem Ochsen und schlug schwer in den Schlamm. Es war derart überraschend gekommen, dass ich keine Chance gehabt hatte, ihn aufzufangen. Er lag bäuchlings im Morast und sein Gesicht war halb in der Pampe versunken. Schnell drehte ich ihn auf den Rücken, packte ihn unter den Achseln und zog ihn auf den Gehsteig. Jetzt wurde mir auch gewahr, dass sich Menschen näherten.
„Sprechen Sie weiter, Martin“, drängte ich. Die Lider des Siedlers flatterten, seine Augen hatten einen fiebrigen Glanz angenommen. Seine spröden Lippen bewegten sich, doch er brachte kein Wort heraus.
„Hol jemand den Arzt!“, rief ich, nahm mein Halstuch ab und begann, Martins Gesicht vom Morast zu säubern. Dabei spürte ich, dass sich in meiner Brust ein geradezu würgender Zorn hochkämpfte. Und ich begriff die teuflische Inszenierung. Die Siedler sollten sich noch tiefer in Schulden stürzen müssen, und dann …
Es war das alte Spiel. Nur war in diesem Fall kein korrupter Bankier beteiligt, sondern es lief auf einer anderen Ebene ab.
Ja, der Zorn kam bei mir in heftigen Wellen, und ich schwor in diesem Moment, Channing erst dann wieder zu verlassen, wenn hier die Dinge wieder gerade gerückt sein würden.
Um mich herum war unterdrücktes Flüstern und Gemurmel. Ich schaute in betroffene, entsetzte Gesichter. Endlich erschien der Arzt. Er ordnete an, dass Dick Martin sofort in seine Praxis gebracht wurde, ich aber ging ins Hotel, holte mein Gewehr und meine Satteltaschen und begab mich in den Mietstall. Dort stand jetzt der Ochse, auf dem Dick Martin in die Stadt zurückgekehrt war. Der Stallmann nickte mir zu und knurrte: „Eine Tragödie, Marshal. Dreimal dürfen Sie raten, wer in dieser Aufführung die Regie führt. Es ist nicht der Satan – es ist aber einer, den man getrost mit ihm auf eine Stufe stellen kann.“
„Warum nennen Sie keinen Namen?“, fragte ich.
„Weil das schätzungsweise höllisch ungesund sein kann. Wer nicht für ihn ist, ist sein Feind, und seine Feinde vernichtet er.“
„Nicht mehr lange, denke ich. Helfen Sie mir, mein Pferd zu satteln und zu zäumen.“
„Sicher, Marshal.“
Eine Viertelstunde später war ich auf dem Weg. Während ich nach Westen ritt, warf ich des Öfteren einen Blick über die Schulter, konnte aber nicht feststellen, dass ich verfolgt worden wäre. Ich ließ mein Pferd laufen und benötigte für die drei Meilen allenfalls zwanzig Minuten. Dann stand ich vor dem, was von den beiden Fuhrwerken und der geladenen Ware noch übrig war; zwei Haufen Brandschutt mit ausgeglühten Eisenreifen, die einmal die Räder zusammengehalten hatten. Der zweite Ochse stand ein Stück abseits und graste. Harris Parson lag seitlich, mit angezogenen Beinen, am Boden.
Es war ein Bild sinnloser Gewalt, das mir mit erschreckender Schärfe in die Augen sprang. Ich hatte das Gefühl, von einer unsichtbaren Faust gewürgt zu werden, meine Brust war wie zugeschnürt und mein Herz hämmerte einen wilden Rhythmus.
Ohne von einem bewussten Willen geleitet zu werden ließ ich mich aus dem Sattel gleiten, ging wie von Schnüren gezogen zu der reglosen Gestalt des Siedlers hin und drehte sie auf den Rücken. Die Lider waren halb über die gebrochenen, starren Augen gesunken, im faltigen Gesicht des Mannes las ich nur noch die absolute Leere des Todes. Er hatte die tödliche Kugel in die Brust bekommen. Der Blutfleck auf seinem Hemd, der schon zu trocknen begann, verriet es.
Ich richtete mich auf und schaute mich um. Das Gebiet war hügelig und für einen Hinterhalt bestens geeignet.
Da Harris Parson durch einen Schuss ins Herz getötet worden war, musste die Kugel von vorne gekommen sein. Der Weg führte zwischen zwei Anhöhen hindurch, die bis zum Kamm hinauf mit Sträuchern bewachsen waren. Der Schütze musste also ein Stück weiter westlich auf dem linken oder rechten Hügel gelauert haben. Kurz entschlossen kletterte ich in den Sattel und trieb das Pferd an.
Es war vergeblich. Über eine halbe Stunde suchte ich die Hügel ab, in der Hoffnung, eine Spur aufnehmen zu können. Die Wegelagerer hatten ihre Spuren jedoch verwischt. Und aus den Hufspuren auf dem Reit- und Fahrweg waren keine Schlüsse zu ziehen.
Auf dem Weg zurück in die Stadt kamen mir zwei Männer mit einem flachen Wagen entgegen, auf dem ein einfacher Sarg aus gehobelten Fichtenbrettern stand. Wir hielten an und einer der Männer sagte: „Man hat uns geschickt, um den Leichnam abzuholen.“
„Es ist gut“, sagte ich. „Ich werde im Laufe des Tages zum Mustang Creek reiten, um den Familien Martins und Parsons die traurige Nachricht zu überbringen.“