Читать книгу Wächterkind - Ralf Oswald - Страница 11
ОглавлениеZwischenwelt, Eleyas Ausbildungsort
Eleya erwachte aus einem traumlosen Schlaf, als sie eine Berührung an ihrem Arm merkte. Sie zuckte zusammen und riss die Augen auf. Zwei Sonnen standen hoch am Himmel.
„He du, aufwachen, was geht? S‘is schon lange hell.“
Erschrocken drehte sich Eleya um und sah in einem Meter Entfernung einen Jungen sitzen. Er stocherte mit einem Stock auf dem Boden herum. Sein Alter war schwer zu schätzen, doch Eleya ahnte, dass er so um die vierzehn Jahre alt war. Sein kinnlanges Haar wurde von einem bronzefarbenen Stirnreif gehalten. Er grinste.
„Hei kleine Schweggi, ich soll dich von Dad grüßen. Ihm ist was Wichtiges dazwischen gekommen.“
Eleyas erstauntes Gesicht wandelte sich in ein Grinsen: „Esrael ...“, quietschte sie und wollte nach ihm greifen, als ihre Hand durch seinen Arm hindurch griff.
Grinsend hob der Junge seine Augenbraue: „Hm, geht nicht, weißt du.“
Eleya lachte. „Ja, ist ja schon gut, weiß ich doch“, entgegnete sie. „Bin froh, dich zu sehen. Mein Bruder ist wieder da ...“, quiekte sie übermütig. „Esrael. Wo warst du denn?“
„Hatte zu tun – reine Männersache! Verstehst du eh’ nicht’’, erklärte er mit wichtiger Mine.
„Pöh“, machte Eleya und zog einen Schmollmund.
„Dad hat gesagt, wir sollen schon mal ohne ihn anfangen, Schwesterchen“, sagte Esrael und erhob sich vom Gras.
Er trug eine seltsame Mischung aus Toga und Kimono, in der Taille von einer Kordel gerafft, die mehrmals um ihn geschlungen war. Esrael blickt verschmitzt auf Eleya herab.
„So, Schwesterchen, hör gut zu - denn ich“, und damit deutete er in einer übertriebenen Geste auf sich selbst, „... ich erkläre dir jetzt mal, wie das Ganze so funktioniert.“
Eleya schaut verwirrt hoch. „Mhhhm ...“
Dann wurde Esrael ernster. „Also, Eleya, alles, was du siehst, wird von einer gewaltigen Kraft durchströmt. Pass auf, stell dich gerade hin ...“
Eleya postierte sich neben Esraels Abbild und stellte sich in übertriebener Haltung in Pose.
„Und nun?“
Esrael betrachte sie prüfend. Dann zuckten seine Ohren, die rechte Hand schoss nach vorne durch die Luft.
„Autsch“, schrie Eleya auf, als sie einen Klaps auf ihrem Hintern spürte. „Ich dachte, du kannst mich nicht anfassen?“
„Schwesterchen, dafür langt´s noch alle mal. Und jetzt streng dich an und schau genau hin. Stehe ich etwa so da, als ob ich die Windeln voll hätte?“
Eleya blickte finster zurück, dabei korrigierte sie ihre Haltung.
„Na also. Jetzt nochmal!“
Eleya stellte sich gerade hin und schon das Becken nach vorne.
„Besser so? Is’ so richtig?“
„Ja, so ist gut, und nun mach mir nach. Hebe deine Arme, genau so.”
Eleya machte es nach.
„... und nun ... atme ... ein ... und aus. Stell dir vor, dass du durch deinen Bauchnabel einatmest“, hörte sie Esraels Stimme. „Und schau nicht mich an! Sieh gerade aus. ... beim Ausatmen verlässt die verbrauchte Luft deinen Körper durch eine Öffnung in der Mitte deines Kopfes.“
Esrael bewegte die Hände wie gegen einen unsichtbaren Widerstand nach unten.
„Ja, gut so. Stell dir vor: Strahlende, goldene Luft durchströmt dich, erfüllt dich mit der Kraft und verlässt dich wieder. Halte sie nicht fest, nimm sie einfach auf, lass sie durch dich strömen, und lass sie gehen. Klammere an nichts fest. Nimm an, was kommt. Nichts bleibt, alles ist im Fluss. Die Luft, die du atmest, ist rein, golden und klar ...“
„Esrael?“
„... ja, was ist?“
„Esrael, ich hab' Hunger“, warf Eleya mit quengelnder Stimme ein.
„Oh man, ich fass’ es nicht“, grunzte Esrael und brach seine Bewegung ab. „Bin ich deine Amme oder was?“
Doch dann sah Esrael auf das Mädchen herab: sie hielt den Kopf gesenkt, die Ohren nach hinten an den Kopf angelegt. Mit riesigen Augen sah sie zu ihm auf.
„Na gut. Dann iss was. Zehn Minuten Pause.“
Ein Strahlen huschte über ihr Gesicht, das unmittelbar darauf verschwand.
„Esrael, was kann ich denn hier essen ...?“
Esrael verdrehte die Augen und stöhnte. Er reckte die rechte Hand nach oben und ließ die ausgestreckte, flache Hand im Handgelenk nach vorne abknicken. Ein winziger Blitz entstand in der Luft, dann war die flüchtige Erscheinung vorüber.
Im selben Moment schlossen sich die lückenhaften Erinnerungen und Eleya wusste von den unterschiedlichsten Obst- und Gemüsesorten, die hier wuchsen. Sie kannte den Platz der kühlen Quelle, die gurgelnd den Teich füllte. Sie erinnerte sich an den Ort der magmabeheizten Becken, in dem man verschiedene Sachen erwärmen konnte genauso deutlich wie an die Nistplätze der großen Vögel, die jeden Tag neue Eier ablegten.
„Danke, Esrael ...“
„Ja, is’ schon gut. Aber danach gehts weiter.“ Das Abbild von Esrael setzte sich wieder auf den Boden und begann, gelangweilt mit dem kleinen Stock auf dem Boden zu kratzen.