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Kapitel 6

Ungarn, klein, aber weit

Ich befand mich nun also in Ungarn. Von hier an war es vorbei mit der deutschen Sprache. Das führte allerdings nicht dazu, dass ich mir wirklich wie ein Ausländer vorkam. Die Leute waren ähnlich reserviert wie in Deutschland und Österreich, so dass es zu sehr wenigen Kontakten kam. Bis nach Budapest, mein nächstes größeres Ziel, waren es noch 185 km. Für eine Etappe zu viel, aber für eine ordentliche und eine kurze Schlussetappe gerade richtig. Ich beschloss, ziemlich weit zu radeln, um am nächsten Tag stressfrei nach Budapest zu kommen, damit ich genügend Zeit hatte, eine geeignete Unterkunft in der City zu finden. In Budapest wollte ich schließlich einen ganzen Tag Pause einlegen.

Aber zuvor stellte sich noch ein besonders nettes Ereignis ein. Ich fuhr also am Morgen des 10. 4. 2019 ohne besonderes Ziel los, nur mit dem Gedanken, so weit wie möglich an Budapest ranzukommen. Der Weg führte mich über endlose Ebenen mit nur leichten Steigungen, die ich mittlerweile annähernd schmerzfrei und entspannt fuhr. Es lief gut, und das Einzige, das es nach wie vor zu bemängeln gab, war das unschöne Bild der unzähligen Überlandleitungen und Windräder. Ich fand die gleiche Landschaft vor, wie ich sie inzwischen schon gewohnt war. Endlose, ebene Felder, und es winkten mir nicht, wie im Film Sissi, die Bäuerinnen in ihren weißen Schürzen und weißen Häubchen zu, sondern die riesigen Flügel der Windräder, die die Landschaft billigend duldete.

Es lief wieder einwandfrei. In meiner Gutgläubigkeit, noch spät ein Zimmer zu finden, fuhr und fuhr ich dahin. Ein Blick auf mein Navi zeigte mir dann an, dass nun lange nichts mehr kommen würde. Das machte mich leicht nervös. Es war mittlerweile 19.30 Uhr, als ich in einem Dorf mitten im Gelände und abseits der Hauptroute, wo es auch wieder hügelig wurde, in dem kleinen Dorf Obarok ankam. Entkräftet sprach ich zwei junge Männer am Ortseingang an, ob es hier irgendwo ein Zimmer gebe. Ich merkte gleich, dass ich hier wirklich in der Pampa war. Ich stellte mich schon aufs Zelten ein, doch die Jungs telefonierten 2 bis 3 Mal, und dann kam eine Frau. Es war die Sekretärin des Bürgermeisters, die mich mitnahm.

Nun, dieses Dorf hatte keinen Laden, keine Kirche, keine Post, gar nichts, aber ein kleines Museum, in dem ein Zimmer integriert war, für den Fall, dass einmal ein Fremder auftauchte. Dieses Zimmer gab es schon seit 2010 und seither war noch nie jemand dagewesen. Ich war der Erste, der diese Übernachtungsmöglichkeit nutzte. Die Frauen und Männer, deren Zahl mittlerweile auf 6 angestiegen war, waren sichtlich begeistert, mich aufzunehmen. Das Ganze kostete 10 Euro. Ich erfuhr noch einiges über deutsch-ungarische Dörfer in dieser Gegend. Eine kleine Museumsbesichtigung war inklusive. Als sich alle verabschiedet hatten, machte ich mich über meine Essensvorräte her und kochte mir einen ordentlichen Teller Nudeln mit brauner Soße.

Gerade wollte ich mit meinem Festmahl beginnen, da klopfte es an der Tür. Die beiden Jungs, die mir das Zimmer vermittelt hatten, standen vor der Tür. Sie brachten mir ein warmes Abendessen vorbei, Kartoffeln mit Speck in Kraut. Sie erklärten mir noch, dass dies hier ein typisches Gericht sei und verabschiedeten sich ganz freundlich. Überrascht und angetan von dieser netten Geste machte ich mich über diese Gabe her und konnte feststellen, dass es hervorragend schmeckte.

Die Nacht war dagegen nicht ganz so gut, da es sehr kalt in dem kleinen Zimmer wurde. Der Gasheizung, die hin und wieder eine Stichflamme aus dem Gebläse stieß, traute ich nicht wirklich und ließ diese lieber ungenutzt.

Morgens um 8 Uhr stand die Sekretärin wie abgemacht pünktlich zur Schlüsselübergabe vor der Tür. Das Dorf war im 18 Jahrhundert von deutschen Siedlern gegründet worden, und daher sprach die Sekretärin des Bürgermeisters, die gleichzeitig auch die Deutschlehrerin der Dorfschule war, gut Deutsch. Leider wurden die deutschstämmigen Siedler nach dem 2. Weltkrieg allesamt vertrieben, doch die deutsche Kultur und Tradition wurden hier weiter gelebt und gepflegt. Es war ein schönes Erlebnis, und ich dachte mir: So kann es weitergehen.

Also machte ich mich am Donnerstagmorgen um 8 Uhr bei leichtem Nieselregen an die letzten 50 km nach Budapest. Sie fielen mir sehr schwer. Viele Steigungen, schlechter Fahrbahnbelag und leichte Schlappheit machten mir zu schaffen. Aber ich wusste ja, dass ein Tag Auszeit vor mir lag. Das trieb mich förmlich in die ungarische Metropole, die so ganz anders war als die Welt am Abend zuvor. Das Dorf Obarok war klein und ländlich arm, während es in Budapest wieder alles gab, was das Herz begehrt. 11 Tage und bereits 1160 km lagen hinter mir. Ich war weit vor meinem Plan, denn ich hatte ja ursprünglich nur mit einem Schnitt um die 60 km pro Tag gerechnet. Meine Muskulatur machte gut mit, und an Gewicht hatte ich auch schon einiges verloren.

Ich überprüfte das aber nicht, wichtiger war mir, dass sich mein Hinterteil so langsam an den Sattel gewöhnt hatte und die ersten wunden Stellen bereits am Heilen waren. Ich fand ein schönes Zimmer, nicht weit vom Zentrum. So konnte ich die Stadt am nächsten Morgen zu Fuß erkunden. Mir war klar, dass ich möglicherweise für lange Zeit eine meiner Leibspeisen, das Gulasch, nicht mehr bekommen würde. Also gab es für mich nichts anderes, als in einem urgemütlichen ungarischen Lokal ein ungarisches Gulasch zu essen. Mmm, das war gut! Dazu ließ ich den Abend mit einem Feierabendbier ausklingen und machte mich in meinem Zimmer an die Routenplanung für den nächsten Tag.

Langsam freundete ich mich mit meiner Navi-App an, die viel mehr zu bieten hatte, als nur die Straßen anzuzeigen. Ich lernte jeden Tag dazu und fühlte mich nicht mehr so als Fahrrad-Greenhorn. Am 13. 4. 2019 fuhr ich also weiter in Richtung Osten, von wo auch der Wind wehte. Eigentlich konnte man nicht von Wind sprechen, da es bei schönem Wetter den ganzen Tag sturmartig blies.

Des Öfteren schrie ich gegen den Himmel und fragte unseren Schöpfer, warum er mir das antat. Oft musste ich im ersten Gang fahren oder gar absteigen und einige Meter schieben, da ich nicht gegen den Wind ankam.

Ich kämpfte mich so weiter über Hatvan nach Miskolc in Richtung slowakischer Grenze bei Kosice. Wider besseres Wissens hoffte ich, dass, auch wenn ich nichts mehr kannte, im Hinterland von Ungarn vielleicht doch noch was Interessantes käme. Dem war nicht so. Die Landschaft war weit und endlos zu überblicken. Highlights, Fehlanzeige. Die Felder waren gut und frisch bestellt, die Dörfer ärmlich und klein und die Leute desinteressiert bis unfreundlich. Wer sich allerdings an riesigen Feldern, aufgeteilt in Mais, Raps und Weizen, erfreuen kann, der sollte eine Reise nach Ungarn einplanen. Einziges „Highlight“ in Ungarn war, dass ich gleich von Samstag auf Sonntag keine Herberge fand, um zu übernachten.

Also musste in freier Wildbahn mein Zelt zum ersten Mal herhalten. Ich stellte es etwas abseits der Strecke hinter Hecken auf. Es war sehr kalt in dieser Nacht. Deshalb stand ich um 6 Uhr auf, kochte mir mit meinem letzten Wasser einen Tee und packte zusammen. So saß ich am Sonntag bereits um 6.55 Uhr wieder auf meinem Rad und fuhr. Dann nahm der Wind erneut zu, natürlich von vorne. Wie wild ging ich gegen den kalten Nordostwind an. Am späten Abend saß ich in einer Ortschaft an einer Bushaltestelle und machte mir Gedanken, wo ich übernachten sollte, da wieder weit und breit nichts in Sicht war. Ich beschloss, noch ein paar Kilometer zu fahren, bis es richtig dunkel wurde, um mich dann mit meinem Schlafsack unter irgendein Dächlein zu legen. Zum Zeltaufbauen hatte ich echt keinen Bock mehr.

Nach wenigen Metern um die nächste Kurve jedoch leuchtete so ein Blinkwerbeschild, wie man es aus amerikanischen Filmen kennt, rot in die Nacht: „Hotel“. Tatsächlich kam ich unter. Lustig an diesem Hotel war, dass der recht junge Besitzer erst in seinem Buchungsbuch nachschauen musste, ob noch ein Zimmer frei war. Ein Blick von mir über die Theke in sein Buch reichte, um zu erkennen, dass keine Zimmer belegt waren. Auch hingen alle Schlüssel im Schlüsselschrank. Er wollte sich ein bisschen wichtigmachen, und ich spielte das Spiel natürlich dankbar mit.

Am nächsten Morgen ging es weiter in Richtung slowakischer Grenze, wo die Grenzstadt Kostice liegt. So wie mich der Wind schon gestern den ganzen Tag bestraft hatte, so bestrafte ich ihn heute mit Missachtung und trat meist nur im 3. Gang meiner 14-Gangschaltung in die Pedale. Ich kämpfte mich Richtung Kostice. Um ca. 13 Uhr fuhr ich über die Grenze. So langweilig wie mich Ungarn entließ, so langweilig empfing mich die Slowakei. Ein weiterer Abschnitt war geschafft, und ich befand mich im 4. Land meiner Reise.

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