Читать книгу Europa auf der Intensivstation - Rahim Taghizadegan - Страница 17

14. Also doch nur ein weiterer Corona-Leugner?

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Ich habe selbst bereits im Februar in Artikeln davor gewarnt, das Coronavirus zu unterschätzen, als in Europa noch Sorglosigkeit herrschte. Der Eindruck hoher Letalität in Norditalien führte dann zu Panik. Panik ist die Angst, die zu spät kommt. Wenn man schon in Panik geraten möchte, dann so früh wie möglich.

Zur guten Abschätzung von Letalitätszahlen braucht man ein möglichst kontrolliertes Umfeld; das unverstandene Seuchengeschehen in Italien eignete sich dafür nicht. Die Grundlage meiner Einschätzungen im Februar war daher das unfreiwillige Großexperiment auf dem Kreuzfahrtschiff vor Japan. Daraus ließ sich relativ bald eine Letalität errechnen, die nicht über der von schwereren Grippewellen liegt.

Seitdem in Europa mehrheitlich verachtete Politiker den Grippevergleich bemühten, ist er zu einem Tabu geworden. Das ist genauso dumm, wie den Grippevergleich zum Abwiegeln zu nutzen: Grippe ist kein Schnupfen, sondern ein Komplex von Infekten ausgelöst durch laufend mutierende Viren, der in Gesellschaften mit langer Lebenserwartung wachsende Todeswellen bedeutet, die man nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte.

Vor einer Pandemie mit Grippeähnlichkeit besorgt zu sein, ist richtig. RNA-Viren sind veränderlich, und eine neue Rekombination, die hohe Letalität (bei der Vogelgrippe z. B. 60 Prozent) mit hoher Infektiosität (R0 bei Masern z. B. 15) verbindet, ist nie auszuschließen – etwa durch lange Inkubationszeit, asymptotische Übertragung oder Spätfolgen. Im Nachhinein kann sich diese Sorge als nicht zielführend erweisen, weil jegliches Handeln irrelevant war – etwa weil die überwiegende Zahl an Mutationen keine Verschlimmerung der Lage bedeutet und die meisten Viren völlig harmlos, viele sogar gutartig sind.

Der mediale Fokus auf Infektionszahlen ist weitgehend irrelevant, denn diese folgen den Tests und sind nicht nach relevanten Unterschieden aufgeschlüsselt, nämlich Alter und Komorbidität. Inzwischen hat sich das gesamte Konzept einer Reproduktionszahl als Trugschluss16 erwiesen: Ein epidemiologisches Kürzel, eine Heuristik wurde durch akademisch-mediales Überstrapazieren zur Richtschnur und kehrte damit geringen praktischen Nutzen zu großem praktischen Schaden um. Da es keinen Durchschnittsmenschen mit einem modellhaft vorhersehbaren Verhalten gibt, gibt es auch nicht die Reproduktionszahl an sich, sondern eine Ansteckungsdynamik, die sich von Individuum zu Individuum und Kontext zu Kontext unterscheidet. Hier liegt der Schlüssel, die zahlreichen Paradoxa aufzuklären, die bei diesem komplexen Problem wieder die Spaltung39 und die Blasen18 nähren.

Kapitel, die auf dieses verweisen: Kap. 8, 9, 39

Europa auf der Intensivstation

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