Читать книгу Europa auf der Intensivstation - Rahim Taghizadegan - Страница 11

8. Haben europäische Länder die Pandemie besser in den Griff bekommen?

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Wir haben es mit einer untypischen Atemwegserkrankung zu tun, deren geringe Letalität14 gewiss ist. Ungewiss15 ist noch fast alles andere, und jeder kann sich für das gewünschte Narrativ geeignete Hinweise herauspicken. Erneut spaltet also ein aktuelles Thema quer durch alle Lager – ist aber wahrscheinlich wieder nur Symptom bereits bestehender Spaltung39.

Die nationalen Grenzschließungen und die Interventionen12 bis hin zum Hausarrest gesunder Bürger60 hätte vor der Panik angesichts der norditalienischen Todeszahlen kaum jemand für möglich gehalten. Führende Politiker hatten solche Reaktionen völlig ausgeschlossen. Anfang des Jahres 2020 war es noch Mehrheitsmeinung, »Corona-Leugner« zu sein. Der öffentliche Rundfunk in Deutschland erklärte etwa in einer Sendung Corona-Panikmache zum Hinweis auf rechtsextremes Gedankengut.

Europa traf der Schock, zum Epizentrum10 der Coronavirus-Pandemie zu werden, und die Meinung drehte sich. Angesichts exponentiell wachsender Belegungen der beschränkten Intensivstationen, des Institutionenversagens53 bei der Ausstattung der Krankenhäuser mit Schutzausrüstungen und bei anderen Prozessen der Pandemiebewältigung schien der Griff zum Panikknopf, zur Stopptaste, alternativlos.

Es war eine Schocksituation der Ungewissheit15 des Pandemiegeschehens durch Unwissen über die kausalen Zusammenhänge und der mangelnden Vorbereitung – beides Folgen fehlender Innovation43 und Lernfähigkeit. In einer solchen Lage des Unwissens blieb nur die mittelalterliche Methode des Lockdown. Das ist so, als wäre unsere Mikrowelle kaputt und wir müssten Feuer machen.

Schon nach wenigen Wochen deutete sich an, dass die Autorität der Wissenschaft16 mit prophetischer Gabe verwechselt worden war. Die epidemiologischen Modelle waren durchwegs falsch. Die Abflachung der Zahl an Intensivpatienten setzt viel früher ein. Heute blicken wir gebannt auf Infektionszahlen, die weitgehend irrelevant sind.

Die Spaltung39, vor allem in den USA57, verhindert eine kritische Bestandsaufnahme. Der Lockdown war politisch alternativlos, weil die Gesellschaft nach anfänglicher Sorglosigkeit in Panik gekippt war, und praktisch zumindest plausibel, weil die mögliche Selbstverstärkung der Todesdynamik zu klären und zu bremsen war. Im Nachhinein ist mit steigender Gewissheit davon auszugehen, dass die Folgeschäden des Lockdown – auch und gerade gesundheitlich – größer sein werden als der abgewandte Schaden.

Nicht Europa hat die Pandemie in den Griff bekommen, sondern die Pandemie Europa – und die entstandene Verwirrung könnte die Grundlage für das Wüten einer weit schlimmeren, völlig übersehenen Pandemie sein: eine Pandemie von Gedankenviren42.

Kapitel, die auf dieses verweisen: Kap. 1, 11, 12, 16, 17, 29, 30, 39, 40, 42, 49, 53, 57

Europa auf der Intensivstation

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