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ОглавлениеMittwoch, 07. Juli
Hamburg, Haus von Professor Tiefental
“Es sollte eine einwöchige Erkundung werden. Wie Professor Massmann überhaupt von der Höhle erfahren hatte, hat er uns nicht gesagt. Das war uns aber auch egal, wir waren einfach aufgeregt. Es war als zusätzliches, freiwilliges Thema für die Semesterarbeit gedacht. Jeder versprach sich natürlich Pluspunkte in der Benotung durch die Teilnahme. Und dann endete das Ganze in dieser Katastrophe.” Tiefental beendete seine Erzählung mit einem tiefen Seufzer. Er blickte aus dem Fenster hinaus, kleine Tränchen kullerten aus seinen Augen.
“Aber warum haben Sie nie etwas davon erzählt?”, drängte Petra auf eine Erklärung. Die Tränen waren ihr nicht entgangen und er tat ihr auch leid, aber eine Antwort wollte sie trotzdem haben.
“Ich hatte Angst. Angst davor, vielleicht verantwortlich gemacht zu werden. Angst vor den Reaktionen der Familien, vor den Vorwürfen die hätten kommen können. Warum ich überlebt habe und nicht einer der anderen. Warum ich nichts unternommen habe, sie zu retten. Was natürlich völlig unmöglich war. Sie sind in diese endlose Tiefe gestürzt, ich konnte nur hören, wie sie aufschlugen, aber nichts sehen. Zu meinem Glück. Ich wollte dieses schreckliche Erlebnis einfach vergessen.“
Tiefental machte eine kleine Pause, bevor er weiter sprach. „Ich täuschte im Krankenhaus eine Amnesie vor und kam damit durch. Später habe ich es bereut, als ich auf all den Begräbnissen der leeren Särge die trauernden Familien sah. Aber da war es bereits zu spät, da konnte ich nichts mehr sagen. Wie hätte das denn ausgesehen? Selbst Isolde habe ich nie etwas gesagt, was an dem Tag, als ich auf ihrer Station eingeliefert wurde, wirklich passiert war.
Die ganze Sache hat mich mein Leben lang verfolgt, das kannst Du mir gerne glauben, aber einen Weg zurück gab es nicht mehr, leider. Ich musste damit klar kommen. Vergessen und Verdrängen - konnte ich schon immer gut.”
Eine unangenehme Stille herrschte zwischen den beiden nachdem Tiefental geendet hatte. Beide hingen ihren Gedanken nach. Petra hatte durchaus Mitleid mit dem alten Mann, aber andererseits empfand sie auch eine gewisse Wut. Wut darüber, belogen worden zu sein. Oft genug hatte sie in den vergangenen Jahren nach besonderen Höhlen in Deutschland gefragt. Nie hatte Tiefental auch nur ansatzweise etwas erwähnt, stets schnell das Thema gewechselt. Nun wusste sie, warum. Sicher gab es dafür nachvollziehbare Gründe, aber eine Frage war dennoch nicht beantwortet worden.
“Das war sicher ein einschneidendes Erlebnis in ihrem Leben, keine Frage. So etwas mitzuerleben wünsche ich keinem Menschen. Aber da ist trotzdem noch etwas, was Sie mir erklären müssen und können, da bin ich mir sicher. Wir haben außer den Toten und dem Tagebuch auch noch etwas anderes gefunden.” Petra machte eine kurze Pause und es schien ihr, als wenn Tiefental ahnte, was jetzt kommen würde.
“Da unten liegen luftdicht verschlossene Holzkisten... Sie haben sie eben selber erwähnt. Herr Professor, was ist da drin?” Erwartungsvoll schaute sie ihn an.
Jetzt war es endgültig um die Fassung Tiefentals geschehen. Schlimm genug, dass die Leichen Massmanns und seiner Kommilitonen gefunden wurden, nun auch noch die Kisten. Aber irgendwie hatte er es schon geahnt. Tiefental fand keine Worte mit denen er anfangen konnte und ärgerte sich selber, dass er die Kisten bei seiner Erzählung doch nicht verschwiegen hatte.
“Bitte Herr Professor, Sie konnten mir immer voll vertrauen, daran hat sich nichts geändert. Sagen Sie mir, was Sie gefunden haben, was in den Kisten ist. Eine haben wir bereits geöffnet, die Kleinste, die mit den Bartgeiern. Was ist in den restlichen?”, drängte Petra auf eine Antwort.
“Noch einen Tee?” Tiefental wusste einfach nicht, was er sagen sollte. Nach so langer Zeit jetzt mit der Vergangenheit in der Form konfrontiert zu werden, damit kam er nicht klar. Andererseits war ihm aber auch bewusst, dass er Petra gegenüber, nachdem sie schon die Kisten gefunden hatte, nicht die Unwahrheit sagen konnte. Sie würde es merken, würde er sich eine Geschichte ausdenken. Mal abgesehen davon, dass er sich sicher war, dass Petra spätestens bei ihrer Rückkehr in die Höhle selber nachschauen würde.
“Professor, bitte!” Mittlerweile klang es schon fast bittend und bettelnd, wie Petra versuchte die Informationen aus ihm herauszubekommen.
Tiefental schenkte sich noch eine Tasse Tee ein. Die Erinnerungen schienen ihn zu quälen. Seine sowieso schon tiefen Falten im Gesicht wurden noch tiefer. Das ganze Gesicht wirkte wie eine Kraterlandschaft, so sehr verkrampfte er sich. Er zog die Stirn kraus und kniff so dermaßen die Augen zu, als hätte er heftige Kopfschmerzen. Schließlich rang er sich aber dann doch zu einer Antwort durch, auch wenn es ihm schwer fiel.
“Lass mich meinen Koffer packen. Ich fahre mit Dir nach Köln und dann werde ich Dir den Rest erzählen, meinetwegen auch schon auf der Fahrt. Ruf Paul an, damit er uns abholt. Das war er doch vorhin, oder?” Tiefental hatte einen Entschluss gefasst. Er würde mit Petra die Höhle betreten. Vielleicht hörten dann auch endlich seinen Dämonen auf, ihn zu quälen.
“Ja, das war Paul.” Auf diese Reaktion, dass er sie begleiten würde, hatte sie zwar gehofft, aber nicht damit gerechnet. Umso besser. Sie lächelte ihn an zum Zeichen, dass sie nicht so böse war, wie es vielleicht den Anschein hatte.
Petra rief Paul an, wie weit er sei. Er sagte ihr, er hätte noch einiges zu erledigen und zu organisieren, ob es ausreichen würde, wenn sie sich am nächsten Morgen, gleich ganz früh auf den Weg machen würden.
So einigten sie sich darauf, dass sie am nächsten Tag noch vor dem Frühstück losfuhren. Petra nahm das Angebot von Tiefental gerne an, die Nacht bei ihm zu bleiben. Ihre Sachen waren sowieso in Köln und so brauchte sie nicht erst lange nach Hause fahren.
Den Abend verbrachten die beiden in trauter Eintracht mit Gesprächen und Anekdoten aus der gemeinsamen Vergangenheit an der Uni. Es war spät geworden, als sich beide schließlich zu Bett begaben.