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AI, die Existenzebene der Wächter

„Die Zwischenwelt muss jetzt erstellt werden, Esrael. Das Gedankenkonzentrat ist fertig und kann nicht mehr lange warten“, erklärte der Koordinator der Wächter.

“Dad”, erwiderte ich, wobei sich meine Stimme fast überschlug, „was wir haben, ist noch zu wenig. Aber ich bin gleich soweit. Noch ein wenig mehr, ich packe das schon. Doch wir brauchen mehr CHI.“

"Es ist nicht zu wenig", fauchte Talan. "Tu einfach nur, was der Koordinator dir aufgetragen hat. Tu es jetzt und lass endlich dein ewiges Gejammer."

Gereizt blickte ich ihn an, für einen kurzen Moment gingen meine Gedanken in eine andere Richtung, doch dann lenkte ich meine Aufmerksamkeit wieder auf meine geistigen Instrumente. Alles, was ich jetzt gegen ihn unternehmen würde, könnte meinen Plan gefährden.

„Destruktor, du hast den Koordinator gehört!“, sagte Talan.

Dad sah erst mir, dann den anderen Vertretern der Vierergruppe in die Augen.

„Koordinator, glaub mir, es ist noch zu wenig“, klagte ich sorgenvoll, doch Dad tat so, als ob er mich nicht hörte und öffnete mit einem einzigen Gedanken den Energiespeicher. Frisches Chi strömte in die Zwischenweltblase, und nur ich bemerkte, dass es fast zu einer Übersättigung führte.

„Direkt nachdem Esrael die Zwischenwelt erstellt hat, beginnen wir mit der Überführung des Gedankenkonzentrats. Haltet euch bereit.“

“Dad, es ist geschafft. Die Zwischenwelt ist fertig”, rief ich.

Dad blickte er Eleya in die Augen: “Mein Mädchen, Kopf hoch, du schaffst das!”

Eleya grinste zurück.

Der Koordinator atmete mit hörbarem Seufzen aus, bevor er die endgültige Anweisung gab: „Esrael, Achtung, ... jetzt!“

Hätten Astronomen diesen Raumausschnitt beobachten können, wäre ihnen etwas sehr seltsames aufgefallen. Zwischen den beiden zentralen Schwarzen Löchern des Pferdekopfnebels ging eine Veränderung vor. Die optischen Auswertungen hätten eine leuchtende Blase erkannt, die sich ausdehnte und bei einer Ausdehnung von etwa 2000 km flackernd zum Stillstand kam.

“Na, Talan, hast Du noch irgendetwas zu sagen? Ich schätze, dass du nächstes Mal deinen Mund halten solltest”, grölte ich.

Plötzlich hörte ich die Stimme des Koordinators: „Esrael, reiz’ ihn nicht. Jetzt ist nicht der geeignete Zeitpunkt. Halte inne! Unsere Zeit wird kommen!“

Mir rutschte das Herz in die Hose. Was war das, fragte ich mich. Dad hatte mit seiner Flüsterstimme gesprochen. Ich hatte davon gehört, dass er so etwas konnte, und ich wusste, dass er dies nur ganz selten tat. Und ich ahnte, dass es sehr wichtig war auf ihn zu hören. Verstohlen blickte ich mich um, doch niemand sonst außer mir schien etwas gehört zu haben.

Ich beobachtete, wie die Zwischenwelt entstand. Innerhalb der Blase bewegte sich die Zeit anders, und zwar so, wie wir es wollten. Im Moment stand alles auf “Ultra-Schnell-Vorspulen”, und im Innern der Blase wurde ein kleines Universum neu erschaffen. Innerhalb weniger Minuten bildete sich eine heiße Materieballung, die sich zu zwei Sonnen und einem Planeten formten. Der Planet kühlte ab, es vergingen weitere hunderttausend Jahre, während wir von außen erkannten wie sich die ersten Aminosäureketten auf ein experimentelles Spiel einließen.

Die unterschiedlichen Katalysatoren, die ich hinzugefügt hatte, bewirkten die Entwicklung einer kompletten Flora und Fauna. Auf Zwischenwelt verbanden sich DNS-Stränge und formten eine Art Protoplasma, eine unförmige Masse aus verschiedenen Zellen. Der danach eingeleitete Wachstumsprozess ließ einen Körper entstehen.

Doch es war lediglich eine leere Hülle ohne Bewusstsein. Alle notwendigen Verbindungen waren vorhanden, wartend, lauernd. Und sie warteten, bis endlich das Gedankenkonzentrat eintraf.

„Eleya, bist du soweit?“, wiederholte ich meine Frage.

Ihr geistiges Abbild nickte mir entgegen, ein zartes Lächeln formte sich.

„Ja, ich bin so weit. Also, bis dann, auf der anderen Seite.“

Ich warf ihr ein Petzauge zu.

Der Prozess begann, und es war wie immer.

Eleyas Gedanken wurden losgeschickt. Für uns Zurückgebliebene erschien es, als würde sich ihr Geist zurückziehen, bis niemand mehr ihre Anwesenheit vernahm. Die Entfernung durch Raum und Zeit, die Eleyas Bewusstsein überbrückte, bewirkte einen gewaltigen Schock bei Ihrer Ankunft. Eben noch war sie Teil eines geistigen Verbundes, in dem ihr eine Vielzahl von Sinnen und Verständigungsmöglichkeiten zur Verfügung standen. Doch nun musste sie in der speziell für sie erschaffenen Trainingswelt in ihrem neuen Körper lernen, mit weniger Sinnen zurechtzukommen.

Den größten Teil ihrer Erinnerungen hatte ich fürs Erste isoliert, quasi eingefroren. Nur rudimentäre Begriffe waren geblieben. Dafür hatte ich ihr eine Art Pseudoerinnerung mitgegeben, die es Ihr ermöglichen würde, sich entsprechend ihres Auftrages zu entwickeln.

Als Eleyas Bewusstsein ihren neuen Körper erreichte, funktionierten alle Sinnesorgane perfekt.

Schlagartig erfasste ihr Bewusstsein die Flut der neuen Eindrücke.

Sie schlug die Augen auf. Sie hatte einen verrückten Traum, aus dem sie nun erwachte. Sonnenaufgang - es war ein gutes Licht. Golden, warm und klar.

Sie öffnete die Augen und sah den klaren violetten Himmel. Dann bemerkte sie das Jucken in ihren Unterarmen. Sie kratzte sich in der Ellbogenleiste und an beiden Handgelenken.

Dieses Jucken in den Armen ...!

Unter der geröteten Haut der dürren Arme zeichneten sich die beiden Unterarmknochen ab.

Eleya ballte die rechte Hand zur Faust, um sie anschließend wieder zu öffnen.

Beide Arme waren total geschwollen, geradezu aufgequollen! Alles war viel zu stramm. Sie drehte die Handfläche nach oben und sah sich ihre Daumen genauer an. Der Daumenballen war am stärksten angeschwollen. Sie ballte nochmals die Hand zur Faust und drückte sie mit aller Kraft zusammen, als sich mit einem schmatzenden Geräusch der Daumennagel abhob. Doch anstelle eines Schmerzes wich das anfängliche unbehagliche Gefühl einer wahren Erleichterung. Die Haut am Daumen begann weiter aufzuplatzen wie die Oberfläche einer reifen Frucht. Zwei Zentimeter, drei Zentimeter. Eleya spannte den Arm an. Mit einem Schlag riss die gesamte Haut bis zum Ellbogen auf. Ein Schwall klarer Flüssigkeit floss heraus. Als sie die Hand nach hinten abwinkelte, löste sich einer der Unterarmknochen vom Ellbogengelenk. Wie ein zusammengefalteter Zollstock begann sich das neue Gebilde auszustrecken. Die Haut riss weiter auf, erst bis unter die Achselhöhlen, entlang des Rückens bis in die Mitte der Schulterblätter.

Fasziniert beobachtete sie diesen schmerzfreien Vorgang. Sie blickte auf den linken Arm, an dem dieselbe Verwandlung eingesetzt hatte. Als sie die Arme ausstreckte, spannte sich ein feuchter Strang zwischen den Schulterblättern und der Spitze des neuen Fingers, der ehemals ein Unterarmknochen war.

Erste Gedanken begannen sich zu bilden: „Welche Erleichterung! Wie angenehm. Endlich frei“!

Und noch während es die beiden Arme zu der gesamten Länge ausstreckte, bemerkte sie den hauchdünnen Film, der sich aufspannte. Überrascht und glücklich zugleich betrachtete sie die feuchten, zerbrechlichen Schwingen, die in sämtlichen Regenbogenfarben schillerten. Mit weit ausgebreiteten Flügeln stand sie da, den Kopf in den Nacken gelegt und ließ die zerbrechlichen Schwingen im warmen Wind trocknen.

„... ELEYA ...”, hallte der Ruf durch ihren Geist. Schlagartig war sie sich ihrer selbst bewusst. Ihre Reise war abgeschlossen.

Wächterkind

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