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Kapitel 4

Es geht los …

Der erste Tag und die Reise durchs Heimatland Deutschland

Pünktlich um 6 Uhr am Morgen des 1. 4. 2019 schlug der Wecker Alarm. Er überraschte mich aber nicht und noch weniger riss er mich aus einem Tiefschlaf. Die Nacht war alles andere als erholsam gewesen. Unruhe, Nervosität und die Tatsache, dass ich nun mein eigenes geliebtes Bett für lange Zeit nicht haben würde, dass ich ab jetzt nicht mehr selbstverständlich neben meiner Frau einschlief und aufwachte, sorgten dafür, dass es eher ein leichtes Duseln als ein Schlafen gewesen war. Also raus aus den Federn und die restlichen Dinge einpacken. Noch eine Tasse Tee, und schon war die letzte Stunde in den eigenen vier Wänden verflogen. Punkt 7 Uhr standen mein Bruder Uwe und mein Freund Bernd mit ihren Rädern hinterm Haus. Mein Bruder begleitete mich bis zur Wilhelmshöhe, was von uns aus gesehen nach 20 km die erste kleine Passhöhe war, aber auch gleichzeitig der erste Test, wie ich mit meinem Gepäck und Rad am Berg zurechtkam. Bernd, mein alter Motorradkumpel, begleitete mich bis Mittwochmorgen und hatte hierfür leichtes Gepäck aufgeschnallt.

Als ich die Wohnung verließ und mein vorgepacktes Rad aus dem Fahrradraum holte, hatte sich zu meiner Freude bereits eine kleine Versammlung aus Freunden, Nachbarn und Geschwistern gebildet. Dann ging alles sehr schnell. Ich bin nicht unbedingt ein Freund von langen Abschieden. Ich klickte meine Lenkertasche ein, begrüßte die zum Spalier Angetretenen und verabschiedete mich gleichzeitig bei ihnen. Meine Schwester Gisela machte noch ein paar Bilder und Videos. Zum Schluss kam der schwierigste Teil, auf Wiedersehen und eine letzte Umarmung für meine Kinder und meine Frau. Tschüss und ab! Es war schwer. Auf der einen Seite gab ich alles für lange Zeit auf, was mein Leben ausmachte, Familie, Freunde, Hobbys und vieles mehr. Keiner, der so etwas startet, darf glauben, dass das so spurlos an einem vorbeigeht. Auf der anderen Seite stand eine Reise mit Abenteuern und vielen ungesehenen Orten.


Der erste Berg war geschafft. Abschied von meinem Bruder links.

Mit diesen Gedanken fuhr ich die ersten Kilometer, ohne um mich herum etwas wahrzunehmen. In das Gespräch meiner beiden Begleiter Uwe und Bernd konnte ich mich nicht einklinken, da mir viel zu viel durch den Kopf ging. Doch schon bald begann im Oberprechtal die erste Steigung. Da ich noch keine besonders gute Kondition hatte, von den Muskeln in den Beinen auch keine Übermensch-Leistung zu erwarten war und meine Auflagefläche auf dem Sattel nun bald zu schmerzen begann, wurden die ersten 20 km gleich zur Prüfung. Nach zwei Stunden war der erste Berg aber Geschichte und der zweite Abschied an diesem Tag stand an. Auf der Wilhelmshöhe machten wir noch ein paar Fotos. Schweren Herzens sah ich meinen Bruder nur noch von hinten, bis er in der nächsten Kurve für lange Zeit aus meinem Blick verschwand. Ihm fiel der Abschied auch nicht gerade leicht, da er als Extremsportler selbst ein kleiner Weltenbummler ist.

Also gut, aufsitzen und weiterfahren war die Devise, weil ich mir vorgenommen hatte, am ersten Tag ein ordentliches Stück weit zu kommen. 60 km waren das Minimum, das ich mir auferlegt hatte, und das auch im Schwarzwald, wo die Strecke eher ein steiles Auf und Ab war als eine lockere Ausfahrt in einer ebenen Landschaft. Zusätzlich belasteten mein Rad auch noch die gut 40 kg Gepäck und mich meine 20 kg Übergewicht. Aber wir kamen gut voran.

Am Abend fanden wir eine Pension in einem kleinen Ort hinter Tuttlingen, in der wir nach einem guten badischen Abendessen eine erholsame Nacht mit schweren Beinen verbrachten. Auch Bernd, der gut 20 Jahre jünger und etwas fahrraderfahrener als ich war, hatte seine Probleme mit den steilen Anstiegen gehabt. Immerhin hatten wir 93 km mit 1288 Höhenmetern geschafft. Am nächsten Morgen starteten wir früh, gleich nach dem Frühstück, um 7.30 Uhr saßen wir bereits wieder auf den gepackten Rädern. Das Tagesziel hieß Memmingen, von unserem Startpunkt aus gesehen 115 km entfernt. Die Strecke durch die südschwäbische Landschaft war sehr schön, aber auch sehr hügelig. In Erwartung eines besonderen Ereignisses, das nicht eintrat, flogen die Kilometer an uns vorbei. Das Einzige, das sich bei mir einstellte, war ein Unwohlsein in meinem Magen, das ich auf den Balkanspieß, den ich am Tag zuvor an einer Imbissbude verdrückt hatte, zurückführte. Das geht ja gut los, dachte ich mir und machte mir gleich zu Beginn schon meine Gedanken über meinen eher empfindlichen Magen. Wie würde das wohl in den Ländern werden, in denen sehr scharf gekocht und auf die Sauberkeit kein großer Wert gelegt wurde?

Am Abend quartierten wir uns im Zentrum des kleinen Städtchens Memmingen ein. Wieder hatten wir einen riesigen Hunger und aßen gut. Um die „Läuse“ in meinem Bauch zu vertreiben, nahm ich ein altbewährtes Hausmittel zu mir, das eigentlich bei solchen Symptomen immer half. Es ist ein Hirsch auf der Flasche, ist braun, und man trinkt es aus kleinen Gläsern. Wenn man zu viel davon schluckt, stellen sich am nächsten Morgen leichte Nebenwirkungen wie Kopfweh und Schlafbedarf ein. Da es aber unser letzter Abend für lange Zeit sein sollte, tranken wir ungeachtet der Nebenwirkungen eine ordentliche Menge davon, auch um sicherzugehen, dass der Magen wieder zur Ruhe kam.

Es war ein schöner Abend, für eine lange Zeit der letzte, den ich mit einem Freund und einem bekannten Gesicht verbringen sollte.

Am Morgen hatten sich die Beschwerden in meinem Magen verzogen, dafür machten sich aber die beschriebenen Nebenwirkungen in meinem Kopf bemerkbar. Schlimmer waren aber die Gedanken daran, dass um 11 Uhr der Bus, mit dem Bernd zurück nach Hause fahren sollte, pünktlich am Busbahnhof stehen würde.

Nach einem kleinen Frühstück standen auch wir dort und wechselten die letzten Worte. Ich wartete nicht, bis der Bus abfuhr, um mir den Anblick zu ersparen, wie er mit meinem Kumpel um die Ecke bog. Eine letzte herzliche Umarmung, ein beherzter Schwung auf mein Rad und, schwupp, war ich mit feuchten Augen und einem mordsmäßigen Stein im Bauch unterwegs Richtung Osten.

Jetzt war es endgültig vorbei mit Bekannten und Heimat. Ab jetzt war die Reise so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Alleine, nichts Vertrautes mehr für lange Zeit, dafür aber frei. Keine geschäftlichen und privaten Verpflichtungen mehr. Nur der Himmel, die Straße, mein Fahrrad und ich. Gedanken über die lange Strecke, die vor mir lag, machte ich mir keine. Das neue Leben, das von nun an begann, galt es zu genießen und zu erleben.

Das Wetter machte es mir einfach. Es war beginnendes Frühjahr, und ich fuhr einer vom Westen her kommenden Schlechtwetterfront voraus. Während es bei mir zu Hause noch ein letztes Mal zu schneien begann, radelte ich bei angenehmer Temperatur und blauem Himmel in Richtung österreichischer Grenze durch Bayern. Eigentlich hatte ich mir für diesen Tag keine lange Strecke vorgenommen, da ich ja ziemlich spät loskam, aber das Wetter war so schön, und es lief erstaunlich gut. In der Hoffnung, gegen Spätnachmittag eine passende Unterkunft zu finden, radelte ich einfach so vor mich hin. Leider waren die Übernachtungsmöglichkeiten in der Gegend sehr dürftig. So kam es, dass es schon dunkel war, als ich ca. 5 km vor dem Ammersee im Tannenhof bei Dießen eine Unterkunft fand. Aus den geplanten 30 bis 40 km waren am Tagesende wieder 86 km geworden. Auf die Frage der Wirtin, wo ich denn mit meinem Rad hinfahre, antwortete ich nicht gerne ehrlich, da es sich nach drei Tagen unterwegs noch sehr großspurig anhörte, einmal um die Welt fahren zu wollen.

Ich hatte zwar schon ein ordentliches Stück geschafft, kam mir aber sehr blöde vor, wenn ich über mein Vorhaben reden musste. Ich war schließlich noch nicht einmal im Ausland.

Am Morgen packte ich wieder mein Fahrrad, das ich zum ersten Mal mit in mein Zimmer nehmen durfte. Dies war mir eigentlich am liebsten, da ich mir dann um mein wichtigstes Utensil keine Sorgen zu machen brauchte.

An diesem Morgen überraschte mich das Wetter mit sehr feuchtem Nebel. Die Tagesroute führte mich vorbei am Ammer- und Starnberger See, die ich aber leider wegen des Nebels nur schemenhaft zu Gesicht bekam. Insgesamt war es ein unangenehmer Tag, der sich durch Kälte und Feuchtigkeit auszeichnete. Als Tagesziel hatte ich Rosenheim vor Augen, das ich nach 113 km auch erreichte.

Läuft gut, dachte ich, und bereits nach 4 Tagen war ich fähig einzuschätzen, was ich mir pro Tag zumuten konnte. Ich hatte zu Beginn meiner Reise ja keine Ahnung gehabt, wie weit ich im bergigen Gebiet kommen würde. Mit der Komponente „Gegenwind“ hatte ich noch gar nie gerechnet, was aber im Verlauf meiner Reise ein nicht unwichtiger Faktor wurde. An diesem Tag konnte ich auch gleich einen ersten Geschwindigkeitsrekord aufstellen. Noch weit vor Rosenheim bot mir meine Straße ein Gefälle von 18 % an, was ich nach längerem Bergauffahren gerne annahm, und ich erreichte eine Spitzengeschwindigkeit von 75,72 km/h. Nicht ungefährlich, dachte ich mir, aber meine Angst vor Geschwindigkeit hält sich in Grenzen. Am nächsten Tag stand dann schon der erste Grenzübertritt auf dem Programm, von Rosenheim nach Salzburg, vorbei am Chiemsee, wobei ich den schneebedeckten Gipfeln der Alpen immer näher kam. Die Landschaft war herrlich. Ich lag der mir folgenden Schlechtwetterfront immer noch einen Tag voraus. Auf einer steilen Abfahrt ca. 20 km vor Salzburg erreichte ich mit meinem vollbepackten Fahrrad wieder eine Spitzengeschwindigkeit von 70,5 km/h. So kam ich bereits am frühen Nachmittag in Salzburg an. Ja, das war’s mit Deutschland. Ich befand mich in Österreich, und in mir kam langsam das Gefühl auf, dass ich nun echt unterwegs war. Tschüss, Deutschland für lange Zeit, was mir an dieser Stelle aber nicht bewusst war, genauso wenig wie die vor mir liegenden Länder und Ereignisse. Lass es auf dich zukommen, war täglich meine Parole.

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